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Archiv "Pathophysiologie und Therapie der Verbrennungen" (15.04.1976)

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ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:

Pathophysiologie und Therapie der Verbrennungen Diagnostik

und Therapie der Hyperthyreose Der akute Venenverschluß

Pathogenese, klinisches Bild und Begutachtung von zerebralen

Komplikationen nach der Pockenschutzimpfung

THERAPIE IN KÜRZE

KONGRESS- NACHRICHTEN

FÜR SIE GELESEN

TECHNIK IN DER MEDIZIN:

Einweg-Pinzette aus Hostadur Schüttelgerät für Röntgenkontrastmittel

1. Pathophysiologie

Die Hitzeschädigung organischen Gewebes ist abhängig von der Ein- wirkungsdauer und der Temperatur der Hitzequelle. Experimentelle Un- tersuchungen haben gezeigt, daß bereits ab 44° C bei sehr langer Einwirkungsdauer ein lokaler Ge- webeschaden eintritt. Er besteht im Verlust der Semipermeabilität der Zellwände und insbesondere der Kapillarendothelien. Es kommt da- durch zur Plasmaexsudation aus den geschädigten Kapillaren und damit zu einem erheblichen Wund- ödem. Ein weiterer Volumenver- lust tritt durch Exsudation und ver- dunstung über die verbrannte

Hautoberfläche ein, insbesondere kommt es zu einem erheblichen Natriumverlust in das Wundödem und in die Brandblasenflüssigkeit, die bis zu 1000 mval Natrium pro Liter enthalten kann. Ab einem ge- wissen Ausmaß führt die Plasmaex- sudation, die in den ersten vier Stunden am größten ist und bei entsprechender Ausdehnung der Verbrennung mehr als das Blutvo- lumen des Verunfallten betragen kann, zum hypovolämischen Schock. Bei schweren Verbrennun- gen sind in den ersten zwei

Stun- den

bereits Verluste des zirkulieren- den Blutvolumens um 15 bis 20 Prozent der Norm fAstgestellt wor- den. Dieser Plasmaverlust führt zu

Pathophysiologie und Therapie der Verbrennungen

Konrad Saur, Dieter Schlosser, Leonhard Schweiberer

Aus der Abteilung für Unfallchirurgie der Chirurgischen Universitätsklinik Homburg/Saar (Direktor: Professor Dr. med. L. Schweiberer) und

der Chirurgischen Abteilung des Evangelischen Krankenhauses Köln-Kalk (Chefarzt: Professor Dr. med. D. Schlosser)

In der vorliegenden Arbeit wird die Pathophysiologie des lokalen Gewebeschadens und der daraus resultierenden allgemeinen Kreis- laufreaktionen erläutert, die abhängig von Flächen- und Tiefenaus- dehnung der Verbrennung zu erwarten sind. Als wichtigste ärztliche Maßnahme am Unfallort werden neben einer notfallmäßigen lokalen Primärversorgung die Methoden zur Beurteilung des Schweregra- des der Verbrennung beschrieben, welcher für die weitere Therapie und für die Indikation zur stationären Aufnahme von entscheidender Bedeutung ist. Weiterhin werden die Notfallmaßnahmen am Unfall- ort und bei stationärer Aufnahme von Schwerverbrannten sowie die zur Zeit gebräuchlichen Methoden der klinischen Überwachung und Behandlung im Verlauf der Verbrennungskrankheit abgehan- delt.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 16 vom 15. April 1976 1081

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Darstellung 1: Pathophysiologie des Verbrennungsschocks einer erheblichen Bluteindickung

mit entsprechendem Anstieg des Hämatokrits auf Werte bis 70 Vo I .°/0.

Die Katecholaminausschüttung beim Schwerverbrannten setzt et- was verzögert ein und erreicht etwa drei Stunden nach dem Unfall ungefähr das 20- bis 30fache des normalen Katecholaminblutspie- gels. Diese Katecholaminausschüt- tung hält überschießend zwei bis drei Tage an und führt zur Kreis- laufzentralisation.

Beide Faktoren — Plasmaexsuda- tion und überschießende Katechol- aminausschüttung — führen zum Bild des Verbrennungsschocks, der gekennzeichnet ist durch a) eine starke Bluteindickung, meßbar am Anstieg des Hämato- krits, und

b) eine schwer zu durchbrechende Zentralisation, die auf die über- schießende Ausschüttung der Ka- techolamine zurückzuführen ist (Darstellung 1)

Diese Schockphase bei schweren Verbrennungen dauert etwa 48 Stunden, nach 24 Stunden beginnt jedoch bereits die Rückresorption des Verbrennungsödems und damit die sogenannte Ödemphase, die bis zum dritten bis vierten Tag nach dem Unfall anhält.

Nach dieser ersten Schock- und Ödemphase beginnt ab dem vier- ten Tag das eigentliche Problem der Verbrennungskrankheit, wel- ches durch eine weitere Schockge- fahr infolge Hypoproteinämie und Rückresorption der bakteriellen Toxine und Verbrennungstoxine gekennzeichnet ist. Zusätzlich muß mit einer Verbrennungsanämie zwi- schen dem dritten bis sechsten Tag nach dem Unfall gerechnet werden. Weiterhin kann die Phase der Verbrennungskrankheit, die etwa drei Wochen andauert, durch akute Blutungen aus Streßulzera des oberen Magen-Darm-Traktes kompliziert werden.

Die Hypoproteinämie ist Folge ei- ner katabolen Eiweißstoffwechsel-

lage, die bis zur Abheilung aller Wundflächen bestehenbleibt. Erst nachdem der Eiweißverlust über die offenen Wundflächen nachläßt beziehungsweise völlig sistiert, wenn die verbrannten Flächen re- epithelialisiert sind, ist mit einem Umschlag der katabolen in eine anabole Eiweißstoffwechsellage zu rechnen.

Zur Infektion im Verlauf der Ver- brennungskrankheit ist zu sagen, daß eine frische Verbrennungswun- de niemals steril ist. Ausgehend vom Wundrand und von nicht zer- störten Ausführungsgängen der Schweiß- und Talgdrüsen kommt es zuerst zu einer Staphylokokken- und Streptokokkeninvasion, die be- reits eine Stunde nach dem Unfall in Wundabstrichen deutlich nach- weisbar ist. Diese grampositive Flora wird etwa 24 Stunden nach der Verbrennung von einer gram- negativen überwuchert, das heißt insbesondere durch eine Besied- lung der Wundflächen mit Pseudo- monas aeruginosa (Bacterium pyo- cyaneum) und Proteus mirabilis.

Ab dem vierten oder fünften Tag beginnt die Invasion der Bakterien in die umgebenden, nicht ver- brannten Gewebe, der Höhepunkt der Infektion und damit die Gefahr der Bakteriämie wird um den neun- ten Tag erreicht. Auch heute noch ist sie in über 30 Prozent der Fälle die alleinige Todesursache nach schweren Verbrennungen.

Die Pathogenese der Verbren- nungsanämie ist nicht eindeutig geklärt. Diskutiert werden primäre Erythrozytenverluste infolge Slud- gebildung und direkte Hitzeschädi- gung sowie zusätzlich eine Bil- dungsanämie infolge Hypoprotein- ämie und ein beschleunigter Abbau von hitzegeschädigten Erythrozy- ten. Die Verbrennungstoxine stel- len großmolekulare Eiweißkörper dar, die durch Polymerisation von Lipoproteinen durch trockene Ver- brennung der Haut entstehen. Es ist experimentell nachgewiesen, daß sie nicht bei der feuchten Ver- brennung, zum Beispiel durch Dampf und heiße Flüssigkeiten, entstehen.

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Vorne 18/©

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Darstellung 2: Neunerregel nach Wallace, für Kinder unter zehn Jahren mo- difiziert nach Willital

Bei etwa 25 Prozent der Schwer- verbrannten entwickeln sich Streß- ulzera, meist im Magen. Vorboten sind kontinuierlicher Hb-Abfall so- wie okkultes Blut im Stuhl und schließlich Teerflecken im Stuhl beziehungsweise Teerstühle. Bei etwa einem Drittel der Fälle treten ohne diese Vorboten schwere Blu- tungen aus dem oberen Magen- Darm-Trakt auf mit Bluterbrechen, massiven Teerstühlen und einem verzögert einsetzenden hämorrha- gischen Schock.

Nach überstandener Verbren- nungskrankheit folgt die Normali- sierungsphase, die nochmals drei bis vier Wochen in Anspruch nimmt. In dieser Zeit normalisiert sich die allgemeine Stoffwechsella- ge, das heißt die bisher katabole geht in die anabole Stoffwechsella- ge über, insbesondere was den Ei- weißstoffwechsel anbelangt. So- wohl in der Phase der eigentlichen Verbrennungskrankheit als auch in der Normalisierungsphase ist der Kalorienbedarf des Schwerver- brannten sehr hoch und beträgt etwa 80 bis 100 Cal pro Kilogramm Körpergewicht in 24 Stunden. An die Normalisierung der Stoffwech- sellage schließt sich die Pha- se der Rehabilitation an, das heißt der Mobilisation des Patienten, der bisher überwiegend an das Kran- kenbett gefesselt war. Erst in die- ser Phase sind weitere plastische Eingriffe möglich, das heißt Kor- rekturen von Narbenkeloiden sowie narbigen Kontrakturen, kosmeti- sche Korrekturen im Gesicht, zum Beispiel Augenlider und Ohrmu- scheln sowie Korrektureingriffe bei Verbrennungen der Hände.

Flächen- und Tiefenausdehnung des Hitzeschadens bestimmen den Schweregrad der Verbrennung und sind damit von entscheidender Be- deutung für Prognose und Thera- pie, das heißt, ob es sich um eine leichte Verbrennung handelt, die keiner stationären Behandlung be- darf oder ob die Verbrennung ein solches Ausmaß erreicht hat, so daß mit dem vorgenannten patho- physiologischen Ablauf gerechnet werden muß.

Zur Beurteilung der Flächenaus- dehnung eignet sich auch heute noch die Neunerregel nach Walla- ce, die bei Kindern unter zehn Jah- ren modifiziert werden muß, um der veränderten Relation der unte- ren Extremitäten und des Kopfes im Verhältnis zum Stamm Rech- nung zu tragen. Von mehreren Au- toren werden verschiedene Modifi- kationen vorgeschlagen, von denen wir das auch von Willital angege- bene Schema bevorzugen: Unter Bezugnahme auf das in Darstellung 2 abgebildete Flächenschema wird für jedes Lebensjahr unter 9 Jah- ren von jeder Extremität 1 /2 Prozent der Körperoberfläche abgezogen und zum Kopf hinzugezählt (Dar- stellung 2).

Für jedes Alter bis zu 10 Jahren läßt sich so eine einigermaßen anatomiegerechte Körperoberflä- chenverteilung angeben und ein entsprechendes Schema aufzeich- nen. In dieses werden die prozen- tualen Anteile der verbrannten Flä- chen eingetragen, so daß die Ge- samtheit der verbrannten Körper- oberfläche hinreichend genau abge- schätzt werden kann. Einen guten Anhaltspunkt bietet auch die Faust- regel, nach der die Handfläche eines Erwachsenen etwa 1 .Prozent seiner Körperoberfläche ent- spricht.

Die Tiefenausdehnung einer Ver- brennung wird unter Berücksichti- gung des anatomischen Aufbaus

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 16 vom 15. April 1976 1083

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der Haut und der Unterhaut in vier Grade unterteilt:

1. Grad: Rötung der Haut, zum Beispiel Sonnenbrand.

2. Grad:

a) oberflächlich = intraepidermale Blasenbildung, das heißt Hautbla- sen mit rotem Grund,

b) tief = Blasenbildung zwischen Epidermis und Korium, das heißt Hautblasen mit weißem Grund, die Hautanhangsgebilde im Korium sind aber größtenteils erhalten.

3. Grad: Zerstörung der ganzen Kutis.

4. Grad: Kutis- und tiefergelegene anatomische Strukturen sind zer- stört.

Für die Beurteilung der Prognose und für die erforderliche Therapie gilt, daß eine oberflächlich ver- brannte Fläche (1. Grad bis 2 a) ei- ner tief verbrannten Fläche (2 b bis 4.) von halb so großer Ausdehnung gleichkommt.

2. Indikation

zur stationären Behandlung Die Indikation zur Krankenhausbe- handlung ist gegeben

O bei der Gefahr eines Verbren- nungsschocks, das heißt beim Er- wachsenen ab 10 Prozent und beim Kind unter 10 Jahren ab 5 Prozent zweit- bis drittgradig verbrannter Körperoberfläche,

O bei allen Verbrennungen von Ge- sicht, Händen und Genitale,

• bei allen Verbrennungen bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu drei Jahren und

O bei allen drittgradigen Verbren- nungen von mehr als 5 Prozent der Körperoberfläche.

3. Therapie

3.1 Ärztliche Maßnahmen am Unfallort

Wichtigste Aufgabe des Arztes am Unfallort ist, zunächst einmal die Schwere der Verbrennung über- schlagsmäßig abzuschätzen (Flä-

che nach Wallace, Tiefenausdeh- nung mit Hilfe der Nadelstichprobe zur Prüfung auf noch erhaltene Sensibilität und mit Hilfe der Glas- spateldruckprobe zur Prüfung der kapillären Durchblutung), auf Be- gleitverletzungen zu achten und nach Symptomen einer Vitalgefähr- dung (Atmung und Kreislauf) zu fahnden.

Das bedeutet im einzelnen:

3.1.1 Kontrolle des Kreislaufs (Schockindex) und der Atmung, be- sonders bei Verbrennungen in ge- schlossenen Räumen oder Brand- wunden im Gesicht.

3.1.2 Schmerzbekämpfung: Die Applikation von 1 bis 2 mg Dolantin pro Kilogramm Körpergewicht, eventuell in Kombination mit Phe- nothiazinen in gleicher Dosierung, führt in der Regel zu einer deutli- chen Dämpfung der Schmerzen.

Die Analgetika müssen beim Schockierten intravenös unter Kon- trolle von Atmung und Kreislauf gegeben werden, beim Nichtschok- kierten genügt eine intramuskuläre Applikation.

Bei Kindern unter drei Jahren sind Morphin und dessen Derivate auf Grund der bekannten, gefährlichen Nebenwirkungen kontraindiziert. In solchen Fällen muß auf morphin- freie Analgetika aus der Stoffgrup- pe der Barbiturate, Salizylate und Butazolidine ausgewichen werden.

3.1.3 Steriler Wundverband: Bis zur endgültigen Entscheidung über die Art der Weiterbehandlung müs- sen die verbrannten Flächen mög- lichst früh mit sterilen Kompressen oder Tüchern, am besten Metalline- tüchern, abgedeckt werden.

3.1.4 Flüssigkeitsersatz: Die Volu- mensubstitution sollte nach Mög- lichkeit intravenös über einen Ve- nenkatheter erfolgen, selbst wenn keine unmittelbare Schockgefahr besteht. Am effektivsten ist der kol- loidale Plasmaersatz mittels Hu- manalbumin beziehungsweise einem

Plasmaexpander auf Dextranbasis.

Kristalloide Lösungen vermögen nur ganz kurzfristig die Plasmaver-

luste infolge Exsudation aus dem verbrannten Gewebe zu ersetzen.

Daneben bietet sich zum Flüssig- keitsersatz die orale Zufuhr hypo- toner Lösungen an. Geeignet sind die von Ahnefeld modifizierte Hal- danesche Lösung, die als Trocken- substanz (Liquisorb BW) vorberei- tet ist oder die Original-Halda- nesche Lösung, die zu diesem Zweck erst vorbereitet werden muß (3 Gramm NaCI, 1,5 Gramm Na- triumbikarbonat auf 1 Liter Was- ser). Sind diese Lösungen nicht verfügbar, so kann man rasch eine hypotone Kochsalzlösung herstel- len, die man durch Zugabe von 1 Teelöffel Kochsalz auf 1 Liter Was- ser oder dünnen Tee zubereitet.

Reines Wasser darf nicht gegeben werden, da größere Mengen zur Wasserintoxikation führen können.

Die orale Flüssigkeitszufuhr ist auch nur beim Nichtschockierten möglich, da es im Schockzustand bei Belastung des Magen-Darm- Traktes sofort zum Erbrechen kommt. Erwachsene sollen in 24 Stunden 2 bis 3 Liter von diesen hypotonen Lösungen trinken, Kin- der bis 3 Jahren etwa die Hälfte und Kleinkinder unter 3 Jahren et- wa 1 Liter pro 24 Stunden.

3.1.5 Organisation des Abtranspor- tes: Bei Indikation zur stationären Behandlung muß dem Verunfallten unbedingt in schriftlicher Form eine Mitteilung über Art und Um- fang der bisher getroffenen Maß- nahmen am Unfallort (Schmerzbe- kämpfung, Flüssigkeitsersatz oraler und intravenöser Art) mitgegeben werden. Zur Vermeidung der Aspi- ration erfolgt der Abtransport Be- wußtloser in Halbseitenlage, bes- ser noch mit eingelegtem endotra- chealem Tubus, sofern die Intuba- tion vom Arzt am Unfallort be- herrscht wird. Wünschenswert ist in jedem Falle die ärztliche Beglei- tung bis zum Erreichen des Kran- kenhauses. Nach Möglichkeit sollte versucht werden, ein Krankenhaus zu erreichen, das über die Mög- lichkeit und Erfahrungen zur Be- handlung von größeren Verbren- nungen verfügt. Zu diesem Zweck können auch etwas längere Trans- portwege bis zu über eine Stunde

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4 1/2 41

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zweitgradig

= 7.

drittgradig

2

Darstellung 3: Befundblatt nach Berkow und Zumbusch, modifiziert von He- gemann zur Dokumentation des Verbrennungsschadens

.s • 51/2 51/2

..■ in Kauf genommen werden, da der

Verletzte diesen Transport in der Regel toleriert, sofern er notfallmä- ßig richtig versorgt wurde.

3.2 Erste Maßnahmen im Krankenhaus:

3.2.1 Allgemein:

3.2.1.1 Einleitung beziehungsweise Fortführung der Flüssigkeitsthera- pie oral und/oder intravenös. Die intravenöse Volumensubstitution erfolgt nach der von Evans ange- gebenen Formel in etwas modifi- zierter Form.

Danach erhält der Verunfallte bei drohendem oder bereits bestehen- dem Verbrennungsschock 0,5 ml Plasmaexpander (Dextran und Hu- manalbumin) pro Prozent drittgra- dig verbrannter Körperoberfläche und pro Kilogramm Körpergewicht in den ersten 24 Stunden,

1,5 ml einer hypotonen Elektrolyt- lösung (Ringer-Laktat-Lösung) pro Prozent drittgradig verbrannter Körperoberfläche und pro Kilo- gramm Körpergewicht in den er- sten 24 Stunden und

2000 ml einer normotonen Glu- kose- oder Lävuloselösung.

Zur Aufstellung des Flüssigkeits- substitutionsplanes ist es wichtig, daß vor Beginn der Berechnung nach der modifizierten Evans-For- mel die verbrannten Flächen auf ihre Tiefenausdehnung überprüft und deren Flächenausdehnung möglichst exakt auf einem vorge- druckten Befundblatt (Darstellung 3) eingetragen werden. Dazu muß nochmals daran erinnert werden, daß eine zweitgradig verbrannte Fläche einer drittgradig verbrann- ten von halb so großer Ausdeh- nung gleichkommt. Die Feststel- lung der Flächenausdehnung einer Verbrennung und deren Schwere- grad muß in den ersten 48 Stunden mehrfach wiederholt und auf dem Befundblatt neu eingetragen wer- den. Die Berechnungen zur Flüs- sigkeits- sowie Substitutionsthera- pie sind entsprechend zu ändern.

3.2.2 Feststellung des Körperge- wichts vor Beginn beziehungswei- se Fortsetzung der Flüssigkeitsthe- rapie aus anamnestischen Anga- ben oder durch die Bettwaage.

3.2.3 Einlegen eines Blasen-Ballon- katheters und Messung der stündli- chen Urinmenge, die beim Erwach- senen mindestens 30 bis 50 ml pro Stunde betragen muß. Für Kinder beträgt die stündliche Urinmenge nach Hertel wie folgt:

6 bis 10 Jahre = 25 bis 30 ml pro Stunde,

1 bis 5 Jahre = 20 bis 25 ml pro Stunde,

unter 1 Jahr = 10 bis 20 ml pro Stunde.

3.2.4 Magensonde bei Schockier- ten und Bewußtlosen zur Entla- stung des Magens und damit zur Aspirationsprophylaxe.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 16 vom 15. April 1976 1085

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3.2.5 Schmerzbekämpfung nach dem bereits oben angegebenen Schema. Bei ausgedehnten Ver- brennungen ist eine verstärkte Dämpfung durch intravenöse Gabe eines lytischen Cocktails erforder- lich. Wir verwenden dazu als Mischspritze 50 bis 100 mg Dolan- tin, 50 bis 100 mg Megaphen und 0,6 mg Hydergin intravenös.

3.2.6 Nasotracheale Intubation bei Mitbeteiligung der oberen Luftwe- ge, das heißt bei Verbrennungen des Kopfes, Gesichtes und Halses.

3.2.7 Bestimmung des Hb, des Hä- matokrits, der Blutgruppe und ei- nes arteriellen Astrups vor Beginn der Substitutionstherapie.

3.2.8 Tetanusprophylaxe: Die Te- tanusprophylaxe bei Verbrennungen sollte so früh wie möglich in akti- ver Form als Auffrischimpfung oder als begonnene Grundimmunisie- rung durchgeführt und gleichzeitig durch Gabe eines Tetanusimmun- globulins ergänzt werden. Ein Aus- weis über die erfolgte Tetanusimp- fung ist dem Verunfallten in je- dem Falle mitzugeben.

Bei Schockierten ist in jedem Falle ein Cavakatheter zu legen, der die Messung des zentralen Venen- drucks zur Steuerung der Infu- sionstherapie erlaubt. Dabei soll der zentrale Venendruck 15 cm Wassersäule nicht überschreiten.

Die überschießende Katecholamin- ausschüttung führt beim Verbren- nungsschock häufig zu einer lang anhaltenden peripheren Vasokon- striktion, die trotz ausreichender Flüssigkeitssubstitution bestehen- bleibt. Insbesondere ist von dieser Kreislaufzentralisation die Niere betroffen, da die Drosselung der Nierendurchblutung durch Auslö- sung des Renin-Angiotensin-Me- chanismus zu einem Circulus vitio- sus der peripheren Minderdurch- blutung führt. Deshalb sollte nach ausreichender Volumenzufuhr ver- sucht werden, die periphere Vaso- konstriktion durch Alphablockade mit Hydergin (1 bis 3 Amp. i. v.) oder mit Dehydrobenzperidol (Dro- peridol 3 bis 5 mg i. v.) unter stän-

diger Kontrolle des Kreislaufs, ins- besondere des zentralen Venen- druckes, zu durchbrechen.

50 Prozent der errechneten Infu- sionsmenge sollten in den ersten 8 Stunden einlaufen; der Rest verteilt sich auf die folgenden 16 Stunden.

Nach 24 Stunden ist wegen der be- ginnenden Ödemrückresorption die neuberechnete gesamte Infusions- menge auf die Hälfte für die näch- sten 24 Stunden zu reduzieren. Die Steuerung der Infusionstherapie erfolgt weiterhin nach dem Körper- gewicht (Bettwaage), dem Hämato- krit und dem zentralen Venen- druck.

Nachdem die Ernährung sich zu- nächst auf die parenterale Kalo- rienzufuhr beschränkt, muß so früh wie möglich mit einer Nahrungszu- fuhr über eine Magensonde begon- nen werden. Die orale Ernährung sichert den erforderlichen, sehr ho- hen Kalorienbedarf von etwa 80 bis 100 Cal pro Kilogramm Körperge- wicht in 24 Stunden und schützt nach unserer Erfahrung vor einem Streßulkus im oberen Magen-Darm- Trakt.

3.2.9 Antibiotische Behandlung:

Der Wert einer primären, ungeziel- ten Prophylaxe durch ein Breit- bandantibiotikum ist umstritten. Sie ist der gezielten antibiotischen The- rapie nach exakter Keimbestim- mung und Antibiogramm aus dem Wundabstrich sicher unterlegen und sollte nur bei fehlender Mög- lichkeit einer exakten Keimbestim- mung einschließlich Antibiogramm bei klinisch nachgewiesener Infek- tion (eitrige Wundsekretion) erfol- gen.

Ab dem dritten Tag muß wegen der einsetzenden Verbrennungsanämie Frischblut bis zur Normalisierung des Hb-Gehaltes substituiert wer- den.

3.3 Lokale Maßnahmen

3.3.1 Die verbrannten Gewebe wer- den unter sterilen Kautelen ab- getragen. Dabei hat sich die primä- re Exzision drittgradig verbrannter

Gebiete bei sehr geringer Flächen- ausdehnung als günstig für die spätere Wundheilung beziehungs- weise Granulation erwiesen. Der gesamte Heilverlauf wird um die Zeit der Demarkierung und Absto- ßung der Nekrosen verkürzt. Man- che Autoren empfehlen, insbeson- dere bei Verbrennungen an den Händen, die sofortige plastische Deckung der primär exzidierten drittgradig verbrannten Gebiete.

Da es bei größerer Ausdehnung durch die primäre Exzision zu star- ken Blutverlusten kommt und damit wieder die Gefahr eines hämor- rhagischen Schocks heraufbe- schworen wird, sind primäre Exzi- sionen nur bis maximal 10 Prozent der Körperoberfläche vertretbar.

Die weitere lokale Behandlung der Verbrennungswunden hängt davon ab, ob der Patient in stationärer Behandlung verbleibt oder ambu- lant weiterbehandelt werden kann.

Außerdem wird sie sich nach den jeweiligen Erfahrungen des weiter- behandelten Arztes in der einen oder anderen Behandlungsmetho- de richten. Insbesondere bei statio- när zu behandelnden Verletzten gibt es keine einheitlichen Richtli- nien. Es steht außer Frage, daß bei ambulanten Patienten nur eine ge- schlossene Behandlung der Ver- brennungswunden zur Anwendung kommen kann.

3.3.2 Die offene Wundbehandlung:

Sie erlaubt die ständige Kontrol- le der Verbrennungswunde bei gleichzeitiger Trockenhaltung be- ziehungsweise Eindämmung der Wundsekretion, wodurch insbeson- dere die Sekundärinfektion der be- nachbarten Gewebe eingedämmt werden kann. Der Nachteil der of- fenen Behandlung liegt in der In- fektionsgefahr der freiliegenden Wundflächen, sofern es nicht ge- lingt, diese mit einem antibioti- schen Schutzfilm in Form einer Salbe oder eines Gels oder durch chemische Verschorfung der Wundoberfläche gegen eine Infek- tion von außen zu schützen. Zu- sätzlich erfordert die offene

Be-

handlung

höchste Ansprüche an die Patientenumgebung, Arzt und

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Pflegepersonal, was die Hygiene angeht. Die offene Behandlung er- folgt in unserer Klinik vorzugswei- se mit einer Sulfonamid-Creme, die in dünner Schicht auf die verbrann- ten Flächen aufgetragen und bei starker Wundsekretion mindestens zweimal am Tage erneuert wird.

Die Lagerung des Patienten erfolgt dabei auf einer Metallinefolie, die bei Neuauftragung der Sulfonamid- creme mitgewechselt wird. Als we- sentliche Nebenwirkung muß eine Diuresesteigerung des Sulfonamid- Präparates (Carbo-Anhydrase- Hemmer) in Kauf genommen wer- den.

Weiterhin kann zur offenen Wund- behandlung das Auftragen eines antibiotischen Sprays und die che- mische Verschorfung der offenen Wundflächen mit Mercurochrom, I- bis 3prozentige Tanninlösung und 0,5prozentige Silbernitratlösung vorgeschlagen werden. Diese als sogenannte MTS-Folie bekannte Art der Oberflächenverschorfung ist wegen ihrer nicht kontrollierba- ren Tiefenwirkung an den Händen und im Gesicht kontraindiziert. Die drei vorgenannten Lösungen wer- den nacheinander auf die ver- brannten Flächen aufgetragen, wo- bei nach Aufbringung jeder einzel- nen Lösung die Wundflächen mit einem Föhn abgetrocknet werden.

Der Nachteil der MTS-Folie liegt im wesentlichen darin, daß unter der entstehenden Kruste sich Infek- tionsherde ausbreiten können, ohne daß sie frühzeitig entdeckt werden. Im Fall der Infektion muß der ganze Wundschorf abgezogen werden, da er für zusätzlich aufge- brachte lokale Antibiotika nicht durchdringbar ist.

3.3.3 Geschlossene Behandlung:

Wie bereits erwähnt, findet die ge- schlossene Behandlung hauptsäch- lich bei ambulanten Patienten ihre Anwendung. Unter geschlossener Behandlung versteht man die lokal- antibiotische Behandlung einer Verbrennungswunde, die anschlie- ßend mit einem sterilen Wundver- band abgedeckt wird. Wir bevorzu- gen das Aufbringen eines antibioti- schen Sprays mit anschließender

Abeckung durch einen Vaseline- Gittertüll und mehrerer Lagen ste- riler Wundkompressen zum Auf- saugen des Wundsekrets. Diese Verbände müssen mindestens ein- mal täglich gewechselt werden. Bei der klassischen Form der ge- schlossenen Behandlung mit 0,5prozentiger Silbernitratlösung werden auf die verbrannten Flä- chen Kompressen aufgelegt, die mit dieser Lösung getränkt sind und die anschließend mit Wundver- bänden fixiert werden. Diese Art der geschlossenen Behandlung stationärer Verbrennungspatienten ist in den letzten Jahren mehr und mehr zugunsten der offenen Be- handlung verlassen worden, da die täglich, oft mehrfach zu wiederho- lenden Verbandswechsel für die Patienten schmerzhaft sind und eine erhöhte Gefahr der Wundin- fektion beinhalten. Besondere Be- achtung ist bei dieser Behandlung den Serumelektrolyten zu schen- ken, wohingegen die früher beob- achtete Argyrie bei der 0,5prozenti- gen Lösung nicht mehr vorkommen soll. Die sowohl bei der offenen als auch bei der geschlossenen Be- handlung erforderliche Wundreini- gung kann am schonensten durch ein Bad mit Rivanol- oder Kalium- permanganatzusatz vorgenommen werden. Bei kleineren verbrannten Flächen ist die chemische Wund- reinigung durch proteolytische Fermente (Tripure- oder Leucase- Spray) am einfachsten.

3.3.4 Plastische Maßnahmen: Den besten Schutz vor einer Infektion der Verbrennungswunde bietet nach Säuberung der verbrannten Flächen eine frühzeitige plastische Deckung mit Eigenhaut in Form ei- nes Voll- oder Spalthauttransplan- tates (Autotransplantation). Wenn nicht genügend Eigenhaut (zum Beispiel bei Kindern) zur Verfü- gung steht, kann auch eine vor- übergehende Fremdhauttransplan- tation in Form der lyophilisierten Leichenhaut von einer Hautbank oder der Direktübertragung von den nächsten Blutsverwandten (El- tern oder Geschwister) durchge- führt werden (Homoiotransplanta- tion). Einen anderen Ausweg stellt

die Deckung mit einer besonders bearbeiteten Schweinehaut

dar

(Heteroplastik). Sehr bewährt hat sich uns in jüngster Zeit die passa- gere Wunddeckung mit einer Kunsthaut, die mit einer antibioti- schen Lösung getränkt werden kann. Unter täglichem Wechsel der Kunsthaut kommt es sehr früh zur Säuberung der Wundflächen, zur Aussprossung eines zarten Granu- lationsgewebes und damit zu ei- nem guten Lager für das Trans- plantat. Die Weiterbehandlung der Spender- und Empfängergebiete richtet sich nach der Körperregion und erfolgt, wenn möglich, offen, wobei gelegentlich aufwendige Maßnahmen zur Ruhigstellung (Ex- tension) bis zur Einheilung der Transplantate erforderlich sind.

Auf Einzelheiten der verschiedenen Operationstechniken bei einer Hauttransplantation soll hier nicht näher eingegangen werden. Wir verwenden im wesentlichen Spalt- hauttransplantate (Autotransplan- tate), die mit dem elektrischen Der- matom vom Oberschenkel und von der vorderen Bauchwand des Ver- letzten entnommen werden. Diese Transplantate werden, nachdem die Wundinfektion beherrscht ist und die Wundflächen sich gereinigt ha- ben, auf das frische Granulations- gewebe aufgelegt.

Die Korrekturen infolge narbiger Verziehung durch Keloidbildung erfordern oft größere und wieder- holte operative Eingriffe, die des- halb erst in der Rehabilitationspha- se des Patienten möglich sind. Sie stellen einen speziellen Aufgaben- bereich der plastischen Chirurgie dar.

Literatur bei den Verfassern

Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. med.

Leonhard Scheiberer

Chirurgische Universitätsklinik Abteilung für Unfallchirurgie 6650 Homburg/Saar

1088 Heft 16 vom 15. April 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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