• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hausärztliche Versorgung: Keiner will nach Stadtilm" (08.04.2011)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hausärztliche Versorgung: Keiner will nach Stadtilm" (08.04.2011)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 738 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 14

|

8. April 2011

HAUSÄRZTLICHE VERSORGUNG

Keiner will nach Stadtilm

Thüringen braucht dringend junge Ärztinnen und Ärzte, vor allem auf dem Land. In einer Kleinstadt bemühen sich Bürger selbst darum, sie zu finden – bislang noch ohne Erfolg. Deshalb wächst ihre Sorge, dass sie bald keiner am Ort mehr hausärztlich versorgt.

M

an kann nicht immer nur herumjammern , man muss etwas tun“, meint Rosemarie Schef- fel – auch angesichts des Ärzteman- gels. Früher hat die gelernte Phar- mazieingenieurin aus dem thüringi- schen Stadtilm auch nie schnell auf- gegeben: Weder als sie einmal län- gere Zeit arbeitslos war noch als sie dann nur befristete Stellen in Apo- theken bekam und sich in ein neues Kassensystem nach dem anderen einarbeiten musste.

Heute ist die 68-Jährige mit der jungen Stimme und der selbstge- strickten, leuchtend gelben Mütze Rentnerin – und gibt wieder nicht so schnell auf. Rosemarie Scheffel setzt sich dafür ein, dass sich in ihrer Heimatstadt eine junge Haus- ärztin beziehungsweise ein junger Hausarzt ansiedelt, besser noch:

mehrere. Deswegen lässt sie beim Bürgermeister nicht locker, hat schon bei der Kassenärztlichen Ver- einigung (KV) Thüringen nachge- hakt und schließlich auch einen Brief an das Deutsche Ärzteblatt geschrieben.

Die Rentnerin ist nicht allein bei ihrer Suche, wie sie in ihrem Schreiben betont hat: „Wir sind ein Arbeitskreis von engagierten Bür- gern, die helfen möchten, das Le- ben in unserer Stadt zu verbessern.

Dazu gehört vor allem die bessere hausärztliche Versorgung unserer Bevölkerung.“

Wir, das sind an einem Abend beim kleinen Italiener am Markt- platz von Stadtilm Scheffel und ihr Mitstreiter Hans-Joachim Jaep (43).

Jaep ist Apotheker, sein Geschäft liegt auch am Markt. „Ich höre in der Apotheke, wie unzufrieden die Patienten sind“, sagt Jaep. Warum, das haben die beiden schnell er- zählt: Stadtilm ist eine Kleinstadt

mit 5 000 Einwohnern und etwa 20 Gemeinden im Umland, deren Bewohner ebenfalls ärztlich ver- sorgt werden müssen. Früher prak- tizierten fünf Hausärzte, heute sind es noch drei. Sie sind 62, 65 und 66 Jahre alt. Nachfolger sind nicht in Sicht.

Jaep findet diese Alterskonstella- tion „ganz schön besorgniserre- gend“. Nicht nur, weil er irgend- wann vermutlich auch seine Apo- theke schließen kann, wenn kein Arzt mehr in der Stadt ist. Oder weil sein Vater mit über 70 immer noch Notarzteinsätze fährt, weil auch in diesem Bereich Ärzte feh- len. Auch Scheffel macht sich seit längerem Gedanken: „Wie man im- mer hört, gibt es dieses Problem ja überall auf dem Land. Man kann es nicht verstehen.“

Scheffel fühlt sich wohl in Stadt- ilm, einem überschaubaren Städt- chen an sanften Ausläufern des Thüringer Waldes mit einem schö- nen Marktplatz und einem Kloster

mit wechselvoller Geschichte, in dem heute die Stadtverwaltung un- tergebracht ist. Es sei eine ländlich geprägte Gegend mit freundlichen, bodenständigen Leuten, hat sie ge- schrieben. Grund- und Regelschule, mehrere Kindertageseinrichtungen, circa 20 Vereine – alles vorhanden.

Alle in die Kreisstadt zum Arzt? Nicht möglich, heißt es Arnstadt, die Kreisstadt mit ihren mittelalterlich geprägten Gässchen, liegt in zwölf Kilometer Entfernung praktisch um die Ecke. Weimar und Erfurt, Orte mit mehr Kulturan - geboten und mehr Arztpraxen, sind auch nicht weit weg. Andererseits:

„Man kann die alten Leute doch nicht in die Kreisstadt schicken zum Hausarzt“, erklärt Scheffel.

„Viele fahren kein Auto, der Bus geht höchstens einmal pro Stunde.“

Ein Hausarzt, der müsse vor Ort sein. Warum keine nachkommen, sei ihr schleierhaft. Die Hausärzte, mit denen sie gesprochen habe, Auf der Suche

nach Ärzten: Apo- theker Hans-Joachim Jaep und Rentnerin Rosemarie Scheffel.

Die drei Hausärztin- nen und -ärzte im Ort sind 62, 65 und 66 Jahre alt.

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 14

|

8. April 2011 A 739 könnten von ihrem Beruf gut leben,

schiebt sie nun im Gespräch beim Italiener nach. Allein ums Geld könne es ja auch nicht gehen, ver- langt die Thüringerin zudem: „Ich meine, dass man doch Medizin stu- diert, um den Menschen zu helfen.“

Mit Apotheker Jaep hat sie schon häufig erörtert, woran es hapert.

Dass junge Ärztinnen zu wenig darüber wissen, wie sich Familie und Praxis verbinden ließen? Dass zu viel Geld an die Krankenhäuser geht und zu wenig für die ambulan- te Versorgung bleibt? Dass die KV sich nicht ausreichend kümmert?

„Wir sind an der Stelle, wo wir rat- los sind“, sagt Jaep.

Ratlos ist im Grunde auch die KV Thüringen, und nicht nur sie.

„Wir versuchen, mit verschiedens- ten Maßnahmen das Land für Ärzte attraktiver zu machen“, beteuert Matthias Zenker, Leiter der Stabs- stelle Politik und Sicherstellung,

„aber es gibt kein Patentrezept.

Wenn es eines gäbe, wäre es schon gefunden, und alle KVen würden es anwenden.“ Dass die KVen die ambulante Versorgung sicherstellen müssen, wissen Bürgerinnen wie Rosemarie Scheffel: „Die sind doch zuständig“, sagt sie. Und meint da- mit: Die KVen sollen für eine ge-

rechte, ausreichende Verteilung der Ärzte in einer Region sorgen.

Zenker versteht den Unmut der Bürger. Aber er weist darauf hin, dass die KV keine Universität be- treibt und Studierende nicht dezent lenken kann. Dass sie Ärzten in ei- nem Planungsbezirk nicht vorschrei- ben darf, ob sie ihre Praxis in der Kreisstadt Arnstadt eröffnen oder in Stadtilm. Dass es nicht einfach ist, mehrere Bürgermeister dazu zu brin- gen, sich untereinander auf einen sinnvollen Standort für eine Arztpra- xis zu einigen. Dass die KV keinen Einfluss auf Busfahrpläne und den Takt von Regionalzügen hat. In Thü-

ringen fehlen derzeit 233 Hausärzte.

Die Bürger spüren es längst.

Denn viele Hausärzte sind alt, fal- len selbst wegen einer Erkrankung schon einmal aus und können nicht mehr beliebig lange ihre Praxis wei- terführen. So wie Dr. med. Marlies Gensert, eine von zwei Hausärztin- nen in Stadtilm. Der 65-Jährigen mit den rot getönten kurzen Haaren und der modischen Brille sieht man ihr Alter allerdings nicht an.

Ja zur Hausarztpraxis – aber bitte nicht auf dem Land Die Fachärztin für Allgemein- und Betriebsmedizin arbeitet seit mehr als 30 Jahren in dem Städtchen, die letzten 20 in eigener Praxis. Viele ihrer Patienten kennt sie noch aus der Zeit als Betriebsärztin im gro- ßen Gelenkwellenwerk. Ihre Praxis, vertrauenerweckend wie ein gemüt- liches Wohnzimmer, hat sie gegen- über vom Werk eröffnet, in einem kleinen Bungalow inmitten von Mehrfamilienhäusern, neben der Gaststätte „Zur Kegelbahn“.

„Die jungen Leute können sich, wenn sie es probieren, durchaus für die hausärztliche Tätigkeit begeis- tern“, hat Gensert im Rahmen ihrer Ausbildungstätigkeit für die Uni- versität Jena festgestellt, „aber nicht für die Kleinstadt. Das Land ist einfach unattraktiv geworden.“

Die Hausärztin wirkt nicht so, als ob ihr die vielen Stunden im Am - bulatorium des Gelenkwellenwerks und in der Landpraxis die Lebens- freude genommen hätten. „Ich ar- beite sehr gern hier“, sagt sie. Sie könne selbstständiger agieren als Es reicht: Dr. med.

Marlies Gensert hat mehr als 30 Jahre lang in Stadtilm gearbeitet, nun sagt sie: „Ich möchte so schnell wie möglich aufhören.“

Herr Zenker, was kann man gegen den Hausärztemangel auf dem Land tun?

Zenker: Das, was man tun kann, würde ich in zwei Kate- gorien einteilen: In die eine fällt die Anwerbung ausgebildeter Ärzte im In- und Ausland, in die andere die Bemühung um den Nachwuchs. Ersteres schafft man nur sehr schwer, weil sich Ärztinnen und Ärzte am Ende ihrer Weiterbildung einen Ortswechsel sehr gut überlegen.

Und die Bemühungen um den Nachwuchs?

Zenker: Wir versuchen, aus Er- fahrungen zu lernen. So haben wir eine Stiftung gegründet zur Nachwuchsförderung. Wer sich verpflichtet, erst einmal fünf Jahre im Land zu arbeiten, be- kommt bis zu 250 Euro im Mo- nat. Derzeit fördern wir 16 Me- dizinstudierende, weitere 14 haben Interesse. Wir sind zu- dem weit damit gelangt, eine Blockweiterbildung in der Allge- meinmedizin zu organisieren.

Andere Bundesländer gehen ähnliche Wege. Macht Ihnen diese Konkurrenz zu schaf- fen?

Zenker: Es stimmt, dass wir da mit den anderen neuen Bun- desländern konkurrieren und demnächst wohl mit allen, in denen es ähnliche Probleme in ländlichen Regionen gibt. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass auch Honorarmittel in die- se Regionen fließen. Dieses Geld als eine Art Bonus für be- dürftige Gegenden zu bezeich- nen, ist aber falsch. Es muss klar werden, dass es nicht um Almosen geht, sondern dass die Honorarmittel dorthin fließen müssen, wo besonders viele äl- tere und kränkere Menschen versorgt werden.

3 FRAGEN AN . . .

Matthias Zenker, Stabsstelle Sicherstellung, KV Thüringen

P O L I T I K

(3)

A 740 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 14

|

8. April 2011 früher, der Verdienst sei ungleich

besser, die Notdienste hätten sich durch eine Neuorganisation auf ei- nige wenige im Quartal reduziert.

Sicher, es seien viele Patienten zu versorgen. „Aber jeden Tag zwölf Stunden präsent sein – das ist nicht mehr so. Doch diese Vorstellung steckt noch in vielen Köpfen.“

Und dennoch sagt die 65-Jährige unmissverständlich: „Ich möchte so schnell wie möglich aufhören.“ Seit drei Jahren sucht sie eine Nachfol- gerin oder einen Nachfolger, weil sie nach einer schweren Erkran- kung mehr Ruhe braucht. Sie hat Anzeigen geschaltet, ist zur Praxis- börse der KV gefahren, hat sich umgehört. Alles Fehlanzeige. Eine junge Kollegin verließ die Praxis der Liebe wegen gen Westen, ande- re Ärzte kamen nur zur Besichti- gung: „Weißt du noch, die Österrei- cherin?“, fragt Gensert ihren Mann, der in der Mittagspause bei ihr in der Praxis vorbeischaut und die Helferinnen begrüßt, die gerade ei- ne Suppe löffeln. „Das war doch so eine Weltenbummlerin.“

Was ist anders an den Jungen, dass sie nicht aufs Land wollen?

Gensert zuckt mit den Schultern.

Sie ist in der Gegend aufgewachsen und hat sich eine Arbeit als Land- ärztin immer gut vorstellen können.

Dass junge Ärzte gezielt verteilt wurden im Land, „gelenkt“, war normal. Sie kam gern nach Stadt- ilm: „Hier ist man gleich der Doktor , nicht so wie anfangs in der Klinik. Aber die jungen Kollegen wollen nicht mehr eine solche emotionale Bindung mit Patienten eingehen, wie es hier üblich ist.

Und es ist ihnen zu ruhig.“

Ein wirksames Gegenmittel kennt auch sie nicht. Stipendien für Medi- zinstudierende, die sich verpflich- ten, später für gewisse Zeit aufs Land zu gehen, findet sie nicht ver- kehrt, mehr Geld als einen Anreiz auch nicht. Die Besorgnis ihrer Pa- tienten spürt Gensert: „Die fühlen sich alleingelassen. Sie möchten nicht in ein Versorgungszentrum weiter weg, sie möchten einen Hausarzt haben.“ Sind sie zu ver- wöhnt, die Patienten, denen schon der Weg zum Arzt in die Kreisstadt zu weit ist?

Gensert lächelt: „Klar sind sie verwöhnt. Früher, im Gelenkwel- lenwerk, ging man während der Ar- beitszeit zum Arzt.“ Gleichzeitig tun ihr die Älteren leid, die mit Kin- dern oder Enkeln um Fahrdienste verhandeln müssen, weil sie selbst nicht mehr mobil sind: „Viele mei- ner Patienten sind über 80, und das dank der Medizin. Wenn ihr Haus- arzt wegfällt, wird das für sie sehr anonym. Aber so wird es wohl kommen.“

Auch der Bürgermeister kann Stadtilmer wie Rosemarie Scheffel

und Hans-Joachim Jaep nicht beruhigen . „Die hausärztliche Ver - sorgung wird sich in Zukunft verschlechtern “, fürchtet Joachim Günsel (SPD). „Die Leidtragenden sind die, die im ländlichen Raum wohnen.“ Günsel sitzt in seinem riesigen Büro, einem ehemaligen Saal des Schlosses, und wirkt be- drückt. „Es treibt die Leute um, zu welchem Arzt sie auf Dauer noch gehen können. Die Verunsicherung ist riesengroß.“

Die KV, lässt er durchblicken, war ihm in den letzten Jahren keine große Hilfe. Meist wurden Statisti-

ken vorgelegt, wonach es in Stadt- ilm doch gar nicht so schlecht aus- sehe, sagt er. Ein Begriff wie „ge- fühlt ausreichende Versorgung“ er- bost nicht nur Günsel. „Holen Sie sich aber mal einen Arzttermin!“, ruft er. Warum kein junger Arzt nachkommt, warum sich keine jun- ge Ärztin niederlässt? „Die junge Generation steht anders zu den Din- gen“, meint Günsel. Das Land ist nicht gefragt.

Was wird der Bürgermeister tun, wenn die drei Hausärzte nacheinan- der ihre Praxen aufgeben und kei- nen Nachfolger finden? „Ich habe keine Lösung“, sagt Günsel unum- wunden. Sicher könne man über eine günstige Miete für die Praxis von Gensert reden, deren Bungalow der Stadt gehöre. Doch sonst?

Wenn man sich im Ausland nach einem Arzt umsehe, könne man ihm noch nicht einmal garantieren, dass seine Abschlüsse anerkannt würden. Gemeinsame Standortent- scheidungen in der Region? Ein besserer öffentlicher Nahverkehr?

Günsel winkt ab. Das Geld ist knapp, Gemeinden müssten koope- rieren. Wenn es um den Arzt im Städtchen geht, ist man aber nicht Partner, sondern Konkurrent.

Konkurrent der beiden Hausärz- tinnen in Stadtilm ist Dr. med. Ull- rich Lucke (62) nicht, sondern drit- te Säule der hausärztlichen Versor- gung. Die Praxis des Facharztes für Innere Medizin liegt in einem Neu- bau direkt am Marktplatz. Wenn seine Patienten ihn fragen, wie lan- ge er noch arbeiten werde, sagt er ihnen immer: „Noch lange genug.“

Aber „mit 70 husche ich hier nicht mehr herum“.

An diesem späten Nachmittag hat sich seine Praxis schon geleert.

Ein letzter Patient geht noch unru- hig im Wartezimmer auf und ab, ohne einen Blick in den „Hausarzt“

oder auf das Plakat mit Diabetes- Informationen zu werfen. Luckes Hund döst neben dem Empfang und hofft auf einen baldigen Spazier- gang.

Seinen Besitzer dagegen hält es kaum auf dem Schreibtischstuhl im Behandlungszimmer, wenn er über die Nachwuchsprobleme und ihre Ursachen spricht. Ob er auch Hat noch keine Lö-

sung: Bürgermeister Joachim Günsel weiß, dass die Ge- meinden kooperieren müssten. Bei der Arztsuche sind sie aber Konkurrenten.

P O L I T I K

(4)

A 742 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 108

|

Heft 14

|

8. April 2011 glaubt, dass nur noch fünf Prozent

der Medizinstudierenden sich vor- stellen könnten, eine Praxis auf dem Land zu übernehmen? „Ja“, sagt er. „Ein Ergebnis dessen, was die Politik aus der Medizin gemacht hat.“

Seine Wangen röten sich, wenn er aufzählt, was alles schiefgelau- fen ist: „Jede Krankenkasse tritt mit einem Chronikerprogramm an, weil wir Ärzte ja zu blöde sind, Patien- ten zu behandeln. Diese Bürokratie frisst aber Zeit, die für die Behand- lung nicht mehr zur Verfügung steht. Dann die Rabattverträge.

Jetzt müssen wir zum Teil an sich teure Originalpräparate aufschrei- ben, nur weil es einen entsprechen- den Rabattvertrag gibt. Und seit kurzem geben die Krankenkassen ja auch Fragebögen heraus, damit Patienten uns bewerten. Mit wie viel Unsicherheit soll ich denn noch umgehen?“

Vom „lieben Geld“, sagt Lucke, wolle er ja gar nicht reden. Dann zieht er doch ein Rundschreiben der KV hervor, in dem erläutert wird, warum die Vertragsärzte in den neuen Bundesländern trotz erhöhter Morbidität der Patienten weniger Honorar erhalten als anderswo.

„Wenn das ein junger Arzt liest, denkt der doch: Bin ich irre und ar- beite in diesem System?“, ist Lucke überzeugt. Er könne es verstehen, wenn der Nachwuchs keine Lust

mehr dazu habe: „Man muss den Arzt wieder am Patienten arbeiten lassen. Schluss mit diesen Reförm- chen, Schluss mit einem neuen EBM alle zwei Jahre.“

Haben aber nicht gerade solche Klagen den Nachwuchs davon ab- gehalten, in die Versorgung zu ge- hen, gar aufs Land? „Quark“, ant- wortet Lucke. „Ich sage schon auch, dass es ein schöner Beruf ist.“

Lucke stammt aus der Gegend, ist gelernter Maschinenschlosser. So, wie er lospoltern kann, glaubt man ihm sofort, dass er lieber Hausarzt in Stadtilm als in Berlin-Prenzlauer

Berg ist: „Mir macht es Spaß, auf die Dörfer zu fahren und den Leu- ten zu helfen oder auch nur mal ein Schwätzchen zu halten, so wie es sich gehört.“ Auf dem Land gehe es persönlicher zu zwischen Arzt und Patient, das verlange eben mehr Anteilnahme an Hof und Familie.

Er mag seine Patienten, aber er grummelt zuweilen auch wegen ih- rer Ansprüche und ihrer Uneinsich- tigkeiten. „Die Dicken wollen sich nicht ändern“, seufzt er. „Und dann rufen Patienten manchmal an und sagen einen Termin ab, weil sie lie- ber zur Fußpflege oder zum Friseur wollen.“ Die Lösung? Medizin müsse etwas kosten, sagt der Inter- nist Lucke, „dann tut es weh, und dann interessieren sich die Leute auch dafür“. Wie es weitergehen wird für seine Patienten, wenn er mal 70 ist? Schulterzucken. Wenn die Politik an den Rahmenbedin- gungen nichts ändert – schlechter, ist er überzeugt.

Keine guten Nachrichten für Ro- semarie Scheffel. Sie wird noch nicht aufgeben, so viel ist sicher. Ihr Hausarzt, der in der Nähe von Stadtilm praktiziert, ist jünger als die Kollegen dort, immerhin. Und sonst? Frische Luft, gesunde Ernäh- rung: „Das, was ich im Moment persönlich angesichts des Ärzte- mangels tun kann, ist, auf meine Gesundheit zu achten.“ ■

Sabine Rieser

Metzger Niko Ringhoff hätte einem neuen Arzt in seinem Heimatort Lette zum Einstieg kostenloses Mittagessen angeboten, Friseurin Maria Sowart umsonst die Haare geschnitten, der Spielmanns- zug „Frei weg Lette“ ein Begrüßungsständchen gespielt. Ihre Arztsuche im Münsterland unter dem Motto „Ein Retter für Lette“ kam in den Me- dien gut an, allein: Einen Nachfolger für den alten Hausarzt, der mit 69 Jahren in den Ruhestand ging, fand man nicht.

So wie die Letter Bürger rätseln auch andern- orts viele Dörfler und Kleinstädter, warum sie par- tout keiner mehr versorgen will – beispielsweise die Stadtilmer. Das Problem wird größer werden, wenn man Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundes -

republik Deutschland (ZI) heranzieht. Das ZI be - rechnet derzeit im Auftrag aller Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), wie sich der regionale Ver- sorgungs- und Arztbedarf bis zum Jahr 2025 entwickeln wird.

Danach wird der Bevölkerungsrückgang allein die Probleme nicht beseitigen. Zwar wird die Ein- wohnerzahl bis 2025 sinken, in Westfalen-Lippe um vier, in Thüringen um 15 Prozent. Doch weil dann vor allem ältere Menschen zu versorgen sein werden, steigt der Bedarf an Ärzten teilweise trotzdem. In Westfalen-Lippe müsste deshalb die Anzahl jährlich neu zugelassener Hausärzte dem ZI zufolge bis 2025 um 22 Prozent steigen, in Thüringen sogar um 53 Prozent. Die Berechnun- gen für andere KVen dauern noch an.

ARZTMANGEL: KEIN RETTER FÜR LETTE

Schluss mit den ewigen Reförm- chen, verlangt Dr.

med. Ullrich Lucke im Sinne des Nach- wuchses. Landarzt – das sei trotzdem ein schöner Beruf.

Fotos: Christoph Vogel

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Sie erfüllen die besonderen hausärztlichen Versorgungsfunktionen nach § 2 und können alle ärztlichen Leistungen ihres Fachgebiets (Allgemeinmedizin, Innere

nicht die deutsch-deutsche Vergangenheitsbewältigung wird hier in erster Linie ange- sprochen, wenn auch die Grenze zur DDR gemeint ist, sondern die Flucht vor den eigenen

Sollte sich also ein Facharzt aus einem Gebiet der un - mittelbaren Patientenversorgung ent- scheiden, in einer unterversorgten Region eine Weiterbildung zum Allge- meinmediziner

„Unser Konzept steht in voller Übereinstimmung mit der Deutschen Gesell- schaft für Innere Medi- zin.“ Und: „Von der rei- nen ratio her kann sich diesem Modell

Er räumte aber auch ein, dass der zusätzliche Ersatzbedarf (Tabelle) für die ausscheidenden hausärztlichen Interni- sten ab dem Jahr 2006 nicht mehr allein von der nachrückenden

Kötzle: Mag sein, aber mit dem, was jetzt gezahlt wird, kann man eine hausärztliche Versorgung nicht mehr machen.. Was wir wollen, bedeutet eine Steigerung, aber

Dafür ver- pflichten sich die Leistungsanbieter, die psychiatrische und psychotherapeuti- sche Versorgung für alle Patienten der Region (135 000 Einwohner) sicherzu- stellen, die

Sie bejahten somit die Aus- sage, „Ich kann mir gut vorstellen, Fach- arzt/Fachärztin für Allge- meinmedizin zu werden“..