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Archiv "Bevölkerungsentwicklung – Freie Berufe vor neuen Herausforderungen" (07.05.1993)

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THEMEN DER ZEIT AUFSÄTZE

Bevölkerungsentwicklung Freie Berufe vor

Horst Bourmer

neuen Herausforderungen

Berufliche Selbständigkeit, Leistungsbereitschaft sowie ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Kreativität kennzeichnen die Freien Berufe. Aufgrund ih- rer besonderen Fähigkeit, sich gewandelten technischen,

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen und Herausforderungen anzupassen, kommen auf die Ange- hörigen der Freien Berufe angesichts der demographi- schen Entwicklung besondere Aufgaben zu.

ie demographische Entwick- lung im wiedervereinigten Deutschland wird geprägt durch den zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Be- völkerung. In den alten Bundeslän- dern nahm in der Zeit von 1980 bis 1990 die Zahl der 60 Jahre und älte- ren Mitbürgerinnen und Mitbürger um 1,3 Millionen zu. Entsprechend stieg die Zahl der Mitglieder in der Krankenversicherung der Rentner um 700 000 auf 11 Millionen. Von 1990 bis zum Jahr 2000 wird die Zahl der 60jährigen und älteren Bürgerin- nen und Bürger in den alten Bundes- ländern um 2,3 Millionen, im gesam- ten Bundesgebiet um 2,9 Millionen anwachsen. Der Altenquotient wird in dieser Zeit von 36 auf 43, also um etwa 21,5 Prozent steigen. In dieser Prognose sind qualitative Faktoren wie die Zunahme der durchschnittli- chen Lebenserwartung und die stän- dig besseren Behandlungsmöglich- keiten der Medizin nicht berücksich- tigt.

Ausgeprägte Überalterung

Es ist also tendenziell davon aus- zugehen, daß die Überalterung der deutschen Bevölkerung sich noch ausgeprägter darstellen wird, als dies in den Zahlen zum Ausdruck kommt.

Es darf nach Schätzungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsfor- schung als sicher gelten, daß im Jahre 2020 weit über fünf Millionen Kran- ke, Unfallverletzte und pflegebedürf-

tige alte Menschen auf ärztliche Hil- fe und die Unterstützung durch an- dere medizinische Komplementärbe- rufe warten. Dabei muß bedacht wer- den, daß die jüngeren Jahrgänge gleichzeitig kleiner werden. Beson- ders für den künftigen Bedarf an Ärzten, Krankenschwestern, Pfle- gern und Pflegerinnen dürfte dieser Altersstruktureffekt von größter Be- deutung sein. Vor diesem Hinter- grund erscheint es nicht sinnvoll, heute massive Beschränkungen zur ärztlichen Berufsausübung aufzubau- en. Die Ärzteschaft und mit ihr die anderen medizinischen Komplemen- tärberufe werden zu Beginn des nächsten Jahrtausends mit einer al- tersbedingten Multimorbidität kon- frontiert werden, deren Implikatio- nen offensichtlich von der heutigen staatlichen Gesundheitspolitik — wie gebannt durch das Diktat einer kurz- fristig orientierten Kostendämpfung

— völlig außer Acht gelassen wer- den.

Die demographische Entwick- lung wird auch für die technischen freien Berufe, hier insbesondere für die unabhängigen beratenden Inge- nieure und die freien Architekten von entscheidender Bedeutung sein.

So werden zukünftig zunehmend Wohnungen benötigt werden, die für mehrere Lebensphasen geeignet sind. Die Wohnungsgrundrisse soll- ten bezogen auf die einzelnen Räu- me, nicht auf jeweils bestimmte ein- zelne Funktionen festgelegt, sondern beispielsweise variabel mal als Kin- derzimmer, mal als Erwachsenen- schlafraum, mal als Wohnzimmer

nutzbar sein. Auch sollte die Ausstat- tung mit geringerem Aufwand gerade nach altersspezifischen Grundsätzen verändert werden können. Diese Forderung nach der sogenannten

„Lebenslaufwohnung" ist sowohl bei Neubauten als auch bei Altbausanie- rungen zu berücksichtigen. Architek- ten und Ingenieure stehen hier vor einer Herausforderung, die sich mit dem Zielbegriff „gesundheitsgerech- tes Bauen" umschreiben läßt.

Herausbildung neuer Freier Berufe

Schätzungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung weisen darauf hin, daß die heute konstatier- bare Zahl von rund 1,2 Millionen pflegebedürftigen über 60jährigen bis zum Jahre 2020 auf mehr als 1,6 Mil- lionen ansteigen wird. Hierin liegt ei- ne große Herausforderung sowohl für die teure institutionelle Pflege als auch für die sehr viel billigere aber auch persönlichere Pflege in der Fa- milie. Hierbei ist zu bedenken, daß viele zukünftige Senioren keine Kin- der mehr haben werden; das Potenti- al, aus dem sich die familiäre Pflege speisen kann, wird kleiner werden.

Die Familie wird dann nicht mehr in der Lage sein, all den auf sie zukom- menden Aufgaben gerecht zu .wer- den. Auch sprechen ökonomische und ethische Gründe gegen eine Dauerunterbringung älterer und pflegebedürftiger Mitbürger in Heimen als Ultima ratio der Altenpo- litik. Konsequenz aus diesen Überle- A1 -1322 (22) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 18, 7. Mai 1993

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THEMEN DER ZEIT

sungen ist, daß die Familie zuneh- mend bei der häuslichen Pflege ex- terne Kräfte heranziehen muß.

Schon derzeit ist das Angebot an Pflegekräften jedoch sowohl qualita- tiv als auch quantitativ unzureichend.

Das Berufsbild der Altenpflege- rin und des Altenpflegers bedarf vor diesem Hintergrund einer Spezifizie- rung, die den Anforderungen der ge- wandelten Altersstruktur und den Erfordernissen einer externen Pflege innerhalb der Familie gerecht wird.

Die Ausübung einer derartigen Tä- tigkeit kann durchaus zunehmend auf freiberuflicher Basis erfolgen.

Mehr Freizeit und wachsende Freizeitangebote haben in Folge der Arbeitszeitverkürzung zur Herausbil- dung eines neuen Marktes geführt, der insbesondere für sportliche Betä- tigung eine Vielzahl von Chancen er- öffnet. Geprägt wird diese Entwick- lung zusätzlich durch die Einflüsse einer modernen Gesundheitsförde- rung. Gerade das Ausdauertraining stellt dabei für die „Health Promoti- on" ein unverzichtbares Aktionsfeld dar. Bereits in frühen Lebensjahren sind die Weichen in Richtung auf ei- ne sportorientierte Gesundheitsför- derung zu stellen. So müssen Lehr- pläne und schulärztliche Dienste dar- auf hinwirken, daß als Ausgleich für unphysiologische Bewegungsarmut und zur Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen ausreichende Bewe- gungsanreize in Form von Leibes- übungen und aktiver Pausengestal- tung sichergestellt werden, um so die Voraussetzungen für eine lebenslan- ge Freude an körperlicher Aktivität zu schaffen, die in der Folge von Sportvereinen und vergleichbaren Einrichtungen zu intensivieren ist.

Berufsbild

„Gesundheitsförderer"

Das Berufsbild eines „Gesund- heitsförderers" wäre hier geeignet, Lücken zu schließen, die gegenwärtig von der Ärzteschaft aufgrund ihrer

Beanspruchung in der konventionel- len medizinischen Versorgung noch nicht geschlossen werden können.

Eine derartige gesundheitsfördernde Tätigkeit könnte durchaus in freibe-

AUFSÄTZE

ruflichem Engagement erbracht wer- den. Daß ein derartiges Berufsbild keine Zukunftsmusik mehr ist, zeigt die Tatsache, daß in der Fachhoch- schule Magdeburg ab 1993 modell- haft ein neuer Studiengang zum „Di- plom-Gesundheitswirt" erprobt wird.

Eng verbunden mit dem Sektor Freizeit ist die Daseinsgrundfunktion

„Erholung", die zunehmend nicht nur unter dem Aspekt der Regenera- tion, sondern auch einer zusätzlichen gesundheitsfördernden Vitalisierung und Kompetenzvermittlung gesehen wird.

Aufgaben für Kurorte Hier bieten sich insbesondere den Kurorten in den alten und neuen Ländern der Bundesrepublik zahlrei- che Möglichkeiten, ein innovatives gesundheitsförderndes Angebot auf- zubauen. Wichtige Determinanten einer derartigen Entwicklung sind aus meiner Sicht die Tatsache, daß Kuren in Zukunft restriktiv konze- diert werden, und der Umstand, daß Auslandsreisen aufgrund wachsen- der politischer und hygienischer Un- sicherheiten in vielen traditionellen Reiseländern eher rückläufig sein könnten. Auch hier wird ein Bedarf an Fachkräften entstehen, der durch die konventionellen Gesundheitsbe- rufe kaum abgedeckt werden kann und neue Qualifikationen und Kom- petenzen in der Gesundheitsförde- rung verlangt. Das hieraus resultie- rende Leistungsangebot könnte durchaus auch in freiberuflicher Ba- sis bereitgestellt werden.

Die fortschreitende Enwicklung einer Industrie- und Dienstleistungs- gesellschaft ist u. a. dadurch gekenn- zeichnet, daß dem primären Sektor (Landwirtschaft, Forsten, Fischerei) sowie dem sekundären Sektor (Indu- strie/Produktion), in denen die Be- schäftigung stagniert oder zurück- geht, wachsende Beschäftigtenzahlen im tertiären Sektor (Dienstleistung) gegenüberstehen. Diese von Colin Clark in den 30er Jahren dieses Jahr- hunderts konstatierte „Sektortheo- rie" hat ihre empirische Bestätigung auch in den hochindustrialisierten Volkswirtschaften des ausgehenden 20. Jahrhunderts gefunden. Mit dem

Anwachsen der Bedeutung des terti- ären Sektors ist auch die Relevanz der Freien Berufe für diesen Bereich gestiegen. Die staatliche Wirtschafts- politik scheint von dieser Entwick- lung keinerlei Notiz nehmen zu wol- len. Zumindest ist die Neigung, Funktionen aus dem Bereich des Öf- fentlichen Dienstes in die freie, zwei- felsfrei produktivere Dienstleistungs- wirtschaft zu übertragen, sehr gering ausgeprägt. Von 1960 bis 1990 ist die Anzahl der Beschäftigten im Öffent- lichen Dienst von rund 3 Millionen auf rund 4,7 Millionen gestiegen, was einer Wachstumsrate von mehr als 55 Prozent entspricht (Zahlen für alte Länder).

Der tertiäre Sektor mit der wachsenden Bedeutung gesundheits- sichernder und gesundheitsfördern- der Aspekte wird gleichwohl künftig eine entscheidende Rolle spielen und gerade den Freien Berufen Möglich- keiten zu einer Ausdehnung ihrer bisherigen Tätigkeit und zur Schaf- fung neuer freiberuflicher Berufsbil- der bieten.

Wachsender Markt

Über den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus wird sich ein wachsender Markt für Gesundheitsdienstleistun- gen entwickeln. Der Umweltschutz im weitesten Sinne — flankiert von Maßnahmen zur Gesundheitsförde- rung — zeichnet sich darüber hinaus als herausragender neuer Aufgaben- bereich sowohl für nahezu alle Grup- pen der bestehenden Freien Berufe als auch für die Entstehung neuer Berufsgruppen ab.

Literatur beim Verfasser

Deutsches Arzteblatt

90 (1993) A 1 -1322-1325 [Heft 18]

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Horst Bourmer Tersteegenstraße 31

W-4000 Düsseldorf 30

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 18, 7. Mai 1993 (25) A1-1325

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