Die Information:
Bericht und Meinung
AUS DEN BUNDESLÄNDERN
BAYERN
Sewering: Arztschwemme ist „Sprengstoff
für die Zukunft"
Auf die großen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Probleme, die in naher Zukunft durch die
„immensen Nachwuchszahlen"
bei Ärzten entstehen werden, hat der wiedergewählte Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, Professor Hans J. Sewering, bei einem Pressegespräch in Mün- chen hingewiesen. Schon 1980/81 würden die ersten starken Jahr- gänge die Universitäten verlassen;
der heutigen Zahl von rund 12 000 Studienanfängern im Jahr stehen nur 5500 bis 6000 jährlich frei wer- dende Assistentenstellen gegen- über. Die bei diesen Zahlen zu er- rechnende Arztdichte von 1:290 bezeichnete Sewering als „sinn- los".
Bei der Betrachtung der Verhält- nisse in Bayern hob Sewering her- vor, daß sich die Ärztezahl Bayerns seit 1960 fast verdoppelt hat, wo- bei aber die Zahl der niedergelas- senen Ärzte nur von rund 8000 auf etwas über 11 000 gestiegen ist.
Trotzdem müsse man wie bisher etwa 85 Prozent der Krankenhaus- ärzte als Nachwuchs für die freie Praxis betrachten. Im Jahre 1978 gab es in Bayern einen Nettozu- gang von 332 Kassenärzten (drei Prozent). Die Allgemein/prakti- schen Ärzte waren wiederum in der Minderheit, jedoch befinden sich unter den neuzugelassenen Fachärzten viele Internisten, Frau- en- und Kinderärzte, die ebenfalls weitgehend zur Verbesserung der primärärztlichen Versorgung der Bevölkerung beitragen.
Das in den Richtzahlen für die Be- darfsplanung in der Bundesrepu- blik festgelegte Verhältnis von ei- nem Allgemeinarzt beziehungs- weise praktischen Arzt auf 2400 Einwohner ist in sämtlichen baye- rischen Regierungsbezirken er- reicht oder zum Teil bereits deut- lich unterschritten. Insgesamt
kommt in Bayern ein Allgemein- arzt beziehungsweise praktischer Arzt auf 2109 Einwohner.
Professor Sewering, der sich in diesem Gespräch über gesund- heitspolitische Beiträge sowohl der Landesärztekammer wie auch der Kassenärztlichen Vereinigung zur Verbesserung der gesundheit- lichen Situation der Bevölkerung äußerte, ging in diesem Zusam- menhang auch auf das sogenann- te „Bayernprogramm" der KV zur Förderung der Niederlassung von Ärzten in weniger gut versorgten Gebieten ein. Insgesamt ist seit 1973 aus Mitteln der Ärzteschaft die Niederlassung von 512 Kas- senärzten mit insgesamt 122 Mil- lionen DM gefördert worden. Hier- bei erwähnte Sewering die mit 1600 in Bayern recht hohe Zahl von Belegärzten, die bei der Ver- sorgung ländlicher Gebiete eine große Rolle spielen.
Sewering wandte sich gegen eine weitere Arbeitszeitverkürzung in den Krankenhäusern, die weder zur Kostendämpfung beitragen könnte noch geeignet sei, die Pro- bleme der Ärzteschwemme auch nur annähernd zu lösen. Nachdem der Anteil der Kosten für die Kran- kenhausbehandlung an den Ge- samtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung seit 1965 von etwa einem Fünftel auf fast ein Drittel gestiegen ist — während der Anteil des ambulanten Bereiches in der gleichen Zeit von ebenfalls einem Fünftel auf ein Sechstel zu- rückging —, wäre es unmöglich, die mit der Einführung der 35- Stunden-Woche verbundene wei- tere Steigerung der Krankenhaus- kosten um etwa 20 Prozent hinzu- nehmen. Außerdem erinnerte Se- wering daran, daß man wohl un- möglich die 35-Stunden-Woche nur in einem Bereich der Wirt- schaft einführen könnte, sondern sich dann erheblichen wirtschafts- politischen Auswirkungen überall gegenübersehen würde.
Zu den gesundheitspolitischen Beiträgen der Landesärztekammer zählte Sewering die Unterstützung
der Aus- und Fortbildung von me- dizinischen Assistenzberufen. Im Etat der Landesärztekammer ste- hen dafür etwa 2,9 Millionen DM pro Jahr. In den letzten zehn Jah- ren hat die Bayerische Landesärz- tekammer fast 25 000 Arzthelferin- nen ausgebildet. Als einzige Ärzte- kammer in der Bundesrepublik Deutschland ist sie sogar Träger einer entsprechenden Schule. Au- ßer medizinisch-technischen Assi- stentinnen und Arzthelferinnen hat die Landesärztekammer bisher 126 Zytologieassistentinnen aus- gebildet.
An Fortbildungsveranstaltungen der ärztlichen Berufsvertretung haben im vergangenen Jahr insge- samt 65 000 Ärzte teilgenommen.
Von der kostenlos abgegebenen Schriftenreihe der Landesärzte- kammer, in der bisher eine halbe Million Exemplare erschienen sind, konnte Prof. Sewering den 46. Band über „Diagnose, Thera- pie und Nachbehandlung maligner Tumoren" vorlegen. Der nächste Band werde sich mit Notfällen be- schäftigen, die Sewering als einen notwendigen Schwerpunkt der ärztlichen Fortbildung bezeichne- te. Nachdem der von der KV einge- richtete Notdienst jetzt in ganz Bayern flächendeckend funktio- niert, sollte man sich — auch und gerade in der Fortbildung — unter anderem darauf konzentrieren, daß der teure Rettungshubschrau- ber nur dann gerufen wird, wenn er wirklich nötig ist.
Schließlich konnte Prof. Sewering über die Erweiterung der „Mün- chener Perinatalstudie" berichten.
Nachdem der Bayerische Ärztetag die Ausdehnung dieser in den Jah- ren 1975 bis 1977 in München durchgeführten Versuchsstudie auf ganz Bayern vorgeschlagen hatte, haben sich schon bei der ersten Anfrage etwa 60 Prozent al- ler bayerischen Frauenärzte spon- tan zur Mitarbeit bereit erklärt. Da- mit können die Landesärztekam- mer und die KV seit Beginn des Jahres 1979 diese perinatologi- sche Erhebung in ganz Bayern durchführen. gb
476 Heft 8 vom 22. Februar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT