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Archiv "Fehler durch Kostendruck: Keine rechtlichen Konsequenzen bei „Managerpfusch“" (16.10.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 42

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16. Oktober 2009 A 2061 FEHLER DURCH KOSTENDRUCK

Keine rechtlichen Konsequenzen bei „Managerpfusch“

Längst wird die Arbeit in manchen Kliniken und Praxen so organisiert, dass die

Abläufe die Patientensicherheit gefährden. Geht etwas schief, stehen die betroffenen Ärzte im Rampenlicht – nicht die Organisationsverantwortlichen.

Uwe Schulte-Sasse

K

rankenhäuser, Tageskliniken und Arztpraxen stehen heute unter einem teilweise unerträgli- chen, im Steigen begriffenen Druck, Kosten im Gesundheitswe- sen einzusparen. Das hat eine er- schreckende Konsequenz (1): Wie- derholt kollidieren diese Anstren- gungen, die eigene Einrichtung zu erhalten, mit den Anstrengungen im Kampf um das Überleben der Pa- tienten, die dort versorgt werden.

Immer wieder kommt es zu schwersten Patientenschädigungen und zu Todesfällen – infolge kos- tensparender, aber lebensgefähr- dender Organisationsstrukturen.

Zu den jüngst vor Gericht ver- handelten und von den Medien breit dargestellten Beispielen für kosten- sparende, aber im Ergebnis tödliche Organisationsstrukturen zählen

durch Pflegepersonal über- nommene, genuin ärztliche Aufga- ben bei der Durchführung von An- ästhesien (2, 3)

Propofol-Sedierungen bei En- doskopien (4, 5)

die Übertragung pflegerischer Aufgaben auf Angehörige, zum Beispiel die Überwachung des aus einer Narkose erwachenden Kindes durch seine Mutter (6, 7)

die erlössteigernde Erhöhung der Operationszahl pro Zeiteinheit bei gleichzeitiger Verminderung des Qualifikationsniveaus beteilig- ter Ärzte (8).

Die aufgeführten Fälle belegen, was der auf das Arzthaftungsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Wolf- gang Bruns vor Kurzem anmerkte (9): „Behandlungsfehler sind häu- fig das Ergebnis von Systemfehlern im Krankenhaus oder in der Praxis,

die in ihren gefährlichen Auswir- kungen zwar bekannt, aber aufgrund wirtschaftlichen Drucks beibehalten oder sogar neu eingeführt werden.“

Immer wieder wird es bei ge - fahrengeneigter Tätigkeit zu Un- glücksfällen kommen. Denn Irren ist menschlich (10). Gehören die beispielhaft vorgestellten Katastro- phen infolge von kostensparenden, aber im Ergebnis tödlichen Organi- sationsstrukturen ebenfalls in die Kategorie „Irren ist menschlich“?

Keinesfalls, aber vor ökonomischen Zwängen kapitulieren inzwischen auch erfahrene Kliniker. Sie schei- nen Unglücksfälle infolge von billi- ger, aber lebensgefährdender Orga- nisation als schwer bis kaum ver- meidbar einzuschätzen, nach dem Motto: „Wo gehobelt wird, da fal- len Späne“. Gehören aber Un-

glücksfälle infolge der Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Pflege- be- ziehungsweise Praxispersonal oder der Tod von Kindern infolge der Übertragung von Fachpflegeaufga- ben auf Laien (11) in die Kategorie

„Hobelspäne“? Sind Katastrophen schicksalhaft, wenn OP-Program- me unter Produktionsdruck (12, 13)

„durchgezogen“ werden?

Zwischen menschlichen Fehlern und diesen Vorfällen gibt es einen Unterschied, und zwar einen offen- sichtlichen: Anders als im Fall einer Krankenschwester, die Medika- mente verwechselt hat, haben die für die Organisation verantwortli- chen Akteure in der Zahnarztpraxis, im Zentral-OP, im Endoskopieraum sehenden Auges gehandelt.

Es ist bekannt, dass genuin ärzt- liche Aufgaben nicht vom Pflege-

Hektik kann Pati en - tenleben gefähr- den. Dann muss sich der Arzt verantworten, auch wenn nicht er, sondern patientenfer- ne Vorgesetzte Druck gemacht haben.

Foto: Mauritius Images

T H E M E N D E R Z E I T

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A 2062 Deutsches Ärzteblatt

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16. Oktober 2009 personal auf „Facharztstandard“

erbracht werden können, der dem Patienten geschuldet wird. Es ist bekannt, dass aus der Narkose er- wachende Kinder auch nach zahn- ärztlichen Eingriffen kompetent überwacht werden müssen; Eltern damit zu betrauen ist absurd. Es ist bekannt, dass OP-Programme, bei denen die Saalauslastung und die Wechselzeit zwischen den Eingrif- fen die Patientensicherheit domi- nieren, zu Katas trophen führen können und werden. Dann passiert kein Unglück. Dann handelt es sich um Fehler in der Organisation. Der Druck, Kosten zu sparen, überlagert Sicherheitserwägungen.

Gerichte, die sich mit den Folgen des Sparens auf Kosten der Patien- tensicherheit im Operationssaal zu befassen hatten, werteten das Ver- halten der dem Produktionsdruck nachgebenden Ärzten als „grob feh- lerhaftes, krasses Versagen“, ja als

„unärztliches Verhalten“. Das Ver- halten derer, die den Druck ausüb- ten, haben Gerichte – bislang – nicht bewertet. Die Analyse entsprechen- der Gerichtsentscheidungen deckt in diesem Zusammenhang einen

Mangel auf: Die oft „patientenfer- nen“ Entscheider, die verantwort- lich sind für eine zum Unglücksfall führende Organisationsstruktur, blei- ben bei „Arztpfusch“-Prozessen persönlich ungeschoren, obwohl es sich auch um „Managerpfusch“

handelte. Sie finden lediglich als

„Träger“ der Gesundheitseinrich- tung unter den haftenden Gesamt- schuldnern Erwähnung. Strafrecht- lich werden sie persönlich bislang nicht belangt. Die Chance, mit vol- lem Namen verurteilt zu werden, nimmt mit der Entfernung zum ge- schädigten Patienten ab: Den Arzt, der einen Patienten versorgt hat, trifft es immer, patientenferne ärzt- liche und nicht ärztliche Entschei- der bisher nie.

Die juristischen Spielregeln, nach denen Arzthaftpflichtprozesse

oder Strafverfahren ablaufen, ver- hinderten bisher häufig, dass die Ver- antwortlichkeit von patientenfernen Managern erkannt und gewürdigt wird. Bruns fordert: „Die ärztlichen Gutachter sind aufgerufen, auch die Organisationsstruktur eines Kran- kenhauses zu untersuchen und die übergeordnete Verantwortlichkeit, zum Beispiel des Krankenhausge- schäftsführers, zu verdeutlichen.“

Unterbleibt dies, und das ist bislang eher die Regel denn die Ausnahme, begünstigt ein solcher Mangel Ur- teile, zu denen Bruns anmerkt:

„Das Ziel einer generalpräventiven Wirkung des Zivil- und Strafrechts wird gegenwärtig klar verfehlt. Für die wirtschaftlich Verantwortlichen besteht ein Anreiz, kostengünstige, aber potenziell gefährliche Organi- sationsstrukturen aufrechtzuerhal- ten oder sogar neu einzuführen, ohne dass diese persönlich dafür einzustehen hätten.“

Dem beschriebenen Mangel an präventiver Wirkung bisheriger Ge- richtsentscheidungen ist in Groß- britannien mit einem Gesetz begeg- net worden (14–16): Nun können mit dem „corporate manslaughter

act“ auch patientenfern entschei- dende ärztliche und nicht ärztliche Manager von Gesundheitseinrich- tungen vor Gericht zur Verantwor- tung gezogen werden, wenn eine von ihnen eingeführte oder tolerier- te und damit zu verantwortende Or- ganisationsstruktur zu einer Patien- tenschädigung geführt hat.

Die persönliche Haftung von Organisationsverantwortlichen, der

„Täter hinter dem Täter“, ist aber auch deutschen Gerichten nicht un- bekannt. Dies sei mit einer Ent- scheidung des Landgerichts Nürn- berg-Fürth aus dem Jahr 2006 ver- deutlicht (17). Ein erheblich über- müdeter Lkw-Fahrer war nach rund 30-stündiger Fahrt auf der Autobahn bei Erlangen eingeschla- fen und ungebremst auf ein Fahr- zeug aufgefahren, das wegen einer

Reifenpanne liegen geblieben war.

Dessen Fahrer hatten ihr Auto über das vorgeschriebene Maß hinaus mit Warndreieck und Warnblinker, Licht und Pylonen abgesichert. Sie trugen orangerote Sicherheitswes- ten, als sie einen Reifen wechsel- ten. Dennoch raste der Sattelzug in das Pannenfahrzeug und schleu- derte die Männer bis zu 30 Meter weit durch die Luft. Sie waren so- fort tot.

Der Lkw-Fahrer wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten auf Bewährung sowie 18 Monaten Führerscheinentzug verurteilt. In dem Verfahren hatte er seine beiden Chefs schwer belastet. Er sagte aus, dass des Öfteren Lenkzeiten syste- matisch überschritten worden seien.

Knapp zwei Jahre nach dem töd- lichen Lastwagenunfall hat das Landgericht Nürnberg-Fürth zwei Spediteure wegen fahrlässiger Tö- tung sowie der Anstiftung zum ge- fährlichen Eingriff in den Straßen- verkehr verurteilt. Die Transportun- ternehmer hatten ihre Fahrer nach Überzeugung des Gerichts zu Lenk- zeitüberschreitungen genötigt. Der 59-jährige Seniorchef musste für zwei Jahre und drei Monate ins Ge- fängnis. Das Gericht sah es als er- wiesen an, dass die beiden Spedi- teure ihren Angestellten zu der 33-stündigen Tour durch Deutsch- land gezwungen hatten, die mit zwei Toten endete.

Solche „durchorganisierten Sys- teme“ (18), die fast zwangsläufig zum Unglücksfall führen, sind in- zwischen auch bei der Versorgung von Patienten unter den Bedingun- gen des Kostensparens Ursache für vermeidbare Katastrophen. Es wird in Zukunft interessant zu beobach- ten sein, ob auch im Gesundheits- wesen „die Täter hinter den Tätern“

zur Rechenschaft gezogen werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2009; 106(42): A 2061–2

Prof. Dr. med. Uwe Schulte-Sasse SLK-Kliniken Heilbronn

Klinik für Anästhesie und Operative Intensivmedizin Am Gesundbrunnen 20–26

74078 Heilbronn

E-Mail: uwe.schulte-sasse@slk-kliniken.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4209

Die Chance, mit vollem Namen verurteilt zu werden,

nimmt mit der Entfernung zum geschädigten Patienten ab.

T H E M E N D E R Z E I T

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LITERATUR

1. Schiff GD. Fatal distraction: finance versus vigilance in U.S. hospitals. Int J Health Serv 2000; 30: 739–43

2. Sparen - bis es weh tut. Patienten schla- gen Alarm. www.planetopia.de/archiv/

2007/p_reportage/08_05/14_text.html 3. Tödliche OP – Berliner Schönheitschirurg

vor Gericht. www.morgenpost.de/berlin/

article 1044554/Toedliche_Op_Berliner _Schoenheitschirurg_vor_Gericht.html 4. Dämmermittel mit Tücken. www.spiegel.

de/wissenschaft/mensch/0,1518, 602717,00.html

5. Dämmerschlaf endet im Koma. Süddeut- sche Zeitung 30.1.2009

6. Narkose bei Kiefer-OP – Gutachten soll Tod einer Zehnjährigen klären. www.fr-on line.de/frankfurt_und_hessen/nachrich ten/hessen/162ß233_Gutachten-soll- Tod-einer-Zehnjährigen-klaeren.html.

7. Tod nach Zahn-OP – ambulante Narkose mit fatalen Folgen. www.planetopia.de/ar chiv/2008/planetopia/11_30/22.html 8. Krankenhäuser auf Sparkurs. www.plane

topia.de/archiv/2008/planetopia/06_

01/11_text.html

9. Bruns W. Persönliche Haftung des Kran- kenhausgeschäftsführers. ArztRecht 2003; 38: 60–6.

10. Institute of Medicine. To err is human. Wa- shington, D.C.: National Academy Press 2000

11. Über die Rolle und die Bedeutung der

„Begleitperson“ bei ambulanten Operatio- nen. Dudziak R (2006) Anaesthesist 55:

331–3

12. Schulte-Sasse U. Produktionsdruck im Operationssaal gefährdet Patienten.

Anästh Intensivmed 2009; 50: 552–63 13. Gaba DM, Howard SK, Jump B. Production

pressure in the work environment. Anes- thesiology 1994; 81: 488–500 14. Samanta A, Samanta J. Charges of corpo-

rate manslaughter in the NHS. BMJ 2006;

332: 1404–5

15. White SM. Corporate manslaughter. Ana- esthesia 2008; 63: 210

16. Dyer C. Hospital trust prosecuted for not supervising junior doctors. BMJ 2006;

332: 135

17. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 8.2.2006 – 2 Ns 915 Js 1447 10/2003

18. Urteil: Chefs haften für übermüdete Lkw- Fahrer. Transport online.de vom 29.7.2005

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Keine rechtlichen Konsequenzen bei „Managerpfusch“

Längst wird die Arbeit in manchen Kliniken und Praxen so organisiert, dass die Abläufe die Patien- tensicherheit gefährden. Geht etwas schief, stehen die betroffenen Ärzte im Rampenlicht – nicht die Organisationsverantwortlichen.

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