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Archiv "Telekommunikationsüberwachung: Balance zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz" (17.08.2007)

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A2232 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 33⏐⏐17. August 2007

P O L I T I K

D

er Deutsche Bundestag be- fasst sich derzeit mit dem

„Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungs- maßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“. Vonsei- ten der Ärzteschaft ist der Vorwurf laut geworden, der Gesetzesvorschlag sei ein unverantwortlicher Angriff auf die ärztliche Schweigepflicht und das Arzt-Patient-Verhältnis. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärz- te solle künftig unter einem Verhält- nismäßigkeitsvorbehalt stehen.

Diese Kritik ist nicht berechtigt.

Im Gegenteil: Die Neuregelung stellt die Beziehung von Arzt und Patient auf einen gesicherten gesetzlichen Bo- den und schützt sie besser als bisher.

Bei der Verfolgung und Aufklä- rung von Straftaten schützt das gel- tende Recht die Beziehung zwischen Arzt und Patient nur punktuell und teilweise uneinheitlich. Zwar haben einerseits Ärzte und ihre Berufshelfer ein Zeugnisverweigerungsrecht über das, was ihnen beruflich bekannt ge- worden ist (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3,

§ 53 a Strafprozessordnung, StPO).

Außerdem dürfen Polizei oder Staats- anwaltschaft keine Krankenunter- lagen beschlagnahmen (§ 97 Abs. 1 StPO) oder Arztpraxen akustisch überwachen, zum Beispiel mit ver- steckten Mikrofonen (§ 100 c Abs. 6 StPO). Andererseits ist es aber er- laubt, intime Informationen aus dem

Arzt-Patient-Verhältnis auf andere Weise zu erheben. So sind etwa län- gerfristige Beobachtungen, Abfragen bei Telekommunikationsunterneh- men über gespeicherte Verkehrsdaten (zum Beispiel, wer wann mit wem telefoniert hat) und selbst inhaltliche Telekommunikationsüberwachungen (zum Beispiel Telefon oder E-Mail) möglich. Zusätzlich zum mangeln- den Schutz der beruflichen Vertrau- ensverhältnisse fehlt es bei der Tele- kommunikationsüberwachung an Regelungen zum Schutz des so- genannten Kernbereichs privater Lebensgestaltung, der nach dem Bun- desverfassungsgericht jedem staatli- chen Zugriff schlechthin entzogen ist.

Rahmen und Ziel der gesetzlichen Neuregelung

Mit dem geplanten Gesetz soll ein harmonisches Gesamtsystem der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen bei der Strafverfolgung, insbesondere im Bereich der Telekommunikations- überwachung, geschaffen werden.

Dabei muss das berechtigte Schutz- interesse von Berufsgeheimnisträ- gern, wie etwa Ärzten, Seelsorgern oder Verteidigern, beachtet werden.

Gleichzeitig müssen wir aber zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bür- ger gewährleisten, dass Straftaten effektiv aufgeklärt und verfolgt wer- den. Nur so ist sichergestellt, dass Schuldige bestraft und Unschuldi- ge nicht verurteilt werden. Beides

kann durch Schutzregelungen für Berufsgeheimnisträger beeinträchtigt werden: Je weiter die Aufklärungs- möglichkeiten der Strafverfolgungs- behörden beschränkt werden, desto geringer sind die Chancen, dass die Wahrheit ermittelt wird. Anders aus- gedrückt: Das Risiko steigt, dass Schuld nicht bewiesen und Unschuld nicht erkannt werden kann.

Das Spannungsverhältnis zwi- schen effektiver Strafverfolgung und Schutz der Berufsgeheimnisse hat das Bundesverfassungsgericht in den Blick genommen. Es hat gefordert, dass der Kernbereich privater Le- bensgestaltung auch bei der Verfol- gung von Straftaten bewahrt werden muss. Dieser Kernbereich umfasst unter anderem die Kommunikation mit einer Vertrauensperson, bei- spielsweise über innerste Gefühle, Überlegungen, Ansichten oder Er- lebnisse höchstpersönlicher Art. Bei Gesprächen mit Verteidigern oder Seelsorgern ist der Kernbereich pri- vater Lebensführung betroffen. Laut Bundesverfassungsgericht ist das im Arzt-Patient-Verhältnis aber nicht immer der Fall. In dem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung erklärt das Gericht: „Arztgespräche können (nur) im Einzelfall dem un- antastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen sein.“

Das heißt, bei Ärzten ist nicht per se – zugespitzt ausgedrückt: bei je- dem Schnupfen – ein Kernbereichs-

TELEKOMMUNIKATIONSÜBERWACHUNG

Balance zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Ist die geplante Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ein Angriff auf die Ärzte?

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verneint dies. Sie sieht in dem Gesetzentwurf sogar eine Verbesserung des Schutzes der Arzt-Patient-Beziehung.

Foto:fotolia/Rosu

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 33⏐⏐17. August 2007 A2233

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bezug gegeben. Ein solcher kann sich erst im konkreten Fall – etwa in psychiatrischen Therapiegesprächen – ergeben. Das Bundesverfassungs- gericht hat das in einem weiteren Ur- teil ausgeführt: Angaben eines Arz- tes über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen betref- fen nicht die unantastbare Intim- sphäre, sondern „nur“ den privaten Bereich, der nach dem Grundgesetz zwar auch geschützt, aber eben nicht wie der Kernbereich privater Le- bensführung unantastbar ist.

Wenn somit suggeriert wird, das Bundesverfassungsgericht habe das Arzt-Patient-Verhältnis einem abso- luten Schutz unterstellt, ist das nicht richtig.

Schutz beruflicher Vertrauens- verhältnisse im Gesetzentwurf

Wie setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Telekommu- nikationsüberwachung die Vorga- ben des Bundesverfassungsgerichts konkret um?

> Zunächst zu dem, was bleibt:

Das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes wird uneingeschränkt erhal- ten. Es ist daher schlicht falsch, wenn es mitunter heißt, das Zeugnisverwei- gerungsrecht der Ärzte stehe künftig unter dem Vorbehalt einer Verhältnis- mäßigkeitsprüfung und über einen Eingriff in das Arzt-Patient-Verhält- nis könne von Fall zu Fall entschie- den werden. Auch die eingangs er- wähnten Verbote, Krankenunterlagen zu beschlagnahmen oder Arztpraxen akustisch zu überwachen, bleiben künftig uneingeschränkt erhalten.

> Neu sind die Bestimmungen zum Schutz der Berufsgeheimnis- träger bei allen anderen Ermitt- lungsmaßnahmen, etwa die schon genannten Verkehrsdatenabfragen, Observationen und Telekommunika- tionsüberwachungen (zum Beispiel Telefon oder E-Mail). Zugunsten der Berufsgeheimnisträger werden die Erhebung und Verwertung von Erkenntnissen, die durch solche Maßnahmen erlangt werden kön- nen, beschränkt (§ 53 b StPO des Entwurfes). Die Vorgaben des Bun- desverfassungsgerichts werden da- bei umgesetzt.

Der Gesetzentwurf unterscheidet beim Schutz der Berufsgeheimnis-

träger zwischen Seelsorgern, Vertei- digern und Abgeordneten auf der ei- nen und allen weiteren Berufsge- heimnisträgern auf der anderen Seite.

Für erstere besteht künftig ein absolu- tes Verbot der Erhebung und Verwer- tung von Informationen. Das Bun- desverfassungsgericht hat das unter Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Ge- spräche mit dem Seelsorger und mit dem Verteidiger gefordert. Für Ab- geordnete ist dieser absolute Schutz ebenfalls notwendig, denn sie werden

um der Funktionsfähigkeit des Parla- ments willen schon durch das Grund- gesetz besonders geschützt (Immu- nität, Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeschutz).

Für alle anderen Berufsgeheim- nisträger und damit auch für Ärzte soll künftig ein relatives Verbot für die Erhebung und Verwertung von Erkenntnissen gelten, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht er- streckt und die durch die eingangs erwähnten Ermittlungsmaßnahmen (wie Telekommunikationsüberwa- chung) erlangt werden.

Das heißt: Die Polizei oder Staats- anwaltschaft darf eine Ermittlungs- maßnahme zur Beschaffung von In- formationen, über die der Arzt das Zeugnis verweigern dürfte, nur durchführen, wenn das im konkreten

Fall „verhältnismäßig“ ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der ärzt- lichen Tätigkeit (Erhaltung der Ge- sundheit der Bevölkerung) und das individuelle Geheimhaltungsinteres- se des Patienten einerseits gegen das Strafverfolgungsinteresse anderer- seits abzuwägen. Freilich spielt dabei eine Rolle, wie schwer die verfolgte Straftat wiegt. Zur Aufklärung einer Bagatelltat (wie Ladendiebstahl) dür- fen Informationen aus dem Arzt-Pati- ent-Verhältnis nicht erhoben werden.

Geht es dagegen um schwerwiegen- de Straftaten (zum Beispiel Delikte gegen das Leben oder die körperli- che Unversehrtheit), kann die Ab- wägung anders ausfallen.

In folgendem Punkt möchte die Bundesregierung den Schutz des Arzt-Patient-Verhältnisses deutlich verbessern: Auch wenn es um die Aufklärung schwerster Straftaten geht, darf in den Kernbereich priva- ter Lebensgestaltung nicht eingegrif- fen werden. Der Gesetzesvorschlag enthält deshalb bei der Telekommu- nikationsüberwachung ein ausdrück- liches Erhebungs- und Verwertungs- verbot für Kommunikationsinhalte aus diesem intimsten Bereich (§ 100 a Abs. 4 StPO des Entwurfes).

Wenn also ein Patient mit seinem

Arzt am Telefon beispielsweise über innerste Gefühle oder höchstpersön- liche Überlegungen spricht, ist die Überwachung des Telefonats un- zulässig. Wird es gleichwohl abge- hört, dürfen daraus gewonnene In- formationen keinesfalls in einem Strafverfahren verwertet werden.

Fazit

Der Schutz beruflicher Vertrauens- verhältnisse ist ein wichtiger Eck- pfeiler des Rechtsstaats. Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung stärkt diesen Schutz, ohne dabei die Effek- tivität der Strafverfolgung zu ver- nachlässigen. Von einem Angriff auf die ärztliche Schweigepflicht oder auf das Arzt-Patient-Verhältnis kann daher keine Rede sein. I Brigitte Zypries

Die Neuregelung stellt die Beziehung von Arzt und Patient auf einen gesicherten gesetzlichen Boden.

Brigitte Zypries

Foto:ddp

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