Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 101⏐⏐Heft 46⏐⏐12. November 2004 AA3061
S E I T E E I N S
Präsidentschaftswahl in den USA
Bioethische Schranken A
uch wenn die Mehrheit der Deut-schen vom Ausgang der Präsident- schaftswahlen in den USA enttäuscht ist – zumindest aus dem bioethischen Blickwinkel ist der Wiederwahl von George W. Bush Positives abzugewin- nen. Der betont religiöse Republika- ner hatte sich während seiner Präsi- dentschaft massiv für den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens ausgesprochen. Die staatliche För- derung der Stammzellforschung be- schränkte er auf embryonale Stamm- zelllinien,die bereits vor dem 9.August 2001 hergestellt worden waren.
Sein demokratischer Herausfor- derer John Kerry hingegen plädierte während des Wahlkampfs für die Forschung mit embryonalen Stamm- zellen ohne Stichtag. Im Falle eines Wahlsiegs wolle er in großem Stil Fördermittel in diesen Bereich pum-
pen, hatte Kerry angekündigt. Unter- stützung erhielt der Demokrat von den Angehörigen des verstorbenen US-Präsidenten Ronald Reagan und des Schauspielers Christopher Reeve, aber auch vom republikanischen Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Der würde Kalifor- nien gern weltweit auf Platz eins der embryonalen Stammzellforschung sehen. Parallel zur Präsidentschafts- wahl waren die kalifornischen Wähler aufgerufen, über die „Prop 71“ abzustimmen. Das Resultat:
Mehr als zwei Drittel befürworteten diese Initiative von Wissenschaftlern, Prominenten und Unternehmern, die Stammzellprojekte jährlich mit 295 Millionen Dollar über einen Zeit- raum von zehn Jahren unterstützen will. Eine emotional geführte Kam- pagne hatte die baldige Heilung von
Volkskrankheiten in Aussicht gestellt.
Mit Proposition 71 wird erstmals ein US-Bundesstaat beträchtliche Sum- men in den umstrittenen Forschungs- bereich investieren – und zwar an Bush vorbei.
Auf Deutschland könnte die Initia- tive mittelfristig den Druck erhöhen, die eigene Stichtagsregelung zu über- denken. Zunächst aber wird Bushs erneute Präsidentschaft die UN- Verhandlungen zum internationalen Klonverbot beeinflussen. Sie wa- ren während des Wahlkampfes ins Stocken geraten. Nun ist klar, dass sich die USA erneut hinter ein gene- relles Klonverbot stellen werden. Für die Bundesregierung sollte dies ein zusätzliches Argument sein, für ein weltweites Verbot des reproduktiven und therapeutischen Klonens zu stim- men. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Klinikärzte
Gegen die Betonwand D
ie im Marburger Bund organisier-ten Klinikärzte laufen mit ihrer Forderung, die Vorschriften des novel- lierten Arbeitszeitgesetzes in den Krankenhäusern einzuhalten und die Direktiven von zwei Urteilen des Eu- ropäischen Gerichtshofs zum Bereit- schaftsdienst strikt einzuhalten, gegen eine Betonwand.Wenig hat sich bisher an den zum Teil menschenverachten- den Arbeitsbedingungen für Klinik- ärzte geändert. Marathon-Einsatz- zeiten, 15 Millionen unbezahlte Über- stunden je Jahr, unzureichende Über- stundenvergütungen und in den we- nigsten Fällen Freizeitausgleich sind Krankenhausrealität. Dies gefährde massiv die Sicherheit der Patienten- versorgung und den Arbeitsschutz.
Die 106. Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB) am vergan- genen Wochenende in Berlin verur-
teilte die Klinikarbeitgeber ob ihrer Halsstarrigkeit und Boykott-Politik bei den längst überfälligen kranken- hausspezifischen Tarifverhandlungen.
Die Arbeitgeber nutzten die politisch motivierte Kostendämpfung und die Dauerarbeitslosigkeit extrem zu ihren Gunsten aus. Einerseits nähmen sie die in letzter Sekunde gesetzlich ver- ankerte zweijährige Übergangsfrist des revidierten Arbeitszeitgesetzes zum Vorwand, alles beim Alten zu las- sen. Andererseits spielt auch der Ver- such der EU-Kommission, eine Rolle rückwärts zugunsten der Arbeitgeber hinzulegen, gegen die Klinikärzte und deren Arbeitsschutzbedürfnisse.
Der Marburger Bund will keine Bereitschaftsdienstregelung in der Europäischen Richtlinie. Es sei eine Bankrotterklärung der Europäischen Kommission, wenn beide EU-Urteile
zugunsten der Klinikärzte jetzt kassiert werden sollten,um Bereitschaftsdienst- einsatzzeiten in „inaktive Zeiten“
und „aktive Zeiten“ aufzuteilen. Auch die winkeladvokatischen Überlegun- gen der EU-Kommission, individuel- les Abrücken von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit (48 Stunden) groß- zügig einzuräumen, spiele nur den
„Ausbeutern“ in die Hand.
Für den Marburger Bund ist das Maß voll! Faktenresistenz und Boy- kotthaltung der Arbeitgeber wollen die Klinikärzte mit erhöhtem Druck, verstärkter Solidarität und streikähn- lichen Öffentlichkeitskampagnen be- antworten. Der mit großer Mehrheit wiedergewählte Bundesvorsitzende Frank Ulrich Montgomery: „Politiker, denen die Perspektiven fehlen, kön- nen wir an der Krankenhausfront nicht brauchen!“ Dr. rer. pol. Harald Clade