A 60 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 3|
17. Januar 2014STREIKRECHT IN GEFAHR
Für Klinikärzte geht es um viel
Nur noch einen Tarifvertrag pro Krankenhaus: Das will die Große Koalition.
T
homas de Maizière (CDU) hat den Willen der Bundesregie- rung bekräftigt, die Tarifeinheit im Betrieb gesetzlich zu regeln: Der Koalitionsvertrag sehe dies vor, be- tone aber auch, „dass wir Verfah- rensregeln schaffen sollen, die un- serer Verfassung Rechnung tragen“, sagte der Bundesinnenminister am 6. Januar bei der Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes (dbb) in Köln. Laut Regierungsvereinba- rung wollen Union und SPD den„bestehenden Koalitions- und Tarif- pluralismus in geordnete Bahnen lenken“, indem der Grundsatz der Tarifeinheit „nach dem betriebsbe- zogenen Mehrheitsprinzip“ per Ge- setz festgeschrieben wird.
Hinter dem wohlklingenden Be- griff „Tarifeinheit“ versteckt sich die Idee, dass es in einem Betrieb nur einen Tarifvertrag geben darf.
Das Bundesarbeitsgericht hatte die- sen Rechtsgrundsatz im Juni 2010 aufgegeben und damit mehr Kon- kurrenz unter kleinen und großen Gewerkschaften erlaubt. Mit dem damaligen Urteil habe das Gericht der Verfassung und auch der in den Betrieben bereits gängigen Praxis Rechnung getragen, sagte die Ge- richtspräsidentin Ingrid Schmidt jüngst der Nachrichtenagentur dpa.
Die Arbeitgeber drängen auf ein Gesetz
Mit Verweis auf eine angeblich dro- hende Vielzahl von Arbeitskämpfen und deren negative Folgen für den Wirtschaftsstandort, drängt seither vor allem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbän- de – zeitweise unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund mit seinen großen Gewerkschaften – auf ein Gesetz zur Tarifeinheit. Der Arbeitgebervorschlag zielt darauf ab, dass eine Gewerkschaft in ei- nem Betrieb nicht zum Arbeits- kampf aufrufen darf, solange eine
andere Gewerkschaft mit mehr Mit- gliedern im selben Betrieb wegen eines gültigen Tarifvertrags in der Friedenspflicht ist.
Da der Marburger Bund (MB) selbst bei einem hundertprozenti- gen Organisationsgrad unter den Ärztinnen und Ärzten in einem Krankenhaus gegenüber Verdi im- mer in der Minderheit wäre, trä-
fe ein Gesetz zur Tarifeinheit die Ärztegewerkschaft ins Mark. Auch andere Fachgewerkschaften wie die Pilotenvereinigung Cockpit oder auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) müssten um ihre Existenz fürchten: „Denn welcher Arbeitnehmer will schon einer Gewerkschaft angehören, die keinen Einfluss auf seine Arbeits - bedingungen nehmen darf?“, fragte der dbb-Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt bei der Jahrestagung.
Unter dem Dach des dbb sind auch Fachgewerkschaften organi- siert, unter anderen die GDL, die ja aktuell mit Streiks droht.
Dauderstädt forderte die Politik auf, sich drängender Probleme wie dem Fachkräftemangel anzuneh- men, statt sich in funktionierende Systeme, wie die gelebte Tarifplu - ralität, einzumischen: „Wir leiden nicht unter gnadenlos und per - manent geführten Arbeitskämpfen kleiner Spartengewerkschaften, die Wirtschaft und Bevölkerung quä- len und lahmlegen. Unsere Streik- bilanz ist im Vergleich zu anderen Ländern überschaubar.“ Eine ge- setzlich erzwungene Tarifeinheit, wie sie im Koalitionsvertrag ange- deutet sei, berge in der Praxis viele
Fallstricke. „Wer definiert einen Betrieb?“, fragte der dbb-Bundes- vorsitzende. Könne sich der Arbeit- geber etwa durch Definition des Geltungsbereiches des Tarifver- trags oder durch Umorgani sation aussuchen, mit welcher Gewerk- schaft er lieber verhandele? „Und wer misst die Mehrheit im Be- trieb?“ Müsse dann für jedes Ge- werkschaftsmitglied eine notariell beglaubigte Unterschrift vorgelegt werden? Dauberstädt kündigte an, jedwede gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit vom Bundesverfas- sungsgericht überprüfen zu lassen.
Denn wenn der Gesetzgeber den Einfluss kleinerer Gewerkschaften begrenze, verstoße er gegen die in
Artikel 9 des Grundgesetzes ga - rantierte Koalitionsfreiheit. „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedin- gungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Beru- fe gewährleistet“, heißt es da.
Organisationspolitische Überlegungen beim MB
Auch der Marburger Bund werde
„alles unternehmen“, um seinen ta- rifpolitischen Spielraum zu wahren, unterstreicht MB-Sprecher Hans- Jörg Freese gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt: „Dazu gehören auch organisationspolitische Über- legungen.“ Auf die Nachfrage, ob sich der MB als Gewerkschaft für andere Berufsgruppen im Kranken- haus öffnen werde, reagiert Freese zurückhaltend: „Wir verstehen uns in erster Linie als Organisation von Ärztinnen und Ärzten. Wir sind ja nicht nur eine Gewerkschaft, son- dern auch ein Berufsverband.“ Vor- rangiges Ziel sei es daher, ein Ge- setz zur Festschreibung der Tarif- einheit nach dem betriebsbezoge- nen Mehrheitsprinzip zu verhindern – „aber wir denken auch in andere
Richtungen“.
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Jens Flintrop
„ Welcher Arbeitnehmer will schon einer Gewerkschaft angehören, die keinen Einfluss auf
seine Arbeitsbedingungen nehmen darf?
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Klaus Dauderstädt, dbb-Bundesvorsitzender