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Archiv "Berufspolitik unter Handlungszwang: Honorarpolitik, Schwangerschaftsabbruch, Numerus clausus und ein Lehrstück aus Österreich beim Seminar-Kongreß in Grado" (04.11.1976)

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Academic year: 2022

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die beiden so unterschiedlichen Themen „Honorarpolitik" und

„§ 218" gehören heute zum Reper- toire jeder größeren berufspoliti- schen Veranstaltung. So war es auch beim berufspolitischen Semi- nar des letzten großen Fortbil- dungskongresses, den die Bundes- ärztekammer in diesem Jahr durchführte, dem Herbstkongreß in Grado. „Heiße Eisen" wie Numerus clausus, ärztliche Versorgung, För- derung der belegärztlichen Tätig- keit, ja selbst das Kassenarztrecht muteten demgegenüber eher lau- warm an.

Zu Recht oder zu Unrecht — die kritischsten Fragen kamen jeden- falls zur Honorarpolitik, am persön- lichsten wurde es beim § 218. Den- noch waren die berufspolitischen Stunden dank einer geschickten Regie und dank unvoreingenom- mener Referenten, die auf offene Fragen auch offen antworteten, al- les in allem ausgewogen. Den Fra- gen stellten sich Dr. med. Karsten Vilmar, Vizepräsident der Bundes- ärztekammer; Dr. med. Dietrich Maiwald, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer und Präsi- dent der Landesärztekammer Ba- den-Württemberg; Prof. J. F. Volrad Deneke, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer; Dr. med.

Eckart Fiedler und Dr. med. Gün- ther Schulz-Klee, beide geschäfts- führende Ärzte der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, sowie Dr.

med. Kurt Stordeur, geschäftsfüh- render Arzt der Bayerischen Lan- desärztekammer.

Vor allem die KBV-Vertreter wur- den durch Fragen und Zwischen- fragen über Empfehlungsvereinba-

THEMEN DER ZEIT

rung und Honorarpolitik hart in die Zange genommen. Hat sich die Kassenärztliche Bundesvereini- gung durch die Empfehlungsver- einbarung nicht zu einseitigen Vor- leistungen bewegen lassen? Tragen nicht allein die Ärzte jetzt das Mor- biditätsrisiko? Sind wir nicht wie- der auf dem Wege zu einer Pau- schalhonorierung? Gab es einen so starken äußeren Druck auf die Kassenärzte, daß von der Tarif- autonomie nicht mehr viel übrig- blieb? Ist die Kassenärztliche Bun- desvereinigung — im Vergleich zu

„den Zahnärzten" — nicht über- haupt viel zu nachgiebig?

Honorarpolitik in der Zwickmühle

Dr. Fiedler ging auf diese „Zweifel an der Honorarpolitik", wie er es nannte, mit einem konzentrierten Privatissimum über KBV-Berufspo- litik ein. Honorarpolitik könne heu- te nicht mehr allein auf die Erhö- hung einzelner Gebühren, auf das Aushandeln von Zuschlagssätzen beschränkt sein. Sie müsse immer, und in der derzeitigen Situation ganz besonders, die Einflüsse der politischen Umwelt berücksichti- gen, innerhalb der die Ärzte leben und in der Honorarpolitik gemacht werde. Mit dieser Umwelt, wie sie sich bei den Verhandlungen über die Empfehlungsvereinbarung dar- stellte, beschäftigte sich Fiedler dann des Näheren. Es stimme, so gab er offen zu, was lange Zeit auch von prominenten Berufspoliti- kern übergangen wurde, „daß wir tatsächlich das Phänomen der doppelten Dynamisierung vorfin- den". Diese Aussage belegte er mit Medizinberichterstattung

qualitativen Maßstäben zu arbeiten.

Doch waren qualitative Unterschie- de nicht zu übersehen.

Die Mehrzahl der Wissenschaftler steht auch heute noch einer Wis- senschaftsberichterstattung in den Tageszeitungen sehr skeptisch ge- genüber. Der Anteil der Mediziner unter ihnen ist besonders hoch.

Trotz der mannigfaltigen Gefahren, die eine populäre Medizinbericht- erstattung in sich birgt, dürfte ihr Nutzen größer sein. Die Kinderläh- mung wäre nie besiegt worden, wäre nicht mit Hilfe der Massenme- dien die Bevölkerung zu Impfaktio- nen animiert worden. Aufklärungs- feldzüge, seien es seuchenhygie- nische oder allgemein gesundheits- politische, können nur mit Hilfe der Massenmedien erfolgreich bestrit- ten werden.

Forschung selber, und auch die medizinische, vollzieht sich hinter verschlossenen Türen. Es ist aber auch die legitime Aufgabe einer freien Presse in einer freien Gesell- schaft zu versuchen, diese Türen zu öffnen, wobei sie jedoch vor dem Persönlichkeitsschutz, auf den ein Patient Anspruch hat, und der ärztlichen Schweigepflicht haltma.

chen muß.

Dafür muß die Presse die Barriere der Fachsprache überwinden. So muß sie auf der anderen Seite Kür- zeln der Fachsprache breit erläu- tern und wiederum andere Begrif- fe vereinfachen, zusammenziehen und verdolmetschen. Dies kann sich in den seltensten Fällen in ei- ner stillen ruhigen Stunde vollzie- hen. Die Journalisten von Nach- richtenagenturen, die 47,1 Prozent der gesamten Medizinberichterstat- tung bestreiten, müssen das Aufge- nommene unmittelbar umsetzen, und je wichtiger das Ereignis, um so geringer die Zeit, manchmal be- trägt sie nur Minuten.

Anschrift des Verfassers:

Manfred Hellmann

Albert-Schweitzer-Straße 13 4811 Örlinghausen

Berufspolitik

unter Handlungszwang

Honorarpolitik, Schwangerschaftsabbruch, Numerus clausus und ein Lehrstück aus Österreich beim Seminar-Kongreß in Grado

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 4. November 1976 2883

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Berufspolitik in Grade

einigen Merkzahlen, aus denen hervorging, daß tatsächlich die Ho- norarvolumina in den letzten Jah- ren merklich stärker gestiegen sind, als es den ausgehandelten Sätzen entsprach. So seien für 1972 5,27 Prozent ausgehandelt ge- wesen, während die effektive Zu- nahme bei neun Prozent gelegen habe, für 1974 seien 7,65 Prozent vereinbart gewesen, und das Effek- tivergebnis sei um über 15 Prozent gestiegen. Angesichts der tatsäch- lichen Kostensituation, mit der die Krankenversicherung konfrontiert ist, und der hochgeputschten Dis- kussion darüber mußten Zahlen wie diese auf Politiker provozie- rend wirken. Und so erklärten auch Sozialpolitiker wie etwa der Parla- mentarische Staatssekretär des Bundesministers für Arbeit und So- zialordnung, Buschfort, die 15 Pro- zent seien zuviel; die Bundesregie- rung erwarte von den Vertragspart- nern Mäßigung. Was Buschfort noch zurückhaltend formuliert hat- te, das forderte dann der SPD-Ab- geordnete Glombig unverblümt:

Die Ärzte sollten sich zu einem be- grenzten Honorarstop verstehen.

Diese Situationsschilderung von Fiedler ergänzte Schulz-Klee um den Hinweis, daß „wir durch Ge- setz gezwungen sind, die wirt- schaftliche Lage der Kassen zu be-

rücksichtigen".

Was dann, über diese politische Diskussion um Kosten und Honora- re hinaus, die Kassenärztliche Bun- desvereinigung zu der Empfeh- lungsvereinbarung schließlich un- mittelbar veranlaßte, läßt sich aus Fiedlers Bemerkung: „angesichts der damals bevorstehenden Verab- schiedung des Kassenarztrechts stand die Kassenärztliche Bundes- vereinigung vor einer prekären Si- tuation", schließen: die KBV wollte das ihr noch relativ günstig er- scheinende Kassenarztrecht ä la Arendt-Vorlage nicht dadurch ge- fährden, daß sie entgegen den Buschfort-Winken aus dem Arbeits- ministerium eine zu harte Honorar- politik betrieb. Daß die Zukunft des Kassenarztrechts (dessen parla- mentarisches Schicksal Schulz- Klee in Grado im Detail beschrieb)

bis heute im dunkeln liegt, das konnte man bei der KBV damals natürlich nicht ahnen.

... und dennoch:

„Ein respektables Ergebnis"

Trotz der von Fiedler angeführten

„prekären Situation" hat diese Ho- norarpolitik „rein volumenmäßig ein gutes Ergebnis gebracht", be- tonte Fiedler vor seinen kritischen Fragern im Saal. Es sei vor allem auch kein Stillhalteabkommen im Sinne des von Glombig geforderten Honorarstops herausgekommen,

„sondern respektable acht Pro- zent". Und was die Aufhebung der Tarifautonomie angehe, die man- che Kassenärzte beschworen hät- ten, so zeige sich gerade mit der Empfehlungsvereinbarung, die die Vertragspartner frei ausgehandelt hätten, das autonome Handeln der Selbstverwaltung. Denn Arendt habe zwar vorher seine Auffassung deutlich erkennen lassen, doch der Sozialminister habe keineswegs ei- nen Druck auf die Vertragspartner ausgeübt. Prof. Deneke kommen- tierte im Anschluß an Fiedlers Rechtfertigung: Die Vertragsauto- nomie sei also geradezu gerettet worden, denn es habe eine staat- liches Honorardiktat gedroht.

Trotz dieser offenen Darlegung ei- ner politischen Zwangslage, in der Honorarpolitik derzeit gemacht werden muß, blieben einige Teil- nehmer im Gradeser Kino „Cri- stallo" skeptisch: sei mit der Emp- fehlungsvereinbarung nicht letzt- lich eine vom Bundesverband der Ortskrankenkassen eingeleitete Politik zu einem vorläufigen Ende gebracht worden, die bereits Mo- nate vorher in Maria Laach publizi- stisch vorbereitet worden sei? Je- mand konstatierte gar — fast stör- risch — eine „Schwächeperiode der KBV" und war damit auf der Li- nie jenes Kritikers aus dem Ple- num, der glaubte, der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung eine Poli- tik der Härte, wie sie die Zahnärzte betrieben, empfehlen zu müssen, (ohne freilich zu erwähnen, daß die- se Politik die Zahnärzteschaft fast zu spalten droht).

Doch die Zahnärzte seien honorar- politisch in einer ganz anderen Si- tuation, erwiderte Fiedler. Denn bei ihnen gehe es nicht um das norma- le Aushandeln von Honorarzu- schlägen, sondern um die Integra- tion der Prothetik, also einer Lei- stung, die — durch die Rechtspre- chung — neu in den Leistungska- talog der Kassen gekommen sei.

Außerdem, so Fiedler, seien die Zahnärzte nicht durch Ambulatori- en bedroht, sie seien zudem be- rufspolitisch geschlossener, und im übrigen habe er persönlich Zweifel, ob deren harte Haltung Erfolg ha- ben werde. Der Beifall aus dem Pu- blikum zu dieser Prophezeihung zeigte, daß diese Meinung von den Zuhörern geteilt wurde.

War diese Vorhersage über die zahnärztliche Honorarpolitik noch relativ klar, so geriet sie hinsicht- lich der Zukunft der kassenärztli- chen Honorarpolitik eher del- phisch. Setzt die Empfehlungsver- einbarung auch Maßstäbe für kom- mende Jahre? Wie beeinflußt die Diskussion um die Kostenentwick- lung künftig die Verhandlungen?

Wie wirken politische Versuche, am Kassenarztrecht und an der Po- sition der Kassenärzte zu kratzen?

Offene Frage. Wer weiß heute schon darauf zu antworten? Fiedler daher: „Wie es weitergehen wird

— da kann man ein Fragezeichen setzen".

Faßbarere Sorgen um die Zukunft haben da die österreichischen Ärz- te: auch sie stehen in Honorarver- handlungen, und ihnen macht die deutsche Empfehlungsvereinba- rung Kummer. Dr. Piaty, der Präsi- dent der österreichischen Ärzte- kammer, sieht in ihr ein „exem- plum malum", denn seine Verhand- lungspartner halten ihm nun Deutschland als nachahmenswer- tes Beispiel vor (das geht bis in die Prozentsätze!), und er befürchtet daraus einen „Rückfall in die Pau- schalsumme", so erklärte er seinen Kollegen aus Österreich, die erst- mals auf einem Grado-Kongreß zu einem eigenen berufspolitischen Seminar geladen waren.

2884 Heft 45 vom 4. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Dr. med. Karsten Vilmar, Vizepräsident der Bundesärztekammer, bei der Eröffnung des X. Internationalen Seminarkongresses der Bundesärztekammer in Grado — ei- nem Jubiläumskongreß, wie Vilmar unter Hinweis auf die X und einem besonderen Dank an den „Kongreßvater" Professor Dr. med. Albert Schretzenmayr be-

merkte; ein Jubiläum besonderer Art insofern, als mit dem Grado-Herbstkongreß vor zehn Jahren erstmals der Typ des Seminarkongresses eingeführt wurde.

Schretzenmayr, der gerade diese Kreation wesentlich gefördert hat, versicherte, daß man diesen Kongreßtyp wie überhaupt die Kongreßfortbildung weiter pflegen werde. Denn der Fortbildungskongreß habe sich (neben dem Schrifttum) als her- vorragendes Medium bewährt, im Gegensatz zu manchen Modeerscheinungen auf dem Fortbildungsmarkt. — Die Jubiläumsfreude war in Grado in diesem Jahr ge- trübt durch die Erdbebenkatastrophe in Friaul, von der Grado selbst freilich nicht berührt wurde. Zu den Erdbebenschäden kamen für die Landschaft — und auch für Grado — die Einbußen durch den Rückgang des Besucherstromes. Um so dankbarer haben die Gradeser, wie der Präsident der Kurverwaltung, Gregori, vor Kongreßteilnehmern mehrfach hervorhob, es begrüßt, daß die Bundesärztekammer ihre beiden Grado-Kongresse auch 1976 beibehielt und die Grado-Freunde unter den Ärzten diese Fortbildungskongresse weiterhin favorisierten. Der Herbstkon- greß Ende August/Anfang September zählte 880 Teilnehmer (gegenüber 877 in 1975), der Frühjahrskongreß trotz der frischen Erinnerung an die (ersten) Beben immerhin 906 Teilnehmer (1975 waren es 1096) Foto: Zuliani, Grado

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Berufspolitik in Grado

Das meiste, was in dieser berufs- politischen Stunde der Österrei- cher zur Sprache kam, mußte deut- schen Ohren vertraut vorkommen

— einmal abgesehen davon, daß die Terminologie sich in beiden Ländern auseinanderentwickelt.

Aus Piatys Worten wurde seinen Zuhörern sehr schnell klar, daß in Österreich in der Berufspolitik heu- te mit härteren Bandagen gefoch- ten wird als in früheren Jahren. Die Situation in diesem Land ist frei- lich auch danach, denn in mancher Hinsicht ist das, was unter dem Begriff Sozialisierung zusammen- gefaßt wird, bei unserem südlichen Nachbarn zu einem guten Teil wei- ter vorgedrungen als hierzulande.

Lehrstück aus Österreich

So gibt es dort bereits seit länge- rem Ambulatorien für den Vorsor- gebereich, und um die Ausweitung des Ambulatoriennetzes ist jetzt ein heftiger Streit zwischen Ärzten einerseits und Kassen wie Regie- rung andererseits entbrannt. Die Ärztekammer hat bisher auf deren Errichtung insofern einen gewissen Einfluß, als Ambulatorien nur bei nachgewiesenem Bedarf eingerich- tet werden dürfen und die Kammer bei der Bedarfsfeststellung gehört werden muß. In der nächsten Run- de im Kampf um die Ambulatorien, die jetzt in Österreich eingeläutet ist, soll die Ärzteschaft aus diesem Verfahren der Bedarfsfeststellung herausgeboxt werden.

An diesem Vorgang zeigt sich exemplarisch, daß ein kleiner Sy- stembruch (= Ambulatorien „nur"

für die Vorsorge und „nur" da, wo nötig) immer weitere Einbrüche zur Folge hat; daß alle jene, die aus ideologischen Gründen eine insti- tutionalisierte Medizin bevorzu- gen, niemals mit einem bißchen Sozialisierung, mit einigen Modell- ambulatorien zufrieden sein wer- den, sondern große Ziele nicht aus den Augen verlieren. In Österreich spielt sich also etwas Grundsätzli- ches ab, und die österreichischen Ärzte — zumindest jedoch ihr Prä- sident Piaty — wissen das. Daher ihr harter Widerstand. „Sonst gibt

es eine Wendung, die wir vor uns und dem Nachwuchs nicht werden vertreten können", meint Piaty.

Und: „Eine Chancengleichheit zwi- schen Ambulatorien und niederge- lassenem Arzt gibt es nicht". Die Österreicher würden, versichert ihr Präsident, auch „schwerste Aus- einandersetzungen nicht scheuen".

Bislang werde die Ausdehnung der Ambulatorien freilich auch dadurch gestört, daß sich zu wenig Ärzte zur Mitarbeit finden. Doch Piaty be- fürchtet, mit der in Österreich be- reits zu beobachtenden „Medizi- nerschwemme" werde dieses Hin- dernis schnell beiseite gespült. Ein erstes Anzeichen für einen Medizi- nerüberschuß, über den in Öster- reich übrigens schon weit früher offen diskutiert wurde als hierzu- lande, zeige sich in diesem Herbst,

wenn 300 bis 400 Jungärzte ver- geblich nach einer Planstelle Aus- schau hielten. Der Numerus clau- sus, den es in Österreich bei Stu- dieneingang nicht gibt, verschiebt sich dort nämlich auf den Berufs- eingang und versetzt die Kranken- häuser in die Lage, ihre Einstel- lungsbedingungen für den Nach- wuchs heraufzuschrauben.

Von Nachwuchswelle und Manövriermasse

Gefahren dieser Art sieht Dr. med.

Karsten Vilmar mittelfristig auch für die Bundesrepublik Deutsch- land. Er äußerte in Grado zwar Ver- ständnis für die Ärzte, deren eige- ne Söhne und Töchter durch den Numerus clausus gehindert wer- den, den Beruf des Vaters zu er-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 4. November 1976 2885

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Berufspolitik in Grado

greifen. Doch warnte er vor dem Fehlschluß, die Universitäten ein- fach weiter zu öffnen. Denn eben das hätte (wie sich in Österreich bereits jetzt zeigt) nur eine Ver- schiebung des Problems ins Kran- kenhaus zur Folge. Vilmar sprach von einer "ärztlichen Manövrier- masse", die den Krankenhäusern die Möglichkeit gibt, einseitig die Einstellungs- und Berufsbedingun- gen zu diktieren. Nicht zuletzt, um ein Gegengewicht gegen solche Absichten zu setzen, setzt sich Vil- mar dafür ein, die Berufsmöglich- keit in der freien Praxis zu verbes- sern. Als einen Weg bezeichnete er das modifizierte Belegarztwesen, wie es zuletzt noch der 79. Deut- sche Ärztetag vorgeschlagen hat.

"Soziale Indikation" - ungeliebte Realität

Auf den ersten Blick um Kranken- hausfragen ging es auch in der Diskussion um die Durchführung des § 218, kam doch hier vor allem die Sprache darauf, ob Kranken- häuser die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nach sozialer Indikation ablehnen kön- nen. Mit Dr. med. Dietrich Maiwald war ein Referent anwesend, in des- sen Land (Baden-Württemberg) die- ses Problem besonders umstritten ist. Verschiedene Kreiskranken- häuser weigern sich nämlich, Ein- griffe nach dieser Indikation auszu- führen. Die beiden Meinungen: Hie

"Soziale Indikation gleich Abtrei- bung gleich Mord", hie "Soziale In- dikation gleich geltendes Recht"

prallen, wie Dr. Maiwald in Grado vortrug, in seinem Land besonders heftig aufeinander. Über seine ei- gene Haltung ließ er keinen Zwei- fel: Er habe sich immer dazu be- kannt, daß "die medizinische ln- diaktion unsere (ärztliche) Indika- tion ist". Andererseits aber sei er als Präsident einer Landesärzte- kammer Vertreter einer öffentlich- rechtlichen Körperschaft und inso- weit für die Durchführung des gel- tenden Rechts mitverantwortlich.

Und aus dem geltenden Recht folgt nach Maiwald auch, daß "die Schwangere ein Anrecht auf die Einlösung des Bundesrechts" hat.

Die Haltung der Kreistage, die in den von ihnen getragenen Kran- kenhäusern Schwangerschaftsab- brüche nach sozialer Indikation nicht zulassen wollen, erschwert zweifellos ein solches "Anrecht".

Maiwald bestritt den Kreistagen, sich auf die Gewissensklausel be- rufen zu können, er hielt es für nicht möglich, "mit einem institu- tionellen Gewissen behaftet zu sein." in Grado folgte darauf eine zum Teil bekenntnishafte Diskus- sion über individuelles und institu- tionelles Gewissen. Sie drohte so auszuufern, daß Professor Deneke seine Erfahrung kundtat, wonach eine §-218-Diskussion der Tod je- der Veranstaltung sein könne.

Zuvor freilich hatte Deneke noch einmal erläutert, daß das neue Strafrecht lediglich zum Inhalt habe, daß eine Abtreibung unter bestimm- ten Bedingungen nicht mehr be- straft wird, daß jedoch mit dieser Strafrechtsbestimmung keineswegs auch ein Recht auf Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verbunden sei. Zu Unre·cht sei die Straffreistellung in der Öffentlich- keit als gleichbedeutend mit einem Recht auf Schwangerschaftsab- bruch hingestellt worden.

Im Hinblick auf die zuvor heftig diskutierte Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich Kran- kenhäuser und Ärzte weigern könnten, Schwangerschaftsabbrü- che vorzunehmen, fragte Deneke, was passiere, wenn entgegen man- cherlei Erwartungen nach der Ver- abschiedung der §-218-"Reform"

nicht genügend Möglichkeiten für den legalen Schwangerschaftsab- bruch bereitstünden. Deneke glaubt, daß dann der Staat ge- zwungen sei, entsprechende Stel-

len zu schaffen.

Und damit bekommen selbst so un- terschiedliche Themen wie die

"Honorarpolitik" und "§ 218" eine

Verbindung: in beiden Fällen die drohende Forderung an die Ärzte, aus eigener Initiative im Sinne der öffentlichen Erwartungen zu han- deln, soll ihnen nicht der böse Staat zuvorkommen. NJ

2886 Heft 45 vom 4. November 1976 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Seit dem 25. Oktober:

Neue Anschrift,

neue Telefonnummer der Redaktion

Bitte, beachten Sie: Am Montag, dem 25. Oktober, hat die Redaktion des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES ihren Sitz in die unmit- telbare Nähe der Bundes- ärztekammer und der Kas- senärztlichen Bundesverei- nigung verlegt. Die An- schrift der Redaktion lautet jetzt:

Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41

(Lindenthal).

Die Redaktion ist telefo- nisch über die Durchwahl- sammelnummer

(02 21) 47 28-1

zu erreichen; für Fernschrei- ben gilt die neue Telexnum- mer 8 882 308 daeb d.

..". Bitte, beachten Sie, daß die Anschrift des Deut- schen Ärzte-Verlages und der Anzeigenabteilung des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES unverändertbleibt Sie lautet:

Dieselstraße 2, Postfach 40 04 40, 5000 Köln 40 (Lövenich), Telefon: (0 22 34) 70 11-1, Fernschreiber:

8 89 168 daev d.

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