A 948 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 19|
10. Mai 2013 handlungen beschäftigt) zu einem ab-seits des allgemeinen Praxisbetriebs gelegenen Behandlungsraum. Dort befand sich hinter verschlossener Tür der „Notfall“: Eine 60-jährige, adrett gekleidete und gepflegte Patientin in gutem Allgemeinzustand, die offen- sichtlich unter den skizzierten Rah- menbedingungen, sich selbst überlas- sen, ihr Leben „ausgehaucht“ hatte.
Die Pupillen waren beidseits maxi- mal weit, entrundet und lichtstarr.
Auf meine Frage erklärte der ortho- pädische Kollege, dieses „Ereignis“
sei plötzlich und unvermittelt vor et- wa 30 Minuten eingetreten. Ich fragte ihn, weshalb er nicht in Zusammen- arbeit mit seinen zahlreichen Helfe- rinnen wenigstens elementare Wie- derbelebungsmaßnahmen eingeleitet hätte. Er gab mir zur Antwort, zu die- sem Zweck hätte er ja schließlich uns angefordert.
So lange es neben anderen auch sol- che Ärzte gibt, sollte das Notfallsa- nitätergesetz eigentlich dahinge- hend formuliert werden, dass der Notfallsanitäter so lange rechtlich abgesichert sämtliche erforderli- chen und von ihm beherrschten not- fallmedizinischen Maßnahmen durchführen kann und darf, bis ein notfallmedizinisch kompetenter, er- fahrener und handlungsfähiger (!) Arzt zur Verfügung steht.
Die Mehrzahl der notfallmedizini- schen Maßnahmen, auch die invasi- ven Prozeduren, erfordern weniger eine akademische Ausbildung als vielmehr praktische Erfahrung und handwerkliches Geschick. Auch die präklinisch applizierten Notfallme- dikamente sind in ihrer Palette durchaus überschaubar . . .
Unter diesen Aspekten erscheint die distanzierte Stellungnahme unserer ärztlichen Standesvertreter wenig nachvollziehbar. Anstatt auf aus- schließlichen ärztlichen Zuständig- keiten zu beharren, sollte ein kon- struktives Hand-in-Hand-Arbeiten der verschiedenen Funktionsträger favorisiert werden, auch und gerade im Falle unmittelbarer Handlungs- erfordernisse der Notfallmedizin . . . Die Patientensicherheit wäre hinge- gen maximal gefährdet, wenn ein notfallmedizinisch versierter Arzt vor Ort fehlt und die anwesenden Notfallsanitäter dringliche und von
ihnen beherrschte Maßnahmen aus Rechtsgründen unterlassen würden.
Prof. Dr. med. Jörg Piper, Chefarzt der Inneren Medizin, Meduna-Klinik, 56864 Bad Bertrich
S TUDIUM
Nur drei Prozent der Studierenden absol- vieren ihr prakti- sches Jahr in der Allgemeinmedizin (DÄ 10/2013: „Ärztli- che Ausbildung – KBV: Studium bildet Versorgungsrealität nicht ab“).
Es liegt am Numerus clausus
Es ist schwer vorstellbar, dass auch nur ein Hausarzt mehr entstehen würde, wenn es doppelt so viele In- stitute und Professuren für Allge- meinmedizin, auch mit dreifachem Budget etc. gäbe.
Als es noch genügend Hausärzte gab, war von derlei, auch vom Facharzt für Allgemeinmedizin, noch gar nicht die Rede. Daran kann es also nicht liegen; aber woran dann? Es muss wohl am Numerus clausus liegen:
Einserabiturienten sind im Allge- meinen nicht nur klug und fleißig, sondern auch ehrgeizig und karriere- bewusst. Die wollen Professor oder Chefarzt werden. Dazu kommt noch, dass die weiblichen Einserabiturien- ten in der Überzahl sind, ihre Lebens- arbeitszeit jedoch statistisch, aus nahe- liegenden Gründen, nur zwei Drittel der der männlichen Mediziner beträgt.
Das Militär, und das nicht nur bei uns, hat das schon vor Jahrzehnten erkannt und seinen Bedarf an Ärz- ten, am Numerus clausus vorbei, mit anschließender Dienstverpflichtung, ausbilden lassen. Es wäre zwar nicht besonders originell, dafür aber umso effektiver, sich an höherer Stelle mit derlei Gedanken zu beschäftigen.
Unabhängig davon wäre eine drasti- sche Reduzierung des ausufernden Bürokratismus mit Dokumentation, Qualitätskontrollen, Zertifizierun- gen, . . . Hygienebeauftragten etc.
sicher hilfreich, ärztliche Arbeits- zeit freizusetzen . . .
Dr. Wolfram Kindl, 73732 Esslingen
S U U
N S v s A ( c KBV:Studiumbildet
Die Erarbeitung von ärztlichen Gutachten für Auftraggeber wie Berufsgenossenschaften, Unfall- versicherer, Sozialversicherungs- träger und Sozialgerichte gehört sowohl in der Klinik als auch in der Praxis zum medizinischen Alltag. Dabei handelt es sich um eine komplexe und verantwor- tungsvolle Aufgabe. Und dennoch wird dem Thema Begutachtung weder im Medizinstudium noch im Rahmen der Facharztausbil- dung ausreichend Raum einge- räumt. Vielmehr wird die Begut- achtung oft als lästige Nebensache im medizinischen Routineablauf empfunden.
Der Band „Das Handwerk ärztli- cher Begutachtung“ widmet sich den Schwerpunkten: Auftragsüber- nahme, Datenerhebung und Daten- auswertung, Zusatzuntersuchun- gen, Exploration des Probanden
und kritische Beurtei- lung medizinischer Sach- verhalte im Kontext ju- ristischer Fragestellun- gen.
Einzigartig am Buch ist, dass es die Unter- schiede und Gemein- samkeiten von Defini- tionen und gutachterli- chen Sichtweisen der Rechtssysteme Deutsch- lands, der Schweiz und Österreichs würdigt. Be- achtung fanden auch Aspekte der Qualitätssicherung im Rahmen der Begutachtung: Leitlinien der Deut- schen Rentenversicherung, Leitfa- den Versicherungsmedizin der Schweiz und versicherungsmedizi- nische Gutachten.
Der Band ist in allen medizini- schen Fachrichtungen in der Aus- bildung hervorragend verwendbar.
Für den erfahrenen Gutachter bie- tet er viele Tipps, Hintergrundin- formationen und weiterführende Literatur. Andreas Dehne Ulrike Hoffmann-Richter, Jörg Jeger, Holger Schmidt: Das Handwerk ärztlicher Begutach- tung. Kohlhammer, Stuttgart 2012, 288 Seiten, gebunden, 59,90 Euro
ÄRZTLICHE BEGUTACHTUNG