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Bericht und Meinung
71. Jahrgang / Heft 18 2. Mai 1974
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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Ärztliche Mitteilungen
Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung
Numerus clausus
auch in der Berufsbildung?
Stimmungsumschwung bei der Bundesregierung
Erst waren es Vermutungen und Befürchtungen, jetzt ist es amtlich!
Wie von der Bundesanstalt für Arbeit (Nürnberg) bestätigt wurde, ist die Zahl der Ausbildungsstätten in der Bundesrepublik inner- halb der letzten drei Jahre auf 371 000 Plätze gesunken. Ein Rück- gang also um etwa 40 Prozent!
Das veranlaßt zu den Fragen: Werden Ausbildungsplätze zukünftig knapp werden, so knapp, daß durch bedarfsorientierte dirigistische Maßnahmen des Staates die Zahl der Ausbildungswilligen gesteu- ert werden muß? Gibt es bald auch einen Numerus clausus in der Berufsbildung?
Der reformfreudigen Bundesregierung macht diese Entwicklung — sie gesteht es offen ein — Sorge. Sie ist inzwischen sogar recht zu- rückhaltend in ihren Bemühungen um die Bildungsreform ge- worden.
Wollte die Bundesregierung noch vor kurzem von allen Betrieben eine Berufsbildungsabgabe zur Finanzierung der beruflichen Bil- dung fordern, so überlegt sie heute bereits, ob ein finanzieller An- reiz die Bereitschaft zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen er- höhen kann.
Die Ursachen für diesen Stimmungsumschwung sind vielschichtig.
Von den Reformern werden sie einmal in der abflachenden Kon- junktur gesehen und damit zusammenhängend in einem verstärk- ten Kostenbewußtsein der ausbildenden Unternehmer. Der Trend zum Einsparen von Auszubildenden ist unverkennbar: Die Aus- bildungsbetriebe passen die „Ausbildungskapazität dem vorge- schätzten eigenen Nachwuchsbedarf" an. Zugeschrieben wird diese Entwicklung aber auch den geburtenstarken Jahrgängen und damit der größeren Zahl von Schulabgängen, strukturellen Veränderun- gen in der Wirtschaft, dem Numerus clausus der Hochschulen und dem Berufsbildungsgesetz von 1969, das durch die Erhöhung der
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 2. Mai 1974 1283
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Bericht und Meinung
Numerus clausus in der Berufsbildung?
Anforderungen an die Berufsbil- dung ungeeignete Ausbildungsbe- triebe aussondere.
Alle diese Argumente, die sicher einen wahren Kern enthalten, las- sen aber außer acht, daß vor al- lem durch den reformerischen Übereifer die Anforderungen an die Ausbildungsstätten immer mehr gesteigert wurden. Neue Rechts- verordnungen, neue Bestimmungen führten zu einer Überforderung der Ausbildungsbetriebe und der Aus- bilder. Es wird geflissentlich über- sehen, daß die bildungsreformeri- schen Siebenmeilenschritte eher zu einer Verunsicherung der Be- troffenen führten.
Verunsicherung (und dann Resi- gnation?) löste auch die politische Diskussion um ein neues Berufsbil- dungsgesetz aus. Das Bundeskabi- nett hatte am 15. November 1973 die „Grundsätze zur Neuordnung der beruflichen Bildung" beschlos- sen. Diese „Markierungspunkte"
sollten Basis eines entsprechenden Referentenentwurfs für eine völlige Novellierung des — nach Meinung der Bildungsreformer — heute schon überholten Berufsbildungs- gesetzes von 1969 sein. Ziel dieses neuen Berufsbildungsgesetzes ist es, dem Staat immer mehr Kompe- tenzen in der beruflichen Bildung zu übertragen. Die berufliche Bil- dung würde dann zwangsläufig an schulischen Einrichtungen erfolgen.
Hinreichend bekannt ist aber die personelle Misere an den Be- rufsschulen, ein Bereich, der der staatlichen Kompetenz heute schon untersteht. Auch der unvor- eingenommene Beobachter wird deshalb mit großer Sorge alle Plä- ne beargwöhnen, die darauf abzie- len, die Berufsbildung in ein neu- es bildungsbürokratisches System einzuzwängen. Zu bezweifeln ist, daß derartige gesetzliche Maßnah- men die Effizienz der beruflichen Bildung verbessern. Fest steht be- reits heute, daß solche Pläne der Bildungsreformer die berufliche Bildung verteuern.
Verschreckt sind vor allem die Ausbilder durch die Forderung des
Staates, neben der fachlichen Qua- lifikation auch noch den Nachweis über die hinreichende arbeitspäd- agogische Eignung zu führen. Für den Bereich der Gesundheitsberu- fe erscheint diese Forderung über- höht. Die fachliche Eignung im Sin- ne des Gesetzes wird bei appro- bierten Ärzten, Zahnärzten und Apothekern unwiderlegbar vermu- tet. Da für den Bereich der gewerb- lichen Wirtschaft der Nachweis der besonderen berufs- und arbeits- pädagogischen Kenntnis bei be- standener Meisterprüfung als er- bracht gilt, ist auch nicht einzuse- hen, aus welchem Grunde solche berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse von approbierten Ärz- ten, Zahnärzten und Apothekern nachgewiesen werden sollen. Die Vermittlung solcher Kenntnisse kann viel eher in Fortbildungsver- anstaltungen erfolgen als auf der Basis einer perfektionistischen Verordnung. Welche kuriose Vor- stellung: der Arzt darf seinen Nachwuchs ausbilden, nicht jedoch sein Hilfspersonal!
Verwundert nimmt man deshalb die Äußerungen der Bundesregierung zur Kenntnis, daß durch politische Entscheidungen das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstätten nicht direkt beeinflußt wird. Unver- ständlich ist dann auch die Absicht durch flankierende — politische?
— Maßnahmen zur Sicherung ei- nes hinreichenden Angebots an qualifizierten Ausbildungsplätzen beizutragen. Das soll erfolgen durch Überprüfung der Über- gangsfristen der Ausbildereig- nungsverordnung, eine Anrech- nungsverordnung für das Berufs- grundschuljahr und Ausbildungs- ordnungen, um sie flexibler zu ge- stalten.
Vielleicht sollte der Bildungsmini- ster auch neue „Markierungspunk- te" setzen, die den Weg zu Pro- blemlösungen eröffnen, die an der Wirklichkeit orientiert sind. Der Re- ferentenentwurf zu einem neuen Berufsbildungsgesetz gehört dazu.
Franz Stobrawa
DER KOMMENTAR
Über den Leisten geschlagen
Unter der Überschrift „Deutsch- lands Denkfabrik am Ende — Wie die Ministerialbürokratie kritische Institutionen zähmt" veröffentlichte die Wochenzeitung „Die Zeit" Mitte März einen langen Bericht über die
„Heidelberger Studiengruppe für Systemforschung". Zähmen — das heißt laut „Die Zeit" hier: abwür- gen, aushungern, auflösen, beseiti- gen. Lang und breit wird darge- stellt, wie die Ministerialbürokra- ten, insbesondere des Wissen- schafts- und des Forschungsmini- steriums, sich von der herben Kri- tik der „Systemforscher" beleidigt gefühlt, sie schließlich immer schlechter behandelt und endlich des finanziellen Lebenssaftes be- raubt haben.
Letzteres allerdings können die mi- nisterialen Herren gar nicht selbst, das kann nur das Parlament. Der Haushaltsausschuß des Bundesta- ges hat denn auch ab 1975 die Planstellen für die Mitarbeiter der Studiengruppe gestrichen, und zwar — bemerkenswert! — auf An- trag eines SPD-Abgeordneten.
„Heidelberger Systemforscher" — das kommt auch im Gesundheits- wesen vor. Man erinnert sich: Im Laufe des Jahres 1972 hatte eine Untergruppe dieser „Systemfor- scher" das Gesundheitswesen der Bundesrepublik mit Hilfe einer komplizierten Fragebogenaktion aufs Korn genommen und eine Stu- die herausgegeben, von der das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT schrieb, sie sei eine Manipulation, sie sei unwissenschaftlich, eine unmögli- che Vermischung von Fragebogen- fakten und Autorenmeinungen.
Eine Widerlegung dieser Vorwürfe gelang den Systemforschern nicht
— im Gegenteil: Diese zitierten sich im Eifer des Gefechts schließ- lich noch selber falsch (DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT Heft 1/1973, Seite 1, Heft 2/1973, Seite 89, Heft 8/1973, Seite 500). Zwar wurde die- se Studie im Auftrag des Gesund- heitsministeriums sogar noch ge-
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