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Das akute Nierenversagen als Entität des Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS) bei der polymikrobiellen Sepsis

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Academic year: 2022

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(1)

Aus der

Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover

und der

Experimentellen Unfallchirurgie der Unfallchirurgischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

Das akute Nierenversagen als Entität des Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS)

bei der polymikrobiellen Sepsis

INAUGURAL-DISSERTATION

Zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Veterinärmedizin

(Dr. med. vet)

durch die Tierärztliche Hochschule Hannover

Vorgelegt von Janna Schmidt aus Meppen

Hannover 2005

(2)

Wissenschaftliche Betreuung:

Prof. Dr. med. vet. M. Fehr, Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover

und

Prof. Dr. rer. Biol. Hum. Martijn van Griensven, Experimentellen Unfallchirurgie der Unfallchirurgischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

1. Gutachter: Prof. Dr. med. vet. M. Fehr

2. Gutachter: Prof. Dr. med. vet. W. Baumgärtner

Tag der mündlichen Prüfung: 22. November 2005

(3)

meinen eltern, meinen schwestern

&

christian

(4)
(5)

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis...IV

1 Einleitung ... 1

2 Literaturübersicht... 3

2.1 Schock... 3

2.2 Sepsis ... 7

2.3 SIRS, CARS, MARS ... 10

2.4 MODS... 12

2.5 Neutrophile Granulozyten (PMN) ... 20

2.6 Zytokine... 23

2.6.1 Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) ... 24

2.6.2 Interleukin-6 (IL-6) ... 26

2.6.3 Interleukin-10 (IL-10) ... 28

2.7 Akutes Nierenversagen (ANV)... 29

2.8 Nierenfunktionsparameter ... 37

2.9 Sepsisinduktion durch CLP... 38

2.10 Typ-IV-Reaktion ... 41

2.11 Stressauswirkungen auf Immunsystem und Niere... 42

3 Fragestellung... 45

4 Material, Methoden und Auswertung ... 46

4.1 Material ... 46

4.1.1 Geräte und Instrumente ... 46

4.1.2 Chemikalien und Medikamente ... 47

4.1.3 Verbrauchsmaterialien ... 47

(6)

4.2 Methoden... 48

4.2.1 Versuchstiere ... 48

4.2.2 Versuchstiergruppen... 48

4.2.3 Versuchsprotokoll ... 50

4.2.3.1 Zeitplan... 50

4.2.3.2 Operation (Sham bzw. CLP) ... 51

4.2.3.3 Tägliche Maßnahmen ... 51

4.2.4 Harngewinnung zur Bestimmung der Nieren-clearance... 52

4.2.4.1 Kreatinin... 52

4.2.4.2 Inulin und PAH ... 52

4.2.5 Probengewinnung... 53

4.2.5.1 Sektion... 53

4.2.5.2 Blutgewinnung ... 53

4.2.5.3 Organe ... 53

4.3 Auswertung ... 54

4.3.1 Aktivität (Verhalten), Körpergewicht und Körperinnentemperatur... 54

4.3.2 Typ-IV-Reaktion ... 54

4.3.3 Zytokine ... 55

4.3.4 Histologie ... 56

4.3.5 Kreatinin... 59

4.3.6 Inulin ... 60

4.3.7 PAH... 61

4.3.8 Clearance der Niere ... 62

4.3.9 Statistik... 63

5 Ergebnisse ... 64

5.1 Letalität ... 64

5.2 Aktivität (Verhalten)... 67

5.3 Körpergewicht ... 68

5.4 Körperinnentemperatur ... 70

5.5 Typ-IV-Reaktion ... 71

5.6 Zytokine... 72

5.7 Histologie... 74

5.7.1 Lunge... 74

5.7.2 Leber... 77

5.7.3 Milz ... 81

5.7.4 Niere ... 84

(7)

5.8 Kreatinin-clearance... 88

5.9 Inulin-clearance... 89

5.10 PAH-clearance... 90

6 Diskussion ... 91

6.1 Aktivität (Verhalten), Körpergewicht, Körperinnentemperatur und Letalität... 92

6.2 Typ-IV-Reaktion ... 93

6.3 Zytokine... 94

6.4 Histologie... 95

6.4.1 Lunge... 96

6.4.2 Leber... 97

6.4.3 Milz ... 98

6.4.4 Niere ... 99

6.5 Nierenfunktionsparameter: GFR und RBF... 101

6.6 Abschließende Diskussion... 102

7 Zusammenfassung... 106

8 Summary ... 107

9 Literaturverzeichnis... 108

(8)

Abkürzungsverzeichnis

ADH antidiuretisches Hormon ANP atriales natriuretisches Peptid ANV akutes Nierenversagen

ARDS adult respiratory distress syndrome;

adultes respiratorisches Erschöpfungssyndrom ARF acute renal failure; akutes Nierenversagen

ATP Adenosintriphosphat

C3a Komplementfaktor 3a

C5a Komplementfaktor 5a

CARS compensatory antinflammatory response syndrome;

kompensatorisches Antientzündungsantwortsyndrom

CHAOS cardiovascular shock, homeostasis, apoptosis, organ dysfunction, immune suppression

CLP caecal ligation and puncture; zäkale Ligation und Punktion DIC disseminated intravascular coagulation;

disseminierte intravasale Gerinnung DNS Desoxyribonukleinsäure

DNFB 2,4-Dinitrofluorobenzen

eNOS endotheliale Stickstoffmonoxid-Synthase GALT gut associated lymphatic tissue;

darmassoziiertes lymphatisches Gewebe GFR glomeruläre Filtrationsrate

HE Hämatoxylin/Eosin

ICAM-1 intercellular adhesion molecule-1; interzelluläres Adhäsionsmolekül–1

IFN Interferon

Ig Immunglobulin

IL Interleukin

iNOS induzierbare Stickstoffmonoxid-Synthase K+ATP-Kanal adenosintriphosphatabhängiger Kaliumkanal

(9)

K+Ca-Kanal kalziumabhängiger Kaliumkanal

LBP lipopolysaccharid binding protein; lipopolysaccharidbindendes Protein

LPS Lipopolysaccharide

MARS mixed agonist response syndrome;

gemischtes agonistisches Antwortsyndrom MCP-1 monocyte chemoattractant protein 1

MHC major histocompatibility complex; Haupthistokompatibilitätskomplex MOD multiorgan dysfunction; Multiorgandysfunktion

MODS multiorgan dysfunction syndrome; Multiorgandysfunktionssyndrom

MOV Multiorganversagen

NADP Nikotinsäureamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat

NADPH2 reduziertes Nikotinsäureamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat

NO Stickstoffmonoxid

NOS Stickstoffmonoxid-Synthase

PAF platelet activating factor; plättchenaktivierender Faktor

PAH Para-Aminohippursäure

PMN polymorphonuclear granulocytes; neutrophiler Granulozyt RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System

RBF renaler Blutfluss

RES retikuloendotheliales System

SIRS systemic inflammatory response syndrome;

systemisches Entzündungsantwortsyndrom SMAO superior mesenteric artery occlusion;

Okklusion der Arteria mesenterica superior TH-Zellen T-Helferzellen

TLR4 toll-like-receptor 4

TNF Tumornekrosefaktor

TNFR1 Tumornekrosefaktorrezeptor 1

TUNEL terminal deoxynucleotidyl transferase-mediated dUTP nick end labeling VCAM-1 vascular cell adhesion molecule-1; vaskuläre Adhäsionsmolekül-1

Ferner gelten die allgemeinen SI-Einheiten und die chemischen Elemente

(10)
(11)

1 Einleitung

Über lange Zeit war die klinische Versorgung polytraumatisierter Schockpatienten das Hauptproblem in der Notfallmedizin. Mit Trauma einhergehende große Blutverluste konnten nur ungenügend gestillt, geschweige denn ersetzt werden, so dass die meisten Patienten den Folgen erlegen waren. Doch die rettungsmedizinischen Maßnahmen wurden fortschreitend verbessert. In den 60er Jahren ermöglichte der Einsatz von Hubschraubern als Transportmittel eine noch schnellere adäquate medizinische Versorgung. Vor allem umfangreiche Volumenersatztherapien sicherten das initiale Überleben polytraumatisierter Schockpatienten.

Damit gewannen andere Problemstellungen an Bedeutung. So entwickelten sich mit den Verleztungen Infektionen, die nach Generalisierung rasch zum klinischen Bild einer Sepsis führen. Außerdem wird durch die schockbedingte Zentralisierung der Gastrointestinaltrakt derart belastet, dass die nachfolgende Freisetzung pathogener Substanzen eine Sepsis bzw.

einen septischen Schock zur Folge hat (HASSOUN et al. 2001).

Studien führten zum Nachweis des systemischen Entzündungsantwortsyndroms (SIRS;

systemic inflammatory response syndrome). Dabei führen endogene Mediatoren einer entgleisten Immunantwort an den Endothelien der Mikrozirkulation zu Entzündungsreaktionen und in der Folge zum funktionellen Versagen der Organsysteme (DEITCH 1992). Zunächst stand dabei ein respiratorisches Syndrom im Vordergrund.

Luftnot, erhöhte Körpertemperatur und zentrale Zyanose wurden unter der Bezeichnung

„Schocklunge“ zusammengefasst (MOON 1932; JENKINS et al. 1950). Später wurde der noch heute gültige Begriff des adult respiratory distress syndrome (ARDS) eingeführt (ASHBAUGH et al. 1967).

Für einige Zeit galt dieses Syndrom als häufigste Todesursache auf Intensivstationen (ASHBAUGH et al. 1967; BAUE 1975; PONTOPPIDAN et al. 1985). Später wurde aufgrund der Fortschritte in der Intensivmedizin auch die Beteiligung weiterer Organe erkannt.

Zunächst durch TILNEY et al. (1973) als distal organ failure bezeichnet, prägte BAUE (1975) den Begriff des multiplen Organversagens (MOV). Inzwischen ist dieser Begriff auf der Konsensuskonferenz der „Society of Critical Care Medicine“ und des „American College of Chest Physicians“ 1991 definiert und durch die Bezeichnung

(12)

Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS; multiorgan dysfunction syndrome) ersetzt worden (BONE et al. 1992).

Neben den zunächst betroffenen Organsystemen Lunge, Leber, Kreislauf und Intestinum (FAIST et al. 1983) kommt der Niere als eines der zuletzt betroffenen Organe eine zentrale Bedeutung zu, weil mit ihrer Beteiligung eine sehr hohe Mortalität verbunden ist (GORIS et al. 1985).

(13)

2 Literaturübersicht

2.1 Schock

Der Schock ist eine der häufigsten Todesursachen bei Notfall- und Intensivpatienten.

Unbehandelt führt er unweigerlich zum Tod des Patienten. So liegt die Letalität für die häufigsten Formen des kardiogenen und hypovolämischen Schocks bei 60% (HOCHMANN et al. 2000).

Schock ist definiert als unzureichende Durchblutung vitaler Organsysteme unterschiedlicher Ausprägung mit nachfolgender Gewebehypoxie als Ausdruck des Missverhältnisses zwischen Sauerstofftransport und Sauerstoffaufnahme. Dabei beruht die kritische Abnahme der Durchblutung unabhängig von der Ätiologie entweder auf einem absolut oder relativ verminderten Herzzeitvolumen, vermindertem intravasalen Blutvolumen, einer Verteilungsstörung des Blutflusses in der Peripherie oder einer Kombination dieser Störungen (JANSSENS u. HANRATH 1994). Die klassische Einteilung der Schockformen erfolgte nach HINSHAW und COX (1972) in den kardiogenen, distributiven, obstruktiven und hypovolämischen Schock (Tabelle 1).

Tabelle 1: klassische Einteilung der Schockformen nach HINSHAW und COX (1972) Kardiogen primäres Versagen der Pumpleistung des Herzens

Distributiv pathologischer Anstieg der Gefäßkapazität

• Septischer Schock

• Anaphylaktischer Schock

• Neurogener Schock

Obstruktiv Behinderung der Auswurffunktion des Herzens z.B. durch - fulminante Lungenembolie

- kritische Aortenstenose - akute Perikardtamponade

Hypovolämisch herabgesetzter venöser Rückstrom zum Herzen bei normalen Pumpfunktionen z.B. durch

- akuten Blutverlust

- Flüssigkeitsverlust über Niere oder Darm

- Verbrennungen

(14)

Bei einem kardiogenen Schock ist das Herz die primäre Ursache. Herzerkrankungen aller Art führen zu einer Minderleistung des Herzens und konsekutiv zur Reduktion des Herzzeitvolumens und zu einem Blutdruckabfall. Letzterer entsteht beim distributiven Schock durch eine extreme periphere Vasodilatation. Beim septischen Schock wird die Vasodilatation durch Endotoxine, Zytokine und Entzündungsprodukte gesteuert. Außerdem schädigen diese Substanzen die Gefäßendothelien und das Myokard derart, dass es sowohl zum Austritt von Plasma in das Gewebe als auch zur Beeinträchtigung des Herzzeitvolumens kommt, was den Blutdruckabfall verstärkt (PARKER 1996). Bei einem obstruktiven Schock schafft es das Herz nicht, das Blutvolumen gegen den Widerstand zu befördern, so dass ein physiologischer Blutdruck nicht aufgebaut werden kann. Der hypovolämische Schock dagegen nimmt seinen Ausgang in einem tatsächlichen, absoluten Blutverlust (ADAMS et al. 2001).

Die Pathophysiologie beginnt also bei allen Schockformen mit einem Abfall des Blutdrucks.

Über Baro- und Chemorezeptoren wird das sympathische Nervensystem aktiviert. Die freigesetzten Nebennierenhormone Adrenalin und Noradrenalin bewirken die Steigerung der Herzfrequenz und der Kontraktilität sowie eine periphere Vasokonstriktion. Diese ist besonders stark in Gefäßbetten mit hoher Dichte von α-adrenergen Rezeptoren (Haut, Muskulatur, Splanchnikusgebiet, Niere). Aus dem Splanchnikusgebiet wird dadurch ein überproportional großer Teil des Blutes mobilisiert und damit die Vorlast erhöht (BONGARD 2002). In der Niere wird durch die sympathische Stimulierung das Renin-Angiotensin- Aldosteron-System (RAAS) aktiviert. Der Abfall des systemischen Blutdrucks (vermittelt durch Barorezeptoren), der Abfall des renalen Blutdrucks (vermittelt über den tubuloglomerulären Feedback) sowie einige humorale Faktoren haben gleichermaßen Anteil daran. Die Stimulation bewirkt die Sekretion von Renin überwiegend aus Epitheloidzellen der afferenten Arteriolen. Renin katalysiert die Umwandlung des im Blut zirkulierenden Angiotensinogen zu Angiotensin I, welches durch das endotheliale Angiotensin-converting- enzyme in das biologisch aktive Angiotensin II konvertiert wird. Angiotensin II hat mehrere Wirkungen. Erstens ist es ein potenter Vasokonstriktor, zweitens steigert es die Sekretion von Katecholaminen, drittens bewirkt es selbst und über Stimulation der Aldosteron-Sekretion aus der Nebennierenrinde eine Natriumresorption in der Niere, die eine Wasserretention zur Folge hat und viertens steuert es zusammen mit den Barorezeptoren die Freisetzung des antidiuretischen Hormons (ADH) aus dem Neurohypophyse (JANSSENS u. GRAF 2004).

(15)

ADH bewirkt in niedrigen Dosen eine Wasserretention in den Sammelgängen der Niere, in höheren Konzentrationen, wie bei Sepsis (BAKER et al. 1990), ist es zusätzlich ein Vasokonstriktor. Zudem unterstützt es Noradrenalin in seiner Wirkung (BARTELSTONE u.

NASMYTH 1965) und inhibiert vasodilatorische Mechanismen wie Stickstoffmonoxid (NO) (UMINO et al. 1999), das atriale natriuretische Peptid (ANP) (NAMBI et al. 1986) und den adenosintriphosphatabhängigen Kaliumkanal (K+ATP) (WAKATSUKI et al. 1992) (siehe unten).

Sind durch die Kreislaufzentralisierung das Herz und das zentrale Nervensystem ausreichend versorgt, leiden die Mikrozirkulation und damit auch Darm und Niere unter dem konsekutiven Sauerstoffmangel. Dabei ist der Grad des Schocks mit dem der Sauerstoffschuld assoziiert (ASTIZ et al. 1993). Das Sauerstoffdefizit beruht auf dem verminderten Herzzeitvolumen sowie der damit verbundenen schlechten Sauerstoffsättigung des Blutes.

Sind Sepsis, Verbrennungen oder Trauma an dem Schock beteiligt, besteht zusätzlich ein deutlich erhöhter Sauerstoffbedarf (JANSSENS u. GRAF 2004). Unter normalen Bedingungen kann die Sauerstoffextraktion abhängig vom Bedarf gesteigert werden, im Schock erschöpfen sich die Vorräte jedoch (ASTIZ et al. 1993). Dies hat einen Mangel an ATP, das Versagen der Natrium-Kalium-Pumpe und eine mitochondriale Dysfunktion zur Folge (SKOWRONSKI 1988).

Der zelluläre Energiestoffwechsel muss in dieser Situation auf die anaerobe Glykolyse umgestellt werden, wobei neben dem notwendigen ATP eine Reihe toxischer Substanzen (SKOWRONSKI 1988), unter anderem Laktate entstehen. Ein Teufelskreis beginnt. Durch das Laktat werden noch mehr Katecholamine freigesetzt, die jedoch aufgrund von Rezeptorerschöpfung keine Wirkung mehr entfalten können. Es kommt zu Herzarrhythmien, Herabsetzung des Herzzeitvolumens und - zunächst im präkapillaren Bereich - zur Vasodilatation (STERN u. BOBEK 2001). Gleichzeitig tritt aufgrund des eingeschränkten Stoffwechsels in der Peripherie eine Hypothermie auf (GENTILELLO 1999). Diese zieht ebenfalls Herzarrhythmien, ein vermindertes Herzzeitvolumen sowie eine weitere Laktatproduktion nach sich. Zudem ist bei Hypothermie der Sauerstofftransport beeinträchtigt (BONGARD 2002). Die präkapilläre Vasodilatation führt zu einer Stagnation mit Austreten von Flüssigkeit, Proteinen und Elektrolyten in das Gewebe. Die Ödembildung beeinflusst die Mikrozirkulation zusätzlich negativ. Durch Stagnation und Hypothermie steigt die Viskosität

(16)

des Blutes. An den zunehmend geschädigten Gefäßen setzt die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC; disseminated intravascular coagulation) ein und verstärkt die Ischämie. Bei langanhaltendem und schwerem Verlauf kann es zu einer ausgeprägten therapierefraktären Vasodilatation kommen. Selbst wenn die Grundkrankheit erfolgreich behandelt werden konnte, persistieren die Hypotonie und die Hypoperfusion (LANDRY u. OLIVER 2001).

Durch die Vasodilatation kommt es zur Reperfusion des zuvor ischämischen Gebiets, was zur Entstehung und zum Weitertransport von Entzündungsmediatoren (Kapitel 2.4:

Ischämie/Reperfusionshypothese) und damit zu deren Generalisierung im Sinne eines SIRS führt (Kapitel 2.3). Das Schockgeschehen wird zunehmend überlagert.

Während bei den meisten Schockarten die Vasodilatation erst in der späten, dekompensierten und zumeist irreversiblen Phase einsetzt, beginnt das Schockgeschehen bei Sepsis und beim septischen Schock mit der Vasodilatation. Das Stickstoffmonoxid (NO) bzw. die Stickstoffmonoxidsynthase (NOS), das ADH und der K+ATP-Kanal spielen dabei die Hauptrollen (LANDRY u. OLIVER 2001).

Die bei Sepsis anwesenden bakteriellen Lipopolysaccharide (LPS) führen zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren, wie Interleukin-1 (IL-1), Interleukin-6 (IL-6), Interferon-γ (IFN-γ), Tumornekrosefaktor (TNF-α). Diese induzieren zusammen mit dem LPS und der später einsetzenden Hypoxie die induzierbare NOS (iNOS) in allen Geweben (TAYLOR u.

GELLER 2000; KNOTEK et al. 2001). Während die endotheliale NOS (eNOS) an der physiologischen Regulation des Vasotonus beteiligt ist und nur kleinste Mengen an NO erzeugt (SPAIN et al. 1994), synthetisiert die iNOS NO in hohen Konzentrationen. NO ist ein potenter Vasodilatator. Es verhindert einerseits - zusammen mit dem ebenfalls erhöhten ANP (MARTIN et al. 2000) - die Gefäßmuskelkontraktion direkt, andererseits aktiviert es den regulatorischen, blutdrucksenkenden, kalziumabhängigen Kaliumkanal (K+Ca-Kanal) (MURPHY u. BRAYDEN 1995; QUAYLE et al. 1997). Überdies beeinträchtigt NO die Wirkung von Katecholaminen auf deren Rezeptoren (THIEMERMANN et al. 1993;

HOLLENBERG et al. 2000). ADH wird bei Hypotension sezerniert. Im septischen Schock erschöpfen sich jedoch seine Vorräte (LANDRY u. OLIVER 2001) und seine mittelbaren wie unmittelbaren drucksteigernden Wirkungen entfallen (siehe oben). Der K+ATP-Kanal ist regulatorisch am Vasotonus beteiligt. Durch ATP-Mangel, NO (MURPHY u. BRAYDEN

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1995), ANP und Adenosin (QUAYLE et al. 1997) wird er geöffnet, was die Vasodilatation zusätzlich verstärkt.

Diese Reaktionen laufen an allen Gefäßen der Haut, der Muskulatur, des Darms und der Niere ab. Die letzten beiden Organe sind dabei im Rahmen des MODS von besonderer Bedeutung.

Der Darm wird durch die hypoxischen Zustände im Schock in Mitleidenschaft gezogen. Das macht ihn bei vasodilatationsbedingter Reperfusion zum „Motor des MODS“ (MEAKINS u.

MARSHALL 1986), da er dann zur Quelle von LPS und Entzündungsmediatoren wird (HASSOUN et al. 2001) (Kapitel 2.4). Die Niere greift anfangs regulatorisch in den schockbedingten Blutdruckabfall ein, um zentrale Organe zu schützen. Zunehmend ist sie jedoch selbst von Schädigungen betroffen. Diese setzten schon bei Minderperfusion im Schock ein. Wenn sich aus dem Schock SIRS und MODS entwickeln, ist die Niere das letzte, irreversibel betroffene Organ mit meist letalem Ausgang (Kapitel 2.7).

Eine frühe Schockmanifestation mit Gewebehypoxie und Laktatanstieg ist noch kompensierbar. Durch das nächste Stadium der Ischämie und Reperfusion kann es jedoch zur Manifestation eines systemischen Entzündungsantwortsyndroms (SIRS; Kapitel 2.3) kommen. Das multiple Organdysfunktionssyndrom (MODS; Kapitel 2.4) mit hoher Letalität ist die Folge (JANSSENS u. GRAF 2004). Der Weg dahin verläuft häufig über eine sekundäre Sepsis.

2.2 Sepsis

Die Sepsis ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Schätzungen besagen, dass täglich 1400 Menschen auf Intensivstationen an den Folgen einer Sepsis sterben (KIEFT et al. 1993).

Sowohl in den USA als auch in Europa sind jährlich 400.000 bis 500.000 Menschen von Sepsis betroffen (PATERSON u. WEBSTER 2000). Obwohl sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten intensiv mit dieser Problematik beschäftigt hat und es große Fortschritte in der unterstützenden und antimikrobiellen Therapie sowie im allgemeinen Verständnis der Pathomechanismen gibt, sind die Morbidität und die Mortalität immer noch sehr hoch. So kommt es in 40% der Fälle einer unkomplizierten Sepsis zum Tod des Patienten. Entwickelt

(18)

sich ein septischer Schock und Multiorganversagen, liegt die Mortalität sogar bei 80%

(SALVO et al. 1995).

Um eine internationale Grundlage zur Diagnosestellung zu schaffen und damit schnellstmögliches therapeutisches Eingreifen zu ermöglichen, wurde auf der Konsensuskonferenz der „Society of Critical Care Medicine“ und dem „American College of Chest Physicians“ 1991 Definitionen für das systemische Entzündungsantwortsyndrom (SIRS; Kapitel 2.4), Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock geschaffen (Tabelle 2).

Danach liegt eine Sepsis vor, wenn das Bestehen eines SIRS festgestellt wurde sowie eine Infektion vermutet wird oder bereits diagnostiziert ist. Der Übergang zur schweren Sepsis ist erreicht, wenn die Minderdurchblutung von Organen anhand von Symptomen wie Hypoxämie, Oligurie, Laktatazidose oder neurologischen Veränderungen nachgewiesen werden kann. Der septische Schock zeichnet sich durch Therapieresistenz gegenüber Volumenersatz aus und macht den Einsatz von Vasopressoren notwendig (BONE et al. 1992).

Tabelle 2: Definition nach der Konsensuskonferenz der „Society of Critical Care Medicine“

und dem „American College of Chest Physicians“ von 1991 (BONE et al. 1992)

SIRS Zwei oder mehr der folgenden Symptome

1. Körpertemperatur > 38°C oder < 36°C 2. Herzfrequenz > 90 Schläge pro Minute

3. Atemfrequenz > 20 Atemzüge pro Minute oder arterieller Kohlenstoffdioxidpartialdruck < 4,3kPa 4. Leukozyten > 12000 pro mm² oder

< 4000 pro mm² oder

10% der Leukozyten bestehen aus unreifen Formen Sepsis SIRS mit diagnostizierter Infektion

Schwere Sepsis SIRS mit diagnostizierter Infektion

und Minderdurchblutung der Organe

Septischer Schock Schwere Sepsis mit therapieresistenter Hypotension (systolischer Blutdruck < 90mmHg)

Das SIRS kann sowohl bakteriellen als auch sterilen Noxen (SANCHEZ 1999; PATERSON u. WEBSTER 2000) folgen (Kapitel 2.3 und 2.4). Sepsis dagegen wird stets durch Mikroorganismen oder deren Bestandteile ausgelöst. Dabei nehmen gramnegative (50 bis

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60%) und grampositive (35 bis 40%) Bakterien die Hauptrolle ein, während Pilze, Viren oder Protozoen eher selten ursächlich sind (PATERSON u. WEBSTER 2000).

Sind Lunge, Haut und Weichteilgewebe, Urogenitaltrakt und z.B. intravenöse Katheter mögliche Eintrittswege für Bakterien in den Organismus (BRUN-BUISSON et al. 1996), ist der Infektionsherd bei Sepsis mit 66% überwiegend intraabdominal gelegen (VOSYLIUS et al. 2004). Dabei kann es sich um abdominale Primärerkrankungen wie Peritonitiden nach rupturierten Appendizitiden oder Divertikulitiden oder um sekundäre Infektionen infolge eines pathologischen Darms - z.B. nach Trauma - mit bakterieller Translokation (Kapitel 2.4) handeln.

Blutkulturen können bei einer Sepsis ein positives Ergebnis zeigen, wobei die Anzahl der Kulturen mit dem Grad der Sepsis und der Mortalität korreliert (RANGEL-FRAUSTO et al.

1995). Andererseits kann das Blut selbst bei einem septischen Schock steril sein (BATES et al. 1997). Um das septische Geschehen auszulösen, müssen die Mikroorganismen also nicht zwangsläufig in die Zirkulation gelangen (GORIS et al. 1985; BATES et al. 1997;

MUNFORD 2003). Folgende Möglichkeiten bestehen:

o Entzündungsmediatoren bleiben nicht auf den Ort der Infektion beschränkt, gelangen in die Zirkulation und lösen pathologische Vorgänge im Sinne eines SIRS aus (VARY et al. 2002) (Kapitel 2.3 und 2.4: Darm als Reservoir für Entzündungsmediatoren).

o LPS führen zur Endotoxinämie und sowohl die Endotoxine selbst als auch das konsekutive SIRS bedingen pathologische Vorgänge an den Gefäßendothelien (Kapitel 2.3 und 2.7).

o Die intravaskulären Bakterien werden durch das Komplementsystem unschädlich gemacht und durch die Leber aus dem Blut gefiltert, so dass es nur zu einer transienten Bakteriämie kommt (MUNFORD 2003).

o Bakterien und ihre Endotoxine verlassen den Ort der Infektion, gelangen jedoch über die Lymphe in den Körper. Auch hier sind es die Entzündungsmediatoren einer entgleisten und generalisierten Immunantwort, die letztendlich für das pathologische Geschehen verantwortlich sind (OLOFSSON 1988; MAGNOTTI et al. 1998).

(20)

2.3 SIRS, CARS, MARS

Wie oben beschrieben, geht die Sepsis mit einer generalisierten Inflammation, dem systemischen Entzündungsantwortsyndrom (SIRS; systemic inflammatory response syndrome) einher. Die pathophysiologischen Vorgänge bei der Entwicklung einer SIRS lassen sich dabei in drei Phasen unterteilen: Die lokale Immunantwort, die initiale systemische Immunantwort und die massive systemische Inflammation (BONE 1996a;

DAVIES u. HAGEN 1997).

In der ersten Phase läuft innerhalb von Stunden die physiologische lokale Immunantwort als Reaktion auf ein Trauma oder einen Infektionsnidus ab. Humorale und zelluläre Mechanismen werden lokal aktiviert, um bereits entstandene Schäden zu beheben und das Entzündungsgeschehen einzudämmen (REGEL et al. 1989). Parallel zum Abbau pathologischen Gewebes wird die Gewebeneubildung angeregt (DINARELLO et al. 1993).

Diese erste Phase zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass ein Überschießen der Immunantwort durch die Freisetzung regulativer, antiinflammatorischer Mediatoren verhindert wird (DINARELLO et al. 1993; PLATZER et al. 1995).

Ist das Entzündungsgeschehen in der ersten Phase auf den Ort der Noxe beschränkt, werden bei Versagen der lokalen Abwehr in der zweiten Phase zusätzliche Mechanismen aktiviert.

Einige Mediatoren verlassen den Ort des Geschehens, gelangen in die systemische Zirkulation und mobilisieren Makrophagen, Thrombozyten und Koagulationsfaktoren. Ist die Wunde geheilt, die Infektion bekämpft und die Homöostase wiederhergestellt, endet die zweite Phase nach wenigen Tagen, gelingt dies nicht, geht sie in die Phase der massiven systemischen Inflammation über (BONE 1991; BONE 1996b).

Ist durch die ersten Phasen die Rekonstruktion der Homöostase das angestrebte und realisierbare Ziel, wirkt die massive systemische Inflammation der dritten Phase destruktiv;

das SIRS ist manifest (REGEL et al. 1991; BONE 1996a; BONE 1996b). Die anfangs lokalisierte und kontrollierte Immunantwort entgleist, generalisiert und ist damit unkontrolliert. Im gesamten Organismus entstehen Mikroschäden an den Gefäßendothelien.

Durch DIC entstehen Mikrothromben, so dass lokale Ischämien auftreten können (GANDO et al. 1996). Die Schädigung des Endothels beeinträchtigt dessen Fähigkeit zur Regulation des Gefäßtonus. Die konsekutive Vasodilatation führt einerseits zu einer Blutstauung, andererseits wird die Zirkulation wiederhergestellt. Durch letzteres kann es durch Sauerstoffradikalbildung

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zu einem Reperfusionsschaden kommen (Kapitel 2.4: Ischämie/Reperfusionshypothese) (CIPOLLE et al. 1993). Die Radikale wirken chemotaktisch auf polymorphkernige Granulozyten (PMN; polymorphonuclear granulocyte; neutrophiler Granulozyt), deren Adhäsion an das Gefäßendothel bei verlangsamtem Blutfluss zusätzlich erleichtert wird (Kapitel 2.5). Das lädierte Endothel kann seine Funktion als osmotischen Barriere nicht mehr erfüllen, was zu Transsudation von Plasma, Entzündungszellen und Mediatoren in die Gewebe und Organe führt (BARIE 1993; SEEKAMP u. WARD 1993b; PAPE et al. 1994).

Durch den respiratory burst und die granulären Enzyme der PMNs (Kapitel 2.5) können Organe funktional nachhaltig geschädigt werden, was über das MODS zum Tod führen kann (REGEL et al. 1991).

Nach der ersten Phase kann aber auch ein anderes Syndrom einsetzen. Überschreitet die antiinflammatorische Antwort das physiologische Maß, tritt eine Immunparalyse ein (RANDOW et al. 1995; KREMER et al. 1996). In diesem Fall spricht man von einem kompensatorischen Antientzündungsantwortsyndrom (CARS; compensatory anti- inflammatory response syndrome) (BONE 1996b; BONE 1996c; BONE 1996d; DAVIES u.

HAGEN 1997). In dieser Phase ist der Organismus besonders anfällig für mikrobielle Infektionen, so dass leicht eine Sepsis und daraus ein septischer Schock entstehen können (MOORE 1999).

Weiterhin kann es dazu kommen, dass neben der einsetzenden Antiinflammationsreaktion die Inflammation selbst erhalten bleibt, und damit ein gemischtes agonistisches Antwortsyndrom (MARS; mixed agonist response syndrome) hervorruft (BONE 1996b; BONE 1996c;

DAVIES u. HAGEN 1997). Wie die Endphase des SIRS können auch das CARS und das MARS zum MODS führen. Patienten mit diagnostiziertem MODS erliegen damit nicht zwangsläufig einer unkontrollierten Infektion, sondern unter Umständen einer dysregulierten Entzündungsantwort (VAN GRIENSVEN 1999a).

Aufgrund der pathophysiologischen Zusammenhänge von SIRS, CARS, MARS und MODS können diese Reaktionen unter dem Begriff CHAOS (cardiovascular shock, homeostasis, apoptosis, organ dysfunction, immune suppression) zusammengefasst werden (BONE 1996c;

DAVIES u. HAGEN 1997).

(22)

2.4 MODS

Das klinische Syndrom des Multiorganversagens (MODS; Multiorgandysfunktionssyndrom) ist ein teufelskreisartiges Fortschreiten pathologischer Geschehen, an deren Ende das unwiderrufliche, funktionelle Versagen verschiedener Organsysteme und der Tod des Patienten stehen. Es kann aus einer Vielzahl primärer Noxen entstehen, wie schweren Infektionen, Verbrennungen, Traumata, Pankreatitis und Schock (SANCHEZ 1999;

PATERSON u. WEBSTER 2000). Auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Ursachen führen dabei zu identischen klinischen, biochemischen und morphologischen Ausprägungen.

Inzwischen bestehen drei verschiedene, aber dennoch kompatible und ineinandergreifende Hypothesen zur Auslösung des MODS (Abbildung 1): Die Darmhypothese, die Ischämie/

Reperfusionshypothese und die Zytokin- oder Mediatorhypothese (DEITCH 1992).

Darmhypothese

Während zunächst von einer versteckten, nicht-diagnostizierten und unbehandelten intraabdominalen Infektion ausgegangen wurde (BAUE 1975; FRY et al. 1980), kamen mit dem Ausbleiben von Erfolgen trotz Fortschritten in Diagnostik und Therapie von Infektionen Zweifel auf. Daraufhin postulierten MEAKINS und MARSHALL 1986, dass der Darm der

„Motor des MODS“ sei. Der Schock soll dabei einen Ileus auslösen, aus dem eine Dysregulation der Darmflora resultiert (HASSOUN et al. 2001). Diese ist abhängig vom Grad der Erkrankung und kommt zu 50 bis 70% bei Intensivpatienten vor (SANCHEZ et al. 1998).

Von den ungefähr 1012 Bakterien im Darm sind 109 potenziell pathogene, gramnegative Bakterien. Das bereits in geringer Konzentration tödliche Endotoxin bleibt unter physiologischen Bedingungen auf das Darmlumen beschränkt. Vier Mechanismen tragen dazu bei: Die Darmbarriere, die Darmflora, die lokale Immunabwehr und die Leber (DEITCH 1992; SWANK u. DEITCH 1996).

Eine schockbedingte Umverteilung des Blutvolumens führt zu Ischämie und Hypoxie (Kapitel 2.1). Die Darmperistaltik kommt zum Erliegen und das Darmepithel ist in seinem Stoffwechsel behindert. Daraus resultiert eine verminderte Produktion von Muzinen und Immunglobulinen, was die Darmbarriere schwer beeinträchtigt (BANWELL et al. 1985;

SPITZ et al. 1995). Zugleich kommt es durch den therapeutischen Einsatz von Breitbandantibiotika und parenteraler Ernährung zu einer Dysregulation in der Darmflora

(23)

(SWANK u. DEITCH 1996) mit konsekutiver Überproduktion gramnegativer Bakterien (BANWELL et al. 1985; MARSHALL et al. 1993). Diese können nun vermehrt das Darmepithel durchqueren, ein Prozess der auch als bakterielle Translokation bezeichnet wird (WOLOCHOW et al. 1966). Unter physiologischen Bedingungen wird dieses durch das retikuloendotheliale System (RES) verhindert. Allerdings überfordern die Massen an Bakterien die Kapazität des RES (LANSER 1990), welches zudem nach Trauma (PAPE et al.

1999a) und bei Ischämie/Reperfusion (THOMPSON et al. 1992) in seiner Funktion eingeschränkt ist. Gelangen die Endotoxine in die Vena porta, werden sie durch Gallensalze gebunden und entfernt (SWANK u. DEITCH 1996). Im Falle einer bakteriellen Translokation sind aber auch hier die Kapazitäten überschritten. Außerdem ist die Funktion der Leber durch das Schockgeschehen und das Einsetzen von SIRS und MODS beeinträchtigt, was auch die zum RES gehörenden Kupffer`schen Sternzellen einschließt (CAHILL et al. 1987).

Bei der bakteriellen Translokation ist das portale System jedoch nicht der Hauptweg für Bakterien und Endotoxine, eine Verteilung über das lymphatische System erscheint wahrscheinlicher. Diese Ansicht basiert auf der Abwesenheit bzw. dem geringem Gehalt pathogener Substanzen im Blut, welche stattdessen häufig im Ductus thoracicus nachgewiesen werden konnten (OLOFSSON 1988; MAGNOTTI et al. 1998). Auch das Ausbleiben einer Endotoxinämie bei mesenterialer Lymphadenektomie unterstützt diese Theorie (TOKYAY et al. 1992).

Die bakterielle Translokation als Auslöser von SIRS und MODS wurde in zahlreichen Studien angedeutet (VAN GOOR et al. 1994; GENNARI u. ALEXANDER 1996). Andere Studien am Menschen dokumentieren, dass bei Sepsis (ZIEGLER et al. 1988), kurz nach Verbrennung (DEITCH 1990), Traumata (ROUMEN et al. 1993), Schock (RUSH et al. 1988) und LPS-Gabe (O`DWYER et al. 1988) die intestinale Permeabilität erhöht ist und dass dieser Funktionsverlust der Intestinalmukosa SIRS und MODS auslösen können (MEAKINS u.

MARSHALL 1986; BORDER et al. 1987).

Ischämie/Reperfusionshypothese

Wie oben dargestellt, ist die Ischämie als einer der auslösenden Faktoren an der bakteriellen Translokation beteiligt. Im Folgenden soll beschrieben werden, wie die Reperfusion ihren Beitrag zum SIRS und MODS leistet.

(24)

Trauma Verbrennung Pankreatitis Sepsis

Vasokonstriktorischer Schock

Darm

Bakterien

LPS

bakterielle Translokation

Zytokine

GALT Zytokine, Mediatoren Mediatoren

Vasodilatorischer Schock

Abbildung 1: Hypothesen zur Entstehung des MODS und die Rolle der PMN; I. Darmhypothese, II. Ischämie/

Reperfusionshypothese, III. Zytokin/Mediatorhypothese; LPS=Lipopolysaccharid; GALT=darmassoziiertes lym- phatisches Gewebe; DIC=disseminierte intravasale Gerinnung; H2O2=Wasserstoffperoxid, OH=Hydroxyl- radikal, O2-

=Superoxidanion, PMN=neutrophiler Granulozyt; MODS=Multiorgandysfunktionssyndrom

Ischämie

Reperfusion

anaerobe Glykolyse Laktate

DIC

Endothelschäden

I. II.

III.

H2O2 OH O2-

G E N E R A L I S I E R U N G

Extravasation

Endothelschäden respiratory burst O2- H2O2 OH granuläre Enzyme

Organschäden

PMN

(25)

Bei einer Ischämie herrscht im Gewebe Sauerstoffmangel. Die Energie muss dann durch anaerobe Glykolyse gewonnen werden, wobei schädliche Stoffwechselprodukte entstehen. In den hypoxischen Zellen können die Adenosinphosphate nicht mehr zu ATP generiert werden sondern werden zu Hypoxanthin abgebaut (DE GREEF et al. 1998) (Abbildung 2). Bei Reperfusion tritt Sauerstoff in das ischämische Gebiet ein. Dieser wird bei Oxidation des Hypoxanthins in Xanthin durch die ebenfalls entstandene Xanthin-Oxidase in Sauerstoffradikale wie Superoxidanion (O2-) (GRISHAM et al. 1986), Wasserstoffperoxid (H2O2) (GRANGER et al. 1986) und Hydroxylradikale ( OH) (PARKS u. GRANGER 1983) umgewandelt. Die Sauerstoffradikale können einerseits die Zellen direkt schädigen, da sie mit DNS-Strängen (Desoxyribonukleinsäure-Strängen) interagieren, DNS-Brüche hervorrufen (BIELSKI u. SHUIUE 1979) und polyungesättigte Membranlipide peroxidieren. Dadurch wird die Integrität der Zellmembran gestört, was den Zelltod zur Folge hat (YOUNES et al.

1987). Andererseits treten durch radikalgesteuerte Chemotaxis PMNs in das geschädigte Gebiet ein (Kapitel 2.5). Sie geben lysierende Enzyme ab und generieren weitere reaktive Sauerstoffmetaboliten (KORTHUIS et al. 1989). Die Wiederherstellung des Blutflusses sorgt für die Verteilung der Sauerstoffradikale, der Enzyme der PMN und anderer Stoffwechselprodukte im gesamten Organismus, wo sie weitere Zellen lädieren. Außerdem werden so noch mehr PMNs in das Entzündungsgebiet transportiert (GRISHAM et al. 1986).

Zytokin- bzw. Mediatorhypothese

Nach dieser Hypothese erfolgt durch aktivierte Makrophagen eine exzessive Zytokin- und Mediatorfreisetzung (DEITCH 1992). Sie steht im Zusammenhang mit der Darmhypothese und der Ischämie/Reperfusionshypothese, denn bei beiden entstehen zahlreiche Entzündungs- mediatoren, die bei Reperfusion in den Kreislauf gelangen (HASSOUN et al. 2001). In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass das darmassoziierte lymphatische Gewebe (GALT; gut associated lymphatic tissue) bei Ischämie der Darmmukosa Zytokine produziert und diese in den Kreislauf freisetzt (MESTER et al. 1993; MEYER et al. 1995). Auch die gramnegativen Bakterien im Darm sollen die lokale und systemische Immunantwort beeinflussen können (MARSHALL et al. 1988a). So gelangen bei präoperativer Verabreichung selektiver, nicht absorbierbarer Antibiotika weniger Endotoxine und Zytokine in die Zirkulation als das normalerweise der Fall wäre (SORKINE et al. 1997; YAO et al.

1997). Die so freigesetzten Zytokine sowie bakterielle LPS aktivieren die Zellen des

(26)

Immunsystems zur weiteren Zytokinfreisetzung, die sich in einer Kaskade fortsetzt und selbst unterhält.

Gewebeschäden

Endothelschäden ATP

ADP

AMP

Fe2+

Adenosin SOD

OH

O2

O

2- Fe2+ O2

O

2-

Inosin

Hypoxanthin Xanthinoxidase Xanthin Xanthinoxidase Harnsäure R e p e r f u s i o n

Abbildung 2: Reaktionen bei Ischämie und Reperfusion (modifiziert nach DEITCH 1992; VAN GRIENSVEN 1999a); ATP=Adenosintriphosphat; ADP=Adenosindiphosphat; AMP=Adenosinmonophosphat; O2=Sauerstoff;

O2-=Superoxidanion; SOD=Superoxiddysmutase; H2O2=Wasserstofperoxid; Fe2+=Eisen-II-Ion; OH=

Hydroxylradikal; PMN=neutrophiler Granulozyt

Das MODS kann sieben Organsysteme betreffen: Den Respirationstrakt, das hepatische System, den kardiovaskulären Kreislauf, das hämatologische System, den Gastrointestinaltrakt, das neurologische System und das renale System (MARSHALL 1997).

Wurde anfangs nur das Versagen der Lunge im Sinne eines ARDS beobachtet (ASHBAUGH et al. 1967; BAUE 1975; FAIST et al. 1983; PONTOPPIDAN et al. 1985), traten mit dem Fortschritt in der Intensivmedizin zunehmend auch Schäden an anderen Organsystemen in Erscheinung. Je nach Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation können schließlich alle oben genannten Strukturen betroffen sein (MARSHALL 1997). Dabei versagt beim Menschen die Lungenfunktion stets zuerst (BAUE 1975; FRY et al. 1980; GORIS et al. 1985;

DEITCH 1993). Zahlreiche Autoren nennen die Leber als das als zweites betroffene Organ (FRY et al. 1980; GORIS et al. 1985; DEITCH 1993), während bei der Einschätzung der weiteren Reihenfolge Uneinigkeit besteht. So werden sowohl das kardiovaskuläre System als

I s c h ä m i e

PMN

granuläre

Enzyme respiratory

burst

H

2

O

2 Chemotaxis

(27)

auch der Gastrointestinaltrakt als jeweils drittes betroffenes Organ genannt, während die Niere zu den zuletzt geschädigten Organen gehört. Eine entsprechende Reihenfolge wurde auch für die Maus beobachtet (VAN GRIENSVEN 1999a). Die besondere Stellung der Lunge im MODS erklärt sich daraus, dass sie bei Traumata häufig vorgeschädigt ist (Lungenkontusion) und dass sie als erste Filterstation im Kreislauf für die LPS, Zytokine und Blutzellen gilt (REGEL et al. 1996).

Um den Grad des MODS einordnen und damit eine Prognose stellen und gezielt therapieren zu können wurden zahlreiche Scoringsysteme entwickelt. Anerkennung und Anwendung fanden jedoch nur drei: Der MOD-Score nach GORIS et al. (GORIS et al. 1985; LEFERING et al. 2002) (Tabelle 3), der MOD-Score nach MARSHALL et al. (1988b; 1993; 1995; 1997) (Tabelle 4) und der MOD-Score nach MOORE et al. (1989; 1995) (Tabellen 5 und 6).

Je nach Scoringsystem ist eine Einschätzung des MOD-Status zu verschiedenen Zeitpunkten (bei Einweisung; täglich; bei Entlassung) und für jedes einzelne Organ möglich. Gleichzeitig kann die Entwicklung des MODS verfolgt und eine Prognose gestellt werden. So korreliert z.B. der Punktwert nach MARSHALL et al. (1995) - bei einem maximal möglichen Score von 24 - mit der Mortalität (z.B. 9-12 = 25%; 13-16 = 50%; 17-20 = 75% und >20 = 100%

Mortalität). Nach GORIS et al. (1985) steigt die Mortalität auf 80 bis 100%, wenn drei oder mehr Organsysteme betroffen sind. Die größere Bedeutung jedoch haben die Scoringsysteme für die Beurteilung der kritischen Phase chirurgischer Intensivpatienten, z.B. hinsichtlich ihrer Operabilität oder bei der Aufstellung bestimmter Therapiestrategien (OESTERN 1997).

GROTZ et al. (2001) verglichen die drei Systeme miteinander und zogen den Schluss, dass der MOORE-Score mit einer Sensitivität von 81% und einer Spezifität von 87% den anderen Scoringsystemen hinsichtlich der Präzision überlegen ist. Das könne mit dem Verzicht auf die am wenigsten exakten Parameter (ASAT, PAR, Thrombozyten) und schwierig zu beurteilenden Organsysteme (zentrales Nervensystem und Gastrointestinaltrakt) erklärt werden. Nachteilig sei bei Verwendung des MOORE-Scores allerdings sowohl die unzureichende Objektivität als auch die mangelhafte Praktikabilität (hoher Aufwand) bei der Erhebung der Lungenfunktionsstörung mittels des ARDS-Scores (GROTZ et al. 2001).

(28)

Tabelle 3: MOD-Score nach GORIS et al. (1985)

Organsystem 0 1 2

Respiratorisch normal mechanische Ventilation mechanische Ventilation PEEP < 10; FIO2 < 0,4 PEEP > 10; FIO2 > 0,4 Renal normal Serum-Kreatinin > 150 Hämodialyse oder

Peritonealdialyse Hepatisch normal Serum-Bilirubin > 34; Serum-Bilirubin > 100;

Serum-ASAT > 25 Serum-ASAT > 100 Kardiovaskulär normal BPSyst > 100 mmHg mit 1) BPSyst < 100 mmHg mit 2) Hämatologisch normal Leukozyten > 30.000; Leukozyten > 60.000

Plättchen < 50.000 oder < 2.500

Gastrointestinal normal Ulzera ; Cholezystitis blutende Ulzera; Nekroti- sierende Enterokolitis und/oder Pankreatitis;

Perforation der Gallenblase

Neurologisch normal vermindert schwer gestört;

diffuse Neuropathie

PEEP=positive end expiratory pressure, in cmH2O; FIO2=Fraktion inspiratorischer Sauerstoff; ASAT=

Aspartataminotransferase; BDSyst=systolischer Blutdruck; Serum-Kreatinin und Serum-Bilirubin in µmol/L;

Serum-ASAT in units/l; 1) Dopamin (< 10µg/kg/min) oder Nitroglyzerin (< 20 µg/kg/min); 2) Dopamin (>10µg/kg/min) und/oder Nitroglyzerin (>20µg/kg/min)

Tabelle 4: MOD-Score nach MARSHALL (1997)

Organsystem 0 1 2 3 4

Respiratorisch

(pO2/FIO2 Ratio) > 300 226-300 151-225 76-150 < 75 Renal

(Serum-Kreatinin) < 100 101-200 201-350 351-500 > 500 Hepatisch

(Serum-Bilirubin) < 20 21-60 61-120 121-240 > 240 Kardiovaskulär

(PAR) < 10,0 10,1-15,1 15,1-20,0 20,1-30 > 30,0 Hämatologisch

(Anzahl Plättchen) > 120 120-81 80-51 50-21 < 20 Neurologisch

(Glasgow Coma Score) 15 14-13 12-10 9-7 < 6

pO2=Sauerstoffpartialdruck; FIO2=Fraktion inspiratorischer Sauerstoff; PAR=pressure adjusted heart rate (Herzfrequenz/durchschnittlicher Blutdruck x zentraler Venen-druck); Serum-Kreatinin und Serum-Bilirubin in µmol/L; Werte werden zu einem standardisiertem Zeitpunkt, vorzugsweise morgens, gemessen;

(29)

Tabelle 5: MOD-Score nach MOORE und MOORE (1995)

Organsystem 1 2 3

Respiratorisch

(ARDS-Score) > 5 > 9 > 13

Renal

(Serum-Kreatinin) > 160 > 220 > 440

Hepatisch

(Serum-Bilirubin*) > 34 > 68 > 136 Kardiovaskulär

(Inotropika-Bedarf**) minimal moderat hoch

ARDS-Score siehe Tabelle 6; Serum-Kreatinin und Serum-Bilirubin in µmol/L; Inotropika-Bedarf (Dopamin oder Dobutamin): minimal = 5µg/kg/min; moderat = 15µg/kg/min; hoch = >15µg/kg/min; *die Bilirubinwerte sind nicht auf prä- oder posthepatische Ursachen zurückzuführen; **Herzindex < 3l/min/M²; die Organdysfunktionen sind nicht auf chronische Erkrankungen zurückzuführen

Tabelle 6: ARDS-Score (MOORE u. MOORE 1995)

Organsystem 1 2 3 4 radiographisch diffuse, ggr. diffuse, interstitielle diffuse, mgr. diffuse, hgr.

darstellbare interstitielle Begrenzungen; Verfestigungen Verfestigungen Veränderungen Begrenzungen; ggr. Aufhellungen im im

der Lunge Aufhellungen im Luftraum Luftraum Luftraum pO2/FIO2 Ratio

(mmHg) 250-175 174-125 124-80 < 80

Atemzeitvolumen

(l/min) 1-13 14-16 17-20 > 20 PEEP

(in cmH2O) 6-9 10-13 14-17 > 17 Compliance

(ml/cmH2O) 50-40 39-30 29-20 < 20

pO2=Sauerstoffpartialdruck; FIO2=Fraktion inspiratorischer Sauerstoff; PEEP=positive end expiratory pressure;

compliance=Volumendehnbarkeit der Lunge; ggr.=geringgradig; mgr.=mittelgradig; hgr.=hochgradig

(30)

2.5 Neutrophile Granulozyten (PMN)

Der neutrophile Granulozyt (PMN) nimmt im Zusammenhang mit SIRS und MODS eine zentrale Stellung ein und ist eine der wichtigsten Zellen des unspezifischen Immunsystems (GRISWOLD u. MAIER 1988). Er gehört zu den Zellen der myeloiden Reihe. Innerhalb von 14 Tagen differenziert sich im Knochenmark ein Myeloblast zu einem reifen PMN mit lobuliertem Kern. Der reife PMN verlässt das Knochenmark und tritt mit einer Halbwertszeit von ungefähr sechs Stunden vorübergehend in die Blutbahn. Bei Bedarf migriert er ins Gewebe, wo er für etwa ein bis zwei Tage funktionsfähig ist (BAINTON et al. 1971).

Neutrophile Granulozyten besitzen zwei Arten der namensgebenden Granula. Die primären, azurophilen oder auch peroxidasepositiven Granula enthalten unter anderem Myeloperoxidase, Elastase, Lysozym und β-Glycerophosphatase. Die sekundären, spezifischen oder peroxidasenegativen Granula enthalten Laktoferrin, Prokollagenase, Lysozym und alkalische Phosphatase (ACKERMAN 1971; BAINTON et al. 1971). Durch die Sekretion dieser Substanzen kann der PMN körperfremde Stoffe lysieren. Außerdem ist er zur Phagozytose fähig.

Überschreitet ein Pathogen die mechanische Barriere des Körpers, wird es zunächst durch das unspezifische Immunsystem erkannt. Zum einen wird es durch Antikörper gebunden, wodurch es neutralisiert und opsonisiert wird. Zum anderen wird über den klassischen, alternativen oder den Lektin-Weg das Komplementsystem aktiviert. Dabei binden jeweils bestimmte Komplementproteine entweder an einen Antigen-Antikörperkomplex, direkt oder über Lektine an die Pathogenoberfläche. Eine enzymatische Kaskade wird ausgelöst, wobei die Komplementproteine gespalten werden und so Fragmente mit unterschiedlichen Effektorfunktionen entstehen. So wird durch C4b und C3b das Pathogen opsonisiert und C5b, C6, C7, C8 und C9 bilden einen membranangreifenden Komplex, der das Pathogen lysieren kann. C5a, C3a und C4a erhöhen die Gefäßpermeabilität und stimulieren in Mastzellen die Freisetzung von Mediatoren. Damit vermitteln sie die Entzündungsreaktionen (JANEWAY et al. 1997a). Außerdem wirken die Komplementfragmente C3a und C5a zusammen mit einer Vielzahl von Substanzen wie LPS, TNF-α, IL-1, IL-8, Sauerstoffradikalen, Fragment D der Fibrinolyse und dem plättchenaktivierenden Faktor (PAF) chemotaktisch (DEMLING 1985;

WARREN et al. 1989; KINDT et al. 1991). Die Chemokine werden in Gewebemakrophagen

(31)

und Endothelzellen gebildet. Wie im Kapitel 2.2 dargestellt, bedarf es dafür aber nicht unbedingt eines Pathogens; Chemotaxine werden auch im Rahmen einer SIRS gebildet.

Chemotaxine geben den PMNs über einen Gradienten chemischer Reize den Ort des Geschehens und damit die Wanderungsrichtung vor (VAN GRIENSVEN 1999a). Teilweise binden Chemotaxine, z.B. das Komplementfragment C5a über spezifische Rezeptoren an die PMNs, was sie zu einer amöboiden Bewegung veranlasst (JANEWAY et al. 1997b).

Neben den Chemotaxinen gibt es Stoffe, die die PMNs direkt aktivieren. Sie entstehen z.B.

bei der Ischämie und der Reperfusion der Schockphase. Im Blut wirken LPS, Komplementfaktoren, Immunkomplexe, Gerinnungsfaktoren und Faktoren des Kallikrein- Kinin-Systems aktivierend auf die PMNs. Dazu kommen in den Organen freigesetzte Aktivatoren wie TNF-α, PAF, Prostaglandine, Leukotriene, Granulozyt-Monozyt- kolonieformender Faktor sowie Gewebe-, z.B. Kollagenfragmente (WARREN et al. 1989;

NEUHOF 1991).

Die Aktivierung der PMNs wird über Rezeptoren der Zellmembran oder des Zellplasmas gesteuert (HURST 1987). Sie führt zur Adhäsion der PMNs ans Endothel der Mikrozirkulation, zu vermehrter Produktion und Freisetzung von Mediatoren, wie Sauerstoffradikale und Lysozym, zum cell spreading (sternförmiges Ausbreiten der Endothelzelle) und anschließend verminderter Verformbarkeit und priming (Anheben auf höheres Aktivitätsniveau) (HAGENLOCKER et al. 1990; BAUER u. MARZI 1994). Das cell spreading sowie inflammatorische Mediatoren erhöhen die Permeabilität des Endothels (MARUO et al. 1992; VAN GRIENSVEN et al. 1999b).

Die Adhäsion des PMN an das Endothel ist der entscheidende Schritt zur Migration aus der Blutbahn in das Gewebe (FURIE et al. 1987; FURIE u. MCHUGH 1989; SPRINGER 1994) und läuft in den drei Phasen rolling, attachment und diapedesis ab. Gesteuert werden die einzelnen Phasen durch verschiedene Adhäsionsmoleküle, die auf den Oberflächen sowohl der PMN als auch der Endothelzellen exprimiert werden (KUROSE et al. 1994). Man unterscheidet vier Gruppen von Adhäsionsmolekülen, die Selektine, die Integrine, die Immunglobuline und die mucin-like Glykoproteine, welche jeweils andere Aufgabenschwerpunkte übernehmen (KUMAR et al. 2005).

(32)

So sind die Selektine für das rolling an den Endothelzellen zuständig. Verminderte Blutflussgeschwindigkeit und erhöhte Scherkraft in den Gefäßen führen zur Margination der PMNs. Durch Chemokine und Zytokine (TNF-α und IL-1) wird die Expression leukozytärer L-Selektine und endothelialer P- und E-Selektine sowie ihrer Liganden, die mucin-like Glykoproteine, auf den PMNs und dem Endothel induziert. Bei Kontakt kommt es zu einer Bindung von geringer Affinität. Die PMNs werden immer wieder vom Blutstrom mitgerissen, um anschließend erneut an das Endothel zu binden, so dass es zu einer rollenden Vorwärtsbewegung kommt (KUMAR et al. 2005).

Die Gruppe der Integrine ist für den nächsten Schritt des attachment zuständig. Integrine bestehen aus zwei Moleküluntereinheiten, den α- und β-Untereinheiten, wobei letztere noch in β1, β2 und β3 unterteilt wird (WELBOURN et al. 1992; SEEKAMP et al. 1993a). Die β1- und die β2-Untereinheiten binden an zwei endotheliale Adhäsionsmoleküle der Immunglobulingruppe, das vaskuläre Adhäsionsmolekül-1 (VCAM-1; vascular cell adhesion molecule-1) und das interzelluläre Adhäsionsmolekül-1 (ICAM-1; intercellulare adhesion molecule-1). Durch Chemokineinfluss - vermittelt über mucin-like Glykoproteine - werden die Integrine modifiziert und die leukozytär-endotheliale Bindung wird hochaffin. In der Folge stoppt der PMN ab, sein Zytoskelett wird reorganisiert, er verformt sich und migriert per diapedesis ins Gewebe (KUMAR et al. 2005).

Waren Mikroorganismen Auslöser der chemotaktischen Reize, trifft der PMN auf sie, erkennt, bindet, phagozytiert und lysiert sie. Die dabei aus den Granula freigesetzten Substanzen wirken direkt auf das Pathogen. TNF-α und IL-8 regen den PMN zur respiratorischen Entladung (respiratory burst) an, wobei Sauerstoffradikale und NO erzeugt werden. Ist jedoch das SIRS ursächlich für die Bildung von Chemotaxinen, treffen die lysierenden Substanzen direkt auf das Gewebe und schädigen es. Zudem bewirken die Substanzen zusammen mit PAF und Leukotrien B4 die Steigerung der Gefäßpermeabilität und die vermehrte Expression der Adhäsionsmoleküle, was die Entzündung potenziert (KLAUSNER et al. 1989; GRINO 1994).

Auch in der Entwicklung des akuten Nierenversagens (ANV) spielen die PMNs eine bedeutende Rolle. So werden PMNs bereits sechs Stunden nach Verabreichung von LPS in der Niere nachgewiesen (CUNNINGHAM et al. 2002). Die Aktivierung von PMNs im

(33)

Experiment führt zur Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR) (HORL et al. 1990).

Werden die PMNs durch künstliche Perfusion aus der Niere ausgeschlossen, kommt es trotz LPS-Anwesenheit nicht zum ANV (COHEN et al. 1990), werden jedoch PMNs hinzu gefügt, ist die GFR stark vermindert (LINAS et al. 1995). Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Anzahl der PMNs im Gewebe und der Verminderung der GFR (CUNNINGHAM et al. 2002).

Die bloße Anwesenheit der PMNs in der Niere scheint jedoch nicht auszureichen, ihre adhäsionsmolekülgesteuerte Extravasation ist notwendig (LINAS et al. 1995). So können die Gewebeschäden bei einem ANV durch Blockade der Adhäsionsmoleküle verringert werden (KELLY et al. 1994; KELLY et al. 1996). In gleicher Weise wirkt die spezifischere Blockade von ICAM-1 (KELLY et al. 1994), die Unterdrückung der ICAM-1 Expression (HALLER et al. 1996) und die Verwendung von ICAM-1-knockout-Mäusen (KELLY et al. 1996). Auch die Blockade des P-Selektins (SINGBARTL et al. 2001) und des Selektin-Liganden (NEMOTO et al. 2001) reduziert den Grad des ANV. In TNF-Rezeptor-1-knockout-Mäusen (TNFR1-knockout) finden sich weniger PMNs im Nierengewebe als bei Kontrollmäusen (CUNNINGHAM et al. 2002), was die Rolle der TNF-α induzierten Adhäsionsmoleküle auch für die Niere unterstreicht. In ischämischen Nieren wurde zudem eine erhöhte Expression von ICAM-1 und Integrinen durch das Endothel festgestellt (ROMANOV et al. 1997).

2.6 Zytokine

Zytokine sind von immunologisch aktiven Zellen sezernierte Polypeptide und Glykoproteine, die durch Wechselwirkungen mit anderen Zellen die Immunantwort regulieren (JANEWAY et al. 1997c). LPS können die Sekretion von Zytokinen auf drei Wegen stimulieren. Wird ein LPS von einem in der Blutbahn zirkulierenden lipopolysaccharidbindenden Protein (LBP;

LPS binding protein) gebunden, wird der entstehende LPS-LBP-Komplex von einem Rezeptorkomplex erkannt. Dieser besteht aus CD14, toll-like-Rezeptor-4 (TLR4) und dem Protein MD-2 und befindet sich auf PMNs, Makrophagen und anderen Zellen, wie den Mesangium- und Tubulusepithelzellen (CAMUSSI et al. 1998; WOLFS et al. 2002).

Besonders der TLR4 spielt in diesem Komplex eine große Rolle, wie Studien an einem LPS-

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resistenten Mäusestamm mit einer Mutation im TLR4-Gen nachwiesen (C3H/HeJ) (CUNNINGHAM et al. 2004).

Der LPS-LBP-Komplex bindet über das CD-14-Protein an die genannten Zellen. Das aktiviert die IκB-Kinase, die dann den Komplex aus nuclear factor κB (Kernfaktor κB) und dessen Inhibitor phosphoriliert (KARIN u. DELHASE 2000), was zu einer Translokation des Kernfaktors κB in den Zellkern führt. Dort bindet es an die Promotoren bestimmter Gene und in der Folge werden Leukotriene, Prostaglandine, PAF, Chemokine und Zytokine, wie TNF- α, IL-1, IL-6, IL-8, IL-12, IFN-γ produziert und sezerniert. Der LPS-LBP-Komplex kann auch an eine lösliche Form des CD-14 Proteins (sCD-14) binden und regt in diesem Fall Endothel- und Epithelzellen neben der Chemokin- und Zytokinproduktion auch zur Produktion von ICAM, VCAM, Selektin und MCP-1 (monocyte chemoattractant protein 1) an (WANG et al.

2000). Diese steuern die Adhäsion von PMN und Monozyten an Endothelien. Außerdem kann LPS lösliche Chemokine und Zytokine im Plasma direkt aktivieren (SCHOR 2002).

2.6.1 Tumornekrosefaktor-α (TNF-α)

Der Tumornekrosefaktor (TNF) erhielt seinen Namen aufgrund seiner Fähigkeit, Tumorzellen zu nekrotisieren. Derzeit werden zwei Formen von TNF unterschieden: TNF-α wird von Makrophagen, Monozyten und T-Lymphozyten sezerniert (Abbildung 3) und spielt bei inflammatorischen Reaktionen eine größere Rolle als TNF-β (REMICK et al. 1987), der nur von Lymphozyten gebildet wird (WARREN et al. 1989; MULLIGAN et al. 1993).

Die TNF-α-Konzentrationen im Plasma sind bei Endotoxinämie bereits nach einer Stunde deutlich erhöht (SHALABY et al. 1989). Die Höhe der TNF-α-Konzentration korreliert dabei sowohl mit der Ausprägung eines septischen Schocks (CASEY et al. 1993) als auch mit der Mortalität (DAMAS et al. 1989). So senkt die Blockierung von TNF-α im Endotoxinmodell die Letalität (BEUTLER u. CERAMI 1987) und durch Verabreichung von TNF-α an Tiere kann das klinische Bild eines septischen Schocks provoziert werden (JOHNSON et al. 1989).

Die Rolle von TNF-α wurde auch im Zusammenhang mit SIRS und MODS untersucht (BROUCKAERT u. FRIERS 1996). Auch hier korrelieren ständig erhöhte Plasmakonzentrationen von TNF-α mit einem schlechten outcome (CASEY et al. 1993). So

(35)

wurden bei den an ARDS verstorbenen Patienten auffällig erhöhte TNF-α-Konzentrationen in Plasma und bronchoalveolärer Lavage nachgewiesen (MEDURI et al. 1995).

Die Wirkung des TNF-α auf das Gefäßendothel gilt als wichtige Vorraussetzung für das Entstehen des MODS. Einerseits induziert es die Sekretion von IL-1, IL-6 und IL-8 aus den Endothelzellen (LOPPNOW u. LIBBY 1989). Andererseits erhöht es die Permeabilität des Endothels (MARCUS et al. 1996), die Expression von Adhäsionsmolekülen auf dessen Oberfläche (MULLIGAN et al. 1993) sowie dessen prokoagulierende Aktivität (NAWROTH u. STERN 1986).

° ° Endothelzellen LPS °

Monozyten B-Lymphozyten

TNF-α

T-Lymphozyten

Gehirn Fibroblasten

Fettzellen Fieber

Proliferation

Kachexie

Abbildung 3: Biologische Wirkungen des TNF-α (VAN GRIENSVEN 2002a); TNF-α=Tumornekrosefaktor α;

IL-2=Interleukin-2; IL-6=Interleukin-6; IL-10=Interleukin-10; LPS=Lipopolysaccharid; NO=Stickstoffmonoxid

IL-2 TNF-α Monozyten/

Makrophagen Mesangiumzellen

TNF-α IL-1 IL-6

Zytokine Adhäsionsmoleküle Koagulationsfaktoren

NO-Synthese Antikörper

(36)

TNF wirkt über den TNFR1 (Abbildung 4). Die Expression desselben wird durch LPS zusätzlich stimuliert (CUNNINGHAM et al. 2002). In der Niere führt TNF-α über den TNFR1 zur Apoptose (Kapitel 2.7) (CUNNINGHAM et al. 2002; WAN et al. 2003) und über Induktion von Chemokinen und Adhäsionsmolekülen zur PMN-Invasion (Kapitel 2.5) (KELLY et al. 1996; CUNNINGHAM et al. 2002). TNF-α kann aber auch ohne den Rezeptor wirken und führt so zu einem Abfall des renalen Blutflusses (RBF) und inhibiert die NO- Produktion (Kapitel 2.7) (PIEPOT et al. 2000; KNOTEK et al. 2001; CUNNINGHAM et al.

2002; GOLIGORSKY et al. 2002).

Induktion

Abbildung 4: biologische Wirkung des TNF-α in der Niere; LPS=Lipopolysaccharid; TNF-α=Tumornekrose- faktor α; TNFR1= Tumornekrosefaktorrezeptor 1; RBF=renaler Blutfluss; NO=Stickstoffmonoxid; PMN=

neutrophiler Granulozyt; ANV=akutes Nierenversagen

2.6.2 Interleukin-6 (IL-6)

Das Interleukin-6 (IL-6) wird von einer Vielzahl von Zellen wie z.B. Lymphozyten, Monozyten/Makrophagen, Fibroblasten, Osteoblasten, Astrozyten, Hepatozyten, Endothelzellen und Mesangiumzellen gebildet. Die IL-6-Produktion kann durch Mitogene, Antigene, Viren, LPS, IL-1 und TNF-α sowie Ischämie und Reperfusion gesteigert werden (NAVARRO et al. 1989; YASSIN et al. 1996), inhibiert wird seine Produktion durch IL-4, IL-10 und IL-13.

Makrophagen/

Monozyten Mesangiumzellen Tubulusepithelzellen

TNF-α ANV

RBF↓

NO↓

U

TNFR1

Apoptose von Tubulusepithelzellen

PMN Invasion

Hypoxie

LPS

Adhäsionsmoleküle↑

Chemotaxine ↑

LPS

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