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2 Literaturübersicht

2.6 Zytokine

Zytokine sind von immunologisch aktiven Zellen sezernierte Polypeptide und Glykoproteine, die durch Wechselwirkungen mit anderen Zellen die Immunantwort regulieren (JANEWAY et al. 1997c). LPS können die Sekretion von Zytokinen auf drei Wegen stimulieren. Wird ein LPS von einem in der Blutbahn zirkulierenden lipopolysaccharidbindenden Protein (LBP;

LPS binding protein) gebunden, wird der entstehende LPS-LBP-Komplex von einem Rezeptorkomplex erkannt. Dieser besteht aus CD14, toll-like-Rezeptor-4 (TLR4) und dem Protein MD-2 und befindet sich auf PMNs, Makrophagen und anderen Zellen, wie den Mesangium- und Tubulusepithelzellen (CAMUSSI et al. 1998; WOLFS et al. 2002).

Besonders der TLR4 spielt in diesem Komplex eine große Rolle, wie Studien an einem

LPS-resistenten Mäusestamm mit einer Mutation im TLR4-Gen nachwiesen (C3H/HeJ) (CUNNINGHAM et al. 2004).

Der LPS-LBP-Komplex bindet über das CD-14-Protein an die genannten Zellen. Das aktiviert die IκB-Kinase, die dann den Komplex aus nuclear factor κB (Kernfaktor κB) und dessen Inhibitor phosphoriliert (KARIN u. DELHASE 2000), was zu einer Translokation des Kernfaktors κB in den Zellkern führt. Dort bindet es an die Promotoren bestimmter Gene und in der Folge werden Leukotriene, Prostaglandine, PAF, Chemokine und Zytokine, wie TNF-α, IL-1, IL-6, IL-8, IL-12, IFN-γ produziert und sezerniert. Der LPS-LBP-Komplex kann auch an eine lösliche Form des CD-14 Proteins (sCD-14) binden und regt in diesem Fall Endothel- und Epithelzellen neben der Chemokin- und Zytokinproduktion auch zur Produktion von ICAM, VCAM, Selektin und MCP-1 (monocyte chemoattractant protein 1) an (WANG et al.

2000). Diese steuern die Adhäsion von PMN und Monozyten an Endothelien. Außerdem kann LPS lösliche Chemokine und Zytokine im Plasma direkt aktivieren (SCHOR 2002).

2.6.1 Tumornekrosefaktor-α (TNF-α)

Der Tumornekrosefaktor (TNF) erhielt seinen Namen aufgrund seiner Fähigkeit, Tumorzellen zu nekrotisieren. Derzeit werden zwei Formen von TNF unterschieden: TNF-α wird von Makrophagen, Monozyten und T-Lymphozyten sezerniert (Abbildung 3) und spielt bei inflammatorischen Reaktionen eine größere Rolle als TNF-β (REMICK et al. 1987), der nur von Lymphozyten gebildet wird (WARREN et al. 1989; MULLIGAN et al. 1993).

Die TNF-α-Konzentrationen im Plasma sind bei Endotoxinämie bereits nach einer Stunde deutlich erhöht (SHALABY et al. 1989). Die Höhe der TNF-α-Konzentration korreliert dabei sowohl mit der Ausprägung eines septischen Schocks (CASEY et al. 1993) als auch mit der Mortalität (DAMAS et al. 1989). So senkt die Blockierung von TNF-α im Endotoxinmodell die Letalität (BEUTLER u. CERAMI 1987) und durch Verabreichung von TNF-α an Tiere kann das klinische Bild eines septischen Schocks provoziert werden (JOHNSON et al. 1989).

Die Rolle von TNF-α wurde auch im Zusammenhang mit SIRS und MODS untersucht (BROUCKAERT u. FRIERS 1996). Auch hier korrelieren ständig erhöhte Plasmakonzentrationen von TNF-α mit einem schlechten outcome (CASEY et al. 1993). So

wurden bei den an ARDS verstorbenen Patienten auffällig erhöhte TNF-α-Konzentrationen in Plasma und bronchoalveolärer Lavage nachgewiesen (MEDURI et al. 1995).

Die Wirkung des TNF-α auf das Gefäßendothel gilt als wichtige Vorraussetzung für das Entstehen des MODS. Einerseits induziert es die Sekretion von IL-1, IL-6 und IL-8 aus den Endothelzellen (LOPPNOW u. LIBBY 1989). Andererseits erhöht es die Permeabilität des Endothels (MARCUS et al. 1996), die Expression von Adhäsionsmolekülen auf dessen Oberfläche (MULLIGAN et al. 1993) sowie dessen prokoagulierende Aktivität (NAWROTH u. STERN 1986).

° ° Endothelzellen LPS °

Monozyten B-Lymphozyten

TNF-α

T-Lymphozyten

Gehirn Fibroblasten

Fettzellen Fieber

Proliferation

Kachexie

Abbildung 3: Biologische Wirkungen des TNF-α (VAN GRIENSVEN 2002a); TNF-α=Tumornekrosefaktor α;

IL-2=Interleukin-2; IL-6=Interleukin-6; IL-10=Interleukin-10; LPS=Lipopolysaccharid; NO=Stickstoffmonoxid

IL-2 TNF-α Monozyten/

Makrophagen Mesangiumzellen

TNF-α IL-1 IL-6

Zytokine Adhäsionsmoleküle Koagulationsfaktoren

NO-Synthese Antikörper

TNF wirkt über den TNFR1 (Abbildung 4). Die Expression desselben wird durch LPS zusätzlich stimuliert (CUNNINGHAM et al. 2002). In der Niere führt TNF-α über den TNFR1 zur Apoptose (Kapitel 2.7) (CUNNINGHAM et al. 2002; WAN et al. 2003) und über Induktion von Chemokinen und Adhäsionsmolekülen zur PMN-Invasion (Kapitel 2.5) (KELLY et al. 1996; CUNNINGHAM et al. 2002). TNF-α kann aber auch ohne den Rezeptor wirken und führt so zu einem Abfall des renalen Blutflusses (RBF) und inhibiert die NO-Produktion (Kapitel 2.7) (PIEPOT et al. 2000; KNOTEK et al. 2001; CUNNINGHAM et al.

2002; GOLIGORSKY et al. 2002).

Induktion

Abbildung 4: biologische Wirkung des TNF-α in der Niere; LPS=Lipopolysaccharid; TNF-α=Tumornekrose-faktor α; TNFR1= Tumornekrosefaktorrezeptor 1; RBF=renaler Blutfluss; NO=Stickstoffmonoxid; PMN=

neutrophiler Granulozyt; ANV=akutes Nierenversagen

2.6.2 Interleukin-6 (IL-6)

Das Interleukin-6 (IL-6) wird von einer Vielzahl von Zellen wie z.B. Lymphozyten, Monozyten/Makrophagen, Fibroblasten, Osteoblasten, Astrozyten, Hepatozyten, Endothelzellen und Mesangiumzellen gebildet. Die IL-6-Produktion kann durch Mitogene, Antigene, Viren, LPS, IL-1 und TNF-α sowie Ischämie und Reperfusion gesteigert werden

IL-6 ist sowohl für die Immunantwort als auch für die Hämatopoese von Bedeutung (HIRANO 1994). Am zellulären Immunsystem bewirkt IL-6 die Proliferation von B-Lymphozyten (mit vermehrter Immunglobulinbildung) und von T-B-Lymphozyten. In zytotoxischen T-Zellen (CD-8+-T-Zellen) induziert es zusätzlich die Differenzierung. Bei Natürlichen-Killer-Zellen erhöht IL-6 die Aktivität (VAN GRIENSVEN 2002a). Auch das humorale Immunsystem wird über die Induktion von Akut-Phase-Proteinen (C-reaktives-Protein), Fibrinogen, α1-Antitrypsin und Komplementfaktoren durch IL-6 aktiviert (KELLER et al. 1996).

IL-6 wird bei Endotoxinämie sezerniert und erreicht seine höchste Konzentration zwei Stunden nach Verabreichung von LPS. Bei Applikation von TNF-α, ist das IL-6-Maximum bereits nach einer Stunde erreicht (SHALABY et al. 1989), was die direkte Abhängigkeit der IL-6-Produktion von TNF-α verdeutlicht.

Auch nach einem Trauma ist die IL-6-Konzentration im Plasma erhöht (HIRANO 1994). Der direkt nach dem Trauma gemessene IL-6-Wert ermöglicht eine prognostische Aussage und wird deshalb inzwischen an vielen Kliniken routinemäßig bestimmt (CALANDRA 1991). Ein über den Verlauf des Intensivstationaufenthalts ständig erhöhter Plasmaspiegel von IL-6 weist ebenfalls auf eine schlechte Prognose hin (WAAGE et al. 1989). Entsprechend weisen überlebende Patienten niedrige IL-6-Plasmakonzentrationen auf (TERREGINO et al. 1997).

Weiterhin besteht eine Beziehung zwischen der IL-6-Konzentration und der Entwicklung eines MODS. So entwickelten Kinder mit Sepsis und hohen IL-6-Werten häufiger ein MODS als Kinder mit niedrigen Werten (DOUGHTY et al. 1996). Ebenso korreliert der IL-6-Plasmaspiegel mit der Progredienz einer Sepsis zum septischen Schock (TERREGINO et al.

2000).

Wie TNF-α hat auch IL-6 Wirkung auf das Endothel. In vitro steigert es zeit- und dosisabhängig dessen Permeabilität, eine Wirkung, die sich durch Antikörper antagonisieren lässt ( MARUO et al. 1992; MARCUS et al. 1996; VAN GRIENSVEN et al. 1999b).

Auch bei einem ANV sind die Werte gesteigert (KWON et al. 2003), wobei die IL-6-Konzentrationen mit der Mortalität assoziiert sind (SIMMONS et al. 2004). Entsprechend kann ein IL-6-Anstieg als prognostischer Parameter für die Entwicklung eines ANV bei Nierentransplantationen und beim MODS genutzt werden (KWON et al. 2003).

2.6.3 Interleukin-10 (IL-10)

Das Interleukin-10 (IL-10) wird von B-Lymphozyten, aktivierten TH2-Zellen (T-Helferzellen), Monozyten/Makrophagen, Keratinozyten, fetalen Thymozyten und Gliazellen exprimiert (MOORE et al. 1993). Seine Sekretion wird zumindest teilweise durch TNF-α induziert (VAN DER POLL et al. 1994).

IL-10 wirkt antiinflammatorisch bei der Regulation von Immunreaktionen. Es hemmt die Sekretion von Zytokinen durch Inhibierung von TH1-Zellen (T-Helferzellen) (IL-2, IL-3 IFN-γ und TNF-β) und mononukleären Zellen (TNF-α und IL-1) (GERARD et al. 1993). Damit wird auch die Abwehrreaktion vom zytotoxischen Typ (Typ IV) durch TH1-Zellen und zytotoxische T-Zellen verhindert. Zudem ist die antigenpräsentierende Funktion von Makrophagen und die darauf folgende T-Zellproliferation beeinträchtigt (MOORE et al.

1993).

Wie bei den bereits besprochenen Zytokinen ist auch der IL-10-Plasmaspiegel bei Endotoxinämie im Tierversuch erhöht (MARCHANT et al. 1994). Allerdings erreicht es erst in der späten Phase der Endotoxinämie höhere Konzentrationen. Eine frühe Verabreichung von IL-10 verhindert die Freisetzung von IL-1, IL-6 und TNF-α, was die antiinflammatorische Wirkung von IL-10 unterstreicht (RONGIONE et al. 1997). Wird IL-10 im Peritonitismodell blockiert, sind sowohl die TNF-Konzentrationen als auch die Mortalität erhöht (VAN DER POLL et al. 1995).

Im Falle einer Überproduktion von IL-10 kann es zur Entwicklung eines CARS kommen (BONE 1996c). So wirkt sich eine späte Neutralisation von IL-10 zwölf Stunden nach Sepsisinduktion positiv auf das Überleben aus (SONG et al. 1999). Auch verringert die IL-10-Neutralisation im Sepsis-Modell die Anfälligkeit gegenüber späteren Sekundärinfektionen mit Pseudomonas (STEINHAUSER et al. 1999).

Bei Patienten mit Sepsis korreliert der IL-10-Wert mit dem Grad der Sepsis bzw. des septischen Schocks (MARCHANT et al. 1994; GOGOS et al. 2000). Gleiches findet sich bei einem Trauma, bei dem der IL-10-Wert dem Verletzungsgrad entspricht und der posttraumatischen Entwicklung von ARDS und MODS proportional ist (NEIDHARDT et al.

1997). Die mit IL-10 einhergehende Monozytenhemmung ist der Mortalität bei einer Sepsis

und beim MODS proportional (SFEIR et al. 2001). Auch diese Ergebnisse deuten auf die immunsuppressiven Eigenschaften von IL-10 hin.

Ähnliche Reaktionen treten in der Niere auf. Die IL-10-Werte sind beim ANV erhöht und mit einer gesteigerten Mortalität assoziiert (SIMMONS et al. 2004). Andererseits besitzt IL-10 bei Ischämie/Reperfusionsschäden eine protektive Wirkung auf die Niere, indem es die iNOS, den TNF-α und über ICAM-1 die Aktivierung und Adhäsion von PMNs inhibiert. Sowohl die Kreatininwerte als auch die Nierenhistologie blieben bei IL-10-Applikation im physiologischen Bereich (DENG et al. 2001).