• Keine Ergebnisse gefunden

2 Literaturübersicht

2.1 Schock

Der Schock ist eine der häufigsten Todesursachen bei Notfall- und Intensivpatienten.

Unbehandelt führt er unweigerlich zum Tod des Patienten. So liegt die Letalität für die häufigsten Formen des kardiogenen und hypovolämischen Schocks bei 60% (HOCHMANN et al. 2000).

Schock ist definiert als unzureichende Durchblutung vitaler Organsysteme unterschiedlicher Ausprägung mit nachfolgender Gewebehypoxie als Ausdruck des Missverhältnisses zwischen Sauerstofftransport und Sauerstoffaufnahme. Dabei beruht die kritische Abnahme der Durchblutung unabhängig von der Ätiologie entweder auf einem absolut oder relativ verminderten Herzzeitvolumen, vermindertem intravasalen Blutvolumen, einer Verteilungsstörung des Blutflusses in der Peripherie oder einer Kombination dieser Störungen (JANSSENS u. HANRATH 1994). Die klassische Einteilung der Schockformen erfolgte nach HINSHAW und COX (1972) in den kardiogenen, distributiven, obstruktiven und hypovolämischen Schock (Tabelle 1).

Tabelle 1: klassische Einteilung der Schockformen nach HINSHAW und COX (1972) Kardiogen primäres Versagen der Pumpleistung des Herzens

Distributiv pathologischer Anstieg der Gefäßkapazität

• Septischer Schock

• Anaphylaktischer Schock

• Neurogener Schock

Obstruktiv Behinderung der Auswurffunktion des Herzens z.B. durch - fulminante Lungenembolie

- kritische Aortenstenose - akute Perikardtamponade

Hypovolämisch herabgesetzter venöser Rückstrom zum Herzen bei normalen Pumpfunktionen z.B. durch

- akuten Blutverlust

- Flüssigkeitsverlust über Niere oder Darm

- Verbrennungen

Bei einem kardiogenen Schock ist das Herz die primäre Ursache. Herzerkrankungen aller Art führen zu einer Minderleistung des Herzens und konsekutiv zur Reduktion des Herzzeitvolumens und zu einem Blutdruckabfall. Letzterer entsteht beim distributiven Schock durch eine extreme periphere Vasodilatation. Beim septischen Schock wird die Vasodilatation durch Endotoxine, Zytokine und Entzündungsprodukte gesteuert. Außerdem schädigen diese Substanzen die Gefäßendothelien und das Myokard derart, dass es sowohl zum Austritt von Plasma in das Gewebe als auch zur Beeinträchtigung des Herzzeitvolumens kommt, was den Blutdruckabfall verstärkt (PARKER 1996). Bei einem obstruktiven Schock schafft es das Herz nicht, das Blutvolumen gegen den Widerstand zu befördern, so dass ein physiologischer Blutdruck nicht aufgebaut werden kann. Der hypovolämische Schock dagegen nimmt seinen Ausgang in einem tatsächlichen, absoluten Blutverlust (ADAMS et al. 2001).

Die Pathophysiologie beginnt also bei allen Schockformen mit einem Abfall des Blutdrucks.

Über Baro- und Chemorezeptoren wird das sympathische Nervensystem aktiviert. Die freigesetzten Nebennierenhormone Adrenalin und Noradrenalin bewirken die Steigerung der Herzfrequenz und der Kontraktilität sowie eine periphere Vasokonstriktion. Diese ist besonders stark in Gefäßbetten mit hoher Dichte von α-adrenergen Rezeptoren (Haut, Muskulatur, Splanchnikusgebiet, Niere). Aus dem Splanchnikusgebiet wird dadurch ein überproportional großer Teil des Blutes mobilisiert und damit die Vorlast erhöht (BONGARD 2002). In der Niere wird durch die sympathische Stimulierung das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) aktiviert. Der Abfall des systemischen Blutdrucks (vermittelt durch Barorezeptoren), der Abfall des renalen Blutdrucks (vermittelt über den tubuloglomerulären Feedback) sowie einige humorale Faktoren haben gleichermaßen Anteil daran. Die Stimulation bewirkt die Sekretion von Renin überwiegend aus Epitheloidzellen der afferenten Arteriolen. Renin katalysiert die Umwandlung des im Blut zirkulierenden Angiotensinogen zu Angiotensin I, welches durch das endotheliale Angiotensin-converting-enzyme in das biologisch aktive Angiotensin II konvertiert wird. Angiotensin II hat mehrere Wirkungen. Erstens ist es ein potenter Vasokonstriktor, zweitens steigert es die Sekretion von Katecholaminen, drittens bewirkt es selbst und über Stimulation der Aldosteron-Sekretion aus der Nebennierenrinde eine Natriumresorption in der Niere, die eine Wasserretention zur Folge hat und viertens steuert es zusammen mit den Barorezeptoren die Freisetzung des antidiuretischen Hormons (ADH) aus dem Neurohypophyse (JANSSENS u. GRAF 2004).

ADH bewirkt in niedrigen Dosen eine Wasserretention in den Sammelgängen der Niere, in höheren Konzentrationen, wie bei Sepsis (BAKER et al. 1990), ist es zusätzlich ein Vasokonstriktor. Zudem unterstützt es Noradrenalin in seiner Wirkung (BARTELSTONE u.

NASMYTH 1965) und inhibiert vasodilatorische Mechanismen wie Stickstoffmonoxid (NO) (UMINO et al. 1999), das atriale natriuretische Peptid (ANP) (NAMBI et al. 1986) und den adenosintriphosphatabhängigen Kaliumkanal (K+ATP) (WAKATSUKI et al. 1992) (siehe unten).

Sind durch die Kreislaufzentralisierung das Herz und das zentrale Nervensystem ausreichend versorgt, leiden die Mikrozirkulation und damit auch Darm und Niere unter dem konsekutiven Sauerstoffmangel. Dabei ist der Grad des Schocks mit dem der Sauerstoffschuld assoziiert (ASTIZ et al. 1993). Das Sauerstoffdefizit beruht auf dem verminderten Herzzeitvolumen sowie der damit verbundenen schlechten Sauerstoffsättigung des Blutes.

Sind Sepsis, Verbrennungen oder Trauma an dem Schock beteiligt, besteht zusätzlich ein deutlich erhöhter Sauerstoffbedarf (JANSSENS u. GRAF 2004). Unter normalen Bedingungen kann die Sauerstoffextraktion abhängig vom Bedarf gesteigert werden, im Schock erschöpfen sich die Vorräte jedoch (ASTIZ et al. 1993). Dies hat einen Mangel an ATP, das Versagen der Natrium-Kalium-Pumpe und eine mitochondriale Dysfunktion zur Folge (SKOWRONSKI 1988).

Der zelluläre Energiestoffwechsel muss in dieser Situation auf die anaerobe Glykolyse umgestellt werden, wobei neben dem notwendigen ATP eine Reihe toxischer Substanzen (SKOWRONSKI 1988), unter anderem Laktate entstehen. Ein Teufelskreis beginnt. Durch das Laktat werden noch mehr Katecholamine freigesetzt, die jedoch aufgrund von Rezeptorerschöpfung keine Wirkung mehr entfalten können. Es kommt zu Herzarrhythmien, Herabsetzung des Herzzeitvolumens und - zunächst im präkapillaren Bereich - zur Vasodilatation (STERN u. BOBEK 2001). Gleichzeitig tritt aufgrund des eingeschränkten Stoffwechsels in der Peripherie eine Hypothermie auf (GENTILELLO 1999). Diese zieht ebenfalls Herzarrhythmien, ein vermindertes Herzzeitvolumen sowie eine weitere Laktatproduktion nach sich. Zudem ist bei Hypothermie der Sauerstofftransport beeinträchtigt (BONGARD 2002). Die präkapilläre Vasodilatation führt zu einer Stagnation mit Austreten von Flüssigkeit, Proteinen und Elektrolyten in das Gewebe. Die Ödembildung beeinflusst die Mikrozirkulation zusätzlich negativ. Durch Stagnation und Hypothermie steigt die Viskosität

des Blutes. An den zunehmend geschädigten Gefäßen setzt die disseminierte intravasale Gerinnung (DIC; disseminated intravascular coagulation) ein und verstärkt die Ischämie. Bei langanhaltendem und schwerem Verlauf kann es zu einer ausgeprägten therapierefraktären Vasodilatation kommen. Selbst wenn die Grundkrankheit erfolgreich behandelt werden konnte, persistieren die Hypotonie und die Hypoperfusion (LANDRY u. OLIVER 2001).

Durch die Vasodilatation kommt es zur Reperfusion des zuvor ischämischen Gebiets, was zur Entstehung und zum Weitertransport von Entzündungsmediatoren (Kapitel 2.4:

Ischämie/Reperfusionshypothese) und damit zu deren Generalisierung im Sinne eines SIRS führt (Kapitel 2.3). Das Schockgeschehen wird zunehmend überlagert.

Während bei den meisten Schockarten die Vasodilatation erst in der späten, dekompensierten und zumeist irreversiblen Phase einsetzt, beginnt das Schockgeschehen bei Sepsis und beim septischen Schock mit der Vasodilatation. Das Stickstoffmonoxid (NO) bzw. die Stickstoffmonoxidsynthase (NOS), das ADH und der K+ATP-Kanal spielen dabei die Hauptrollen (LANDRY u. OLIVER 2001).

Die bei Sepsis anwesenden bakteriellen Lipopolysaccharide (LPS) führen zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren, wie Interleukin-1 (IL-1), Interleukin-6 (IL-6), Interferon-γ (IFN-γ), Tumornekrosefaktor (TNF-α). Diese induzieren zusammen mit dem LPS und der später einsetzenden Hypoxie die induzierbare NOS (iNOS) in allen Geweben (TAYLOR u.

GELLER 2000; KNOTEK et al. 2001). Während die endotheliale NOS (eNOS) an der physiologischen Regulation des Vasotonus beteiligt ist und nur kleinste Mengen an NO erzeugt (SPAIN et al. 1994), synthetisiert die iNOS NO in hohen Konzentrationen. NO ist ein potenter Vasodilatator. Es verhindert einerseits - zusammen mit dem ebenfalls erhöhten ANP (MARTIN et al. 2000) - die Gefäßmuskelkontraktion direkt, andererseits aktiviert es den regulatorischen, blutdrucksenkenden, kalziumabhängigen Kaliumkanal (K+Ca-Kanal) (MURPHY u. BRAYDEN 1995; QUAYLE et al. 1997). Überdies beeinträchtigt NO die Wirkung von Katecholaminen auf deren Rezeptoren (THIEMERMANN et al. 1993;

HOLLENBERG et al. 2000). ADH wird bei Hypotension sezerniert. Im septischen Schock erschöpfen sich jedoch seine Vorräte (LANDRY u. OLIVER 2001) und seine mittelbaren wie unmittelbaren drucksteigernden Wirkungen entfallen (siehe oben). Der K+ATP-Kanal ist regulatorisch am Vasotonus beteiligt. Durch ATP-Mangel, NO (MURPHY u. BRAYDEN

1995), ANP und Adenosin (QUAYLE et al. 1997) wird er geöffnet, was die Vasodilatation zusätzlich verstärkt.

Diese Reaktionen laufen an allen Gefäßen der Haut, der Muskulatur, des Darms und der Niere ab. Die letzten beiden Organe sind dabei im Rahmen des MODS von besonderer Bedeutung.

Der Darm wird durch die hypoxischen Zustände im Schock in Mitleidenschaft gezogen. Das macht ihn bei vasodilatationsbedingter Reperfusion zum „Motor des MODS“ (MEAKINS u.

MARSHALL 1986), da er dann zur Quelle von LPS und Entzündungsmediatoren wird (HASSOUN et al. 2001) (Kapitel 2.4). Die Niere greift anfangs regulatorisch in den schockbedingten Blutdruckabfall ein, um zentrale Organe zu schützen. Zunehmend ist sie jedoch selbst von Schädigungen betroffen. Diese setzten schon bei Minderperfusion im Schock ein. Wenn sich aus dem Schock SIRS und MODS entwickeln, ist die Niere das letzte, irreversibel betroffene Organ mit meist letalem Ausgang (Kapitel 2.7).

Eine frühe Schockmanifestation mit Gewebehypoxie und Laktatanstieg ist noch kompensierbar. Durch das nächste Stadium der Ischämie und Reperfusion kann es jedoch zur Manifestation eines systemischen Entzündungsantwortsyndroms (SIRS; Kapitel 2.3) kommen. Das multiple Organdysfunktionssyndrom (MODS; Kapitel 2.4) mit hoher Letalität ist die Folge (JANSSENS u. GRAF 2004). Der Weg dahin verläuft häufig über eine sekundäre Sepsis.