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Darm und Ernährung an der Entstehung der MS beteiligt

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Fachartikel

Darm und Ernährung an der Entstehung der MS beteiligt

Montag, 19. Juni 2017

Welche Rolle spielt der Darm bei der Entstehung von MS? Der Neurologe Aiden Hag- hikia beschreibt in diesem Artikel, wie Darmbakterien eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten spielen und wie derzeit an der Bedeutung der Ernährung bei MS geforscht wird.

Die Multiple Sklerose (MS) ist primär eine autoimmune Erkrankung des zentralen Nervensystems, d.h. das eigene Immunsystem, das für die Infektabwehr angelegt ist, greift Bestandteile von Nervenscheiden, des sog. Myelins, aber auch Nervenzel- len und ihre Ausläufer selbst im Rückenmark und Gehirn an. Diese Immunattacken führen entweder zu Schüben, die Patienten beeinträchtigen und behandelnde Neu- rologen untersuchen können und/oder zu stummen Entzündungszeichen, die mit- tels MRT sichtbar werden, die sog. Läsionen oder Herde. Die rasant wachsenden Er- kenntnisse aus der klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Erforschung der autoimmunen Entzündung bei der MS hat in den letzten Jahren zur rascheren Dia- gnostik und besseren Therapierbarkeit der MS geführt. Obwohl aus der Vielzahl von modernen Studien einige Therapeutika enttäuscht haben und andere ungeahnt schwerwiegende Nebenwirkungen hatten, haben sie alle erheblich zum Verständnis der Erkrankung und besseren Therapie beigetragen. So haben wir heute im Ver- gleich zu vor ca. 20 Jahren inzwischen 12 verschiedene Präparate, entsprechend 9 verschiedene Substanzklassen zur Behandlung von MS-Patienten zur Verfügung.

Wenn damit auch noch nicht sämtliche Verlaufsformen, v.a. die späten sekundär und primär chronisch progredienten Verläufe, ausreichend therapiert werden kön- nen, so können wir aus der Vielzahl der Medikamenten eine Therapie auswählen, die dem Bedarf der Patienten gut angepasst werden kann.

Dabei können wir nicht nur die Krankheitsaktivität, sondern auch Verträglichkeit und Lebensumstände der Patienten, wie z.B. Kinderwunsch und die bevorzugte Ap- plikationsform u.a. stärker in die Therapieentscheidung mit einfliessen lassen. An- ders als die Immun-Prozesse während der Erkrankung, ist unser Verständnis über die Ursachen oder Ätiologie der MS noch immer sehr limitiert. Trotz neuer Erkennt- nisse im Bereich der Genetik und Epigenetik der MS ist im Besonderen die Rolle der Umweltfaktoren als Auslöser und deren Einfluss auf den Verlauf der Krankheit noch weitestgehend unbekannt – diese machen 2/3 des MS-Risikos aus. Vorhandene Er- kenntnisse hierzu, u.a. Virus-Infektionen in der Kindheit, Vitamin D-Mangel und Ent- fernung des Geburtsortes vom Äquator stammen zumeist aus ersten epidemiologi- schen Studien, die teilweise viele Jahrzehnte zurückliegen. Manche dieser Studien- ergebnisse konnten durch modernere nicht bestätigt werden, andere werden der- zeit noch untersucht. Fest steht, die weitere Erforschung der Rolle von Umwelt- Risi- kofaktoren bei der Entstehung der MS ist höchst relevant, da die Umweltfaktoren

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mit ca. 60-70% – die Berechnung des genetischen Gesamtrisikos liegt bei etwa 30% - der Ätiologie erklären, d.h. einen weitaus grösseren Einfluss nehmen. Zudem er- laubt die Kenntnis solcher Risikofaktoren aus der Umwelt die Einflussnahme auf die Exposition im Sinne von Prävention und ggf. eine therapeutische Umsetzung.

So haben gross angelegte internationale Kohortenstudien inzwischen auch «neue»

Risikofaktoren identifizieren können, wie z.B. den Einfluss des Zigarettenrauchs, von Übergewicht und übermässigen Kochsalzkonsum als aktivierende Faktoren bei der Entstehung und Wachstum von autoimmunen Entzündungszellen im Immunsystem.

Ein anderes Feld, das stimuliert durch Professor Wekerle und Mitarbeiter vom Max- Planck- Institut einen rasanten Einzug in die Forschung der MS-Ätiologie hält, ist die Rolle des Darms bei der Entstehung der MS. Dabei ist der Darm aus vielerlei Hin- sicht ein sehr wichtiges Organ sowohl bei Immungesunden, als auch bei Menschen mit Autoimmunkrankheiten, wie der MS: Der Darm hat die grösste Oberfläche, die mit der Aussenwelt in Kontakt steht und damit ein raffiniertes Immunsystem, und hier kommen sowohl die Nahrung, als auch Bakterien und Stoffwechselprodukte zu- sammen.

Der Darm als möglicher Entstehungsort für Autoimmun-Krankheiten

Der menschliche Darm nahm über Jahrhunderte eine zentrale Rolle in der Medizin und bei Heilberufen ein. Auch jeder ansonsten gesunde Mensch, der die Erfahrung mit Diarrhoen oder chronischer Obstipation gemacht hat, weiss, wie der gesamte Organismus in Mitleidenschaft gezogen wird. Daher rühren heute noch Darmthera- pien, wie spezielle Einläufe und Reinigungskuren aus Fernost und indigenen Völ- kern. In der modernen Schulmedizin ist der Darm allerdings, Magen-Darm-Erkran- kungen ausgenommen, im letzten Jahrhundert zunehmend in Vergessenheit gera- ten. Und nicht zuletzt aufgrund neuer gentechnologischer Methoden hat der Darm und insbesondere dessen Inhalt, die Darm-Bakterien, wieder beträchtliche Beach- tung in der modernen Medizin und Grundlagenwissenschaften gefunden: Während über lange Zeit nur verhältnismässig wenige bakterielle Spezies, vor allem krank- heitserregende Bakterien, mittels Anzucht mit speziellen Kulturtechniken nachge- wiesen werden konnten, haben wir heute die Möglichkeit durch Genanalyse, aber- tausende verschiedene Bakterien durch ihren genetischen Fingerabdruck, gewisser- massen deren Visitenkarte, zu erkennen.

Dass das Schicksal des menschlichen Organismus mit dem seiner bakteriellen Be- siedlung eng zusammen hängt, lässt sich anhand eines lange bekannten und funda- mentalen Beispiels verdeutlichen: Sog. Mitochondrien, die gewissermassen als Kraftwerke fast jeder menschlichen Zelle dienen, sind Überbleibsel von eigenständi- gen Bakterien-ähnlichen Organismen, die im Zuge der Evolution mit menschlichen Zellen fusioniert sind. Es stellt sich nun die Frage, was hat der Darm und seine bak- terielle Flora mit der Autoimmun-Erkrankung eines weit weg gelegenen Organs, wie

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dem zentralen Nervensystem zu tun? Vor nicht allzu langer Zeit konnte gezeigt wer- den, dass durch die Entfernung «natürlicher» Bakterien aus dem Darm eines experi- mentellen Modells der MS die Erkrankung völlig unterdrückt werden konnte. Damit konnte gezeigt werden, dass die Darmbakterien nicht nur für die gesunde Immun- abwehr, sondern auch für die Entstehung einer Autoimmunerkrankung eine zentra- le Rolle spielen.

Nun kann diese wichtige Erkenntnis nicht direkt für Therapiezwecke genutzt wer- den, da das Überleben des Menschen ohne eine bakterielle Darmflora nicht möglich wäre. Hieraus haben sich allerdings zunehmend unterschiedliche Forschungszweige gebildet, die aktuell untersuchen, welche Bakterien für eine «gesunde» Flora zustän- dig und welche möglicherweise mit Erkrankungen wie der MS assoziiert sind. Es handelt sich noch um eine junge Forschungsdisziplin, die bereits erste Erkenntnisse über mögliche krankheitsassoziierte Bakterien gewonnen hat. Allerdings sind wir derzeit noch weit davon entfernt, die komplexen Interaktionen innerhalb der Ge- samtheit aller Darmbakterien oder des sog. Darm-Mikrobioms zu verstehen. Bei ei- ner aktuellen Schätzung, die von mehr als 10-mal mehr Bakterien als sämtliche menschliche Zellen zusammen genommen ausgeht, ist es nur verständlich, dass noch viele Fragen sowohl im Zusammenhang mit dem gesunden, als auch autoim- mun erkrankten Organismus offen bleiben. Fest steht, dass die weit verbreitete sog.

westliche Diät, die bevorzugt aus einfachen Kohlenhydraten, Zucker und tierischem Fett besteht, zu einer grundlegenden Veränderung des Darm-Mikrobioms und zwar einer Reduktion der Bakterien-Vielfalt führt.

Die Rolle der Ernährung bei der MS

Kürzlich wurden die Mechanismen aufgeklärt, wie die erhöhte Kochsalz-Zufuhr zur Entstehung und Vermehrung von autoimmunen Entzündungszellen im Kontext der MS beiträgt. Welche anderen Bestandteile aus der aufgenommenen Nahrungsviel- falt können die MS positiv oder negativ beeinflussen? Eine Frage, die sich MS-Patien- ten selbst und uns behandelnde Neurologen häufig stellen. Erste Studien, die dieser Frage nachgegangen sind, reichen zurück bis in die frühen Nachkriegsjahre. Aus der Beobachtung, dass an küstennahen Regionen Norwegens weniger Fälle von MS auf- treten als im Inneren des Landes, ist die Theorie erwachsen, dass Nahrung reich an tierischen Fetten (Innland) im Gegensatz zu fisch- und gemüsereicher Nahrung die Entstehung der MS begünstigen könnte. Die nach dem Autor dieser Studie benann- te sog. Swank-Diät hat demzufolge als primäres Ziel die Vermeidung tierischer Fette und erlebt heute eine Neuauflage. Andere Studien, die einen möglichen positiven Effekt von Omega-3-Fettsäuren (langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren) un- tersucht haben, konnten wiederholt keinen therapeutischen Effekt bei der MS nach- weisen. Wir sind im Rahmen eigener, industriefreier Forschungsvorhaben zusam- men mit Wissenschaftlern der Universität Erlangen der Frage nachgegangen, welche Eigenschaften von Fettsäuren möglicherweise das Immunsystem beeinflussen

könnten.

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Hierzu untersuchten wir sowohl den direkten Effekt von Fettsäuren unterschiedli- cher Längen (kurz-, mittel- und langkettige Fettsäuren) auf Immunzellen in der Kul- turschale, als auch die Wirkung der oralen Aufnahme und damit die Darmpassage der Fettsäuren auf den Krankheitsverlauf des experimentellen Modells der MS, der sog. experimentell autoimmune Enzephalomyelitis (EAE). Interessanterweise führen gesättigte Fettsäuren mit wachsender Länge, vor allem für die mittel- bzw. langketti- gen Fettsäuren Laurinsäure und Palmitinsäuren zur vermehrten Entstehung und Vermehrung von pro-entzündlichen Lymphozyten in der Darmwand und damit zu einem schwereren Krankheitsverlauf der EAE. Im Gegensatz dazu führen Fettsäuren mit absteigender Länge, vor allem belegt für die Propionsäure zu einem Anstieg von regulatorischen Lymphozyten («Immunpolizei»), die bei oraler Zufuhr einen milde- ren Verlauf der EAE zur Folge haben. Aktuell überprüfen wir in einer Folgestudie an der Ruhr-Universität im St. Josef-Hospital zunächst bei gesunden Kontrollen und an- schliessend bei MS-Patienten, ob sich diese Ergebnisse auch bei Anwendung des Salzes von Propionsäure, mit dem Natrium-Propionat im Menschen bestätigen las- sen.

Inzwischen haben wir über 80 MS-Patienten hierunter untersucht und werden in Kürze die Ergebnisse der Studie veröffentlichen. Kochsalz und Fettsäuren als essen- zielle Bestandteile der täglichen Nahrung können über den Darm einen erheblichen Einfluss auf das Immunsystem haben und möglicherweise im Kombination mit zu- gelassenen Immuntherapien adjuvant-therapeutische Anwendung finden. Diese Be- obachtung lässt nur erahnen, welche unvorhergesehenen Möglichkeiten sich durch Nahrungsumstellung und Beeinflussung des Darms ergeben könnten und rechtfer- tigen allemal die weiterführende Erforschung dieses Gebiets im Kontext der MS. Wir halten es für sinnvoll, möglichst einfache Nahrungsergänzung und -modulation zu untersuchen, um die Darmflora bei MS «positiv» zu modulieren. Extremvorstellun- gen – wie «Stuhltransfer von gesunden Familienmitgliedern auf MS-Patienten» und damit Veränderungen des Mikrobioms, wären zwar in der modernen Medizin mög- lich, aber sollten bei Autoimmunerkrankungen nicht unser Ziel sein. Aus unserer Sicht können solche einfachen Nahrungsmethoden synergistisch-ergänzend zu den etablierten Immuntherapien stehen, und sie keinesfalls ersetzen.

Autor: Aiden Haghikia Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum (mit freundlicher Genehmigung des DMSG-Landesverbands NRW)

Literatur

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2013;496(7446):518-522.

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4.Berer K, Mues M, Koutrolos M, et al. Commensal microbiota and myelin autoanti- gen cooperate to trigger autoimmune demyelination. Nature. Nov 24

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8.Torkildsen O, Wergeland S, Bakke S, et al. omega-3 fatty acid treatment in multiple sclerosis (OFAMS Study): a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Arch Neurol. Aug 2012;69(8):1044-1051.

9.Haghikia A, Jorg S, Durscha A, et al. Dietary Fatty Acids Directly Impact Central Ner- vous System Autoimmunity via the Small Intestine. Immunity. Apr 19

2016;44(4):951-953.

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