• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER! Kinder brauchen Märchen" (15.05.1985)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER! Kinder brauchen Märchen" (15.05.1985)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DIE GLOSSE

Aufgenommen ..

Man hat ihn aufgenommen. Auf der Privatstation. Er kann sich dies leisten — mit seiner Zusatz- versicherung.

Man hat ihn kürzlich operiert und nun noch einmal — an einer schlimmen Sache. Nun liegt er zu- sammen mit einem Zimmergenos- sen. Der ist alt, sehr alt. Er hört fast nichts mehr, und auch die Kräfte haben ihn weitgehend ver- lassen. Kaum, daß er die Klingel finden kann. Der Mensch hilft ihm, so gut es geht. Zeit bleibt ihm nicht immer. Der Darm spielt ihm böse mit. Alle Augenblicke muß er auf den Stuhl. Oft ist es sogar zu spät. Das peinigt ihn, er schämt sich.

Der Chefarzt weiß um seine Mise- re. Bei einer der eiligen Morgenvi- siten — bevor jenen der OP fordert

— hat er es ihm gesagt.

Er tut dem Menschen leid, der Chefarzt! Er ist wirklich sehr be- schäftigt — an eine Nachmittagsvi- site ist ganz offenbar nicht zu den- ken! Befriedigen kann es ihn doch nicht, grübelt der Mensch. So we- nig Zeit für „seine" Patienten zu haben! Sicher weiß doch auch er insgeheim um die Wohltat des rechten Wortes für den Schwer- kranken. Auch für ihn, der immer auf ihn wartet! Gerade auch für ihn, der soviel Schlimmes hinter sich hat und vermutlich noch viel Schlimmes vor sich.

Die Stationsschwester — auch sie tut ihm leid. Krankenhausarbeit ist ihm ja nicht fremd. Und so erin- nert er sich an so manches Ge- spräch, das Stationsschwestern, ließ ihnen das „Notwendige" ei- nen Augenblick Zeit, da und dort führten. Am Abend, besonders vor dem Nachhausegehen, dem Ver- lassen der Station und „ihrer" Pa- tienten. Sie, die Stationsschwe- ster, schafft dies offenbar nicht mehr, an keinem Abend. Oder er- fuhr sie von solchen Aufgaben überhaupt nichts bei all dem Vie-

len, was sie heutzutage zu lernen hat?

Das Essen kommt in einer flachen Stahlbüchse, warm verschlossen, hygienisch einwandfrei. Ver- schlossen wandert sie auch wie- der zurück. Hat der Mensch ge- gessen? Was hat er gegessen?

Warum hat er nicht gegessen?

Keine derartigen Fragen in all den Tagen! Die Kompetenz für das Es- sen liegt ja auch in einem anderen Bereich, außerhalb der Station.

Das ist sicher rationell, denkt der Mensch, deshalb muß es wohl so sein.

FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER!

Kinder

brauchen Märchen

Sehr geehrter Herr Doktor,

merkwürdigerweise habe ich kürzlich wieder gehört, daß Kin- der Märchen brauchen. Früher wurde doch das Gegenteil be- hauptet. Da hieß es, die Kinder würden durch die brutalen Mär- cheninhalte in ihrer Seele gestört und in ihrer Entwicklung ge- hemmt. Wie muß man sich da ver- halten?

Dr. Biersnyder antwortet: Es ist richtig, daß hier die Meinungen auseinandergehen. Glücklicher- weise hat man dem Meinungs- streit ein Ende setzen können. Es wurde nämlich festgestellt, daß Kinder dann nichts lesen oder nicht zuhören, wenn Ereignisse dargestellt werden, die durchweg human, freundlich, liebevoll und problemlos sind. Das ist bei den bekannten Märchen ja nicht der Fall. Märchen kommen dem kind- lichen Naturell also sehr entge- gen. Falls Sie das Vorlesen zu Hause bisher versäumt haben:

Kinder sind bekanntlich auch oh- ne Kenntnis von Märchen im Um- gang mit ihresgleichen nicht son- derlich zimperlich. ❑

Irgendwann einmal hört er vom Flur seinen Namen. Man solle dar- auf achten, daß er mobilisiert wer- de. Mobilisiert? Er hastet vom Bett auf den Stuhl und, vor Angst erschöpft, zurück ins Bett!

Da denkt der Mensch, daß es nicht gut ist, alt zu sein. Sich noch zu erinnern, wie einst ein Doktor noch Zeit fand, sich auf den Bett- rand zu setzen und so zu tun, als sei Zeit keine Mangelware für ihn.

Daß die Stationsschwester selbst- verständlich noch Zeit für ein Gute-Nacht-Gespräch hatte, und war es auch noch so kurz. Daß die Diätassistentin gelegentlich selbst an das Krankenbett kam, um zu sehen, wie der Mensch aussieht, für den sie sich Mühe gegeben hat. Vielleicht einmal das Menü selbst brachte, nett hergerichtet, oder eine kleine Zwischenmahl- zeit, eine Bouillon etwa.

Ach ja — an eine Bouillon dachte er dieser Tage. Die Küche habe, sagte man ihm, im Augenblick kei- ne. Sie werde zu selten verordnet.

Nach anderem hatte er nicht ge- fragt, was Wunder, wenn von an- derem nicht gesprochen wurde.

Aufgenommen — so grübelte er vor ein paar Nächten — was kann in einem solchen Wort doch alles enthalten sein! Man hat ihn aufge- nommen, mit großer Kunst ope- riert und ihn dann sozusagen in- ventarisiert. Und aufgenommen fühlte sich auch jener Sohn, der sich einst schon völlig verloren glaubte. So verloren wie er, der Mensch, in jener langen Nacht.

P. S. Vor 2 Wochen hat man das Becken geröntgt. Ob er Schmer- zen am linken Beckenrand habe, hat man ihn gefragt. Er hatte kei- ne. Wie es mit dem Befund denn nur sei, wollte er wissen. Der Be- fund stehe noch aus. Jeden Mor- gen sucht sein Blick fragend den Chefarzt. Hat er den Befund wohl noch nicht, oder hat er es bisher nur eilig?

Dr. med. Wilhelm E. Weber

1496 (28) Heft 20 vom 15. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Her mit dem Taschencompu- ter: In US-Amerika haben je 1,857 Millionen Einwohner eine Medical School, in der UdSSR sind es 3,189 Millionen, in China (mit Taiwan) 9,088 Millionen,

Man mag ihnen damals oft nicht mit jener „Humanität" begegnet sein, auf die wir heute so stolz sind, aber die Gesunden übernahmen die Verantwortung, abgesehen von

Die PRÄVENTA 86 hat einmal mehr gezeigt, daß sich Grundein- stellungen ändern müssen: Bei den Leistungserbringern, damit sie sich mehr als bisher der Ge- sundheitsberatung

Wenn schon das Pro- blem nur schwer begriffen wird, so kann wenigstens über die Worte gemäkelt werden, mit denen man es zu beschreiben versucht.. Die Strahlenexperten haben sich

Sowohl die Krankenversicherungsträger als auch die Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesverei- nigung werden aufgefordert, ihre Mitglieder über AIDS verstärkt zu

Sehr geehrter Herr Doktor, wenn alles durch die Umwelt her- vorgerufen wird, wie man immer liest, dann erwarte ich aber auch von meinem Sohn, daß er in Musik und Sport

Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Ge- schäft mit aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefähr- lichste Mensch im Staate.. Denn

Die Hälfte des heutigen Alkoholikervo- lumens soll auch noch im Jahr 2000 vorliegen, 50 Prozent der dann unter 16jährigen sollen dann noch rauchen, 0,3 Prozent der im Jahr