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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DIE GLOSSE
JOD
Die Rede ist hier nicht von dem chemischen Element mit der Ord- nungszahl 53, in Alkohol leicht löslich zur braungefärbten Jod- tinktur, die von Velpeau 1859 als Antiseptikum in die Medizin einge- führt wurde. Die Rede ist vielmehr von Juristischen Orientierungs- Daten, die in Zukunft neben eini- gen Wirtschaftsdaten für die Wei- terentwicklung des Rechtspflege- systems herangezogen werden sollen, nachdem es so wie bisher einfach nicht mehr weitergehen kann:
Rechtsökonomen fordern seit Jah- ren Effizienz- und Effektivitätsbe- weise für das Rechtspflegesystem und in Sonderheit eine stärkere Erfolgsorientiertheit von Strafver- folgung und Strafvollzug. Trotz ei- ner unglaublichen Kostenexplo- sion in Teilbereichen — das Haus- haltsvolumen allein des Bundes- kriminalamtes wuchs von 1969 = 12 auf 1984 = 270 Millionen DM, und die Zahl der darin Beschäftig- ten stieg um mehr als das Fünffa- che auf 3200 — hat sich die Zahl der Straftaten von 1963 = 1,678840 Millionen auf 1982 = 4,291975 Millionen Fälle erhöht.
Auch der Aus- und Neubau von Ju- stizvollzugsanstalten als den sta- tionären Einrichtungen des Sy- stems hat die Situation nicht grundlegend verbessert. Die Ver- weildauer konnte zwar durch ein- schlägige Verwaltungsvorschrif- ten stark verkürzt werden (Entlas- sung nach zwei Dritteln der ver- büßten Freiheitsstrafe), dennoch liegt die Auslastung bei fast 54 000 Neueinweisungen pro Jahr nahe 100 Prozent.
Kritiker weisen insbesondere auf die enge zeitliche Korrelation zwi- schen dem Anstieg der Zahl von Rechtsanwälten als wesentlichen Trägern der ambulanten Rechts-
pflege und der Zahl von Straftaten hin und vermuten hier eine ange- botsinduzierte Nachfrage. Danach würden Rechtsanwälte justizge- sunde Bürger zu Straftaten veran-
lassen, um so ihr Einkommen zu maximieren.
Da auch die Bemühungen um eine verstärkt präventive Ausrichtung der Rechtspflege bisher nicht zum rechten Erfolg führten — die Be- troffenen spielen halt nicht mit! —, sollen nun nach Vorschlägen des Justizministeriums ,,JODs" ent- wickelt werden, um den Bedarf an Polizisten, Gerichtsgebäuden, Rechts- und Staatsanwälten, Ju-
stizvollzugsanstaltsplätzen, Schlagstöcken, Handschellen, Wasserwerfern, Aktendeckeln usw. objektiv ermitteln zu können.
Darin müssen u. a. eingehen die Altersstruktur der Bevölkerung (erhöhte Straffälligkeit einer ge- burtendefizitären Gesellschaft, da
FRAGEN SIE DR. BIERSNYDER!
Ein Fall für den Nervenarzt
Sehr geehrter Herr Doktor,
neulich sagte mir ein Patient, der mich wegen einer Bagatellunter- suchung aufsuchte, er sei im übri- gen gesund, er sei sogar zufrieden und einigermaßen glücklich. War der Patient womöglich manisch oder sonstwie gestört?
Säuglinge nach jüngsten epide- miologischen Untersuchungen nicht straffällig werden), das ge- wichtete Straftatenspektrum (Zu- nahme von Raub und Erpressung bei stagnierender Zahl von Tö- tungsdelikten mit häufiger Multitä- terschaft), die Gesamtzahl über- fallbarer Geldinstitute und Super- märkte, die Größe der Bevölke- rung (und damit der Zahl über- haupt möglicher Opfer von Ver- brechen), die mittlere Arbeitszeit der Polizisten und ganz sicher auch ein Korrekturkoeffizient nach Art der Blackschen Medizin- konstanten. Sie ist ja das Kern- stück der MODs (Medizinische
Orientierungs-Daten) und berück- sichtigt die Inklination der Ma- gnetachse gegenüber der Rota- tionsachse, was bekanntlich bei Multiplikation mit der Grundlohn- summe einen bedarfsgerechten GKV-Ausgabenanstieg vorauszu- berechnen erlaubt.
Dem Vernehmen nach sind im Bil- dungsministerium erste Grund- satzstudien zur Ermittlung von KODs (Kulturelle Orientierungs- Daten) in Gang gekommen, um den Bedart einer Gesellschaft an Symphonieorchestern, Philoso- phen und Kunstmalern objektiv bestimmen zu können.
Es fehlen jetzt eigentlich nur noch Vorschläge zur Erarbeitung von PODs (Planungs-Orientierungs- Daten), mit denen man feststellen könnte, wieviel Planung eine freie Gesellschaft verträgt, bevor sie selbst ihre Freiheit aufhebt! R.v.P.
Dr. Biersnyder antwortet:
In der Tat, der Patient zeigt sich zumindest außerordentlich dick- fellig und uninteressiert an seinen eigenen Problemen und denen der Allgemeinheit. Was schon daraus hervorgeht, daß er offenbar nichts von dem wahrnimmt, was täglich in der Zeitung steht. Ob eine schwerere seelische Störung bei dem Patienten vorliegt, sollte der Nervenarzt entscheiden. ❑
DA-Karikatur: Peter Bensch. Köln
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 22 vom 28. Mai 1986 (21) 1597