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Archiv "Das Leben erhalten. Das Sterben nicht verlängern: Interview des Deutschen Ärzteblattes mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar" (04.11.1983)

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DEUTSCHES ZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Das Leben erhalten.

Das Sterben

nicht verlängern.

Interview

des Deutschen Ärzteblattes mit dem Präsidenten

der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar,

über den „Krefelder Fall", über passive und

aktive Sterbehilfe, über Patientenverfügungen und Beihilfe zur Selbsterlösung

Frage: Herr Dr. Vilmar, glaubt man der veröffentlichten Meinung, dann haben viele Menschen Angst, sie könnten nicht „in Würde sterben". Es gibt sogar polemische Vorwürfe gegen die Ärzte, sie quälten todgeweihte Patienten zu lange mit überflüssigen, lebens- verlängernden Maßnahmen. Werden bei uns Sterbende länger als nötig der Maschinenmedizin ausgesetzt?

Vilmar: Niemand kann natürlich die Umstände seines Todes vor- ausbestimmen. Unter vorhersehbaren Bedingungen sollte jeder, der wirklich im Sterben liegt, selbstverständlich „in Würde" ster- ben können. Kein Arzt will einen Sterbenden quälen. Der Arzt muß vielmehr dem Sterbenden beistehen, er sollte offensicht- lich unsinnige lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen.

Das Problem liegt darin, zu entscheiden, ob und wann eine Maß- nahme entbehrlich ist, oft auch, ob das Leben eines Menschen wirklich zu diesem Zeitpunkt zu Ende geht.

Ich verstehe allerdings die Unruhe in der Öffentlichkeit. Denn die Diskussion um die Sterbehilfe hat sich daran entzündet, daß durch moderne intensivmedizinische Maßnahmen Lungen- und Herzfunktionen, also „das Leben" vielfach auch dann noch er- halten werden können, wenn die eigentlichen personalen Struk- turen, also das Gehirn, nicht wieder funktionsfähig werden. Im vorhinein ist aber oft nicht absehbar, ob es wieder funktionsfä- hig wird, und deshalb muß man im Zweifel zunächst die Intensiv- medizin mit aller dazugehörenden Technik einsetzen. Viele Menschen neigen nun dazu, diese „Maschinenmedizin" als Quä- lerei abzutun und zu sagen: das ist unsinnig. Dies aber läßt sich so pauschal nun wirklich nicht sagen. Denn es gibt ja eine ganze Reihe von Patienten, die man tage- oder sogar wochenlang beat- met hat und die dann später wieder vollkommen gesund gewor- den sind. Dies wird aber meist in der Öffentlichkeit übersehen.

Frage: In der Öffentlichkeit geht's inzwischen nicht mehr allein um das „Abschalten der Maschinen". Da kommt des weiteren die For- derung, die Ärzte sollten schwerkranken Patienten helfen zu ster- ben. Die Grenze zwischen Sterbenlassen und aktiver Beihilfe scheint zu verschwimmen. Wo ziehen Sie die Grenze?

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 44 vom 4. November 1983 17

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Die Information:

Bericht und Meinung Interview zur Sterbehilfe

Vilmar: Bei der Sterbehilfe ist nach wie vor grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der ak- tiven und passiven Sterbehilfe.

Aktiv wäre die Sterbehilfe dann, wenn der Arzt ein tödliches Mit- tel gibt, damit der Patient daran stirbt; passiv wäre die Unterlas- sung eventuell möglicher Be- handlungsmaßnahmen.

Frage: Kann man das wirklich so einfach unterscheiden? Ist es viel- leicht doch so, daß heute die Gren- zen zwischen passiv und aktiv, das eine erlaubt, das andere verboten, nicht mehr klar gezogen werden?

Ich erinnere an den Krefelder Fall.

Hat der Krefelder Kollege nach Ihrer Meinung ärztlich gehandelt?

Vilmar: Es gibt zweifellos Situa- tionen, wo die Abgrenzung Schwierigkeiten bereitet. Der

„Krefelder Fall" könnte in diese Kategorie fallen.

Hier ging es, wenn man den Pressemeldungen glauben kann, ja darum, daß der Krefel- der Kollege eine 77 Jahre alte Patientin, die ihm bekannt war, bewußtlos, aber noch lebend, angetroffen hat und nichts mehr zur Lebensrettung tat. Er konnte aus früheren Meinungsäußerun- gen wie auch aus hinterlegten Abschiedsbriefen zweifelsfrei erkennen, daß sie eine weitere Behandlung, insbesondere eine Reanimation ablehnte, weil sie sterben wollte. Und er wußte auch, daß sie Reanimationsver- suche vor allem dann nicht woll- te, wenn ihre Gesundheit nicht wiederherstellbar sein sollte.

Und das mußte der Kollege of- fensichtlich aus der Gesamtsi- tuation her annehmen, so daß er durch Unterlassen eventuell noch möglicher Reanimations- maßnahmen passive Sterbehilfe geleistet hat. Er ist bis zum Tode bei seiner Patientin geblieben.

Er hat, dem Willen der Patientin entsprechend, nicht das ganze Arsenal der modernen Medizin zum Einsatz gebracht und inso- weit den Willen der Patientin er- füllt. Dieses Verhalten muß man sicher noch unter passiv einord-

nen und kann es nicht schon ak- tiv nennen.

Frage: Gehen Sie mit dieser Beur- teilung nicht schon einen kleinen Schritt weiter, als es die Ärzteschaft bisher getan hat? Die passive Ster- behilfe — gut, das ist, wie Ärztetags- beschlüsse, begleitet auch von Empfehlungen des Wissenschaft- lichen Beirates der Bundesärzte- kammer aussagen, berufskonform.

Als „paSsiv" wird dabei, platt ge- sagt, das „Abschalten der Maschi- nen" angesehen. Tat nicht der Kre- felder Arzt noch ein wenig mehr, in- dem er durch Unterlassen seiner Patienten half, aus dem Leben zu scheiden?

Vilmar: Die Grenzziehung wäre vielleicht nicht ganz so einfach, wenn man davon ausgehen müßte, daß hier ein Arzt zu einer ihm völlig unbekannten Patien- tin gerufen worden wäre. Dann hätte er keinerlei Hinweise dar- auf gehabt, daß die Patientin nicht gerettet werden will, also sterben will. Der Arzt hätte in Geschäftsführung ohne Auftrag handeln müssen. Das muß er, wenn er über die Hintergründe nichts weiß. Er muß dann anneh- men, daß der Patient leben will;

und es entspricht seiner ärzt- lichen Verpflichtung, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern.

Das war aber, wenn man den Meldungen trauen darf, in Kre- feld nicht der Fall.

Frage: Wenn das Verhalten mit der ärztlichen Berufsauffassung in Ein- klang steht — wo liegt da noch die Grenze zu der Forderung, beispiels- weise von Gesellschaften für freiwil- lige Euthanasie oder humanes Ster- ben, Sterbehilfe, auch durch den Arzt, solle grundsätzlich derjenige erhalten, der eine solche Hilfe wol- le? War das nicht letzten Endes im Krefelder Fall so?

Vilmar: Solche Forderungen richten sich wohl mehr darauf, daß der Arzt Sterbehilfe im Sin- ne des aktiven Eingreifens lei- stet und nicht nur des Unterlas- sens. Also das Sterben durch die Gabe von Medikamenten er- leichtert und so den Tod durch

Medikamente herbeiführt. Das ist in Krefeld sicher nicht ge- schehen. Das würde aktive Sterbehilfe, also letztendlich Tö- tung sein, die ja immer noch strafbar ist und auch künftig strafbar bleiben muß.

Frage: Genau das wird heute ange- griffen, die Strafbestimmungen über die Tötung auf Verlangen sind unter Beschuß geraten. In Deutsch- land noch zaghaft. In England aber, das in Sachen Sterbehilfe schon seit den 30er Jahren eine gewisse Vorreiterrolle spielt, fordert die Ge- sellschaft für freiwillige Euthanasie, auch unter den Namen Exit und neuerdings Vesper bekannt, ein Ge- setz, „das Personen erlaubt, Hilfe vom Arzt zu erbitten, wenn sie nach reiflicher Überlegung sterben möchten." Die Exit-Ziele wurden in Deutschland kürzlich erst weiten Kreisen bekannt, als der Vizepräsi- dent der Gesellschaft, der Schrift- steller Arthur Köstler, zusammen mit seiner Frau aus dem Leben schied, ohne ärztliche Beihilfe frei- lich, sondern nach den Anleitungen einer Sterbefibel, wie es sie auch in Deutschland gibt. Exit fordert aber nicht nur die freie Information nach Art solcher Fibeln, sondern vor al- lem, „daß konkrete Beihilfe zur Selbsterlösung, meist medizinische Hilfe, die oft weiter als bloße Infor- mation gehen muß, nicht bestraft wird". Wenn wir uns nicht täuschen, tendiert die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben ebenfalls da- hin.

Vilmar: Das ist in der Tat ganz klar aktive Sterbehilfe, und, wür- den die Forderungen in England erfüllt, sogar mehr als bloße Sterbehilfe, denn unter aktiver Sterbehilfe könnte man ja noch verstehen, daß einem ohnehin Sterbenden, das Sterben ver- kürzt wird. Was hier gefordert wird, ist die konkrete Beihilfe zur Selbsterlösung, also auch dann, wenn der Patient noch ge- sund oder jedenfalls lebensfä- hig ist. Ich glaube, nicht einmal die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben wird so weit gehen wollen zu fordern, daß der Arzt legitimiert werden soll, noch gesunden, aber lebensun- lustigen Menschen zum Tode zu verhelfen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A 18 Heft 44 vom 4. November 1983 80. Jahrgang

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Die Information:

Bericht und Meinung Interview zur Sterbehilfe

Frage: Arthur Koestler war nicht ge- sund, sondern schwer erkrankt, un- ter anderem an Parkinson; er hätte, wie Tausende andere weiterleben können, freilich unter erheblichen Beschwernissen. Das wollte er nicht. Seine Frau ist gleichsam aus Solidarität mit in den Tod gegan- gen. Und wenn man die Kommenta- re verfolgt, könnte man fast der Mei- nung sein, hier zeichne sich ein neuer Trend der Zeit ab. in einer Veröffentlichung des Europarates war kürzlich sogar zu lesen, das Recht, zu einem Zeitpunkt sterben zu dürfen, den man selber wählt, sei das „letzte" der Menschenrechte.

Würde sich die Ärzteschaft, wenn sich das wirklich in der Gesellschaft durchsetzen würde, einem solchen Trend entgegensetzen wollen und können?

Vilmar: Einer solchen Auffas- sung von Sterbehilfe, also ohne jeden Zweifel aktiver Sterbehil- fe, würde sich die Ärzteschaft widersetzen wollen und müs- sen, aufgrund der über zweiein- halb Jahrtausende alten ethi- schen Verpflichtung für den Arzt Leben zu erhalten. Der Arzt ist nicht berechtigt, Leben zu be- enden. Auch der Patient sollte vernünftigerweise keinen Arzt ermächtigen oder ihn zwingen, aktiv Leben zu beenden. Die nachhaltige Zerstörung jeg- lichen Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt wäre zwangsläufig die Folge, in erster Linie zum Schaden für die Pa- tienten.

Frage: Sie sind demnach, das über- rascht auch nicht, gegen ein Gesetz zur aktiven Sterbehilfe. Lehnen Sie auch eine gesetzliche Regelung der passiven Sterbehilfe ab?

Vilmar: Ich glaube, die Tatbe- stände, die der Hilfe beim Ster- ben zugrunde liegen, kann der Gesetzgeber kaum in abstrakten Vorschriften erfassen. Meines Erachtens bedarf es auch keiner gesetzlichen Regelung. Die Bundesärztekammer hat schon 1979 Richtlinien für die Sterbe- hilfe herausgegeben, die sich eng anlehnen an die Richtlinien der Schweizer Akademie der Wissenschaft, die diese schon

1976 veröffentlicht hat. Wohl- weislich hat die Bundesärzte- kammer gerade wegen der deutschen Vergangenheit keine eigenen Richtlinien entwickelt, sondern sich eng an die Schwei- zer Richtlinien angelehnt. In die- sen Richtlinien werden dem Arzt eindeutige Entscheidungshil- fen, soweit hier überhaupt ein- deutige Ratschläge möglich sind, gegeben. Er braucht da- nach in völlig aussichtslosen Fällen nicht alle Möglichkeiten der Medizin dann einzusetzen, wenn es gar nicht mehr darum geht, das Leben zu erhalten, sondern nur noch um eine Ver-

längerung des Sterbens. Der Arzt muß auch den Willen des urteilsfähigen Patienten respek- tieren, wenn dieser Patient sich gegen eine vom Arzt vorge- schlagene Therapie ausspricht.

I „Grundsätzlich muß Leben in jeder Phase

vom Arzt geschützt werden"

Beim bewußtlosen oder sonst urteilsunfähigen Patient aller- dings muß er zunächst im wohl- verstandenen Interesse des Kranken tätig werden, es sei denn, daß ihm — ich komme noch einmal auf den Krefelder Fall zurück — der klare Wille des Patienten bekannt ist. Proble- matisch ist es für den Arzt im- mer, sich allein auf Äußerungen von Angehörigen oder sonst dem Patienten nahestehenden Personen zu verlassen. Denn diese können ganz andere Ziel- richtungen im Sinne haben. Hier muß der Arzt äußerst vorsichtig sein, ehe er sich zu einer Ent- scheidung durchringt.

Frage: Ein Sonderfall des urteilsun- fähigen Patienten ist das Neugebo- rene. In einem Prozeß in München sagte vor einem Jahr ein Gutachter, in der Bundesrepublik würden im Jahr etwa 1200 schwerstbehinderte Kinder nach der Geburt „liegenge- lassen" — im Einvernehmen mit den Eltern. In England wurde, ebenfalls 1982, ein Arzt freigesprochen, der

ein Kind mit schwerem Mongolis- mus „liegenließ". Sind schwerste Behinderungen, die womöglich we- niger das Kind als die Eltern bela- sten, Kriterien für passive Sterbe- hilfe?

Vilmar: Grundsätzlich muß Le- ben in jeder Phase, am Anfang oder am Ende vom Arzt ge- schützt werden. Es muß ver- sucht werden, Leben zu erhal- ten. Aber ein Neugeborenes kann tatsächlich in einem Zu- stand sein, daß der Arzt zu der Auffassung kommt, daß zum Beispiel die Mißbildung, also das Grundleiden, eine derart in- fauste Prognose hat und durch Behandlungsmaßnahmen auch kaum einer Besserung zugäng- lich ist, daß man durch Unterlas- sen passive Sterbehilfe leisten darf. Das ist aber immer eine Entscheidung im Einzelfall, und generell ist dies sicher kaum zu beantworten. Die doppelte Vor- sicht gegenüber den Willensbe- kundungen von Angehörigen, die ich eben schon anführte, gilt hier natürlich besonders.

Frage: Wie halten Sie es denn per- sönlich als Arzt, als Unfallchirurg, der häufiger in der Konfliktsituation

„Leben erhalten" oder „sterben las- sen" gestanden hat? Fühlen Sie sich, wie es die Gesellschaft für hu- manes Sterben den Ärzten vorwirft, als der alleinige Richter über das Schicksal Ihres Patienten? Ent- scheiden Sie wirklich völlig allein?

Vilmar: Nein, kein Arzt ist der Richter über Leben und Tod. Er muß zwar allein entscheiden, aber er wird sich immer des Wil- lens des Patienten vergewis- sern; wenn dies nicht möglich ist, den Willen der Angehörigen zu erkunden suchen — mit aller Vorsicht im Bewerten der Ant- worten. Und er wird sich von Kollegen beraten lassen, die, gerade bei Unfallpatienten, bei Schädel-Hirn-Verletzten, viel- leicht noch wichtige Aspekte mit einbringen können. Bei Schä- del-Hirn-Verletzten kommt die besondere Problematik des dis- soziierten Hirntodes hinzu. Da- mit sind wir eigentlich beson- Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 44 vom 4. November 1983 19

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Die Information:

Bericht und Meinung Interview zur Sterbehilfe

ders durch die moderne Inten- sivmedizin konfrontiert worden.

Früher war es relativ eindeutig, wann ein Patient tot war, näm- lich dann, wenn die Atmung und das Herz stillstanden, der Kreis- lauf zum Erliegen kam. Heute ist es aber durch die Maschinen möglich, die Atmung und den Kreislauf in Gang zu halten, ob- gleich der Patient inzwischen

„hirntot" ist, weil das Gehirn, das Zentrum der Persönlichkeit und des personalen Erlebens, nicht mehr durchblutet wird und dann ebenso abgestorben ist oder abstirbt wie ein sonstiger Körperteil, der nicht mehr durchblutet wird.

Für solche Fälle sind strenge Kriterien entwickelt. Der Wis- senschaftliche Beirat der Bun- desärztekammer hat in einer sorgfältigen Stellungnahme un- ter Mitwirkung von namhaften Juristen und Moraltheologen festgehalten, wann und wie ein Hirntod festzustellen ist. Der Hirntod muß zum Beispiel im- mer von zwei Ärzten festgestellt werden. Aber auch diese Ärzte sind niemals Richter über Leben und Tod, denn sie können nur feststellen, was ohnehin schon eingetreten ist, nämlich den Hirntod. Aber sie können nicht, was ein Richter vielleicht kann, den Tod veranlassen.

Frage: Noch eine Frage an Sie als Arzt, der unter Umständen entschei- den muß. Respektieren Sie einen schriftlich festgelegten Willen des Patienten, eine sogenannte Patien- tenverfügung, aus der hervorgeht, daß der Patient eine aussichtslose lebensverlängernde Therapie ab- lehnt, daß er lediglich eine optimale Schmerzbekämpfung wünscht, auch wenn damit ein früherer Tod riskiert wird?

Vilmar: Auch die Entscheidung, ob eine solche Verfügung zu re- spektieren ist, muß im konkre- ten Einzelfall getroffen werden, denn der Patient wird häufig in der konkreten Situation anders entscheiden als in gesunden Ta- gen. Das ist bekannt, beispiels-

weise von Menschen, die sich selbst umbringen wollten, deren Selbstmordversuch aber nicht gelang. Viele dieser Selbst- mordkandidaten waren hinter- her sehr froh, daß ihnen trotz ih- rer ja eigentlich eindeutigen

„Willenserklärung", sich jetzt umzubringen, jemand das Le- ben gerettet hatte.

Frage: Sie raten also zu Vorsicht bei einer in gesunden Tagen abgefaß- ten Verfügung. Wie würden Sie handeln, wenn Ihnen ein Patient in der „konkreten Situation", wie Sie es nannten, bei klarem Verstand er- klärt, er sehe keine Aussicht mehr und wünsche, daß auf lebensverlän- gernde Maßnahmen verzichtet werde?

I „Willenserklärung aus gesunden Tagen ist nur eine Entscheidungshilfe"

Vilmar: Da setzt eine völlig an- dere Überlegung ein. Wenn je- mand auf den Tod krank ist und klar erkennen muß, daß er nur noch kurze Zeit zu leben hat — etwa wegen eines inoperablen Krebses mit Metastasierung — und nun beispielsweise erklärt, er wünsche nicht, daß, wenn sein Herz stillsteht, eine Herz- massage gemacht werde — das wird man nach Erörterung der Problematik mit dem Patienten und mit seinen Angehörigen re- spektieren müssen. Ich betone aber noch einmal: Im übrigen kann eine Willenserklärung, aie in gesunden Tagen, in denen der Tod fern zu sein scheint, ge- macht worden ist, niemals als letztlich entscheidend darüber angesehen werden, wie der Pa- tient sich dann verhalten würde, wenn er sich tatsächlich in der konkreten Situation des Ster- bens befindet. Eine solche Er- klärung wird der Arzt lediglich als Entscheidungshilfe für seine eigene Entscheidung werten können.

Frage: Im Ausland, vor allen in den USA, gibt es häufiger Gerichtsurtei-

le, mit denen der Arzt zu einer be- stimmten Entscheidung gezwungen wird; in dem berühmten Fall der Ka- ren Ann Quinlan etwa, mit dem die heutige Sterbehilfe-Diskussion so richtig begann, wurden die Ärzte verpflichtet, das Beatmungsgerät abzuschalten. Umgekehrt haben auch Gerichte gegen den Willen der Eltern entschieden, daß Ärzte le- benserhaltende Operationen auch bei schwerstbehinderten Kindern, ausführen müssen. Aus Deutsch- land gibt es allem Anschein nach keine solchen Urteile. Spricht das dafür, daß Ärzte, Patienten und An- gehörige bei uns in aller Friedlich- keit eine Lösung finden? Oder wird bei uns, etwa wegen unserer Ver- gangenheit, einfach nicht „unbefan- gen" prozessiert?

Vilmar: Das Thema Sterbehilfe ist in der Bundesrepublik Deutschland wegen unserer Vergangenheit vielfach noch ta- buisiert. Das ist völlig klar. Ande- rerseits lassen sich in Deutsch- land doch wohl insgesamt, trotz aller Schwierigkeiten, vernünfti- ge Lösungen eher finden. Die Menschen sind wegen unseres Rechts- und sozialen Siche- rungsystems einfach nicht so prozeßfreudig wie in anderen Ländern. Und das ist vielleicht in diesen ernsten Fällen auch ganz gut so. Denn wenn, wie ich glau- be, der Gesetzgeber keine allge- meingültigen Tatbestände zur Sterbehilfe festlegen kann, so ist es auch für ein Gericht außer- ordentlich schwierig, Richtlinien zu ziehen.

Das heißt allerdings nicht, daß die Gerichte nicht dann tätig werden müssen, wenn auch nur der Verdacht bestehen sollte, daß ein Arzt eine unverantwort- liche Entscheidung getroffen haben sollte. Das muß selbstver- ständlich der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sein.

Daß aber ein Gericht per Urteil feststellen muß, in einem be- stimmten Fall dürfe eine Be- handlung nicht mehr erfolgen — das, glaube ich, sollte man ei- nem Gericht nicht zumuten. 3

Die DÄ-Fragen stellte Norbert Jachertz

20 Heft 44 vom 4. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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