Deutscher Apothekertag
Scharfe Angriff gegen
Festbetragssys m
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KURZBERICHTE
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nläßlich des Deutschen Apo- thekertages 1989, der Mittektober in Berlin stattgefun- den hat, setzte sich der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apo- thekerverbände — ABDA, Klaus Stürzbecher, in einer Pressekonfe- renz kritisch mit der derzeitigen Ge- sundheits- und Sozialpolitik auf Bun- desebene auseinander.
Der deutsche Arzneimittelmarkt unterliege, so Stürzbecher, in den nächsten Jahren struktur- und ord- nungspolitischen Maßnahmen und Faktoren, zu denen es in der Ver- gangenheit keinen Vergleich gebe.
Als wesentliche Punkte nannte er die 4. Novelle zum Arzneimittelgesetz (AMG), die Umsetzung des Gesund- heits-Reformgesetzes (GRG) und die Bildung des EG-Binnenmarktes.
Der Kabinettsentwurf für die 4.
AMG-Novelle werde den wesent- lichen Forderungen der Apotheker- schaft, nämlich nach der gesetzlichen Absicherung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für apo- thekenpflichtige Arzneimittel sowie nach einer Einschränkung der Selbstbedienung mit Arzneimitteln, nicht gerecht. Weiterhin werde die ab 1990 einsetzende Nachzulassung der 1978 fiktiv zugelassenen Altarz- neimittel den Arzneimittelmarkt, insbesondere im Bereich der fixen Arzneimittelkombinationen, qualita- tiv und quantitativ erheblich in der Struktur seines Angebotes verän- dern. Die sich derzeit in der parla- mentarischen Diskussion befindende 4. AMG-Novelle solle zwar Erleich- terungen für die Anpassung vieler Altarzneimittel schaffen, dennoch bleibe nicht zu übersehen, daß viele kleine Arzneimittelhersteller und auch Apotheken, die heute noch als pharmazeutische Unternehmer mit eigenen Arzneispezialitäten im Markt präsent sind, aus Kostengrün- den das Handtuch werfen müßten.
Stürzbecher wies ferner darauf hin, daß außerdem die Maßnahmen des am 1. Januar in Kraft getretenen Strukturreformgesetzes in vielfälti- ger Weise dämpfend in die Arznei- mittelpreisbildung aber auch in das Verordnungsvolumen eingreifen.
Scharfe Angriffe richtete Stürz- becher in diesem Zusammenhang gegen Inhalt und Zustandekommen
des Systems der Arzneimittel-Fest- beträge. Politisch werde das Festbe- tragssystem von Bundesarbeitsmini- ster Blüm als das Herzstück des GRG angesehen. Durch einseitige Festsetzung von Erstattungshöchst- beträgen durch die Spitzenverbände der Krankenkassen solle ein angeb- lich bis dahin nicht ausreichender Wettbewerb im Arzneimittelmarkt erzwungen werden. Eine solche Ar- gumentation könne von den Betrof- fenen nur als politische Zweckpropa- ganda angesehen werden, da Fest- beträge vor allem ausgerechnet in dem Teil des Arzneimittelmarktes eingeführt würden, in dem innerhalb weniger Jahre die Originalprodukte
mehr als die Hälfte ihres Marktes an Nachahmerpräparate verloren hät- ten. Dies habe zu einer jährlichen Kostenersparnis der Krankenkassen von etwa 1,8 Milliarden DM geführt.
Offensichtlich sei aber den politisch Verantwortlichen dieser dramati- sche Verlust an Marktanteilen für die Originalprodukte noch nicht dra- stisch genug gewesen.
Diese Auffassung spiegele sich auch in der Höhe der bis heute fest- gesetzten Festbeträge wider, die zwi- schen 30 und 70 Prozent unterhalb des bisherigen Preisniveaus der Ori- ginalprodukte lägen. Dabei könne die gesetzlich vorgeschriebene An- hörung der betroffenen Verbände von Herstellern und Apothekern nur als eine Farce angesehen werden.
Den Apothekern seien weder nach- vollziehbare Kriterien für die Fest- setzung der Festbeträge genannt, noch sei ihnen eine Begründung für die Ablehnung ihrer Argumente übermittelt worden. Es stelle sich so- mit die Frage, welchen Sinn solche Anhörungen überhaupt noch haben sollten. Gleiches gelte auch für die Kriterien der Festbetragsgruppenbil- dung. Auch hier seien die vom Ge-
setz vorgegebenen Qualitätsauflagen nicht beachtet worden. Das Festbe- tragssystem berücksichtige auch in keiner Weise, daß bei den forschen- den Unternehmen bei der Preisbil- dung sowohl eine Mischkalkulation vorgenommen wird, als auch quasi Generationenverträge existierten.
Die Erlöse aus Innovationen von heute müßten die Forschung für In- novationen von morgen finanzieren.
Künftig werde bei neuen Produkten eine Individualkalkulation erforder- lich sein, was zu einem drastischen Anstieg der Einführungspreise neuer Arzneimittel führen müsse. Eine sol- che Entwicklung halte die Apothe- kerschaft für fatal, da zukünftig nicht selten lebensnotwendige Innovatio- nen in den Bereich der Unbezahlbar- keit aufsteigen könnten.
Schließlich schauen die deut- schen Apotheker mit einiger Sorge auf die Bildung des EG-Binnen- marktes ab 1993, da für wesentliche Bereiche des Arzneimittelverkehrs und des Apothekenbetriebes die er- forderlichen Richtlinien noch nicht vorliegen. Fragen der zukünftigen Arzneimittelzulassung, einer ein- heitlichen Verschreibungs- und Apothekenpflicht, einer sachgerech- ten Information von Verbrauchern, Apothekern und Ärzten über Arz- neimittel sowie über Struktur und Betrieb einer Apotheke innerhalb der EG seien noch nicht beantwor- tet. Die Antworten könnten jedoch die zukünftige Struktur der deut- schen Apotheke, aber auch ihre wirt- schaftliche Basis gefährden.
• Auf die Frage nach dem Ver- hältnis von Apothekern und Ärzten zueinander sprach sich Präsident Stürzbecher für Gelassenheit auf beiden Seiten aus. Die kürzlichen Gespräche zwischen Vertretern der Bundesapothekerkammer und der Bundesärztekammer bezeichnete Stürzbecher als „sehr gut". Dies zei- ge sich auch daran, daß die Gesprä- che mit einer gemeinsamen Presse- konferenz abgeschlossen worden seien. Jede Seite müsse zwar ihre Standpunkte vertreten, es werde je- doch auch auf der Ebene der Ver- bände ein gesundes Miteinander im Interesse der Patienten geben, wie dies bereits auf regionaler und loka- ler Ebene der Fall sei. JK A-3484 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 46, 16. November 1989