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Archiv "Reform des § 218: Ordnungsdenken allein reicht nicht aus" (19.12.1974)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FORUM

Ungewöhnlich viele Zuschriften fand ein Beitrag von Dr. Poettgen in Heft 1/1974, der sich positiv zur

„Fristenregelung" äußerte. Eine beachtliche Anzahl zustimmender Briefe war darunter. Im folgenden kann wegen des beschränkten Platzangebotes nur ein Teil der Briefe veröffentlicht werden. Pro und Kontra wurden bei der Aus- wahl angemessen berücksichtigt.

Die Redaktion hat es sich ja gera- de in dieser Diskussion angelegen sein lassen, die verschiedensten Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Schon allein deshalb, um auch unserem Leserkreis vor Au- gen zu führen, wie um den § 218 diskutiert wird. Davon geben auch die folgenden Seiten Zeugnis. Der Leserbrief aus dem Ärztlichen Kreis- und Bezirksverband Mün- chen wurde im übrigen, bereits kurz nachdem er uns zugesandt worden ist, in den dortigen Mit- teilungen des Verbandes publi- ziert.

Doch sollte diese Lesefrucht nicht nur den Münchner Ärzten vorbehal- ten bleiben. Eine Spätfrucht des Artikels von Dr. Poettgen ist der Brief von Frau Funcke, der Vize- präsidentin des Deutschen Bun- destages. Es erscheint gerechtfer- tigt — weil sicherlich in diesem Zu- sammenhang aufschlußreich — auch diesen im Rahmen der Leser- zuschriften zu veröffentlichen. Der Autor des Artikels erhielt, den Ge- pflogenheiten entsprechend, Gele- genheit zu einem Schlußwort.

0 Ist die ärztliche Tradition von Kollegen P. wirklich so geschildert worden, wie es uns im Universitäts- studium beigebracht wurde?

Im folgenden gehe ich auf das führende Lehrbuch von Karl Sud- hoff zurück: Als Vertreter dieses mehr spekulativen medizinischen Denkens muß nun ein anderer gro- ßer Arzt des Altertums genannt werden, der allerdings im Verhält- nis zur Medizinauffassung von Hip- pokrates ein Epigone genannt wer- den muß, nämlich Galen. Auf die- sen treffen in der Tat die Vorwürfe von Kollegen P. in vollem Umfange zu. Dieser griechische Geist, mit den Worten von P., wollte das ge- staltete Gliedern, Formen und Um- greifen, er wollte gebieten und ord- nen, um zuletzt zu beherrschen.

Das Gros der Abtreibung begeh- renden Frauen wird mit Sicherheit dem Jugendalter angehören, also einer Altersstufe, die vor dem Be- ginn des 21. Lebensjahres, also dem Beginn der staatsbürgerlichen Mündigkeit liegt. Kann man eigent- lich von einem Teenager eine selbstverantwortliche Entschei- dung in einer existenziellen Frage, der Tötung werdenden Lebens, überhaupt erwarten? Gerade hier eine Kommission zu schaffen ist wohl überhaupt erst eine Grund- voraussetzung, um dem betroffe- nen jugendlichen weiblichen Ge- schöpf die erste Voraussetzung zu einer Willensentscheidung zu ge- ben, nämlich die ruhige Erörterung der ganzen Situation unter den Aspekten von Eltern, Ärzten, Seel- sorgern, Psychologen, Soziologen und last not least Vertretern des Jugendamtes.

Dr. med. W. Sprengel Facharzt für

Neurologie und Psychiatrie 64 Fulda

Marktstraße 18 Datenverarbeitung

Lebensverhältnisse der Bürger in diesem Bereich zu sein verspricht.

Die mit ihr verbundene Gefahr für die Privatsphäre des Bürgers un- terscheidet sich qualitativ nicht von der des derzeit üblichen konventio- nellen Informationsflusses; sie ge- winnt allerdings eine andere Grö- ßenordnung. Das Spannungsver- hältnis zwischen Informationsbe- darf und Vertraulichkeitsanspruch ist also nicht durch eine Alternativ- entscheidung pro oder kontra au- tomatische Datenverarbeitung auf- lösbar, sondern durch eine im Ein- zelfall weitmöglichst an individuel- ler Gestaltungsfreiheit orientierten, zweckbestimmten Handhabung von Schweigepflicht, Offenbarungsge- nehmigung und Auskunftspflicht.

Ein in diesem Sinne eingeschlage- ner Weg ist in der Bundesrepublik der Entwurf eines Datenschutzge- setzes, durch das sehr bewußt den Datenverarbeitenden die Verpflich- tung auferlegt wird, den Einsatz der Elektronischen Datenverarbei- tung auf der Grundlage bestehen- der Vertrauensverhältnisse zu pla- nen und zu realisieren. Der Ver- trauensschutz, den der Staat dem Bürger für Informationen bestimm- ter Art im persönlichen Interesse, aber auch aus Gründen des Allge- meinwohls zusichert, wird zum Maßstab für den Umfang erlaubter Datenverarbeitung.

Damit wird das Prinzip deutlich, das für die Bewertung von techni- schem Fortschritt überhaupt Gül- tigkeit haben sollte: Vehikel zu sein für mehr Selbstverwirklichung des Menschen, nicht verselbständigtes Machtinstrument für neue Abhän- gigkeiten.

(Nach einem Vortrag auf der

„First World Conference an Medi- cal lnformatics" am 8. August 1974 in Stockholm)

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans-Georg Wolters Staatssekretär im

Bundesministerium für

Jugend, Familie und Gesundheit 53 Bonn-Bad Godesberg Kennedy-Allee 105—•07

Reform des § 218:

Ordnungsdenken allein reicht nicht aus

Zu dem Beitrag von Dr. med. Herwig Poettgen in Heft 1/1974, Seiten 38 ff.

3696 Heft 51 vom 19. Dezember 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

§ 218

0 Zu dem außerordentlich sachli- chen und emotionsfreien Beitrag des Kollegen Poettgen möchte ich nicht weiter Stellung nehmen, da ich ihm im Prinzip voll und ganz beipflichte, höchstens noch eine Reihe von wesentlichen Gründen für die Fristenlösung beisteuern könnte. Den auf der Seite 42 aufge- griffenen begründenden Zahlen aus dem Bereich leidender, miß- handelter, depravierter, drogenab- hängiger Kinder bzw. Jugendlicher müßte man auf der anderen Seite ja auch noch entsprechendes Zah- lenmaterial von ebenso geschädig- ten Mädchen und Frauen gegen- überstellen. Jeder Gynäkologe, der sich um die seelischen und sozia- len Probleme seiner Patienten kümmert, jeder entsprechend täti- ge Allgemeinmediziner oder Inter- nist könnte ohne Zweifel aus seiner eigenen Klientel mehr oder minder zahllose Beispiele bringen, die eine positive Begründung für die Fristenlösung abgeben würden.

Ich möchte deshalb nur kurz auf Ihr Vorwort zu dem Beitrag einge- hen, in dem Sie betonen, daß sich der 76. Deutsche Ärztetag gegen die Fristenlösung ausgesprochen hat, daß Sie aber doch „einen Ver- treter einer anderen Auffassung nochmals zu Wort kommen" lassen wollen. Diese Darstellung erweckt den Eindruck, als ob der Kollege Poettgen die Stimme einer Minder- heit sei. Ich zweifle nicht daran, daß bei einer die ganze Ärzteschaft er- fassenden Meinungsumfrage mit Si- cherheit heute eine Mehrheit der Kollegen sich für die Fristenlösung entscheiden würde. Die auf dem Ärztetag vertretenen Kollegen, die auf Grund des mehr oder weniger anonymen Listenwahlsystems re- gionale Vertreter geworden sind, stellen ja weder wissenschaftlich, noch moralisch, noch sozialpoli- tisch die wirklichen Repräsentan- ten der Ärzteschaft dar.

Sie sind unsere standespolitischen Vertreter, und nur zu diesem einen Bereich haben sie ein echtes Man- dat, ein Mandat übrigens, das auch aus einem wenig glücklichen Wahl- system hervorgegangen ist.

Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT würde an Format und an Ansehen sicher sehr gewinnen, wenn es tat- sächlich demokratisch aufge- schlossener wäre und nicht vorwie- gend — in standespolitischen wie in wissenschaftlichen Beiträgen — bestimmte Gruppeninteressen ver- folgen würde.

Dr. med. Günther Sievers 51 Aachen

Heinrichsallee 62

0 Die Fristenlösung könnte der Frau wohl auf der einen Seite De- mütigungen und Mißachtung erspa- ren. Auf der anderen Seite wird aber gerade durch diese Lösung dem Erzeuger des Kindes die Mög- lichkeit gegeben, die Frau ver- mehrter Demütigung auszusetzen, indem er sie dann praktisch zur Abtreibung zwingen könnte, und sie solchem demütigenden Zwang wehrlos ausgesetzt wäre. Daß flan- kierende Maßnahmen unter der Fri- stenlösung stärker stimuliert wür- den, dürfte mindestens für die wichtigste dieser Maßnahmen, nämlich für eine gewissenhafte Einhaltung des Verhütungsschut- zes, mit Sicherheit nicht zutreffen.

Dr. med. Klaus Franke

Facharzt für innere Krankheiten 7267 Bad Teinach/Schwarzwald 0 Ihre Feststellung, es gehe Jesus in der Auslegung des Fünften Ge- botes nicht nur um die Verhinde- rung des Mordes, sondern auch um die Annahme des Mitmenschen als Mensch und die Zumutung, ihn menschlich zu behandeln, so daß im Problemkreis des Schwanger- schaftsabbruches neben dem Kon- flikt „Leben gegen Leben" auch der Konflikt „Leben gegen Menschlichkeit des Lebens" ernst genommen werden müsse, was be- deute, daß zur Bewältigung solcher Situationen auch Lösungen ermög- licht werden müßten, die dem je- weiligen Konflikt gerecht zu wer- den suchen, ist das Infamste, Nie- derträchtigste, Verlogenste und Teuflischste, was ich je zu diesem Thema gehört habe: Wer ungeliebt ist, wäre also besser tot, am besten

wäre es, ihn zeitig totzuschlagen, am allerbesten noch vor seiner Ge- burt! Daß aber durch ihre wie auch immer begründeten Tötungsab- sichten und durch ihre Tötungspra- xis Faschisten, Liberale, Kommuni- sten und Sozialisten Blutsbrüder geworden sind, haben Sie anschei- nend noch gar nicht bemerkt! Eins aber sind diese Leute sicher alle nicht — auch Sie nicht: nämlich Christen bzw. Humanisten! Ohne Respekt und Hochachtung bin ich

Dr. med. K. Wiegand

Facharzt für innere Krankheiten München 70

0 Ihren Beitrag über die Reform des § 218... habe ich mit begei- sterter Zustimmung gelesen, und ich glaube, Ihnen versichern zu können, daß Sie einer Vielzahl von Kollegen aus dem Herzen ge- schrieben haben. Auch der Redak- tion des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES kann man danken, daß es trotz des Ärztetages in München und der vielen m. E. volksfremden Resolutionen vieler Verbände Ihre Gedanken gebracht hat. Als alter

— leider schon 75 Jahre alter — Arzt kann ich Ihren Überlegungen und Überzeugungen nur beipflich- ten. Der „Streit" um § 218 bewegt eine breite Öffentlichkeit und wird auch in kleinen Kreisblättchen aus- getragen....

Dr. med. K. Ulrich Dillenburg

0 Da das Töten eines unschuldi- gen Menschenlebens als Mord zu bezeichnen ist, unterstützen die Fristenregler als zumindest partiel- le Verächter des Lebens den Mord im Mutterleib, was nicht nur unbe- streitbar, sondern sogar erschrek- kend und leider nicht nur emotio- nal in Analogie zu den Mordmoti- ven Hitlers zu bringen ist. Seit wann sind Analogieschlüsse nicht mehr sachlich, sondern emotional?

Es gibt weder ein Gebärrecht noch einen Gebärzwang, sondern Mut- terfreuden oder dergleichen Be- schreibungen entsprechend der natürlichen Gegebenheiten, ist es nicht wirklichkeitsfremd und ab-

DEUTSCHES ÄRZTE BLATT Heft 51 vom 19. Dezember 1974 3697

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

§ 218

surd, etwa einen Berg zwanghaft (wegen des Herübersteigens) anzu- sehen? Da in geschichtlicher Zeit nur eine Parthenogenese (die heili- ge Maria) bekannt geworden ist, wirkt der Begriff „Gebärzwang" — abgesehen von erzwungener Inse- mination — eigentlich ein bisserl lächerlich. Wenn nur die schwan- gere Frau selbst entscheiden soll, ob ihre Schwangerschaft ausgetra- gen werden soll oder nicht, handelt es sich um einen schlimmeren Tat- bestand als der bei Lynchjustiz:

Wann werden „Prinzipien und Nor- men ... in ihrer Verabsolutie- rung ... wirklichkeitsfremd ...", wenn es um die „Euthanasie" kran-

ker und alter Menschen geht? Die Diskussionen um Änderung des

§ 218 ist — verständlich bei der sich immer weiter ausbreitenden Dienstunwilligkeit — bereits in vol- lem Gange. Ist es in diesem Zu- sammenhange emotionell, an jüngst versunken geglaubte, ge- schichtliche Tatbestände zu den-

ken?

Dr. med.

Wolfgang Garmann

Facharzt für innere Medizin 8972 Sonthofen/Allgäu

fl

Es ist mir ein Herzensbedürf- nis, Ihnen für Ihre Veröffentli- chung ... zu danken. Ich bin über die Reform des § 218 der gleichen Meinung wie Sie und identifiziere mich vollinhaltlich mit Ihren Aus- führungen. Ich selbst habe im Auf- trag der hiesigen Volkshochschule wiederholt Vorträge über Familien- planung gehalten, und es war un- vermeidlich, daß im Laufe der Dis- kussion auch die Frage der Fri- stenlösung erörtert wurde. Es wird Sie interessieren, daß etwa 75 Pro- zent der Zuhörer dieser gut be- suchten Kurse ebenfalls die Fri- stenlösung bejaht haben. Die Schwierigkeiten der Indikationslö- sung haben Sie selbst ausgezeich- net deutlich gemacht. Nicht unin- teressant ist die Tatsache, daß bei den bisher tätigen Gutachterstellen die Ablehnungsbescheide in der ei- nen Bezirksstelle unverhältnismä- ßig groß waren, gegenüber der an- deren. Damit wird deutlich, daß

auch bei Wertung der medizini- schen Indikation weltanschauliche Gesichtspunkte in die Entschei- dung mit einfließen. Je nach Zu- sammensetzung der Gutachter- kommission. Die Minderheit unter den Ärzten, die der Fristenlösung den Vorzug gibt, ist, soweit ich das aus meinem Lebensbereich beur- teilen kann, gar nicht so klein. Nur sind das meistens praktische Ärzte und Fachärzte, die keine Zeit ha- ben, ihre Meinung im Ärzteblatt zu artikulieren. Deshalb war es sehr begrüßenswert, daß Ihre Veröffent- lichung in so umfassender und ein- gehender Weise deutlich gemacht hat, daß auch die Kollegen, die die Fristenlösung bejahen, sich nicht absprechen lassen, daß Vernunft und Gewissen ihre Wegbegleiter sind.

Dr. med. H. Wendeborn Facharzt für Hautkrankheiten 3388 Bad Harzburg

Ihr Aufsatz im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, § 218 betreffend, ist verdienstvoll und entspricht sicher der Auffassung der meisten Kolle- gen. Aber diese meisten sind stumm. Sie erinnern sicher, wie der Ärztetag zur heterologen Insemina- tion stand und eine völlige Kehrt- wendung nach vier Jahren machte.

Die Meinung läßt sich manipulieren.

Falls sich Ihre Auffassung durch- setzen sollte, werden fast alle, vor- an die gynäkologischen Ordinarien sagen, sie hätten das schon immer gewollt. Ich habe mich schon vor langer Zeit mit dem Problem aus- einandergesetzt und stand in Ver- bindung mit Prof. Nachtsheim, Ber- lin, der außerordentlich gründlich alle Faktoren berücksichtigt hat und zum gleichen Ergebnis wie ich kam, nämlich ersatzlose Strei- chung des § 218. Die Ärzte sollten sich nicht selbst Schwierigkeiten machen und eine gesetzliche Frist befürworten, die sie exakt gar nicht feststellen können. Mit kollegialer

Begrüßung und Dank für Ihr Enga- gement! Ihr sehr ergebener

Dr. med. Eberhardt t Arzt für Allgemeinmedizin 2401 Zarpen über Lübeck

D

Unter der Überschrift „Deutsches Ärzteblatt fällt der Ärzteschaft in den Rücken", heißt es im „Mittei-

lungsblatt des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes", München:

„Kaum verläßt der Hauptgeschäfts- führer der Bundesärztekammer und einzig kurssichere Lotse der deut- schen Ärzteschaft, Josef Stockhau- sen, das noch einmal klargemachte Medizinerschiff, da veranstalten die dem ,Stocki` entronnenen Deckof- fiziere in Köln schon einen hippo- kratischen Fasching und löffeln das von Smutje Poettgen nur scheinbar unblutig angerichtete Ragout: „Hu- mane und pragmatische Gründe für die Fristenlösung".

Nach den so überaus eindeutigen Voten des letzten Deutschen Ärzte- tages in München gegen jene End- lösung des Rechts auf Leben durch Ärztehand kann man bei diesem Nachtarocken der Funktionäre nur noch von Anarchie in einem als reaktionär verschrieenen Redak- tionsstab, kurz: von einer führungs- losen Geschäftsführung der Bun- desärztekammer sprechen.

Auf groben Klotz ein grober Keil ...: Wer doktrinäre und naßforsch- emotionale Feststellungen sich zu Gemüte führen will, wer ein Schul- beispiel wissensfreier Sachkennt- nis und moralinsaurer Verlogenheit einmal in Reinkultur betrachten möchte, der sollte das Heft 1 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES vom 3. Januar 1974 lesen (pp. 38-42).

In der Tat, so macht man jede sach- liche oder auch nur sachdienliche Diskussion um die Reform des § 218 StGB unmöglich: Zum Beispiel durch den von Dr. Poettgen mit Hingabe zitierten Öffentlichkeits- ausschuß der bekannt sektiere- risch-evangelischen Kirche des Rheinlands.

Wenn auch Herr Dr. Poettgen gleich zu Anfang seiner liberal-so- zialistischen Attacke gegen die verfassungsmäßige Ordnung derar- tige Assoziationen in Persuasions- manier als „erschreckende Bei- spiele von Emotionalität ohne

3698 Heft 51 vom 19. Dezember 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

§ 218

worden. Über die Zusammenset- zung kann man freilich streiten, denn Eltern gehören da sicher nicht hinein, da es sich ja meistens um „broken home situations" han- delt. Ich kenne zudem mehrere Fäl- le, wo Eltern ihre Töchter, die ihr Kind austragen wollten, auf brutal- ste Art und Weise zur Abtreibung zwangen.

Wie aber steht es mit der Fähig- keit, zu beraten? Nunmehr, nach der Verabschiedung des Gesetzes wird man sich in der Ärzteschaft plötzlich bewußt, auf diese neuen Anforderungen nicht genügend vorbereitet zu sein. Die jungen Kol- leginnen und Kollegen, die als Be- rater in der Deutschen Gesell- schaft für Sexualberatung und Fa- milienplanung (Pro Familia) tätig sind, unterziehen sich zum Zwecke einer fachgemäßen Beratung der jahrelangen Fortbildung in Balint- gruppen. Ohne eine solche Fortbil- dung kann die Beratungsfunktion hinsichtlich der flankierenden Maß- nahmen zu § 218 nicht fachgerecht bewältigt werden.

Die Redaktion des DÄ hat aus räumlichen Gründen einige Unter- titel und Fußnoten aus meiner Arbeit weggelassen. So lautete der Untertitel zum 1. Kapitel „Methodi- sches": „Über den Umgang der Meinungen miteinander". Als Mu- sterbeispiel für das, was ich in die- sem Kapitel ausführte, seien hier die Pamphlete der Kollegen Wie- gand und Mayser angeführt. Diese Art Zeitgenossen — womit ich nicht unbedingt die beiden Kollegen per- sönlich meine — sind heute gegen die Reform des § 218, sie waren gestern gegen die Entwicklung der Kontrazeption, nach der sie heute im Rahmen flankierender Maßnah- men schreien. Sie waren vorge- stern gegen Sexualität schlechthin und haben vorvorgestern Millionen europäischer Mädchen und Frauen mit dem Fanatismus ihrer pharisäi- schen Herzen als Hexen auf den Scheiterhaufen ihres angemaßten Richteramtes verbrannt. Es ist ein- fach schizophren, Anhänger der Fristenlösung als Mordbuben anzu- prangern und Interruptionen im

Rahmen der Indikationslösung mo- ralisch zu sanktionieren. Entweder ist beides oder keines von beiden Mord (siehe Poettgen: „Zur Re- form des § 218 aus psychosomati- scher Sicht" GEBFRA 32/1972 493-500).

Die Evangelische Kirche des Rheinlandes, deren Väter mit der Gründung der Barmer Synode im Jahre 1934 einen der wenigen hi- storischen Beiträge lieferten, die das Bild des anständigen Deut- schen im Ausland bewahrten, wird kurzerhand abgehalftert. Für einen Pfostenträger oberbayerischer Bal- dachine waren diese tapferen Wi- derstandskämpfer (Die Professoren Karl Barth, Beckmann und Präses Held) gegen den Terror des in München gekrönten Hitlerismus nur „Sektierer".

Wenn es nun noch Kolleginnen und Kollegen gibt, die nicht erschrok- ken aufmerken, wer sich da als standespolitischer Wortführer auf- spielt der werfe noch einen Blick auf Mayers Paradigma vom Medi- zinerschiff: Hoch oben auf der Kommandobrücke als 1. Deckoffi- zier Kollege Mayer, das „Pneuma", das die Segel treibt, wird vom Ärzt- lichen Kreis- und Bezirksverband München gespeist. Die Kohlen schippende Mannschaft sind wir...

Hier wird das altehrwürdige Sym- bol des Schiffes für Herrn Mayers mißglückte Vorstellung von De- mokratie, für Mayers anmaßen- den Alleinvertretungsanspruch miß- braucht.

Doch nun zum Schluß:

Eine befruchtete Eizelle ist noch lange kein menschliches Leben.

Das Woher und Wohin dieses Le- bens, die Dimension der Hoff- nung ist nicht biologisch definier- bar. Menschen zum Leben zwingen kann unter Umständen bedeuten, sie zum seelischen und gesell- schaftlichen Tod verurteilen.

Ich habe als Arzt Verständnis da- für, daß Frauen in bestimmten Si- tuationen Angst haben, Kinder in eine Welt zu entlassen, in der der

Mensch zu einem Diener der Pro- duktion wurde, in der man die Kin- der nicht mehr auf die Straße lassen kann, weil sie, wenn sie nicht über- fahren werden, vergiftet werden oder in einem kriminellen oder kriegerischen Konflikt umkommen können, mit dem sie gar nichts zu tun hatten.

Ich habe aber weder in dieser noch in allen anderen Abhandlungen zu diesem Thema je einen Zweifel dar- an gelassen, daß versäumte Emp- fängnisregelung auf keinen Fall mit Schwangerschaftsabbruch hono- riert werden soll, wenn keinerlei Indikation vorliegt. Ich habe ledig ,

lich darstellen wollen, daß eine ver- antwortungsbewußte Ärzteschaft auch unter einer Fristenregelung Indikationen zur lnterruptio besser und in Freiheit praktizieren und dennoch ihr Ethos bewahren kann.

Für den Gesetzgeber — und das haben viele namhafte Juristen er- kannt — war die Reform des § 218 eine große Chance der Wiedergut- machung eines jahrtausendealten, auf dem Rücken der Frauen ausge- tragenen Unrechtes.

Für die Christenheit war diese Aus- einandersetzung eine Möglichkeit zur Reflexion darüber, ob ihr Enga- gement an der Verhinderung der Abtreibung dem Engagement, das Leben nach der Geburt des Men- schen zu schützen und zu fördern, entspricht!

Der Arzt aber kann unmöglich auf der Seite derer stehen, die so ge- nau wissen, was Recht und Un- recht ist, die die Welt so eilfertig in weiße und schwarze Schafe einzu- teilen vermögen. Ich jedenfalls ver- mag als Arzt nur auf der Seite de- rer zu stehen, die — sei es schul- dig oder unschuldig — in Not gera- ten sind.

Dr. med. Herwig Poettgen Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe

— Psychotherapie — 516 Düren, Ubierstraße 6

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 51 vom 19. Dezember 1974 3701

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