• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ist die „Reform des § 218“ gescheitert?" (09.02.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ist die „Reform des § 218“ gescheitert?" (09.02.1978)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Durch die Änderung des § 218 StGB vor mehr als einem Jahr sind die Ärztekammern als Verwaltungsin- stanzen und das Gutachterverfahren in Wegfall gekommen. Dafür ist ein anderes „Verfahren", vornehmlich die Bestimmungen über die soziale Beratung betreffend, eingeführt worden. Aus der Sicht der Abbruch- willigen sind nach wie vor mehrere Bedingungen zu erfüllen, die, wenn auch nicht „entwürdigend", wie mancherorts politisch agitiert wird, so doch zeit- und kraftraubend sind.

Folgende Schritte müssen bewältigt werden:

1. Feststellung der Gravidität 2. Indikationsstellung 3. Soziale Beratung

4. Medizinische Belenrung über den Eingriff und seine möglichen Folgen 5. Krankenhauskostenübernahme durch die Krankenkasse

6. Beschaffung eines Krankenbettes 7. Durchführung des Abbruches 8. Nachsorge

Dieser Katalog, von der Sache und vom Gesetz her zwingend, stellt zu- vorderst an die Abbruchwillige, aber auch an die damit befaßten Ärzte, Sozialarbeiter und an das Kranken- hauspersonal keine geringen Anfor- derungen. Einige Schwachstellen in diesem System sollen näher be- leuchtet werden, die sich insbeson- dere auf Erfahrungen der Modellbe- ratungsstellen von Pro Familia stüt- zen.

1. Feststellung der Gravidität: Hier gilt es möglichst exakt und frühzei- tig den richtigen Schwangerschafts- monat festzustellen. Dies einmal im Hinblick auf die zu wählende Ab- bruchmethode, zum anderen wegen der Komplikationsmöglichkeiten.

Die internationalen Statistiken be- stätigen signifikant: Je früher der

Abbruch, um so geringer die Kom- plikationen bis hin zur Mortalität.

Tabelle 1, die Ergebnisse des US- Population Councils*) wiedergibt, zeigt sehr deutlich die steigende Komplikationsrate vom 8. bis 17.

Schwangerschaftsmonat unter den verschiedenen Abbruchmethoden.

Die Komplikationen steigen vom 12.

Schwangerschaftsmonat an auf- wärts auf das Doppelte (0,44) gegen- über den ersten 8 Monaten (0,23) bei der Absaugmethode. Wird eine In- terruptio mit Prostaglandinen in der 13. bis 16. Woche durchgeführt, steigt die Komplikationsrate auf das Zehnfache (3,0).

Das gleiche gilt erst recht hinsicht- lich der Mortalitätsrate, die Tabelle 2 ausweist. In den ersten zwei Mona- ten beträgt die Sterblichkeit 0,6 auf 100 000 Abbrüche, während sie von der 13. bis 15. Woche auf mehr als das Zehnfache (7,0), ab 16. Gravidi- tätsmonat sogar auf das Dreißigfa- che (18,8) ansteigt. Das Hinhalten z. B. mit Duogynontabletten und

„Spritzen" sollte deshalb endgültig der Vergangenheit angehören! Lei- der wird nicht selten über solche kaum noch vertretbaren Praktiken in den Beratungsstellen immer wieder berichtet.

2. Die Indikationsstellung ist nicht unwesentlich von individuellen Fak- toren abhängig: politischen, weltan- schaulichen, religiösen, humanitä- ren. Mehr oder minder emotional vermengt, fördern oder hemmen sie die objektive Entscheidungsfindung des Arztes. Die erste, annähernd ver- läßliche Statistik für das Rumpfjahr 1976 (22. 6. bis 31. 12. 1976) weist

*) Dr. Christopher Tietze, Senior Fellow am Po- pulation Council, New York, N. Y., sei für Überlassung der Statistiken gedankt.

Mehr als ein Jahr nach der No- vellierung des Gesetzes zur Neuordnung des § 218 ist ver- gangen. Welche Erwartungen sind erfüllt, welche bedürfen der Verbesserung und der Er- gänzung? Fazit des Autors: In der Sache habe sich relativ wenig geändert, im Verfahren sei eine gewisse Vereinfa- chung eingetreten.

aus, daß die schwere Notlage, die sogenannte soziale Indikation etwa die Hälfte (44,9%) der legalen Ab- brüche begründet« Die allgemein- medizinische Indikation ist mit 37,8 Prozent, die psychiatrische mit 10,8 Prozent, die eugenische mit 5,2 Pro- zent und die kriminologische Indika- tion mit 0,2 Prozent belegt (vgl. Ta- belle 3).

Daß die Indikationsstellung nicht vom operierenden Arzt selbst ge- stellt werden darf, ist vorgeschrie- ben und bereitet manche zusätzli- che Schwierigkeiten. Daß noch im- mer eine nicht unerhebliche Zahl von sogenannten illegalen Aborten durchgeführt werden, ist dieser Be- stimmung teilweise anzulasten.

Auch die nach wie vor zahlreichen Abtreibungen in Holland — weniger in Großbritannien seit zwei Jahren — sind ein Mißstand, der nicht ver- schwiegen werden darf. Professor A.

A. Haspels von der Universität Ut- recht nannte für 1975 130 000 Ab- treibungen in holländischen Tages- kliniken, für 1976 werden noch im- mer Schätzzahlen um 60 000 ge- nannt.

3. Die soziale Beratung ist die ei- gentliche Hürde. Das Bundesverfas- sungsgericht hat hierzu sehr profun- de Ausführungen, die Parlamenta- rier haben nicht minder gewichtige Aussagen gemacht. Man erinnere sich an die zwei Jahre anhaltende politische, öffentlich leidenschaft- lich geführte Auseinandersetzung um das Für und Wider zwischen Fri- sten- oder Indikationslösung. Die soziale Pflichtberatung sollte der

Ist die „Reform

des § 218" gescheitert?

Ulrich Wolff

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 6 vom 9. Februar 1978 317

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Novellierung des § 218

Brückenschlag sein. In der Tat eröff- nete diese juristische Konstruktion die Möglichkeit der parlamentari- schen Durchsetzung zu einer Neuordnung des § 218. „Die Hilfen für die Schwangere, die Mutter und das Kind", eine Informationsschrift für den Arzt in der Praxis, im Auftrag des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, herausge- geben von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln, gibt eine stattliche Reihe von Hilfs- maßnahmen zur Fortsetzung einer Schwangerschaft wieder. Aus der Fülle der Angebote seien genannt:

Das Mutterschutzgesetz, Mutter- schaftsgeld — Familienbildungsstät-

Tabelle 1: Schwere Kompli- kationen auf 100 Frauen, nach der Schwangerschafts- woche und der Abbruchme- thode; USA*)

Schwan- Abbruchmethode

ger- und

schafts- Komplikationen woche auf 100 Frauen 8. oder < Absaugung: 0,23 9.-10. Absaugung: 0,36 11.-12. Absaugung: 0,44 13.-16. Vaginale

Ausräumung: 0,7 Kochsalz-

lösung: 1,8 Prosta-

glandin: 3,0 17. oder > Kochsalz-

lösung: 1,8 Prosta-

glandin: 2,8

*) Quelle: Christopher Tietze, M. D., Population Council New York, 1977

ten — Das neue Gesetz über die rechtliche Gleichstellung der nicht- ehelichen Kinder — Unterhaltspflicht der Eltern, Schutz durch das Ju- gendamt — Gesetz zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters — Mutter- Kind-Heim — Säuglingsheim — Liege- krippe, Krabbelstube oder Kinder- garten — Kinderhort, das Schülersi- lentium — Pflegefamilie — Adoption — Haushaltshilfe — Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz — Wohngeld — Das Deutsche Mütter- genesungswerk.

Von all diesen Angeboten, die zur Erhaltung einer Schwangerschaft gedacht sind, wird — so die unzwei- deutigen Erfahrungen in allen Län- dern — kaum eine akzeptiert. Die ständig sinkenden Geburtenzahlen und umgekehrt steigenden Abort- zahlen beweisen leider, daß unsere Zeit, wenn nicht kinderfeindlich, so doch kinderunwillig ist. Anders aus- gedrückt: die Instabilität der sozia- len und mitmenschlichen Bezüge, die sich in einer hochindustriellen Gesellschaft zwangsweise ergeben, sind der denkbar schlechteste Aus- gangspunkt für die Grundlegung ei- ner gesunden und gar zahlreichen Familie. Die Zeichen der Zeit stehen gegen den Familienverband.

Das liegt gewiß nicht an der Art der Vermittlung oder an den Angeboten als solchen — das Wagnis einer Schwangerschaft im Hinblick auf ei- ne ungewisse Zukunft ist durch ra- tionale und irrationale Faktoren be- lastet, die durch „Geld und gute Worte" nicht geheilt werden kön- nen. So gesehen, ist das Konzept

vom 21. Juni 1976 gescheitert. Der Wunsch: „Pro Familia" schließt den Anruf „Pro infantibus" unabweisbar ein.

Die Bezeichnung soziale Indikation sollte deshalb endgültig ersetzt wer- den durch den exakteren Begriff:

schwere Notlage. Unter sozialer Not- lage wird vielfach noch eine wirt- schaftliche Notsituation verstanden.

Hier aber geht es in Anlehnung an die WHO-Definition für Gesundheit um das Ineinandergreifen von ge- sunden physischen, psychischen und sozialen Bedingungen. Auch in einer finanziell „sozial" wohlfun- dierten Ehe kann z. B. durch Tren- nungstendenzen u. a. m. kein rech- ter Ort mehr für ein Kind sein.

Pro Familia hat sich auf der Bundes- arbeitstagung 1977 zur Situation der Beratungsarbeit nach der Reform des § 218 in einem Statement geäu- ßert. Hieraus seien die wichtigsten Passagen mitgeteilt: „Pro Familia betrachtet es als eine ihrer Haupt- aufgaben, durch Familienplanungs- beratung, Sexualberatung und Sexualpädagogik unerwünschte Schwangerschaften zu verhindern.

Es muß jedoch festgestellt werden, daß auch heute unerwünschte Schwangerschaften noch nicht mit hinreichender Sicherheit vermieden werden können.

Pro Familia hat sich von jeher mit dem Problem des Schwanger- schaftsabbruchs befassen müssen.

Durch Fortbildung ihrer Mitarbeiter hat Pro Familia versucht, sich auf die Situation nach der Änderung des

§ 218 StGB vorzubereiten. Die vom Gesetz obligatorisch vorgeschriebe- ne Beratung widerspricht unserem Verständnis von Beratung.

Tabelle 2: Sterblichkeit nach legalem Schwangerschaftsabbruch, nach der Schwangerschaftsdauer: Vereinigte Staaten, 197249751

1 327 300 8

961 300 16

534 600 19

184 900 13

256 000 48

Legale Todes- Schw.A. fälle

Sterblichkeit auf 100 000

0,6 1,7 3,6 7,0 18,8

*) Christopher Tietze, M. D., Population Council New York, 1977

Die Situation ein Jahr nach der Re- form des Paragraphen stellt uns vor fast unlösbare Probleme:

1. Das von der Bundesregierung ge- plante flächendeckende Netz von anerkannten Beratungsstellen ist zwar in etwa vorhanden, jedoch wer- den Beratungsstellen, die weltan- schaulich einseitig ausgerichtet sind, offenbar bedeutend weniger in Wochen

8 oder weniger 9-10

11-12 13-15 16 oder mehr

318 Heft 6 vom 9. Februar 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Novellierung des § 218

Tabelle 3: Schwangerschaftsabbrüche in der Zeit vom 26. Juni bis 31. Dezember 1976 in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin*)

davon:

Alter der Schwangeren

von ... bis unter ... insgesamt allgemein- medizinische

Indikation

psychia- trische Indikation

euge- nische Indikation

ethische (kri- minolo- gische) Indikation

sonstige schwere Notlage Jahren

Familienstand

unbekannt

Anzahl 10-18

18-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-55 unbekannt

779 2 826 2 620 2 502 2 614 1 243 144 316

22,5 27,2 35,5 40,8 46,9 51,2 59,0 30,7

11,7 10,1 10,5 11,4 11,3 10,0 9,0 11,7

1,2 6,2 6,1 5,4 4,9 3,9 4,9 5,7

1,0 0,5 0,1 0,1 0,1 0,3

62,4 55,0 46,5 41,2 35,8 34,3 26,4 50,3

1,3 1,1 1,2 1,1 1,1 0,6 0,7 1,3 in Prozent')

0,2 0,8 0,0 0,3 Insgesamt

Ledig Verheiratet Verwitwet Geschieden Unbekannt

13 044 3 322 8 418 107 1 002 195

37,8 25,7 44,2 24,3 27,3 32,3

5,2 3,7 6,1 2,8 3,1 4,6 10,8

12,0 10,1 13,1 11,9 11,3

44,9 1,1

56,6 1,2

38,5 1,1

59,8

56,7 0,7

49,7 2,1

1) Jeweiliger Familienstand bzw. Altersgruppe insgesamt = 100

*) Quelle: „Wirtschaft und Statistik"; Gesundheitswesen, Heft 6/77, S. 419

Anspruch genommen als Pro-Fami- lia-Beratungsstellen. Schon in den ersten 5 Monaten nach der Reform vermerkten wir eine 480%ige Stei- gerung der Schwangerschaftskon- fliktberatungen, die sich ständig noch erhöht.

2. Pro Familia hat hier eine öffentli- che Aufgabe von großer Bedeutung übernommen, wird aber in verschie- denen Bundesändern unzureichend gefördert und zum Teil sogar bei der Erfüllung dieser Aufgabe behin- dert.

3. In den meisten Pro-Familia-Bera- tungsstellen sind die Berater phy- sisch und psychisch überlastet. Es besteht die Gefahr, daß Schwangere und andere Ratsuchende wegge- schickt werden oder aber unzumut- bare Wartezeiten in der Sprechstun- de in Kauf nehmen müssen.

4. Die Unzulänglichkeit der sozialen Hilfen, die oft zu beklagende demü- tigende Behandlung durch Ämter und Institutionen und die generelle

Kinderfeindlichkeit unserer Gesell- schaft erschweren die Entscheidung zum Kind.

5. Jede repressive, ausschließlich auf die Erhaltung der Schwanger- schaft angelegte Beratung kann, im Falle eines Schwangerschaftsabbru- ches dazu führen, daß Schuldgefüh- le verstärkt werden oder daß die Frau sich gedrängt fühlt, dem Kind eine Lebenssituation zuzumuten, die sie eigentlich nicht glaubte ver- antworten zu können. Daraus ergibt sich klar, daß man Erfolgsquoten nicht an der Zahl der ausgetragenen Schwangerschaften messen darf.

Pro Familia kann nicht stellvertre- tend für die ganze Gesellschaft die Lasten der geltenden gesetzlichen Regelung tragen.

Pro Familia kann es außerdem nicht zulassen, öffentlich nur mit der Fra- ge des Schwangerschaftsabbruchs identifiziert und dadurch an der Ver- folgung ihrer ursprünglichen Ziele gehindert zu werden!"

Wie immer man zur Frage des indu- zierten Schwangerschaftsabbruchs steht: das Problem, die sozialpoliti- schen und sozialmedizinischen Fak- ten bleiben bestehen. Ein Anruf ei- nes bedeutenden deutsch-amerika- nischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe könnte uns Ärzte hier Richtschnur sein. 1930 sagte er in einer Rede, in der er zu Zeitfragen Stellung nahm:

„Die neue Zeit ist eine Tatsache, sie existiert ganz unabhängig davon, ob wir ja oder nein zu ihr sagen. Alle diese Dinge gehen ihren schicksal- haften und wertblinden Gang. Ent- scheidend wird allein sein, wie wir uns mit diesen Gegebenheiten zur Geltung bringen. Hier erst beginnen die geistigen Probleme."

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ulrich Wolff Pro Familia - Berlin Finkenstraße 19 1000 Berlin 33

320 Heft 6 vom 9. Februar 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Creme beson- ders bei akuten und nässenden Stadien, bei seborrhoischer Haut sowie auf sichtbaren oder behaarten Körperstellen; Salbe bei allen Hautzuständen, die weder nässend

Wiesen sind Räu¬ me, in die menschliche Existenz hineinwirkt, doch bleibt dem Wald sein Vorrang als ursprünglicher mythischer Raum erhalten.5 Als solcher ist er der

Wenn in einer Gesellschaft Einigkeit darüber bestehe, daß es Notlagen gibt, aus denen heraus Frauen gezwungen sind, Schwangerschaften abbrechen zu lassen, so müsse die

Hält man unter be- stimmten Bedingungen die Indikation für eine Abtrei- bung für gegeben, ist es die Pflicht des Arztes, das Be- handlungsverfahren zu wäh- len, das möglichst

Daß die Krankenkassen auch für die Hochschulkliniken schrittweise die Investitionskosten von den Län- dern übernehmen sollen, hält der MB für finanziell nicht darstellbar..

Bei Jungen und Mädchen im Alter von 3 bis 10 Jahren zeichnet sich im Auftreten von psychi- schen und Verhaltensproblemen ein soziales Gefälle ab: Je niedriger der Sozialstatus,

Kerstin Jäger, Gynäko- login aus Halle, hat sich vorgenom- men, ihre Patientinnen (nur dringende Fälle werden angenommen) direkt auf die Gesundheitsreform anzu- sprechen: „Die

und Rehabilitations- leistungen auch für Behinderte in Schulen und Ausbildungsstät- ten, und nicht nur aus- schließlich für Berufs- tätige, gewährt werden müssten.. In der