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Archiv "Vernetzte Versorgungsstrukturen: „Nicht mehr der Einzelkämpfer“" (11.12.1998)

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A-3204 (32) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998 rüher haben wir uns in unseren

Einzelpraxen verschanzt, jetzt arbeiten wir zusammen“, sagt Dr. med. Irene Kaufmann, die sich im Praxisnetz Erft engagiert. Für die nie- dergelassene Hautärztin ist die Ko- operation mit den Kollegen das Wich- tigste an der Arbeit im Netz. Die

„bringt einen aus der Isolation her- aus“. In der Gruppe lasse sich vieles besser planen, man habe mehr Infor- mationen über die Kollegen, könne sich intensiver austauschen.

Doch „zwischen den niederge- lassenen Ärzten und den Kran- kenhausärzten“, sagt sie, „be- steht noch eine ungeheure Schwellenangst“.

Unter den Kassenärzten herrscht Aufbruchstimmung.

In den vergangenen Jahren ha- ben sich annähernd 4 000 Ärzte in „Vernetzten Praxen“ zusam- mengeschlossen – mittlerweile gibt es etwa 65 Praxisnetze in Deutschland. Vielerorts sind es die Ärzte an der Basis, die die Netzidee vorantreiben, ohne daß sie „von oben“ verordnet wird. Einige finden sich gerade zusammen, andere haben be- reits Verträge mit eigenem Honorar- budget. Die schließen die Kassenärzt- lichen Vereinigungen und die Kran- kenkassen ab.

Hinter dem Begriff „Vernetzte Praxen“ steckt die Idee, die Versor- gungsqualität zu verbessern und zu- gleich Rationalisierungsreserven zu erschließen. Die Vertragsärzte wollen dies durch mehr Kommunikation, Koordination und Kooperation errei- chen – auch mit den anderen Lei- stungserbringern im Gesundheitswe-

sen. Wenngleich die Struktur der ein- zelnen Netze stark von den regiona- len Besonderheiten abhängt, haben sich bestimmte Netzbausteine be- währt:

>Anlaufpraxen, die während der sprechstundenfreien Zeiten geöffnet sind>Leitstellen, die den Ärzten bei-

spielsweise Pflegedienste oder Kran- kenhausbetten vermitteln oder An- sprechpartner für die Patienten sind

>ein internes Management, das die Aktivitäten koordiniert

>Qualitätszirkel, Fall- oder Netz- konferenzen, in denen die Ärzte zu- sammenarbeiten.

Viele Netze haben einen Patien- tenbegleitbrief entwickelt. Darin wer- den bereits erhobene Befunde und Medikamente des Patienten doku- mentiert – und so Doppeluntersu- chungen vermieden.

Beispiel Praxisnetz Erft: Der Initiator und Vorstandsvorsitzende

des Netzes, Dr. med. Arend Rahner, war zunächst skeptisch, ob sich ge- nügend Ärzte finden würden, die sich engagieren. Doch die Resonanz sei unglaublich, berichtet er. „Ob es um medizinische oder menschliche Dinge geht, die Kollegen tauschen sich jetzt viel intensiver aus.“ Der Motivationsschub heißt Berufszufrie- denheit: „Man ist eben nicht mehr der Einzelkämpfer.“ Daneben wollen die Netzärzte an erzielten Einsparungen beteiligt werden – um so die Honorarmisere der letzten Jahre ein wenig zu mindern.

Ein Vordenker des Gesamt- modells war Dr. med. Peter Schwoerer. Der ehemalige Zweite Vorsitzende der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung (KBV) sah vor allem Ra- tionalisierungsreserven an der Schnittstelle zwischen ambu- lanter und stationärer Versor- gung. Er wollte „Strukturen schaffen, die es ermöglichen, die medizinische Versorgung auf der jeweils effizientesten Stufe zu lösen“ (DÄ, Heft 25–26/1995). In einem inte- grierten ambulanten Versor- gungssystem, beschrieb er seine Idee damals, sollte der Patient erst dann in eine Klinik eingewiesen werden, wenn niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie ambulante Pflege- dienste keine ausreichende Betreu- ung mehr sicherstellen können.

Die Kassenärztlichen Vereini- gungen und die Krankenkassen haben im Jahr 1996 erste Projekte als Mo- dellvorhaben vereinbart; der Gesetz- geber hatte in den sogenannten Er- probungsregelungen (§ 63 ff. SGB V)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Vernetzte Versorgungsstrukturen

„Nicht mehr der Einzelkämpfer“

Immer mehr Kassenärzte schließen sich in „Vernetzten Praxen”zusammen.

KVen und Krankenkassen wollen das Modell weiter fördern – mehr Kooperation steigert die Effizienz. Der Knackpunkt: Netze ohne Krankenhäuser sind „nur die halbe Miete”. Die DÄ-Redaktion informiert über den Stand der Diskussion.

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die Grundlage dafür geschaffen. In Südbaden entstand das Netz „Qua- lität und Humanität“, in Schleswig- Holstein ging die „Medizinische Qua- litätsgemeinschaft Rendsburg“ an den Start, in Berlin das „Praxisnetz Berliner Ärzte und Betriebskranken- kassen“.

Rahmenbedingungen:

KBV kontra Kassen

Grundsätzlich stehen die KVen und die Krankenkassen der Vernet- zungsidee positiv gegenüber: Die fi- nanziellen Mittel sind knapp, mehr Ef- fizienz im Gesundheitswesen muß her.

Unterschiedliche Auffassungen ha- ben sie hingegen über die organisa- torischen Rahmenbedingungen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hält die obligatorische Vertragspart- nerschaft zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen für unverzichtbar. Nach Ansicht des Zweiten Vorsitzenden der KBV, Dr.

med. Eckhard Weisner, müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen die ambulante Versorgung auch weiterhin flächendeckend sicherstellen. „Dies können nicht die Kassen im Wettbe- werb leisten“, betont er. „Die KV muß der Notar bleiben.“ Auch wenn man den Netzen eigene Verantwortung für Honorar und die Honorarverteilung übergebe, müsse gewährleistet blei-

ben, daß die anderen Ärzte nicht be- nachteiligt werden. Verträge über ver- netzte Praxen sollen aus Sicht der KBV möglichst kassenartenübergrei- fend geschlossen werden, sonst wür- den integrierte patientenorientierte

Versorgungsangebote verfehlt. Weis- ner: „Alle Versicherten, gleich wel- cher Kasse sie angehören, sollen eine qualitativ hochwertige Behandlung er- halten.“

Viel lieber wäre es den Kranken- kassen indes, Verträge mit einzelnen Ärztegruppen zu schließen. Der Vor- standsvorsitzende des AOK-Bundes- verbandes, Dr. Hans Jürgen Ahrens, möchte am liebsten un- mittelbar mit den Praxisnetzen verhandeln. „Nur so kann tat- sächlich ein Wettbewerb statt- finden“, sagt er. Als Hindernis bezeichnet der Vorstandsvorsit- zende der Ersatzkassenverbän- de, Herbert Rebscher, daß die Kassenärztlichen Verei- nigungen Modellprojek- ten zustimmen müssen:

„Dadurch kommen eini- ge Projekte gar nicht erst in Gang.“ Vernetzte Pra- xen seien Beispiele eines notwendigen Innovati- onswettbewerbs: „Wir brau- chen eine Vielfalt von Man- aged-Care-Projekten, um Er- fahrungen zu sammeln und un- terschiedliche Elemente zur Verbesserung der medizini- schen Versorgung zu testen.“

Nach dem Prinzip Versuch und Irrtum werden sich seiner Ein- schätzung nach sinnvolle Projekte durchsetzen, „andere wieder vom Markt verschwinden“.

Die „Ärztliche Qualitätsgemein- schaft Ried“ gilt als ein Vorzeigemo- dell. Sie hat sich aus der Eigeninitiati-

ve der Ärzte vor Ort entwickelt; An- fang 1997 vereinbarten die KV Hes- sen und die Ersatzkassenverbände ein auf zwei Jahre befristetes Mo- dellprojekt. Mit den ersten konkre- ten Ergebnissen der wis- senschaftlichen Begleitfor- schung gelang es, die ange- strebten Rationalisierungs- effekte tatsächlich zu be- legen: Die 32 Haus- und Fachärzte sparten im ersten Jahr 302 000 DM bei Arz- neimittelverordnungen ein.

Von dem Geld sollen jeweils 30 Prozent den Ersatzkas- sen und den Ärzten zugute kommen und 40 Prozent in das Netz investiert werden, vorausgesetzt, die Einspa- rungen übersteigen den Be- trag der „Anschubfinan- zierung“. Die Ersatzkassen hatten dem Netz 650 000 DM zur Verfügung gestellt, wovon beispielsweise ISDN-Anschlüsse, Pa- tientenbücher, Qualitätssicherungs- maßnahmen und Aufwandsentschä-

digungen für die Netzärzte bezahlt wurden. Dank der Anschubfinanzie- rung sei die geleistete Arbeit hono- riert worden, resümieren die Vor- standsmitglieder Dr. med. Christoph Weber und Dr. med. Brigitte Kluthe.

Und das halten sie für notwendig.

„Der Arbeits- und Organisationsauf- wand im ersten Jahr war wesentlich größer, als wir ursprünglich vermutet hatten.“

Als damaliger Vorsitzender der KV Schleswig-Holstein hat Dr. med.

Eckhard Weisner die „Medizinische Qualitätsgemeinschaft Rendsburg“

A-3205 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998 (33)

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Hält die Vertragspartnerschaft zwischen Kassenärztlichen Vereini- gungen und Krankenkassen für unverzichtbar: Dr. med. Eckhard Weisner. „Die KV muß der Notar bleiben.“ Foto: Bernhard Eifrig, Bonn

Sieht Praxisnetze als Beispiele eines Inno- vationswettbewerbs:

Herbert Rebscher.

„Sinnvolle Projekte werden sich durch- setzen, andere wie- der vom Markt ver- schwinden.“

Möchte am liebsten unmittelbar mit den Praxisnetzen ver- handeln: Dr. Hans Jürgen Ahrens. „Nur so kann tatsächlich ein Wettbewerb statt-

finden.“ Fotos (2): Johannes Aevermann, Köln

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gefördert und unterstützt. Fasziniert ist er von „den vielen Talenten mit Management- und Organisations- qualitäten, die da auftauchten. Und plötzlich machen sie ein Netz.“ Die Rendsburger Ärzte haben inzwischen nachgewiesen, daß die Patienten die Behandlungsqualität der 120 Netz- ärzte höher einschätzen als im übri- gen Schleswig-Holstein. Die Befra- gung ist Teil der wissenschaftlichen Evaluation des Modellprojektes. Den Ergebnissen zufolge loben die Pa- tienten Gründlichkeit und Sorgfalt der Untersuchungen und die gute Kommunikation zwischen den Ärz- ten. Ihrer Einschätzung nach kom- men in Rendsburg weniger Dop- peluntersuchungen vor. Tendenziell sind die Rendsburger Patienten nicht so oft im Krankenhaus. Durchweg positiv beurteilen sie ambulante Ope- rationen im Netz. Über die Zufrie- denheit der Patienten freut sich der Vorsitzende der Qualitätsgemein- schaft, Dr. med. Helmut Scholz: „Sie ist für uns ein wichtiges Barometer, um die Medizinische Qualitätsge- meinschaft Rendsburg zu steuern und unsere eigenen Praxen zu opti- mieren.“

Gut funktionierende Praxisnetze, in denen der Patient eine bessere Ver- sorgungsstruktur vorfindet, können Dr. Ahrens zufolge denn auch eine Konkurrenz für Einzelpraxen wer- den. Herbert Rebscher glaubt gar,

„daß sich die Netzidee flächen- deckend durchsetzen wird“. Aus ei- nem etwas anderen Blickwinkel be- trachtet Dr. Weisner die Entwicklung.

Er glaubt, daß Netze zur Überlebens-

strategie für Einzelpraxen werden könnten: „Sie sind in Netzen sicher besser aufgehoben, als weiter allein vor sich hin zu strampeln, womöglich im Hamsterrad.“ In „dünnen“ Versor- gungsgebieten wird die Einzelpraxis seiner Ansicht nach jedoch auch künf- tig „ihren Platz haben“.

Netz ohne Krankenhaus:

„Nur die halbe Miete”

Auf den ersten Blick stehen die Praxisnetze in direkter Konkurrenz zu den Krankenhäusern: Die Netz- ärzte sind in Anlaufpraxen in den Abendstunden, am Wochenende und an Feiertagen präsent; sie wollen so – zu Recht – unnötige Krankenhausein- weisungen vermeiden. Doch eine Ver- netzung ohne oder gar gegen die Krankenhäuser macht auf Dauer kei- nen Sinn. Netzwerke im niedergelas- senen Sektor sind „nur die halbe Mie- te“, sagt Dr. Hans Jürgen Ahrens.

„Nur wenn Hausarzt, Facharzt, Kran- kenhaus und Pflegeeinrichtungen strukturiert und ohne Berührungs- ängste zusammenarbeiten, kann ge- währleistet werden, daß der Versi-

cherte die jeweils adäquate Behand- lung zum richtigen Zeitpunkt erhält.“

Allerdings, betont er, gebe es im am- bulanten und stationären Sektor eine Überversorgung. Ein Krankenhaus könne daher durchaus in Konkurrenz zu einem funktionierenden Netz ste- hen, wenn es nicht mit einem Praxis- netz kooperiere.

Die zum Teil gegensätzlichen In- teressen der Leistungsanbieter und

die sektoralen Finanzierungsregelun- gen behindern nach Auffassung von Herbert Rebscher die Kooperation.

Und: In Modellprojekten könne man Leistungen und Ressourcen nur in en- gen Grenzen verlagern. Die Ersatz- kassen wollen die Kooperation mit dem Krankenhaus in den Mittelpunkt künftiger Projekte stellen. Im Januar 1999 werde in Dresden eine Qualitäts- gemeinschaft ihre Arbeit aufnehmen, berichtet Rebscher, in der die Kas- senärzte und das Versorgungskran- kenhaus im Stadtgebiet intensiv ko- operieren. In Herdecke soll ein ähn- licher Ansatz verwirklicht werden.

„Die Netzärzte haben ein großes Be- dürfnis, mit den Krankenhauskolle- gen zu kooperieren“, glaubt auch Dr. Weisner. Die Voraussetzungen für eine vernünftige Zusammenarbeit müßten jedoch noch geschaffen wer- den: „Wenn man an die sektoralen Budgets im nächsten Jahr denkt, tötet das jede Initiative.“

Es gibt indes Beispiele dafür, daß die „Schwellenangst“ zwischen Kas- senärzten und Krankenhausärzten abnimmt: Anfang Oktober haben 20 niedergelassene Allgemeinärzte und hausärztliche Internisten im Klini- kums rechts der Isar in München eine Bereitschaftspraxis eröffnet. Die Ärz- te, die sich zu einer GmbH zusam- mengeschlossen haben, versorgen dort vor allem Patienten mit interni- stischen und chirurgischen Bagatell- erkrankungen, die nicht stationär be- handelt werden müssen. Die Ausstat- tung des Universitätsklinikums steht den Ärzten zur Verfügung. In der Pra- xis können technische Untersuchun- gen wie EKG, Sonographie, Doppler- Sonographie vorgenommen werden.

Geplant ist, die Bereitschaftspraxis zu einer „Keimzelle“ für ein regionales Praxisnetz werden zu lassen mit allen niedergelassenen Facharztgruppen in den angrenzenden Stadtbezirken.

Im Marienhospital Stuttgart tei- len sich niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte den Dienst in einer 1996 eingerichteten Notfallpraxis – die gehört allerdings nicht zu einem Netz. In 44 Prozent der rund 20 000 Behandlungsfälle im Jahr 1997 haben die Ärzte eine Krankenhauseinwei- sung ihrer Patienten vermeiden kön- nen. Eine stationäre Aufnahme war nur bei knapp vier Prozent der Patien- A-3206 (34) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Die Ziele im Überblick

> Verbesserung der Patientenversorgung

> Erschließung von Rationalisierungsreserven

> Verbesserung der Kooperation und Kommunikation unter den Kassen- ärzten

> Leistungserbringung auf der adäquaten Versorgungsstufe

> Vermeidung von Doppel- und Mehrfachuntersuchungen

> Vermeidung unnötiger Krankenhauseinweisungen

> Entwicklung von Qualitätsstandards und Leitlinien

> Qualitätssicherung durch Qualitätszirkel und Netzkonferenzen

> Kooperation mit dem Krankenhaus und den nichtärztlichen Leistungs- erbringern

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ten notwendig. In 65 Prozent aller Fäl- le konnten die Patienten von einem niedergelassenen Arzt weiterbehan- delt werden, in 28 Prozent der Fälle war die einmalige Behandlung in der Praxis ausreichend. Die Anbindung der Praxis an das Marienhospital habe die Patientenversorgung verbessert und zugleich Kosten gespart, wertete die KV Nord-Württemberg.

Montgomery: Im Zentrum das Krankenhaus

Trotz der offenkundigen Erfolge machen die meisten Netze nach An- sicht des Ersten Vorsitzenden des Marburger Bundes, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, einen Kardi- nalfehler. „Sie versuchen Kranken- häuser auszuschließen, statt sie ein- zubinden.“ Die Vermeidung von Krankenhauseinweisungen sei die

„zentrale Motivation der Netz- stricker“. Für ihn ist das der falsche Weg. Das „angeblich zu sparende Geld“ sei der Köder für die Kranken- kassen, den Netzaufbau zu finanzie- ren. Montgomery stellt sich statt des- sen regionale Netze vor, „in denen das Krankenhaus Stütze, Anker und Rückgrat ist“. Er geht noch weiter:

„Nur wenn das Krankenhaus im Zen- trum des Netzes steht, werden sich die erhofften Rationalisierungsge- winne einstellen.“

Ähnlich skeptisch ist die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Aus ihrer Sicht sind die gesetzlichen Rege- lungen zur Erprobung neuer Versor- gungsformen „keine echte Integrati- onslösung“. Die Gräben zwischen den Versorgungssektoren, fürchtet sie, würden nicht zugeschüttet, sondern vertieft. Die Politik hat in der vergan- genen Legislaturperiode im 2. GKV- Neuordnungsgesetz mehr Spielraum geschaffen, vernetzte Versorgungs- strukturen zu erproben. Die Selbst- verwaltung kann danach Struktur- verträge abschließen (§ 73 a SGB V) oder erweiterte Modellvorhaben er- proben (§ 63 ff. SGB V). Die sind auf acht Jahre befristet, müssen wissen- schaftlich begleitet und in den Satzun- gen der Krankenkassen festgelegt werden.

Der Gesetzgeber habe die Rege- lungen so konzipiert, moniert die

DKG, „daß der ambulante Bereich die stationäre Leistungserbringung weitestgehend steuern kann“. An Strukturverträgen „können sich die Krankenhäuser allenfalls beteiligen“.

Modellvorhaben, die auch die ver- tragsärztliche Versorgung betreffen, seien nur mit Zustimmung der KBV und der KVen möglich – und die ist aus Sicht der DKG „aufgrund unter- schiedlicher Interessen nicht zu er- warten“. Praxisnetze ohne Kranken- häuser bergen der DKG zufolge die Gefahr, daß eine dritte Versorgungs- ebene geschaffen wird; solche Dop- pelstrukturen dürften die Wirtschaft- lichkeit des Gesamtsystems erheblich verschlechtern.

„Blockadepolitik, von welcher Seite auch immer, sollte aufhören“, fordert Herbert Rebscher. Alle soll- ten an einem Strang ziehen, um neue Versorgungsformen auf den Weg zu bringen und erfolgreich umzusetzen.

Dr. Hans Jürgen Ahrens glaubt, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen und die gesetzlichen Krankenkassen

„genügend Kompetenzen im Qua- litäts- und Netzmanagement erwer- ben müssen, um auf diesem Gebiet weiter tätig zu bleiben“. Bei diesem Vorhaben werden die Kassen und die KVen mit anderen Anbietern konkur- rieren müssen – etliche Unterneh- mensberatungen und Pharmaunter- nehmen wollen ins Netzmanagement einsteigen.

KVen: Service- und Dienstleister für Netze

Um der neuen Aufgabe gerecht zu werden, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Projektgrup- pe eingerichtet. Sie will zusammen mit den KVen Beratungsangebote ent- wickeln. Als Service- und Dienstlei- ster können die KVen die Netze künf- tig unterstützen – bei der Rahmen- entwicklung, dem Qualitäts- und Netzmanagement und der ökonomi- schen Steuerung. Denn die Entwick- lung in Deutschland „stecke in fast al- len Punkten noch in den Kinderschu- hen“. Als Beratungsangebote könn- ten beispielsweise Konzepte für Sat- zungen, Gremienstrukturen oder ein juristischer Leitfaden erarbeitet wer- den. Ebenso: Kriterien für Positivli-

sten, Krankenhausführer, ein Kata- log nichtärztlicher Leistungserbringer oder Anwendungskonzepte für Pati- entenbefragungen. Gemeinsam mit den KVen will die KBV ein Fortbil- dungsangebot zum Netzmanager er- arbeiten.

Die rot-grüne Bundesregierung hat der Entwicklung der Netze zunächst einen Dämpfer verpaßt.

Modellprojekte und Strukturverträge dürfen im nächsten Jahr nur noch un- ter den engen Budgetgrenzen erprobt werden. Das jedenfalls sieht das

„Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der Gesetzlichen Krankenver- sicherung“ vor. Die Krankenkassen fördern die Netze derzeit mit zusätz- lichen Mitteln, mit denen beispiels- weise Informationstechnologien, die wissenschaftliche Begleitung, Mehr- leistungen der Ärzte oder der Aufbau eines Netzmanagements bezahlt wer- den. Ohne Mittel außerhalb des Budgets, fürchtet die KBV, komme die Entwicklung zum Erliegen.

Selbst wenn sich ein Teil der Auf- wendungen für Innovationsförde- rung durch Einsparungen finanzieren ließe, mit einem vollständigen „re- turn of investment“ sei erst langfristig zu rechnen.

Ob Ärzte, KVen und Kassen der Netzidee weitere Impulse geben kön- nen, hängt nun maßgeblich von den Plänen der neuen Bundesregierung ab. Das Gesetz, bekräftigt Bundesge- sundheitsministerin Andrea Fischer, gelte nur 1999. Die eigentliche Struk- turreform will sie im nächsten Jahr auf den Weg bringen. Dr. Sabine Glöser A-3208 (36) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 50, 11. Dezember 1998

T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE

Informationen über

„Vernetzte Praxen“

> Kassenärztliche Bundesverei- nigung, Dr. Christina Topho- ven, Herbert-Lewin-Straße 5, 50931 Köln, Tel 02 21/4005-292

> alle Kassenärztlichen Vereini- gungen

> Dr. Johann May, Rintheimer Straße 17, 76131 Karlsruhe, Tel 07 21/69 88 88 (Dr. May organi- siert bundesweite Treffen für Netzärzte).

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