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Archiv "Dokumentation von Folterfolgen: Viel hängt vom Gutachter ab" (02.09.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 35–36

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2. September 2013 A 1625 DOKUMENTATION VON FOLTERFOLGEN

Viel hängt vom Gutachter ab

Wenn Folterüberlebende in Asylverfahren von entsprechend qualifizierten Ärzten und Psychotherapeuten untersucht werden, kann das viel Leiden ersparen.

H

err Ü. lebt sehr zurückge - zogen, verlässt kaum seine Wohnung, auch nicht, um wegen seiner starken Schmerzen zum Arzt zu gehen. Ü. ist türkischer Kurde.

Sein Asylantrag wird abgelehnt, nachdem er im Juli 2011 von ei- ner Sonderbeauftragten für Trauma des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu seinen Fluchtgrün- den angehört wurde. Denn Ü. hatte angegeben, er sei in seiner Heimat gefoltert, dabei mit Messern am Bauch verletzt und später operiert worden. Er leide noch immer unter Schmerzen. Auch mit den Armen habe er Probleme, denn seine Peini- ger hätten ihn längere Zeit daran aufgehängt. Niemand glaubt Ü.

Dabei gibt es neben seinen psy- chischen Symptomen medizinische Befunde, die seine Geschichte un- termauern. Ein orthopädisches At- test vom 26. März 2012 beschreibt mehrere Narben im Bauchbereich und typische Schädigungen der Sehnen und Nerven nach Überdeh- nung der Arme durch Aufhängen, wie sie auch im Istanbul-Protokoll beschrieben werden. Das Handbuch ist der Standard der Vereinten Na- tionen (United Nations, UN) für die Begutachtung und Dokumentation von Folterfolgen.

Folgeerkrankungen von Folter werden oft zu spät erkannt

Bei einer Begutachtung am 4. Fe - bruar 2013 im Rahmen einer Klage vor dem Verwaltungsgericht wird neben der ausführlichen schriftli- chen Dokumentation von Anamne- se und psychischen sowie somati- schen Befunden ein Befund foto- grafiert. Erkennbar ist im Bauchbe- reich, neben kleineren Narben, eine große 25 Zentimeter lange, schlecht verheilte Narbe, vom Aspekt her wie nach einer Notoperation. Eine frühzeitige medizinische Untersu-

chung und Dokumentation hätte Ü.s Asylverfahren in seinem Verlauf si- cherlich beeinflusst.

In Deutschland findet Folter zum Glück nicht statt. Ärztinnen und Ärzte sind daher bei deutschen Patienten sehr selten mit gesund- heitlichen Folgestörungen von Fol- ter befasst. Bei Flüchtlingen ist das anders. Viele von ihnen leiden unter den körperlichen oder seeli- schen Folgen von Folter, die häufig zu spät oder nur unzureichend er- kannt werden.

Der UN-Antifolter-Ausschuss empfiehlt bereits seit 2011, bei der Untersuchung von Folterüberle- benden das Istanbul-Protokoll an- zuwenden, weil es eine ausführ - liche Anleitung zur Dokumenta - tion körperlicher und psychischer Fol terfolgen enthält. Im selben Jahr mahnte der UN-Antifolter- Ausschuss Deutschland, Heilberufler vermehrt zu schulen, damit sie Fol - geerkrankungen von Folter erkennen (www.institut-fuer-menschenrechte.

de). Die Bundesregierung hat der UN- Antifolter-Ausschuss dezidiert aufgefordert, im Rahmen des Asyl - verfahrens Flüchtlinge durch unab- hängige und qualifizierte medizini- sche Fachkräfte medizinisch-psy- chologisch untersuchen zu lassen, wenn sich bei der Anhörung im Asylverfahren Hinweise auf Folter oder Traumatisierung ergeben ha- ben. Das Gleiche gilt für Asylbe- werber, die in Abschiebehaft ge- nommen werden oder kurz vor der Abschiebung stehen.

Die Bundesregierung hat er- klärt, sie werde die bisherige auf die Reisefähigkeit beschränkte Un- tersuchung kranker ausreisepflich- tiger Asylbewerber vor ihrer Ab- schiebung durch eine umfassendere medizinische Untersuchung erset- zen. Bevor ein Ausreisepflichtiger der Bundespolizei übergeben wird,

müssten die Ausländerbehörden nun eine medizinische Untersu- chung veranlassen, wenn irgend- welche Anzeichen für ein Gesund- heitsrisiko bestehen, das Einfluss auf die Durchführung der Abschie- bung haben könnte. Diese Unter - suchungen müssen mit einem spe- ziellen Fokus auf das mögliche Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) vorge- nommen werden. Solange die Exis- tenz einer PTBS nicht ausgeschlos- sen ist, darf der Betroffene nicht auf dem Luftweg abgeschoben werden.

Ärzte können sich in speziellen Kursen fortbilden

Aufgrund der UN-Empfehlungen ist zu erwarten, dass Behörden und Gerichte vermehrt Gutachten an speziell fortgebildete ärztliche und psychologische Experten in Auf- trag geben werden. Die Bundesärz- tekammer (BÄK) hat im vergan - genen Jahr die Inhalte des Istan- bul-Protokolls zu körperlichen Fol - terfolgen in das 2002 entwickelte Curriculum „Standards zur Begut- achtung psychisch reaktiver Trau- mafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren (SBPM)“ eingearbeitet.

Zudem hat der 115. Deutsche Ärz- tetag 2012 in Nürnberg die Prä - sidenten der Landesärztekammern aufgefordert, vermehrt Fortbildun- gen nach dem BÄK-Curriculum anzubieten und Ärzte und Psy - chotherapeuten zur Teilnahme zu motivieren (Termine unter www.

sbpm.de).

Dr. med. Hans-Wolfgang Gierlichs

LITERATUR

1. Frewer A et al.: Istanbul Protokoll. Göttin- gen: V & R Unipress 2012.

2. Curriculum der Bundesärztekammer. www.

bundesaerztekammer.de/downloads/curr standardsbegutachtungtrauma2012.pdf.

T H E M E N D E R Z E I T

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