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Sylvia Rogge-Cau

„Was aus diesen Menschen wird, von uns hängt es ab."

Jüdische Frauen in Selbsthilfeorganisationen 1933 bis 1939

1. Einführung

Als Reaktion auf die antijüdische Politik des NS-Staats solidarisier- ten sich die jüdischen Frauenverbände in den 1930er J a h r e n über alle ideologischen Schranken hinweg zu einer „Einheitsfront der jüdischen Frauen"1, d e r orthodoxe genauso wie liberale, zionisti-

sche oder freie Frauengruppen angehörten. Eine dominierende Rolle spielte dabei der 1904 gegründete Jüdische Frauenbund, dem 430 Vereine mit 50000 Mitgliedern angehörten. Dieser bot d e n heterogenen Frauengruppen ein gemeinsames Fundament, von dem aus in den J a h r e n 1933 bis 1938 wesentliche Bereiche der jüdischen Selbsthilfe organisiert wurden. Mit der z u n e h m e n d e n

Entrechtung u n d Ausgrenzung der J u d e n erweiterten sich die Aufgaben der Selbsthilfe im Jüdischen Frauenbund ständig. Bis 1938 gehörten dazu beispielsweise die Umschulung beziehungsweise die berufliche Aus- u n d Fortbildung von Mädchen u n d Frauen, die an Emigration dachten, die Beratung u n d Unterstützung in anderen Auswanderungsfragen u n d die Mitarbeit bei der jüdi- schen Winterhilfe.

2. Ausbau der Vereinsarbeit seit 1933

Im Vordergrund dieser Neuausrichtung stand f ü r den Jüdischen Frauenbund die verstärkte Wahrnehmung sozialer Aufgaben, wobei er auf langjährige Erfahrungen der ihn tragenden Frauen zum Bei- spiel in der Jugendarbeit, Geflhrdetenfürsorge, Frauenberatung u n d Mädchenausbildung zurückgreifen konnte. Demgegenüber musste der Frauenbund sein frauenpolitisches Engagement u n d sein Interesse an der internationalen Friedensbewegung unter dem Diktat Hitlers notgedrungen aufgeben. Ein Schwerpunkt seiner

1 BLJFB 1933, Nr. 10, S.9.

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Arbeit w u r d e stattdessen die Stärkung d e r j ü d i s c h e n Identität u n d d e r Ausbau des j ü d i s c h e n Gemeindelebens2. So appellierte die Geschäftsführerin H a n n a h Karminski in e i n e m Leitartikel u n t e r d e r Uberschrift „Helfen!" an die Mitglieder, sich solidarisch zu zeigen u n d sich an d e n S e l b s t h i l f e m a ß n a h m e n zu beteiligen: „Vor- aussetzung f ü r alle Selbsthilfe ist das Bewusstsein d e r V e r b u n d e n - heit, ist eine anständige Solidarität"3. D e r F r a u e n b u n d bot dabei d e n institutionellen R a h m e n f ü r ein umfassendes Selbsthilfewerk4, das vom E n g a g e m e n t d e r meist e h r e n a m t l i c h a r b e i t e n d e n Mit- glieder gestützt wurde. Weil diese Selbsthilfeaktivitäten gegen die Intentionen des NS-Staats gerichtet waren, die jüdische Bevölkerung auszugrenzen, herabzuwürdigen u n d auszubeuten, kam i h n e n auch politische B e d e u t u n g zu.

Viele d e r sich im J ü d i s c h e n F r a u e n b u n d e h r e n a m t l i c h engagie- r e n d e n F r a u e n h a t t e n bis z u m F r ü h j a h r 1933 feste Arbeitsverhält- nisse i n n e g e h a b t , die i h n e n n u n a u f g r u n d der j u d e n f e i n d l i c h e n Politik gekündigt wurden. D e n n das „Gesetz zur Wiederherstellung des B e r u f s b e a m t e n t u m s " vom 7. April 1933 bot die G r u n d l a g e zur E n t f e r n u n g von politisch missliebigen Beamten u n d j ü d i s c h e n Be- a m t e n u n d B e a m t i n n e n aus d e m Staatsdienst. Nach Paragraf 3 des Gesetzes, d e m ,Arierparagrafen", k o n n t e n Beamte „nichtarischer"

H e r k u n f t entlassen werden, sofern sie nicht vor d e m 1. August 1914 e r n a n n t e Beamte, ehemalige Frontkämpfer o d e r Väter beziehungs- weise S ö h n e e h e m a l i g e r F r o n t k ä m p f e r waren. Diese Vorausset- z u n g e n k o n n t e n beispielsweise J u r i s t i n n e n schon deswegen nicht erfüllen, da sie erst seit 1922 zur Abschlussprüfung zugelassen waren.

Das Gesetz wurde auch auf a n d e r e Berufsgruppen wie Ärzte, Rechts- anwälte, Angestellte u n d Arbeiter angewendet. F ü r viele F r a u e n b e d e u t e t e dieses Gesetz das erzwungene E n d e ihrer Berufstätigkeit.

Die „Gleichschaltung" aller Vereine u n d Organisationen als weiterer Schritt zur Konsolidierung d e r Macht u n d zur D u r c h s e t z u n g des nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs hatte f ü r die d e u t s c h e n J u d e n die verstärkte A u s g r e n z u n g aus allen Bereichen des öffentli-

c h e n Lebens zur Folge. In dieser Situation kam d e r Jüdische Frauen- b u n d d e m Ausschluss aus d e m B u n d Deutscher F r a u e n v e r e i n e

2 Vgl. Marion Kaplan, Die jüdische Frauenbewegung in Deutschland. Or- ganisation und Ziele des Jüdischen Frauenbundes 1904-1938, Hamburg 1981, S. 126.

3 Hannah Karminski, Helfen!, in: BLJFB 1933, Nr.5, S.2.

4 Vgl. Sylvia Rogge-Gau, Institutionelle Selbstbehauptung von jüdischen Frauen am Beispiel des Jüdischen Frauenbundes 1933-1938, in: Christel Wickert (Hrsg.), Frauen gegen die Diktatur - Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 1995, S. 74-79.

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(BDF) zuvor, als er am 10. Mai 1933 seinen Austritt erklärte - wenige Tage bevor sich der BDF angesichts der drohenden Gleich- schaltung selbst auflöste. Diese erzwungene Loslösung von der deutschen Frauenbewegung und deren Zerschlagung empfand man im Jüdischen Frauenbund als außerordentlich bitter. Unangetastet blieb jedoch das Bekenntnis zur Frauenbewegung: „Heute haben wir als bekennende Jüdinnen die gewaltige Aufgabe, innerhalb des Jüdischen Frauenbundes der Frauenbewegung eine Stätte zu be-

reiten."5

Zu den Frauen, die erst durch den Verlust ihrer beruflichen Stellung zum Jüdischen Frauenbund stießen, gehörte die 1890 in Hannover geborene Cora Berliner, die 1919 als Beamtin des Reichswirtschaftsministeriums in den Staatsdienst eingetreten war.

Bereits 1923 avancierte die begabte Soziologin zur Regierungsrätin und erhielt eine leitende Position im Reichswirtschaftsrat. Ihre Professur für Wirtschaftswissenschaften, die sie seit 1930 am Be- rufspädagogischen Institut in Berlin innehatte, wurde ihr durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" 1933 entzogen. Cora Berliner fand danach eine leitende Anstellung in der Reichsvertretung der deutschen Juden und wurde zur zweiten Vorsitzenden des Jüdischen Frauenbunds gewählt.

Damit verfügte der Frauenbund über eine Führungspersönlich- keit, die sich aufgrund ihrer berufsspezifischen Kenntnisse, ihres Eintretens für das Selbstbestimmungsrecht der Frau und nicht zu- letzt wegen ihrer vielfältigen Kontakte in besonderer Weise für die Angelegenheiten der Frauen in der jüdischen Gesamtvertretung, das heißt der Reichsvertretung der deutschen Juden, engagieren konnte. Im Frauenbund war sie die treibende Kraft hinter der Ausbildungsförderung von Mädchen. Damit sollten deren Aus- wanderungschancen erhöht werden. Cora Berliner verfolgte dieses Ziel auch nach dem Verbot des Jüdischen Frauenbunds nach dem Novemberpogrom von 1938 weiter und widmete sich ebenso inten- siv wie erfolgreich der Frauenauswanderung. Sie selbst und auch die 1897 in Berlin geborene Hauptgeschäftsführerin des Jüdischen Frauenbunds, Hannah Karminski, harrten in Deutschland aus, um denjenigen beizustehen, die keine Auswanderungschance hatten.

Dabei wäre beiden Frauen durch ihre internationalen Kontakte die Emigration möglich gewesen. Die Sozialpädagogin Karminski starb auf dem 24. „Osttransport" vom 9. Dezember 1942 in das Ver- nichtungslager Auschwitz. Cora Berliner wurde bereits im Juni

5 Hannah Karminski, Vorstandssitzung des J.F.B., in: BLJFB 1933, Nr. 6, S.II.

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1942 mit nicht m e h r bestimmbarem Ziel in d e n „Osten" deportiert, wo sie ebenfalls ums L e b e n kam.

Die seit 1934 bis zur erzwungenen Auflösung im J a h r 1938 am- tierende erste Vorsitzende des Frauenbunds, Ottilie Schönewald, war tief in d e r deutschen Frauenbewegung verwurzelt. 1883 in B o c h u m g e b o r e n , war sie bereits als j u n g e Frau in d e r Frauenrechtsschutz- steile ihrer H e i m a t s t a d t tätig. Sie wirkte als Mitglied im Reichsaus- schuss d e r Deutschen Demokratischen Partei (DDP) u n d als Ab- g e o r d n e t e in der B o c h u m e r Stadtvertretung. 1926 gab sie, die auch Vorstandsmitglied des Centraivereins d e u t s c h e r Staatsbürger j ü - dischen Glaubens war, ihre kommunalpolitische Arbeit auf u n d engagierte sich im J ü d i s c h e n F r a u e n b u n d , wobei ihr insbesondere die Steigerung des Frauenanteils in d e n G e m e i n d e v e r t r e t u n g e n a m H e r z e n lag.

Der Jüdische F r a u e n b u n d verfügte damit in seiner Leitungsspitze ü b e r politisch versierte Frauen, f ü r die politische Partizipation eine Selbstverständlichkeit geworden war. Sie bekleideten öffentliche A m t e r u n d hatten in d e n d e m o k r a t i s c h e n Parteien d e r W e i m a r e r Republik d e n Prozess d e r politischen Willensbildung von d e r Pike auf k e n n e n gelernt. Sie waren d a d u r c h befähigt, sich f ü r die spezi- fischen P r o b l e m e d e r F r a u e n einzusetzen u n d d e r Stimme d e r F r a u e n in d e r Reichsvertretung G e h ö r zu verschaffen. Dies war u m s o dringlicher, als die B e m ü h u n g e n u m m e h r Mitspracherecht des F r a u e n b u n d s in d e r von M ä n n e r n d o m i n i e r t e n Reichsvertre- t u n g o h n e j e d e n Erfolg blieben. Trotz intensiver B e m ü h u n g e n wurde d e n Frauen u n d d e m F r a u e n b u n d weder Sitz n o c h Stimme im Präsidialausschuss d e r Reichsvertretung d e r J u d e n in Deutschland zugestanden; politische G l e i c h b e r e c h t i g u n g in diesem G r e m i u m blieb i h n e n somit verwehrt. Diese Verweigerung gleicher politischer T e i l n a h m e - u n d Mitbestimmungsrechte in d e r Reichsvertretung w u r d e von d e n j ü d i s c h e n F r a u e n auch deswegen als d e m ü t i g e n d e m p f u n d e n , weil sich d e r Anteil d e r F r a u e n in d e r j ü d i s c h e n Be- völkerung in d e n J a h r e n von 1933 bis 1938 von 52,3 Prozent auf 57,5 Prozent e r h ö h t hatte6.

3. Förderung der Auswanderung

Die Arbeit des J ü d i s c h e n F r a u e n b u n d s e r f u h r d u r c h die Auswir- k u n g e n d e r „ N ü r n b e r g e r Gesetze" vom 15. S e p t e m b e r 1935 e i n e

6 Vgl. Rita R. Thalmann,Jüdische Frauen nach dem Pogrom 1938, in: Arnold Paucker/Sylivia Gilchrist/Barbara Suchy (Hrsg.), Die Juden im national- sozialistischen Deutschland, Tübingen 1986, S. 295-302, hier S.298.

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erhebliche Erweiterung. Diese Gesetze degradierten die deutschen J u d e n zu Staatsbürgern zweiter Klasse, denn nach dem Reichsbürger-

gesetz waren sie nur noch deutsche Staatsangehörige, aber keine mit allen politischen Rechten ausgestatteten Reichsbürger mehr.

Der Reichsvertretung der J u d e n in Deutschland blieb nicht ver- borgen, dass es insbesondere für die jüdische Jugend damit keine Zukunft in Deutschland mehr gab. Die Förderung der Auswande- rung von jüdischen Mädchen und Frauen war ein neues Arbeits- gebiet des Frauenbunds, das den bisherigen Rahmen sozialer Frauenarbeit sprengte. Der Frauenbund engagierte sich mit aller Kraft für die von der Reichsvertretung vernachlässigte Auswande- rung von Mädchen und Frauen. Um diese vor der nationalsozialis- tischen Verfolgung zu bewahren, intensivierte er seit 1935 seine Bemühungen, Mädchen und Frauen in besonders nachgefragten Berufen auszubilden. Das war auch deshalb notwendig, weil Frauen und Mädchen zum Beispiel bei der Zertifikatserteilung für Palästina benachteiligt und die Umschulungen und Ausbildung erheblich geringer bezuschusst wurden als die der Männer. So beklagte die Schriftführerin des Frauenbunds, Hannah Karminski, es sei leider kein Einzelfall, dass in einem Provinzialverband für jüdische Wohl- fahrtspflege 1937 Ausbildungszuschüsse f ü r 72 Jungen, aber nur für zehn Mädchen bewilligt worden seien7. Der Frauenbund be- mühte sich, diese Lücke in der Mädchenausbildung zu schließen und richtete in begehrten Ausbildungsbereichen, zu denen zum Beispiel die Säuglingspflege, höhere Lehrberufe oder das Schneider- handwerk zählten, zusätzliche Ausbildungsplätze ein.

Anfang 1936 erreichte der Frauenbund seine Aufnahme in das Kuratorium des Hilfsvereins der J u d e n in Deutschland, der haupt- sächlich die Auswanderung in das außereuropäische Ausland or- ganisierte, und erhielt dadurch wirksame Einflussmöglichkeiten auf die Frauenauswanderung. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Frauenbunds berieten in wöchentlichen Sprechstunden, die in den Büros des Hilfsvereins in Berlin, Breslau, Stettin, Leipzig, Königsberg und Frankfurt am Main abgehalten wurden, jeweils etwa 50 bis 60 Frauen in Auswanderungsfragen. Das soziale Netz des Frauenbunds wurde dabei bis in die Emigrationsländer ausgebaut, indem Vertrauensfrauen im jeweiligen Emigrationsland brieflich regelmäßig über ihre Erfahrungen in der Fremde berichteten und neu ankommenden Frauen den Start erleichterten.

7 Vgl. BLJFB 1938, Nr. 2, S. 3.

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4. Frauen in der jüdischen Winterhilfe

Nachdem im Winter 1935 die jüdische Bevölkerung vom „Winter- hilfswerk des Deutschen Volkes" ausgeschlossen wurde, organisierte die Zentralwohlfahrtsstelle der Reichsvertretung der Juden in Deutschland mit den ihr angeschlossenen Stellen im Oktober 1935 ein eigenes Winterhilfswerk. Dafür wurde der Jüdische Frauenbund dringend gebraucht, da es die Frauen waren, die unentgeltlich die beschwerliche Arbeit der Sammlungen auf sich nahmen; dazu zählte zum Beispiel die „Pfundspende", eine Lebensmittelspende, die durch Geld abgegolten werden konnte. Mitglieder aller Altersstufen engagierten sich in der jüdischen Winterhilfe aus Solidarität mit ihrer in Not gebrachten Gemeinschaft:

„Zu dem weder leichten noch angenehmen Sammeln haben sich [...] Frauen in freudiger Bereitschaft scharenweise gemel- det. Viele, die im Beruf stehen, stellen ihre freien Stunden zur Verfügung, laufen treppauf, treppab, oft vergebens, dann noch einmal, gleichviel ob die erwartete Spende groß oder gering ist, ungeachtet des nicht immer freundlichen Empfangs."8

Der Jüdische Frauenbund betrachtete es darüber hinaus als seine Aufgabe, auch denjenigen zu helfen, für die eine Auswanderung nicht in Frage kam. Er kümmerte sich ferner um die seelischen und materiellen Nöte der Menschen, die schwer an ihrer unver- schuldeten Armut trugen: „Was aus diesen Menschen wird", be- merkte Cora Berliner auf der Arbeitstagung des Jüdischen Frauen- bunds im November 1935, „von uns hängt es ab!"9

Dieses hohe Maß an Verantwortungsbewusstsein gegenüber den in Not und Bedrängnis geratenen Juden und Jüdinnen zeichnete auch Else Meyring aus, die 1883 in Stettin geboren wurde und dort führend in Selbsthilfeorganisationen tätig war. Im Alter von nur 28 Jahren wurde sie in den Vorstand des Stettiner Frauenvereins gewählt, da sie sich in der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins im Bereich des Rechtschutzes, bei Fragen der Kinder- betreuung und des Jugendschutzes außerordentlich bewährt hatte.

Wie viele Frauen ihrer Generation betätigte sie sich im Ersten Weltkrieg im Nationalen Frauendienst, wobei ihr bald die Leitung der Fürsorge für die Kriegshinterbliebenen übertragen wurde.

Nach dem Krieg wurde sie zur ehrenamtlichen Hilfsdezernentin

8 Martha Ollendorf, Jüdische Winterhilfe - Pfundsammlung der Frauen, in: BLJFB 1936, Nr.l,S.6.

9 Hannah Karminski, Eine Arbeitstagung. Gesamtvorstandssitzung des Jüdi- schen Frauenbundes, in: BLJFB 1935, Nr. 12, S. 2.

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f ü r F r a u e n u n d Kinderfragen beim Wohlfahrtsamt bestellt. Von 1919 bis 1929 arbeitete Else Meyring in Stettin f ü r die DDP als Stadträtin; sie war in d e r W e i m a r e r Zeit die einzige politische Vertreterin ihrer Heimatstadt. In dieser Zeit b e g a n n sie sich auch von d e n traditionell weiblichen Arbeitsgebieten ihres Berufs zu lösen. Schlüsselerlebnis war dabei o f f e n b a r ein Gespräch mit d e m damaligen preußischen Finanzminister, das sie in i h r e n Lebens- e r i n n e r u n g e n schildert. Dieser befragte sie nach ihren Arbeits- gebieten, u n d sie antwortete:

„Natürlich Wohlfahrts- u n d J u g e n d f r a g e n ! .Warum natürlich?' fragte er, ,Ich k ö n n t e m i r d e n k e n , dass eine Frau auch n o c h f ü r a n d e r e Gebiete Verständnis hat'. Das saß wie ein H i e b u n d in d e r zweiten W a h l p e r i o d e ließ ich mich in alle Schulkommissio- n e n , in alles was Gesundheits- u n d Kulturfragen betraf, in die W o h n u n g s b a u d e p u t a t i o n u.a.m. delegieren."1 0

Als sie nach d e n B e s t i m m u n g e n des Berufsbeamtengesetzes ihre Anstellung in d e n städtischen Fürsorgeeinrichtungen verlor, zögerte sie nicht, ihre Kenntnisse in j ü d i s c h e Selbsthilfeorganisationen e i n z u b r i n g e n . Sie organisierte bis 1936 die J ü d i s c h e Winterhilfe in Stettin, dessen J ü d i s c h e G e m e i n d e sich von ursprünglich 2000 Mit- gliedern d u r c h die Auswanderung ständig verkleinerte. Sie küm- m e r t e sich u m Auswanderungsmöglichkeiten u n d avancierte 1936 zur Leiterin d e r Auswanderungsberatungsstelle d e r Reichsvertre- t u n g d e r J u d e n in Deutschland. Dieses Amt hatte sie inne, bis sie selbst am 12. F e b r u a r 1940 nach Lublin verschleppt wurde.

Else Meyring ist wie Ottilie Schönewald ein Beispiel f ü r j ü d i s c h e Frauen, die in d e r W e i m a r e r Republik d a n k ihrer Ausbildung u n d ihres K ö n n e n s h e r a u s g e h o b e n e Positionen e r r e i c h t e n u n d politi- schen Einfluss erlangten. Beides w u r d e i h n e n d u r c h die antijüdi- sche Politik des NS-Staats entzogen. J e d o c h sicherten sie sich n e u e Partizipationsmöglichkeiten, indem sie sich entschlossen, ihre ganze Kraft u n d Energie n u n m e h r auf die Arbeit in d e n j ü d i s c h e n Selbst- hilfeorganisationen zu konzentrieren.

5. Das Ende des Frauenbunds und individuelle Rettungsmaßnahmen

Nach d e m P o g r o m vom 9 . / 1 0 . N o v e m b e r 1938 w u r d e die Zwangs- a u f l ö s u n g des J ü d i s c h e n F r a u e n b u n d s wie auch aller a n d e r e n j ü d i - schen Organisationen verfügt, das Vermögen des F r a u e n b u n d s u n d seine E i n r i c h t u n g e n fielen d e r im Juli 1939 g e g r ü n d e t e Reichsver-

10 LBI Berlin, M.82.E. Erinnerungen von Elsa Meyring, S. 11.

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e i n i g u n g d e r J u d e n in Deutschland zu. Ehemalige verantwortliche M i t a r b e i t e r i n n e n des J ü d i s c h e n F r a u e n b u n d s wie C o r a Berliner u n d H a n n a h Karminski versuchten, ihre Arbeit in d e n Abteilungen d e r Reichsvereinigung fortzusetzen. I h r H a n d l u n g s - u n d Gestal- tungsspielraum war hier j e d o c h minimal, da alle Mitarbeiter u n d M i t a r b e i t e r i n n e n d e r Reichsvereinigung u n t e r d e r Aufsicht d e r Gestapo s t a n d e n . Eine d e r n e u e n H a u p t a u f g a b e n w u r d e es dabei, U n t e r s t ü t z u n g bei d e r n a c h d e m P o g r o m einsetzenden Massen- flucht d e r J u d e n aus Deutschland zu leisten.

D e r H e r b s t des J a h r e s 1938 bildete auch insofern eine Zäsur, als j ü d i s c h e F r a u e n bei d e r V e r s c h l e p p u n g u n d Ausweisung d e r pol-

nisch s t ä m m i g e n J u d e n vom 28. O k t o b e r 1938 u n d a u c h w ä h r e n d des N o v e m b e r p o g r o m s erstmals direkte, g e g e n sie als Frauen ge- richtete körperliche Gewalt erlebten1 1. D e r J ü d i s c h e F r a u e n b u n d organisierte s p o n t a n B e t r e u u n g u n d V e r p f l e g u n g d e r B e t r o f f e n e n . Auch n a c h d e r Zwangsauflösung d e r j ü d i s c h e n V e r e i n e u n d Insti- t u t i o n e n engagierten sich einzelne F r a u e n aktiv in d e r Selbsthilfe u n d s u c h t e n sich gleichgesinnte Mitstreiterinnen.

Von welcher existenziellen B e d e u t u n g dieses E n g a g e m e n t a u c h einzelner F r a u e n war, zeigte sich a m 13. S e p t e m b e r 1939, als allein in Berlin 5 3 4 J u d e n polnischer Staatsangehörigkeit in das KZ Sach- s e n h a u s e n verschleppt w u r d e n . Die verzweifelten A n g e h ö r i g e n , die sich hilfesuchend an die Reichsvereinigung u n d die J ü d i s c h e G e m e i n d e wandten, e r f u h r e n dort keinerlei Unterstützung. Zu die- sen Verhafteten gehörte d e r 1882 in Polen g e b o r e n e Leon Szalet12, d e r seit 1921 in Berlin als I m m o b i l i e n m a k l e r lebte. Seine 1914 ge- b o r e n e T o c h t e r Gitla-Matla Szalet13, die in Berlin aufgewachsen war u n d studiert hatte, versuchte vergebens, Hilfe von d e n g e n a n n t e n Institutionen zu erhalten. Daraufhin entwickelte sie mit zwei weite- r e n b e t r o f f e n e n Frauen eine bemerkenswerte Selbsthilfestrategie, i n d e m sie gezielt n a c h einflussreichen Journalisten suchte, die sie dazu brachte, im R e i c h p r o p a g a n d a m i n i s t e r i u m n a c h d e n Ver- schleppten zu f r a g e n . Dies w u r d e u m s o dringlicher, d a täglich T o d e s m e l d u n g e n aus Sachsenhausen bei d e n Familien eintrafen.

Szalet gelang es, d e n J o u r n a l i s t e n Louis L o c h n e r von d e r .Associa- ted Press" von ihrem Anliegen zu ü b e r z e u g e n . Dieser informierte die internationale Presse von d e r V e r s c h l e p p u n g d e r J u d e n polni- scher Staatsangehörigkeit. Letztendlich gelang es Szalet damit,

11 Vgl. Thalmann, Jüdische Frauen, S. 296f.

12 Vgl. Leon Szalet, Baracke 38. 237 Tage in den ,Judenblocks" des KZ Sachsenhausen, bearb. von Winfried Meyer, Bd. 3, Berlin 2006.

13 LBI New York, AR 10587,1. B. 1, F. 1, Erinnerungen von Gitla Szalet.

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Jüdische Frauen in Selbsthilfeorganisationen 61

ganz erheblich Druck aufzubauen. Denn nachdem Lochner über die Vorgänge berichtet und bei der nächsten Pressekonferenz im Propagandaministerium nach den Verschleppten gefragt hatte, verbesserte sich die Situation der Inhaftierten; auch wurden einige Männer entlassen.

Gitla-Matla Szalet sprach auch beim Schwedischen Gesandten in Berlin vor, der die Vertretung der polnischen Interessen über- nommen hatte, in dieser Sache zunächst allerdings nicht zur Hilfe bereit war. Erst als sie ihm zusammen mit zwei anderen Frauen ihre Sicht der Dinge hatte vortragen können, stellte er in Aussicht, sich bei den polnischen Behörden für ihr Anliegen einzusetzen. Ver- geblich, weil Warschau bald danach fiel und der polnische Staat aufhörte zu existieren. Ein vorläufiger Erfolg war allerdings, dass die Frauen brieflich mit den Inhaftierten in Kontakt treten konn- ten. Ferner erfuhren sie von der Möglichkeit, durch Vorlage von Ausreisepapieren die Entlassung zu beschleunigen. Es gelang Sza- let daraufhin tatsächlich, für ihren Vater und auch für sich die Auswanderung nach Shanghai zu organisieren. A m 7. Mai 1940 wurde Leon Szalet aus dem KZ Sachsenhausen entlassen, kurz darauf konnte er mit seiner Tochter in Genua das letzte nach Ostasien ablegende Schiff besteigen. Im Gegensatz zur institutionalisierten Form der politischen Partizipation der Mitglieder des Jüdischen Frauenbunds agierten Szalet und ihre Mitstreiterinnen ohne insti- tutionelle Unterstützung und allein aufgrund eigener Initiative.

Ihre Form der Partizipation war in dieser sich verschärfenden Situation der Entrechtung und Verfolgung vermutlich die einzig Erfolg versprechende Handlungsweise.

Unterstützung fanden die Frauen auch bei Recha Freier14, der Gründerin des Vereins Jüdische Jugendhilfe, die Tausenden von jüdischen Jugendlichen die Auswanderung nach Palästina ermög-

lichte. Sie organisierte eine Registrierung aller betroffenen Familien, um eine klares Bild von der Situation zu erhalten. Denn durch die Inhaftierung der Männer, die in der Regel die Ernährer der Fami- lien waren, befanden sich diese zum Teil in erheblicher existen- zieller Not. Recha Freier erreichte bei der Jüdischen Gemeinde eine Unterstützung dieser Familien. Obwohl die Gestapo von dieser Hilfsaktion erfahren und diese umgehend untersagt hatte, wurde die Initiative Recha Freiers dennoch fortgeführt: Die betroffenen Familien erhielten fortan von besser gestellten Personen Unter- stützung.

14 Recha Freier (geb. Schweizer), geboren 1892 in Norden (Ostfriesland), verstorben 1984 in Jerusalem.

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6. Z u s a m m e n f a s s u n g

Der Jüdische Frauenbund wählte als Gesamtorganisation der im Deutschen Reich lebenden Jüdinnen Frauen wie die früheren Stadträtinnen Ottilie Schönewald und Else Meyring in Führungs- positionen, die sich in der Weimarer Republik politisch engagiert hatten und Erfahrungen aus der politischen Arbeit in den Frauen- bund einbrachten. Diese aktiven jüdischen Frauen erkannten für sich selbst und die jüdische Gemeinschaft die Notwendigkeit, sich neue Partizipationsmöglichkeiten zu erkämpfen. Obwohl sie nur eingeschränkt Einfluss auf die Entscheidungen der männlich domi- nierten Reichsvertretung (respektive Reichsvereinigung) hatten, erweiterten die Frauen seit 1933 kontinuierlich ihre Arbeitsgebiete, die weit über die ursprünglichen Funktionen des Frauenbunds hinausgingen.

Nach der erzwungenen Auflösung des Jüdischen Frauenbunds 1938 und dem stärker werdenden Verfolgungsdruck änderten sich die Bedingungen und Möglichkeiten der Hilfe. Die Situation der jüdischen Frauen hatte sich nach der Zerschlagung der jüdischen

Vereine und Organisationen im Herbst 1938 dramatisch verän- dert. Einzelne Frauen wie Gitla-Matla Szalet, die keine Hilfe von übergeordneten Institutionen erwarten konnten, da es nur noch die von der Gestapo kontrollierte jüdische Reichsvereinigung gab, organisierten ihre eigene Selbsthilfegruppe, die gezielt politischen Druck ausübte und damit sehr erfolgreich war.

Die Frauen des Jüdischen Frauenbunds, die sich in das Ausland retten konnten, nahmen unverzüglich nach ihrer Ankunft im Emigrationsland ihre Arbeit auf. So engagierte sich Elsa Meyring, die 1940 nach Schweden flüchten konnte, als Vorstandsmitglied und Fürsorgerin bei der Emigranten-Selbsthilfe in Stockholm. Otti- lie Schönewald arbeitete in London im Vorstand der Association of Jewish Refugees15. Für diese jüdischen Frauen war und blieb poli- tische Partizipation ein selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens.

15 Vgl. Gudrun Maierhof, Selbstbehauptung im Chaos. Frauen in der jüdi- schen Selbsthilfe 1933-1943, Frankfurt a.M. 2002, S.90.

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