Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 2629. Juni 2007 A1927
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s beginnt in Zimmer 66 der renommierten Klinik der M- Universität in Japan. Dort wird ein Mann in Quarantäne gehalten, des- sen Aussehen dem eines Hundes ähnelt. Er stammt aus dem entlege- nen Dorf „Hundegottbach“, in dem es offenbar bereits eine ganze Reihe solcher Erkrankungen mit stets töd- lichem Ausgang gegeben hat. Der Chefarzt, Professor Tatsugaura, tippt auf einen Virus als Verursacher der „Monmow-Krankheit“, wäh- rend einer seiner engsten Mitarbei- ter, Dr. Kirihito Osanai, eine ende- mische Erkrankung für wahrschein- licher hält. Tatsugaura entsendet Osanai zu Nachforschungen nach Hundegottbach, und es kommt, wie es kommen muss: Auch Osanai er- krankt an „Monmow“. Doch jetzt entfaltet sich erst eine verwickelte und dramatische Geschichte, die auch nach Taiwan, Südafrika und in den Nahen Osten führt.Ihr Verfasser, Osamu Tezuka (1928–1989), kannte sich auf medi- zinischem Gebiet aus. Er hatte nicht nur 1947 das Medium des Story- Mangas, also des Geschichten er- zählenden japanischen Comics, be- gründet und aufgrund seiner unge- heuren Produktivität (circa 150 000 Seiten), Vielseitigkeit und Popula- rität den Beinamen „Gott des Man- ga“ erhalten. Er war zudem selbst promovierter Arzt. Insofern verwun-
dert es nicht, dass an vielen Stellen medizinische Termini verwendet wer- den. Anspielungen auf die Minama- ta- und die Itai-Itai-Krankheit, be- rüchtigte Massenerkrankungen auf- grund von Schwermetallaufnahmen im Japan der 1950er- und 1960er- Jahre, sind unverkennbar. Doch geht es Tezuka nicht um Umwelt- verschmutzung, sondern er nutzt sei- ne Erfahrungen als Arzt in einem großen Krankenhaus in Osaka, um scharfe Kritik am medizinischen Sys- tem und Karrieredenken zu üben.
Schon zu Beginn vergleicht er die Chefarztvisite mit einer Fürstenpro- zession; eine der Haupthandlungsli- nien betrifft den skrupellosen Ver- such Tatsugauras, mit seiner Unter- suchung der mysteriösen Krankheit zum Vorsitzenden des japanischen Ärzteverbandes gewählt zu werden.
In diesem Manga geht es aber noch um andere Dinge: um Verrat und Ge- walt, Liebe und Perversion, um Chris-
tentum – und vor allem um Rassis- mus und die Frage, inwieweit das Äußere und die Reaktion der Umwelt darauf das Menschsein bedingen.
Wenn hierzulande über Comics für Erwachsene gesprochen wird, beginnt man meist in den 80er-Jah- ren mit Art Spiegelmans „Maus“. In Japan dagegen wurden Manga be- reits im Laufe der 60er-Jahre „er- wachsen“. Tatsächlich entstand
„Hymne auf Kirihito“ ursprünglich 1970 bis 1971 in Fortsetzungen in der Manga-Zeitschrift „Big Comic“.
Es sollte auch nicht das letzte Mal sein, dass Tezuka die Hauptrolle mit einem Arzt besetzte: Zwischen 1973 und 1978 schuf er mit dem Chirur- gen „Black Jack“ eine seiner be- rühmtesten Figuren.
„Hymne auf Kirihito“ erschien vor Kurzem in den USA unter dem Titel „Ode to Kirihito“ im Verlag
„Vertical“. n
Freddy Litten
„HYMNE AUF KIRIHITO“
Der Arzt als Hund
In dem rund 800 Seiten starken Manga des Mediziners Osamu Tezuka geht es um Verrat und Gewalt, Liebe und Perversion, um das Christentum und Rassismus.
Fotos:Vertical Inc.