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Archiv "Ausbildung zum Arzt" (31.05.1979)

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Ausbildung zum Arzt

Referat zu Tagesordnungspunkt II

der Arbeitstagung des Plenums des 82. Deutschen Ärztetages

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,

Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer

und Vorsitzender des Ausschusses „Approbationsordnung"

Wenn wir heute, nahezu auf den Tag genau zwei Jahre nach unse- rer mehr analytischen Behandlung des Themas „Ausbildung zum Arzt" auf dem 80. Deutschen Ärz- tetag in Saarbrücken, nunmehr in die konstruktive Phase eintreten und damit handfeste Verbesse- rungsvorschläge diskutieren wol- len, so treffen wir auf eine politi- sche Grundstimmung in der ärztli- chen und außerärztlichen Öffent- lichkeit, in der Probleme der Aus- bildung mit der Frage der Zulas- sung zum Beruf, ja der Art ärztli- cher Berufstätigkeit überhaupt, verquickt werden. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich politische Gruppen, die das System unseres Gesundheitswesens generell ver- ändern wollen, gerade auf dem Gebiet der Ausbildung besonders engagierten. Ist doch, wie wir wis- sen, die Bildungspolitik neben der Medienpolitik bei entsprechender Geduld für die Einleitung grund- sätzlicher Systemänderungen der aussichtsreichste Kampfplatz. Und warum sollte dies nicht auch für die Bildung der Gesundheitsberu- fe gelten?

Schon bevor ich zur Darstellung der Pläne aus dem Lager der Sy- stemüberwinder im einzelnen komme, muß ich unmißverständ- lich feststellen: Wenn es uns Ärz- ten und damit uns verantwortli- chen Delegierten dieses Deut- schen Ärztetages nicht gelingt, ei- ne breit getragene, am Patienten orientierte, ärztlich begründete und politisch realisierbare Ausbil- dungsordnung vorzuschlagen, die zur uneingeschränkten und eigen-

verantwortlichen Ausübung des ärztlichen Berufes führt, spielen wir bei vollem Wissen um die Fol- gen unseren Gegnern in die Hände.

In unserer Analyse von Saarbrük- ken haben wir bereits festgestellt, daß die wesentlichen Probleme der Ausbildung in unserer Zeit in erster Linie durch die massiv an- gestiegenen Studentenzahlen be- gründet sind. Und es gibt gute Gründe für die Annahme, daß es überhaupt keine Ausbildungsord- nung geben wird, nach der derarti- ge Studentenmassen vermittels ei- nes wissenschaftlichen Studiums zum Arzt ausgebildet werden kön- nen. Es gibt andererseits aber be- denkenswerte Gründe für die Auf- fassung, daß die Ausbildungsord- nung ohnehin kaum auf die Quali- tät der Bildung zum Arzt einwirke, daß vielmehr die Einstellung und das Engagement der mit der Aus- bildung befaßten Lehrer und Schüler den bestimmenderen Ein- fluß haben.

Ich glaube, daß beide Auffassun- gen etwas Richtiges an sich ha- ben. Ich glaube aber auch, daß die Verhältnisse an unseren Hoch- schulen nicht nur in der Medizin mittlerweile nicht mehr geeignet sind, eine positive Motivation von Lehrern und Schülern entstehen zu lassen. Das sind die Folgen ei- ner Bildungspolitik, die unter dem löblichen Anspruch „Gleiche Le- benschancen für alle", rücksichts- los und ohne die Folgen voll durchdacht zu haben, jegliche zwischenmenschliche Beziehung

zerrissen hat, sei es in der Schule durch die Einführung von Kolleg- systemen unter Zerstörung von Klassengemeinschaften und Auf- trennung von Lehrer-Schüler-Be- ziehungen, sei es in den Universi- täten mit der durch Vermassung und Verschulung des Studiums eingetretenen Entfremdung von Hochschullehrern und Studenten.

Diese negative Konsequenz ist an- scheinend auch von unserem Bundeskanzler Helmut Schmidt erkannt worden, wenn man einen Abschnitt in seinem Beitrag

„Gleichheit der Lebenschancen"

in dem sehr lesenswerten Buch

„Demokratischer Sozialismus in den 80er Jahren", richtig deutet.

Wegen der möglicherweise rich- tungweisenden Bedeutung dieser Aussage für die künftige Bildungs- politik darf ich mir erlauben, die besagte Passage vorzulesen. Sie hat folgenden Wortlaut:

„Nun ist seit den 60er Jahren vie- les in Bewegung gekommen (schreibt Bundeskanzler Schmidt).

Die Finanzmittel für das Bildungs- wesen wurden ebenso drastisch erhöht wie vor allem die Zahlen der Abiturienten und Studenten.

Der Anteil der Arbeiterkinder am akademischen Nachwuchs hat sich in relativ kurzer Zeit verdop- pelt — von knapp 10% 1966 auf über 18% 1975 —, so beklagens- wert gering er insgesamt immer noch ist. Schwerwiegende Fehler sind freilich nicht ausgeblieben.

Manche Reformgesetze wurden unter dem Druck der Umstände mit mehr Hast als Überlegung ge- macht (Immer noch die Aussage des Bundeskanzlers). Und es ist im Grunde ein Skandal, daß fast alle Energien und Ressourcen in je- dem Sinne des Wortes akade- misch eingesetzt wurden, mit heu- te erkennbaren, zum Teil recht unerfreulichen Rückwirkungen.

Gymnasium und Hochschule ha- ben nicht nur zuviel Aufmerksam- keit, sondern auch einen zu hohen Anteil der finanziellen Mittel erhal- ten. Demgegenüber ist un- verzeihlicherweise lange Zeit für die große Mehrheit der jungen

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Menschen die allgemeine Bildung und die berufliche Ausbildung ver- nachlässigt gewesen."

Soweit dieser Ausschnitt aus dem Artikel des Bundeskanzlers. Aller- dings ist mir nicht ganz klar ge- worden, warum der Autor schreibt, daß die allgemeine Bildung und die berufliche Bildung vernachläs- sigt gewesen seien. Eine grundle- gende Änderung der Bildungspoli- tik ist wenigstens bislang nicht festzustellen. Im Gegenteil, die Verantwortlichen für die Bildungs- politik der 60er Jahre, von denen man eigentlich geglaubt hatte, daß sie sich aus Scham über das von ihnen Angerichtete in die Kulisse zurückgezogen hätten, wagen sich in den letzten Wochen und Monaten wieder weiter vor; sie for- dern jetzt sogar, der Schule jede Kompetenz zur Wissensvermitt- lung zu nehmen und sie zur Anlei- tungsstätte für Fragen der Lebens- bewältigung umzufunktionieren.

Auf den Ausgang dieses neuen bil- dungspolitischen „Frühlings" darf man sehr gespannt sein.

Zusammenhang zwischen Bildungspolitik

und Studentenzahlen

Wer von uns hier im Saale und wer von unseren in berufspolitischer Verantwortung stehenden Kolle- gen draußen hat sich jemals dage- gen ausgesprochen, daß Politik — auch, aber nicht nur, Bildungspoli- tik — soweit wie möglich Chancen- unterschiede ausgleichen soll. Es ist aber völlig unsinnig, als tragen- des Prinzip der Bildung und der Bildungspolitik die Chancen- gleichheit anzuführen. Daß näm- lich Chancengleichheit bisher na- hezu ausschließlich mit einer Sen- kung des Bildungsniveaus im aka- demischen Bereich und künstli- cher Akademisierung von nicht- wissenschaftlichen Ausbildungs- gängen angesteuert wurde, ist un- erwähnt geblieben. Das gilt leider auch für die Medizin, wo, abgese- hen von der Ausbildungsordnung, die große Zahl der Studenten und wahrscheinlichen Studienabsol-

venten nicht nur uns Ärzten Sor- gen bereitet.

Man kann Hochrechnungen und Zukunftsvorhersagen vertrauen oder nicht. Es hätte aber der Be- rechnungen des Wissenschaftli- chen Instituts der Ortskrankenkas- sen, das ja von allen Vorhersagern die skeptischsten Aussagen mach- te, gar nicht bedurft. Allein die zur Zeit vorhandene Zahl von Studen- ten der Medizin an unseren Hoch- schulen reicht aus, um vorherzu- sagen, daß spätestens Mitte der 80er Jahre ein Arbeitsmarkt für neu hinzukommende Ärzte nicht mehr vorhanden sein wird oder, anders ausgedrückt, daß — ähnlich wie bei Angehörigen anderer, nur längst nicht so teuer ausgebildeter sogenannter akademischer Berufe

— auch bei Ärzten Arbeitslose in großer Zahl auftreten müssen.

Ganz einfache und auch für jeden mathematisch Unbegabten nach- zuvollziehende Berechnungen kommen zu dem Ergebnis, daß die Zahl der Ärzte bereits im Jahre 1983 etwa um 30 000 über der der- zeitigen Zahl plus dem sogenann- ter Ersatzbedarf liegen wird.

Nach unseren, ohne die Hilfe eines wissenschaftlichen Institutes er- mittelten Schätzungen können bis dahin etwa 15 000 Ärzte in Berei- chen untergebracht werden, in de- nen heute noch Ärztemangel be- steht, insbesondere in der Psych- iatrie, in den operativen Abteilun- gen der Krankenhäuser, im öffent- lichen Gesundheitsdienst und bei der Bundeswehr, in den theoreti- schen Instituten an den Universitä- ten sowie in der werksärztlichen Versorgung und in der pharma- zeutischen Industrie, um nur eini- ge zu nennen. Für die übrigen 15 000 und ganz besonders für die darüber hinaus weiter hinzukom- menden neuen Ärzte müssen Ar- beitsplätze aber erst noch gefun- den werden, wobei sicherlich, aber nur in beschränktem Umfan- ge, Arbeitsleistungen der schon berufstätigen Ärzte umverteilt wer- den können.

Ich hätte nun kein Verständnis da- für, wenn wir als ärztliche Berufs-

politiker wegen der Mitteilung die- ser Berechnungen ständischer In- teressenpolitik der Verdrängung geziehen würden. Ich weiß auch, daß die Mitteilung dieser Zahlen wahrscheinlich keine Reduktion der Studienanfängerzahlen bewir- ken wird. Es kann uns aber später kein arbeitsloser Arzt vorwerfen, daß er das Studium der Medizin ohne Kenntnis der zukünftigen Berufsaussichten begonnen habe.

Und die Bundesanstalt für Arbeit hier in Nürnberg ist aufgefordert, schon langfristig vorzuplanen, welche geeigneten Umschulungs- maßnahmen in andere Berufe für gelernte Ärzte etwa 1985 in Frage kommen könnten.

Wie dem auch sei: Wir haben da- mit zu rechnen, daß sich nach wie vor ca. 11 000 Bundesbürger pro Jahr nicht davon abhalten lassen werden, das Studium der Medizin aufzunehmen, mit dem Ziel, Arzt zu werden. Da die Zahl der Bewer- ber ebenfalls nach wie vor und im- mer noch wesentlich größer ist als die Kapazität unserer Hochschu- len für Studienanfänger wird des- halb auch auf absehbare Zeit au- ßer der eigentlichen Hochschul- zugangsberechtigung, dem Ab- itur, ein besonderes Auswahlver- fahren angewendet werden müs- sen, um die Glücklichen oder Un- glücklichen — ganz wie man's nimmt — zu ermitteln.

Nach langen Vorarbeiten hat die Kultusministerkonferenz, ihrer- seits dem Auftrag des Bundesver- fassungsgerichts gemäß, die Neu- regelung dieses Fragenkomplexes am 30. März 1979, also vor weni- gen Wochen, verabschiedet. Ent- gegen dem Votum der Bundesärz- tekammer, die neben dem Wissen- schaftsrat und dem Westdeut- schen Medizinischen Fakultäten- tag von der Kultusministerkonfe- renz ausdrücklich um eine Stel- lungnahme gebeten wurde, hat sich diese Kultusministerkonfe- renz nach schwierigen Verhand- lungen auf die Einführung eines psychologischen Tests für eine dreijährige Erprobungszeit geei- nigt. Insgesamt wird also ab dem

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Wintersemester 1980/81 ein sehr kompliziertes Auswahlverfahren gelten, auf dessen Darstellung ich hier verzichten kann, weil das Poli- tikum der Entscheidung in der, wenn auch zunächst offiziell nur probeweisen Einführung des psy- chologischen Testverfahrens als Auswahlmethode zu sehen ist.

Kritik am Auswahlverfahren Nach ausführlichen Beratungen in Vorstand und Ausschuß „Appro- bationsordnung", auch mit Vertre- tern des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft und den Beratergruppen der Testent- wickler, haben wir aufgrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse der Kultusministerkonferenz ab- geraten, das psychologische Test- verfahren im derzeitigen Stadium seiner Entwicklung und in der der- zeitigen Form auch nur probewei- se einzuführen. Unsere Gründe hierfür sind:

C) Nachdem klar ist, daß durch den psychologischen Test die Be- rufseignung zum Arzt nicht erfaßt werden kann, muß auch bezweifelt werden, ob die Eignung für das Medizinstudium hinreichend si- cher ermittelt werden kann, ganz abgesehen davon, ob es über- haupt einen Sinn hat, die Studien- eignung zu testen.

© Es ist zu befürchten, daß die Einführung des Tests sogar eine negative Auslese unter den Bewer- bern für das Medizinstudium zur Folge haben kann, so daß eine Schädigung der unverschuldet Zurückgebliebenen in unerträgli- chem Ausmaß eintreten dürfte.

® Das psychologische Testver- fahren induziert ein Verhalten, das eine Einstellung zu Studium und Beruf festschreibt, das dem Cha- rakter der ärztlichen Tätigkeit in- adäquat und damit abträglich ist.

® Obwohl die wissenschaftlichen Ergebnisse insbesondere der Be- gleituntersuchungen für die Psy- chologie von großem Wert sein

können, ist aus unserer Sicht auch im Hinblick auf die zur Zeit disku- tierte Reform der Ausbildung zum Arzt der finanzielle Aufwand nicht zu rechtfertigen.

® Die Einführung eines psycho- logischen Testverfahrens vertieft im übrigen die Gefahr, daß die Un- einheitlichkeit der Auswahlverfah- ren mit anderen Ländern weiter vorangetrieben wird.

Diese Argumente wurden der Kul- tusministerkonferenz mitgeteilt.

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe bei sei- nem hier wiedergegebenen Referat

„Ausbildung zum Arzt"

Hinzufügen darf ich noch, daß auch die Gefahr einer ähnlich ein- seitig strukturierten Bewerberaus- wahl, wie wir sie bei der Auswahl- methode nach dem Abiturnoten- durchschnitt kritisiert haben, ebenfalls nicht zu übersehen ist.

Die Kultusministerkonferenz hat sich jedoch von unseren Gründen,

von denen nun auch der Böswillig- ste nicht behaupten kann, sie seien standespolitisch orientiert, nicht überzeugen lassen. Das Ge- samtpaket des Auswahlverfahrens ist somit nur um einen schlimmen Fehler bereichert worden, da der gravierendste Mangel der bisheri- gen Auswahlmethode ja nicht be- seitigt wurde: der Einfluß des No- tendurchschnitts im Abitur auf die Auswahlchancen und die daraus wiederum folgenden', von uns be- reits mehrfach kritisierten Rück- wirkungen auf die Schule, wo nach wie vor Unkameradschaft und brutales Konkurrenzkampf- denken gefördert werden. An alles können die entscheidenden Da- men und Herren der Kultusmini- sterkonferenz gedacht haben, nur nicht an die auf diese Weise aus- gesuchten späteren Ärzte. Sinn ei- ner Auswahlmethode muß es doch sein, nicht gerade diejenigen fürs Studium der Medizin herauszufin- den, die wegen mangelnder ärztli- cher Motivation vor Kranken da- vonlaufen werden.

Gegenvorschlag:

Einjähriges Pflegepraktikum Ich kann nicht einsehen, weshalb man dem Vorschlag der Bundes- ärztekammer, der mittlerweile wei- te Verbreitung und Anhänger- schaft gefunden hat, nämlich ein Krankenpflegepraktikum für die Dauer von einem Jahr zum Zwecke der Selbstprüfung der Studierwilli- gen einzuführen, nicht gefolgt ist.

Angesichts der absehbaren Chan- cen auf dem Arbeitsmarkt und der damit entfallenden nicht eigent- lich ärztlichen Motive für die Auf- nahme des Medizinstudiums dürf- te sich hier auf eine sehr liberale und damit unserem Gesellschafts- system konforme Weise die Zahl der Studienbewerber erheblich re- duzieren. Dann könnte ja immer noch überlegt werden, ob ein auf- grund der Erfahrungen eines sol- chen Krankenpflegepraktikums aufgebautes psychologisches Testverfahren als zusätzliche Aus- wahlmethode notwendig ist. Auch diese Überlegung hat die Bundes-

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Situation der Allgemeinmedizin — Mitte:

interessierte und gern gesehene Gäste Bösche (links) und Dr. Hess paßten auf, Prof. Häußler (oben rechts) diskutiert die

Als „Betroffene" waren Medizinstudenten des Ärztetages — Unten: Die Justitiare Dr.

daß alles mit rechten Dingen zuging

ärztekammer in Übereinstimmung mit dem Medizinerbeirat der Kul- tusministerkonferenz zur Diskus- sion gestellt.

Der Wert eines solchen, durchaus Bim Sinne eines Propädeutikums zu verstehenden Krankenpflegeprak- tikums ist für die Bildung der ärzt- lichen Persönlichkeit nicht hoch genug zu veranschlagen. Der Sinn und der Hintergrund des Studiums der Medizin, auch der sogenann- ten trockenen und vermeintlich fernab der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit liegenden Fächer, ist auf einer solchen Basis zweifellos leichter zu verstehen und zu ak- zeptieren. Zudem wird die Durch- führung der — wie man heute sagt

— patientenorientierten bzw. pa- tientenzentrierten Ausbildungstei-

le erheblich erleichtert werden.

Forderungen nach einer Ausbil- dung in Gesprächsführung mit dem Patienten würden dann über- flüssig; ich halte sie ohnehin für gefährlich, da wirklich zum Arzt- beruf Geeignete eine derartige Ausbildung gar nicht brauchen, ja sogar die Gefahr besteht, daß eine so erzeugte Standardisierung des Patienten-Arzt-Gesprächs natürli- che zwischenmenschliche Kon- takte zerstört oder verhindert.

Nachdem wir dabei sind, die Appa- ratemedizin auf das ihr zukom- mende Maß zurückzudrängen und damit das Bild des Arztes als Ap- paratetechniker zu zerstören, soll- ten wir auf keinen Fall bei unserem ärztlichen Nachwuchs schemati- siert Psychotechniker heran- ziehen.

Mit unserer Vorstellung von der Durchführung eines propädeu- tisch verstandenen Pflegeprakti- kums befinden wir uns in guter Gesellschaft: In der sehr reichlich vorhandenen Literatur taucht die- se Forderung immer wieder auf, und in den einschlägigen, häufig zitierten und als vorbildlich hinge- stellten Reformmodellen vom Typ Maastricht, Ber-sheba in Israel, Southampton oder Tromsö in Nor- wegen spielt dieser Zeitabschnitt, der auch das Zusammenwirken

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der späteren Ärzte mit Angehöri- gen der anderen Gesundheitsbe- rufe fördern soll, eine große Rolle.

Damit befinden wir uns nun schon in der eigentlichen Materie der Ausbildungsdiskussion und müs- sen uns zunächst die Frage beant- worten, ob wir einen Sinn darin sehen, an der Ausbildungsord- nung etwas zu ändern. Aus ganz unterschiedlichen Motiven wird nämlich die Alternative, an der gel- tenden Approbationsordnung kei- ne Änderungen vorzunehmen, fa- vorisiert — von denen nämlich, die

auf dem Standpunkt stehen, daß bei derartigen Studentenzah- len keine Ausbildungsordnung ei- ne angemessene Ausbildung zum Arzt bewirken kann,

© der Auffassung sind, daß — wie gesagt wird — der Vollzug der Ap- probationsordnung so kümmer- lich ausgeführt wird und die Mög- lichkeiten der Approbationsord- nung längst nicht ausgenützt würden,

C) die Approbationsordnung scheitern sehen, jedoch die dar- aus entstehenden chaotischen Folgen benützen wollen, um neue, unser System überwindende Aus- bildungsstrukturen leichter durch- setzen zu können.

Dabei handelt es sich um diejeni- gen, die die Ausbildung zum Arzt aus der derzeitigen wissenschaft- lich-universitären Sphäre in für bestimmte geographische Regio- nen zuständige „medizinische Ge- samtschulen" überführen wollen.

Hier sollen die Angehörigen aller Gesundheitsberufe von einem ge- meinsamen Level aus eine — nicht etwa patientenorientierte, sonden vielmehr — arbeitnehmerorientier- te Ausbildung erfahren, wobei die Auszubildenden je nach Qualifi- kation unterschiedliche Ausbil- dungsziele, z. B. Arzt oder Kran- kenschwester oder medizinisch- technischer Assistent oder der- gleichen, erreichen können.

Derartige Pläne werden bei uns mit dem Ausbildungsziel, daß Ärz-

te als Arbeitnehmer in einer Ar- beitnehmergesellschaft tätig wer- den sollen, vom Verein zur Förde- rung der Studienreform in Zusam- menarbeit mit dem Oberstufenkol- leg Bielefeld und den dahinter ste- henden gewerkschaftlichen Orga- nisationen, insbesondere der Ge- werkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, favorisiert.

Es lohnt sich, detailliertere Vor- stellungen in den Schriften dieses Vereins nachzulesen, die als Bei- träge zur gewerkschaftlichen Stu- dienreformarbeit erschienen sind.

Sie enthalten ein Teilergebnis des immerhin vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft ge- förderten Projekts „Kooperation von Gewerkschaften und Hoch- schulen im Bereiche der Studien- reform".

Ich warne davor, derartige Pläne als Hirngespinste und unreali- stisch abzutun; schließlich gibt es bis in die Spitzen zumindest die- ses Ministeriums hinein Sympathi- santen solcher Ideen. Sehr kon- kret sind ähnliche Vorstellungen, wenn auch auf anderem Hinter- grund, übrigens schon 1972 für die Region Osnabrück als Modell geplant und öffentlich vorgestellt worden.

Es gibt aber auch andere Reform- modelle, die ebenfalls eine zwar radikale, dennoch aus unserer Tradition geborene Weiterent- wicklung des Ausbildungssystems vorschlagen. Immer handelt es sich um sogenannte Integrations- modelle, womit solche Ideen ge- meint sind, die eine Verflech- tung des vorklinisch-naturwissen- schaftlichen Unterrichts mit den klinischen Studiengängen und den psycho-sozialen Lehrinhalten sowie der praktischen Ausbildung vorsehen. Das Ausbildungssystem in England beispielsweise dient hier als Vorbild; in der Bundesre- publik Deutschland haben am konkretesten der Tübinger Profes- sor Michael Arnold und der Mini- sterialrat im Bayerischen Staats- ministerium des Innern, Herr Kol- lege Bachmann, derartige Pläne entwickelt.

Trotzdem empfehlen Vorstand und Ausschuß „Approbationsord- nung" der Bundesärztekammer, den Weg einer völligen Neuord- nung des Studiums der Medizin jetzt nicht vordringlich zu bege- hen, da eine solche Neuordnung bis zu ihrer Verwirklichung sicher mehr als ein Jahrzehnt in An- spruch nimmt — und so lange kön- nen wir angesichts der erkannten Mängel auf keinen Fall warten.

Daß die Mehrheit aller Sachver- ständigen und Beteiligten die Ap- probationsordnung in der gültigen Fassung mangelhaft findet, ergab sich in zwei Anhörungen, bei de- nen einmal vor dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundes- tages, zum anderen im Bundesmi- nisterium für Jugend, Familie und Gesundheit in der ersten Hälfte des Jahres 1978 Vertreter der Uni- versitätslehrer, der Krankenhaus- träger, der Krankenkassen, der Studenten, der Gewerkschaften und der ärztlichen Verbände und Körperschaften zu Wort kamen.

Aus den Ergebnissen dieser Ge- spräche zog die CDU/CSU-Bun- destagsfraktion die Konsequenz, einen Gesetzentwurf zur Ände- rung der Bundesärzteordnung ein- zubringen, mit dem Ziel, die Bun- desregierung als Verordnungsge- ber anzustoßen, die Approbations- ordnung zu novellieren. Der inhalt- liche Entwurf dieses Gesetzes stößt auch heute noch nicht über- all auf Gegenliebe; es ist aber nicht zu verkennen, daß er mit der Frage der Ausbildungszieldefi- nition, der Prüfungsordnung und der Regelung der praktischen Ausbildung die neuralgischen Punkte anspricht.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Ausbildung zum Arzt in der Öffent- lichkeit auf großes Interesse ge- stoßen. Besonders konstruktiv be- teiligten sich die evangelischen Akademien in Tutzing und Hof- geismar an der Diskussion. Ein entscheidender Tag war der 10.

Oktober 1978, an dem sich die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen mit den Fragen der Ausbildung zum Arzt und der

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künftigen Entwicklung des ärztli- chen Berufsstandes befaßte und schließlich auch eine Empfehlung abgab. In dieser Sitzung kündigte Frau Bundesminister Huber die Gründung der mittlerweile zusam- mengesetzten und arbeitenden Kleinen Kommission beim Bun- desministerium für Jugend, Fami- lie und Gesundheit an, die bis zum Herbst des laufenden Jahres ihre Ratschläge für die Verbesserung der Ausbildung vorlegen und zur künftigen Entwicklung des ärztli- chen Berufsstandes Stellung neh- men soll.

So ist eines der Ziele bei der Be- handlung dieses Themas auf dem diesjährigen Ärztetag, eine demo- kratische Willensbildung zur Argu- mentation der ärztlichen Vertreter in dieser Kleinen Kommission her- beizuführen.

In Anlehnung an den aus den zahl- reichen kritischen Stellungnah- men von der zuständigen Refe- rentin des Bundesministeriums, Frau Marilene Schleicher, zusam- mengestellten Mängelkatalog darf ich gleichzeitig die Ergebnisse un- serer eigenen analytischen Dis- kussion auf dem Ärztetag 1977 in Saarbrücken wiederholen:

0,

Das Fehlen einer Definition des Ausbildungsziels in der ärztlichen Approbationsordnung ist eine der Ursachen für ein unzureichendes und zu wenig praxisorientiertes Lehrangebot durch die Hoch- schulen.

C) Die Trennung von Vorklinik und Klinik verhindert ein rechtzei- tiges Hineindenken und Vertraut- machen des Studenten mit medizi- nischen Zusammenhängen.

Das vorgeschriebene Hoch- schulstudium von sechs Jahren befähigt in seiner derzeitigen Aus- prägung nicht für eine eigenver- antwortliche Tätigkeit als Arzt.

® Die praktischen Übungen, ins- besondere in den klinischen Stu- dienabschnitten, können wegen der hohen Zahl der Studenten, der unzureichenden Vorbereitung der Studenten und der Disparität zwi-

schen Patienten und Studenten nicht effektiv durchgeführt wer- den.

C) Die schriftlichen Prüfungen nach dem Antwort-Wahl-Verfah- ren fördern eine mechanische Lernweise und lassen das Denken in Zusammenhängen verküm- mern.

2

Die fehlende fächerspezifische Gewichtung bei der Bewertung der schriftlichen Prüfungen er- möglicht eine Vernachlässigung von Fächern, was besonders bei wichtigen medizinischen Grundla- genfächern zu nicht vertretbaren Defiziten an Grundwissen führt.

C) Die praktische Ausbildung im letzten Jahr des Medizinstudiums kann die Mängel an praktischer Ausbildung im vorgehenden Stu- dium nicht abbauen und gewähr- leistet keinen nahtlosen Übergang von der ärztlichen Ausbildung auf ärztliche Verhaltensweisen und ärztliches Entscheidungsverhal- ten.

Von den hier zusammengefaßten Punkten ist allein zumindest kurz- fristig die Verschränkung von kli- nischem und vorklinischem Unter- richt nicht zu verwirklichen. Abge- sehen davon, daß es Einigkeit über die Form der Integration noch nicht gibt, auch eine modellhafte Erprobung bislang zumindest in der Bundesrepublik nicht erfolgt ist, sind es inneruniversitäre Um- stände, die solche Pläne erst lang- fristig realisierbar erscheinen las- sen, da zweifellos in erheblichem Umfang Kompetenzen und Rechte verändert werden müßten.

Die anderen angesprochenen Punkte des Mängelkataloges sind jedoch kurzfristig korrigierbar, und ich glaube, daß die Kleine Kommission zu diesen Punkten ih- re Meinungsbildung bis zum Sep- tember dieses Jahres abschließen kann.

Die Definition

des Ausbildungsziels

Die Frage der Notwendigkeit einer Zieldefinition für die Ausbildung

zum Arzt ist bereits auf früheren Ärztetagen, zuletzt 1977 in Saar-

brücken bejaht worden. Hier beka- men wir den Auftrag, eine Ausbil- dungszieldefinition zu erarbeiten.

Diesem Auftrag ist der Vorstand nach Vorarbeiten durch den ent- sprechenden Fachausschuß nach- gekommen. Diese Vorarbeiten wurden im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT Anfang dieses Jahres pu- bliziert.

Der Ihnen nun zur Beratung und Beschlußfassung vorliegende Ent- wurf hat folgenden Wortlaut:

„Die theoretische und praktische Ausbildung hat einen Arzt zum Ziel, der auf der Grundlage plurali- stischen und unabhängigen wis- senschaftlichen Denkens

— medizinischer, wissenschaft- lich-methodischer und die Medi- zin übergreifender Kenntnisse,

— der zu ihrer Anwendung erfor- derlich geistigen, psychischen, physischen und praktischen Fä- higkeiten sowie

— einer dem Patienten verpflichte- ten ärztlichen Einstellung

imstande ist, unter Wahrung der Würde des Menschen und Ach- tung der freien Selbstbestimmung des einzelnen, nach den Regeln der ärztlichen Kunst sachgerecht und eigenverantwortlich im Dienst an der Gesundheit des einzelnen und der Allgemeinheit tätig zu sein. Der Arzt muß gelernt haben, seine Grenzen, zu erkennen, und wissen, wo spezielle gebietsbezo- gene Kenntnisse und Erfahrungen erforderlich sind.

Der Arzt muß die Notwendigkeit der berufsbegleitenden Fortbil- dung erkannt haben und befähigt sein, diese in eigener Initiative zu betreiben.

Er muß in der Lage sein, sich nach Abschluß seiner Ausbildung in ei- nem bestimmten Gebiet, Teilge- biet oder Bereich weiterzubilden.

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Ich glaube, der Text dieser Ziel- definition und das Bild, welches hier vom Arzt nach Abschluß sei- ner Ausbildung gezeichnet wird, sind völlig eindeutig und klar. Ich finde auch, daß mit dieser Ausbil- dungszieldefinition die Meinung ad absurdum zu führen ist, daß es den Arzt heute nicht mehr gebe und daß an seine Stelle eine Viel- zahl von Arzttypen getreten sei.

Ich denke auch, daß wir hier auf diesem Ärztetag Einigkeit darüber erzielen können, daß ein entspre- chend dieser Zieldefinition ausge- bildeter Arzt den Anforderungen der Patienten in der sogenannten Primärversorgung genügen kann.

Die Kernfrage: Ab wann

eigenverantwortliche Tätigkeit?

Damit kommen wir aber nunmehr zur Kernfrage, die seit der Fortset- zung des 81. Deutschen Ärzteta- ges im vergangenen November die ärztliche und großenteils auch nichtärztliche Öffentlichkeit be- schäftigt: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem ein Arzt eigen- verantwortlich handlungsfähig in seinem Beruf geworden ist? Ist ei- ne derartige Befähigung über die Ausbildung zum Arzt überhaupt erreichbar? Muß nicht jeder Arzt vorher die praktische Anwendung seiner Kenntnisse in Zusammenar- beit mit erfahrenen Berufskolle- gen trainieren? Muß dies im Rah- men einer organisierten Weiterbil- dung geschehen, also einer soge- nannten Pflichtweiterbildung? — Diese Fragen werden insbesonde- re im Hinblick auf den 1. Juli 1980 hin diskutiert, wenn der Vollzug des EG-Rechts eintritt, daß jeder Arzt sich unmittelbar nach Ab- schluß seiner Ausbildung und nach Erhalt der Zulassung zur Ausübüng des ärztlichen Berufes in freier Praxis eigenverantwort- lich betätigen darf.

Um es gleich vorweg zu sagen und unnötigen Streit zu vermeiden:

Niemand von uns, und wenn ich es richtig sehe, sogar auch kein ver- nünftiger Student der Medizin ist

der Auffassung, daß der nach der derzeitigen Ausbildungsordnung ausgebildete frisch approbierte Arzt unmittelbar nach Beendigung der Ausbildung die entsprechen- den Fähigkeiten und Fertigkeiten besäße, eigenverantwortlich ärzt- iich handlungsfähig zu sein und somit einer Zusammenarbeit mit erfahreneren Berufskollegen nicht mehr zu bedürfen.

Wenn wir mit dieser Aussage aber feststellen, daß die Ausbildung zum Arzt unzureichend ist, müs- sen wir versuchen, diese Ausbil- dung in Ordnung zu bringen und nicht etwa andere Bildungsab- schnitte als Ersatz heranziehen wollen, zumal ohnehin bei allen Lösungsversuchen das Problem der großen Zahl der Studenten er- halten bleibt, weil der Staat als In- haber des Ausbildungsmonopols verpflichtet ist, die Ausbildung ge- genüber den erfolgreichen Prü- fungsabsolventen bis zum Zeit- punkt der Berufszulassung zu ga- rantieren.

Da es sich aber nicht nur um eine bildungsorganisatorische Frage handelt — schließlich ist der Ge- winn von Berufserfahrung in je- dem Bildungsabschnitt möglich und Lebenserfahrung auf dem Wege einer wie auch immer gear- teten Aus- oder Weiterbildung nicht vermittelbar —, ist der Ge- samtkomplex um die Berufszulas- sung der nachwachsenden Ärzte zu einer hochpolitischen Ausein- andersetzung nicht nur innerhalb der ärztlichen Berufspolitik ge- worden.

So ist die Denkschrift aus Kreisen der Arbeitsgemeinschaft der So- zialdemokraten im Gesundheits- wesen, die sich eng an das Organi- sationsschema der Ausbildung zum Arzt in den meisten Ostblock- ländern anlehnt, nicht nur als kon- sequente Umstülpung unseres Bil- dungssystems, sondern auch als tiefgreifender Eingriff in das herr- schende System der Gesundheits- versorgung der Bevölkerung in unserem Lande überhaupt zu ver- stehen. Das ist auch nicht verwun-

derlich, wenn man weiß, daß die Autoren dieser Denkschrift weit- gehend identisch sind mit den Au- toren der WSI-Studie des Deut- schen Gewerkschaftsbundes aus dem Jahre 1971, deren gedankli- cher Grundkonzeption wir schließ- lich solche tiefgreifenden Gesetze wie das Krankenversicherungs- Weiterentwicklungsgesetz und das Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetz zu verdan- ken haben.

Man muß die mittlerweile offiziell zur Diskussion gestellte Denk- schrift sehr genau lesen, um zu erkennen, daß hier bildungspoliti- sche Überlegungen, bezogen auf die Gesundheitsberufe, als Schirm über die eigentliche Zielsetzung der Autoren gespannt sind — näm- lich, die fortschreitende Institutio- nalisierung unseres Gesundheits- wesens zu fordern und die Freibe- ruflichkeit der Ärzte, einschließlich ihrer ärztlichen Entscheidungs- freiheit abzuschaffen.

Genau deshalb ist es so beunruhi- gend, wenn — gewollt oder unge- wollt — ähnliche Vorschläge auch aus Kreisen der Ärzteschaft selbst zur Diskussion gestellt werden.

Wenn Hochschulprofessoren als Ziel der Ausbildung propagieren, einen weiter- und fortbildungsfä- higen Arzt zu produzieren, bege- ben sie sich bereits bedenklich na- he an dieses politische Fahrwas- ser. Der Vorschlag des Tübinger Anatomen Prof. Michael Arnold, für die Medizinerausbildung, 1977 in der Schriftenreihe der Fried- rich-Thieding-Stiftung des Hart- mannbundes erschienen, sieht gleichzeitig unter Aufhebung der Trennung von Klinik und Vorklinik ein Kernstudium vor, an welches sich ein Wahlstudium anschließt, das bereits innerhalb der Ausbil- dung eine Spezialisierung anpeilt und mit einer Teilapprobation en- det, an die sich die Facharztwei- terbildung, hier Facharztausbil- dung genannt, anschließt, nach der schließlich die endgültige Ap- probation und Berufszulassung erfolgt. Das Arnoldsche Modell ist somit nahezu identisch mit dem

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Vorschlag der Arbeitsgemein- schaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen, der ja eben- falls eine Grundausbildung von vier Jahren vorsieht, an deren En- de die Approbation I erteilt würde, daran anschließend eine dreijähri- ge Ausbildung vorschreibt, die be- reits eine Spezialisierung zum Facharzt beinhaltet und mit der Approbation II endet. Diese würde zur Niederlassung in freier Praxis bei Berufsausübung im erlernten Gebiet berechtigen, nicht aber zu Führungsfunktionen oder zur Er- laubnis, selbst als Ausbilder tätig zu werden. Diese Zulassung kann man erst nach einer weiteren vier- jährigen Ausbildung mit einer Ap- probation III erwerben.

An dieser Stelle müssen wir uns völlig klar darüber werden, daß je- de Forderung nach einer Pflicht- weiterbildung zwar nicht im Detail, aber doch in der Tendenz mit die- sen Vorschlägen der Arbeitsge- meinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen politisch identisch ist. Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde aber eine grundlegende Änderung unseres Rechtssystems voraussetzen, aus der tiefgreifende Änderungen auch für die Art der Ausübung des ärztlichen Berufes und damit un- serer verfaßten Selbstverwaltung resultieren würden.

Die schon häufig genannten Argu- mente darf ich an dieser Stelle noch einmal zusammengefaßt wiederholen:

Das einheitliche Berufsbild

„Arzt" wäre aufgehoben. Es gäbe nur noch zahlreiche, sich aus dem ehemaligen Arztberuf ableitende ärztliche Spezialisten, die mit fort- schreitender Zeit sich sowohl wis- senschaftlich als auch in der tägli- chen Zusammenarbeit immer mehr auseinanderleben müßten, da ein nur geringes Niveau in der Grundausbildung einfach zu we- nig Einblick in die Medizin des ganzen Menschen vermitteln kann.

© Eine persönliche Patient-Arzt- Beziehung wäre damit unmöglich,

da der Fortschritt der Medizin es notwendig machen würde, daß dem Patienten wegen der fehlen- den Kompetenz des einzelnen Arz- tes nur noch Ärzteteams als kom- petente Behandler gegenübertre- ten. An diesem Mangel kann keine Weiterbildung mehr etwas ändern.

da die gerade in letzter Zeit viel beschworene Ganzheitsmedizin in einem Spezialisierungsgang nicht mehr nachzuholen ist.

C) Als Konsequenz daraus würde in kurzer Zeit die freie Arztwahl, ein tragendes Merkmal unseres Gesundheitswesens und eine — wie wir wissen — Grundlage des Heilerfolgs bei therapeutischen Bemühungen des Arztes, ad ab- surdum geführt.

Es muß schon sehr gute Gründe geben, derart tief in das Gefüge unseres Gesundheitswesens ein- greifen zu wollen und die gewach- sene, erfolgreiche Patient-Arzt- Beziehung aufzulösen. Zusammen mit dem Vorstand der Bundes- ärztekammer und dem Ausschuß Approbationsordnung und sicher auch zusammen mit vielen von Ih- nen hier im Saal sehe ich solche Gründe nicht.

Die Vorschläge

der Bundesärztekammer zur Neuordnung der Ausbildung Deshalb möchten wir Sie bitten, dem Vorschlag einer Neuordnung der Ausbildung zuzustimmen, die eine Weiterentwicklung des Tra- dierten darstellt und deswegen auf drei Grundsätzen basiert:

• Alle Ärzte müssen bis zur Ap- probation und damit bis zur Zulas- sung zur uneingeschränkten, ei- genverantwortlichen Ausübung des ärztlichen Berufes die gleiche Ausbildung erhalten. Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, ist die Aus- bildung zum Arzt abgeschlossen.

e Die Ausbildung zum Arzt be- inhaltet . ein wissenschaftliches, theoretisches Studium an einer Universität oder einer medizini- schen Hochschule.

Die Ausbildung zum Arzt ent- hält so viel an praktisch-ärztlichen Lerninhalten, daß nach Abschluß der Ausbildung hinreichende Kenntnisse für eine eigenverant- wortliche ärztliche Tätigkeit in der abschließenden ärztlichen Prü- fung unter Beweis gestellt werden können.

Mit diesen Aussagen lehnen wir alle Ideen, die Ausbildung zum Arzt von den Universitäten in „Me- dizinschulen" zu verlagern, prinzi- piell ab. Es ist notwendig, daß die theoretischen Grundlagen der Ausübung des ärztlichen Berufes in einem wissenschaftlichen Stu- dium vermittelt werden, da nur so ausreichende Kritikfähigkeit und Erkenntnisfähigkeit entstehen können. Die Anwendung und Überprüfung wissenschaftlicher Kriterien ist völlig unmöglich, wenn der angehende Arzt nicht selbst in seinem eigenen Studium mit derartigen Methoden vertraut gemacht worden ist; deshalb hat unseres Erachtens auch die schriftliche Promotionsarbeit nach wie vor ihre Berechtigung, mögen auch hier und da die der- zeit herrschenden Bräuche — um es vorsichtig zu sagen — überprü- fungswürdig sein.

Änderung des Prüfsystems Die andere Konsequenz, die sich aus diesen Grundsätzen ergibt, ist eine Änderung des geltenden Prü- fungssystems. Auch die zuständi- ge Referentin für Ausbildungsfra- gen der akademischen Berufe, Frau Ministerialrätin Schleicher, hat in ihrem jüngst in der Nr. 15 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES erschienenen Artikel zugestimmt, daß „die Kritik am derzeitigen Prü- fungssystem ... weitgehend be- rechtigt sein dürfte ... ".

Damit vergrößert sich der Kreis derjenigen, die als negative Fol- gen des derzeitigen Prüfungssy- stems die Auswirkungen auf das Lernverhalten der Studenten ver- urteilen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 31. Mai 1979 1523

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Wir haben bereits auf dem Ärzte- tag in Saarbrücken bemängelt, daß die schriftlichen Prüfungen nach dem Antwort-Wahl-Verfah- ren nur teilweise für medizinische bzw. ärztliche Zwecke geeignet sind, nämlich insoweit, als kogniti- ve Fähigkeiten festgestellt und er- messen werden sollen, daß sie aber ungeeignet sind, Denken in Zusammenhängen und insbeson- dere die praktisch-ärztlichen Fer- tigkeiten zu prüfen. Um diesem

Mangel wenigsten für den Zeit- raum des Praktischen Jahres am Schluß des Medizinstudiums ab- zuhelfen, wurde in der zweiten Än- derung der Approbationsordnung bereits der schriftliche Prüfungs- stoff innerhalb der Prüfung nach dem Praktischen Jahr auf 180 Fra- gen reduziert. Es ist trotzdem nicht zu erwarten, daß sich das Lernverhalten der Studenten im Praktischen Jahr ändern würde.

Nach wie vor werden die PJ-Stu- denten wegstreben von den Sta- tionen und Operationssälen, wo sie ja eigentlich praktische Fertig- keiten erlernen sollen, hin in die Bibliotheken und Studierzimmer, um sich auf diesen letzten schrift- lichen Prüfungsabschnitt vorzube- reiten, weil sie die Gefahr eines negativen Ausgangs der mündli- chen Prüfung nach den bisherigen Erfahrungen als relativ gering ein- schätzen.

Besser kann meines Erachtens die Fehlleitung von Studenten durch das derzeitige Prüfungssystem kaum demonstriert werden.

Auch die Verantwortlichen im In- stitut für medizinische und phar- mazeutische Prüfungsfragen, ins- besondere der Direktor dieses In- stituts, Herr Dr. Kraemer, stimmen deshalb zu, wenn wir Ihnen vor- schlagen zu beschließen, daß künftig alle geeigneten Prüfungs- abschnitte einen schriftlichen Teil für die Prüfung kognitiver Fähig- keiten und einen mündlich-prakti- schen Prüfungsabschnitt für die Prüfung ärztlicher Fähigkeiten

Ausschnitte aus den „Kammerblöcken" der Delegierten in der Plenarsitzung — von und Fertigkeiten enthalten

oben: Baden-Württemberg, Nordrhein, Niedersachsen müssen.

1524 Heft 22 vom 31. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Da dieses Verfahren jedoch auf praktische Schwierigkeiten bei der Durchführung stoßen kann, hat das Ausschuß-Mitglied Prof. Frick aus München vorgeschlagen, nicht unbedingt alle Studenten in allen Prüfungen praktisch zu prü- fen, sondern gegebenenfalls die Prüflinge auszulosen, damit jeder Student im Prinzip genötigt ist, sich auf eine solche Prüfung vor- zubereiten. Dieser Vorschlag muß als Notlösung mitdiskutiert und vielleicht auch berücksichtigt werden.

Die letzte Prüfung am Schluß der gesamten Ausbildung zum Arzt muß aber auf jeden Fall eine mündlich-praktische Prüfung sein mit dem Ziel, festzustellen, ob der Kandidat die Voraussetzungen der Ausbildungszieldefinition erfüllt und damit fähig ist, eigenverant- wortlich als Arzt tätig werden zu können. Bei dieser Staatsprüfung sollte die Prüfungskommission aus Hochschullehrern, praktizie- renden Ärzten aus Krankenhaus und Praxis sowie auch aus Vertre- tern der Organisationen der ärztli- chen Selbstverwaltung gebildet sein, da es sich bei der Frage nach der Befähigung zur eigenverant- wortlichen ärztlichen Tätigkeit kei- neswegs mehr nur um eine reine Hochschulangelegenheit handelt.

Dieser Auffassung haben auch die Hochschullehrer in unserem Aus- schuß zugestimmt.

Das wissenschaftliche Studium Eindeutig und unbestritten ist al- lerdings die völlige Kompetenz der Hochschullehrer bei der Struk- turierung des wissenschaftlichen Studiums an der Universität. Zu diesem Komplex schlagen wir le- diglich vor zu prüfen, ob die psy- chosozialen Fächer, also die medi- zinische Psychologie und die me- dizinische Soziologie, nicht besser über einen längeren Zeitraum, so- zusagen studienbegleitend, unter- richtet werden können. Die jetzige Plazierung im vorklinischen Stu- dium wird überwiegend als un- günstig beurteilt, ein Lehren erst

im klinischen Studienabschnitt als nicht mehr effektiv angesehen. Die studienbegleitende Unterrichtung garantiert somit eine weit höhere Flexibilität. Übrigens wäre sehr zu überlegen, ob nicht auf Prüfungen in medizinischer Psychologie und medizinischer Soziologie verzich- tet werden sollte, da zumindest bisher geeignete Prüfverfahren mit relevantem Bezug zum ärztli- chen Beruf nach Meinung auch der Vertreter des Instituts für me- dizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen nicht gefunden werden konnten.

Zum anderen möchte ich daran erinnern, daß wir bereits in Saar- brücken vor zwei Jahren Verbes- serungsvorschläge für den klini- schen Studienabschnitt vorgelegt haben, nämlich den klinischen Un- terricht durch Einbeziehung von außeruniversitären Krankenhäu- sern und durch Einführung von Blockunterrichtssystemen zu er- weitern, um die nach wie vor un- zumutbaren Belästigungen der Patienten in den Universitätskran- kenhäusern zu reduzieren. Ich fin- de es erfreulich, daß zumindest in Nordrhein-Westfalen diese Über- legungen zur Zeit für den Bereich der Universität Düsseldorf in Kürze praktisch angewendet werden sollen.

Bevor ich nun den aktuellen Vor- schlag für die Neustrukturierung der Ausbildungsordnung im ein- zelnen erläutere, lassen Sie mich kurz betonen, daß damit das Pro- blem der Ausbildung zum Arzt auch von uns keineswegs als dau- erhaft gelöst betrachtet wird. Wer die Literatur der Vergangenheit durchsieht, wird feststellen, daß man eigentlich mit keinem bisher geübten Ausbildungsverfahren zu- frieden war. Und warum sollte sich daran prinzipiell etwas ändern?

In der ganzen Welt wird experi- mentiert, ich erwähnte schon Ka- nada, England, Norwegen und Is- rael. Allerdings müssen wir wis- sen, daß bei uns andere Rechts- grundlagen, insbesondere für die Zulassung zum Hochschulstudium

bestehen, die eine Übertragung ausländischer Vorbilder auf unse- re Verhältnisse nicht ohne weite- res gestatten.

Nun — unser Vorschlag für eine Neuordnung bedeutet eine Verlän- gerung der Ausbildung zum Arzt, wenn auch nicht eine Verlänge- rung des Studiums an der Univer- sität.

Wie Sie feststellen können, unter- scheiden wir zwischen der Ausbil- dung zum Arzt und dem Studium der Medizin, weil wir u. a. den Hochschullehrern zustimmen, die sagen, daß die Ausbildung zum Arzt nicht alleine in Universitäten in einem Studium absolviert wer- den kann. Das wissenschaftliche Studium der Medizin soll nach dem vorhin bereits geforderten und begründeten einjährigen Vor- bereitungsabschnitt beginnen und fünf Jahre dauern, möglichst aber auf vier Jahre verkürzt werden. Der Bezug zum Patienten soll in dieser Zeit durch Famulaturen, auch während des Semesters, gefördert werden.

Am Schluß des Hochschulstu- diums findet dann ein Staatsex- amen entsprechend dem jetzigen zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung, jedoch zusammen mit dem Inhalt des schriftlichen Teils des dritten Abschnitts der ärztli- chen Prüfung statt, nach deren Bestehen der in der Ausbildung Befindliche wie ein Arzt, jedoch nur in Zusammenarbeit mit und unter Aufsicht von berufserfahre- nen Ärzten tätig werden soll.

Der klinisch-praktische Studienabschnitt

Schon in den früheren Ausbil- dungsordnungen war der heikel- ste Ausbildungsabschnitt zwi- schen der Beendigung des Hoch- schulstudiums und dem Zeitpunkt der Approbation zu sehen. Eigent- lich war man mit keiner Lösung zufrieden, und daher wundert es nicht, wenn sich die Kritik an den gesamten Ausbildungsgängen im-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 31. Mai 1979 1525

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mer nur an den para-legal durch- geführten praktischen Ausbil- dungsabschnitten entzündete.

Das gilt sowohl für die alte Pflicht- assistentenzeit als auch für die später eingeführte Medizinalassi- stentenzeit in ihrer zweijährigen und einjährigen Länge, und das gilt heute für das sogenannte Praktische Jahr, von dem wir schon in Saarbrücken mit Recht gesagt haben, daß es ein vorwie- gend unpraktisches Jahr sein wer- de. So ist es auch bis auf ganz wenige Ausnahmen tatsächlich gekommen.

Bei der Diskussion der Neugestal- tung des praktischen Studienab- schnittes standen — und ich kann es, glaube ich, auch heute vorher- sagen, so wird es auch in unserer anschließenden Diskussion sein — nicht immer nur bildungspoliti- sche Überlegungen im Vorder- grund. Natürlich ist es schwierig, wenn nicht beinahe unmöglich, weit über 10 000 angehende Ärzte pro Jahr praktisch auszubilden, zumal sich mit fortschreitender Zeit diese Probleme geradezu po- tenziert verschlimmern werden.

Auszubildende treffen dann auf Kollegen, die sich in der Weiterbil- dung befinden. Und das alles in einer Zeit, in der gerade die Kran- kenhäuser unter dem Druck ste- hen, aus Kostengründen so wenig Patienten wie möglich aufzuneh- men und die aufgenommenen so schnell wie möglich wieder zu ent- lassen — mit dem Effekt, Personal zu entlassen.

Trotzdem werden wir nicht umhin können, das Problem anzupacken und unter Abwägung der bil- dungspolitischen und der prag- matischen Gesichtspunkte der Durchführbarkeit einer Lösung zu- zuführen.

Ich darf noch einmal wiederholen:

Sinn des klinisch-praktischen Stu- dienabschnittes ist es, dem ange- henden Arzt so viel an Fähigkeiten und Fertigkeiten, sagen wir im Klartext ruhig „an Berufserfah- rung", zu vermitteln, daß er an- schließend mit gutem Gewissen

die Berechtigung zur eigenverant- wortlichen Ausübung des ärztli- chen Berufes erhalten kann.

Der Vorstand der Bundesärzte- kammer schlägt Ihnen einen drei- jährigen Ausbildungsabschnitt vor, der sich in zwei Jahre struk- turierte Ausbildung aufteilt, die in Innerer Medizin, Chirurgie, Gynä- kologie und Geburtshilfe bzw.

Pädiatrie sowie Allgemeinmedizin stattfinden soll, wobei die Ausbil- dung in der Allgemeinmedizin im wesentlichen von den niederge- lassenen Ärzten in der sogenann- ten Primärversorgung übernom- men werden möge.

Das dritte Jahr soll dann vom an- gehenden Arzt im Rahmen der ge- gebenen Möglichkeiten frei ge- staltet werden können.

Alternativ hierzu sind — nach Mei- nung des Ausschusses gleichwer- tig — Überlegungen anzustellen, ob das derzeit geübte Praktische Jahr, von dem manche behaupten, daß es sich langsam einspiele, bei- behalten werden solle. Dieser Al- ternative könnte man zustimmen, wenn in allen Lehrkrankenhäusern die gleichen Voraussetzungen für die Gestaltung eines Studiums auch mit der notwendigen theore- tischen und klinisch-demonstrati- ven Unterweisung gegeben sind.

Zweifellos wären dann die Bedin- gungen eindeutig günstiger, nach diesem sechsjährigen Studium an der Universität einschließlich Lehrkrankenhaus den Absolven- ten eine Erlaubnis zur Ausübung ärztlicher Tätigkeiten in Zusam- menarbeit mit erfahrenen Berufs- kollegen für einen Zeitraum von zwei Jahren zu erteilen. Wir müs- sen uns aber daran erinnern, daß es gerade die Querelen uni das Praktische Jahr waren, die die ge- samte Ausbildungsdiskussion in Gang gebracht haben.

Am Schluß des klinisch-prakti- schen Ausbildungsabschnittes fin- det dann schließlich der dritte Ab- schnitt der ärztlichen Prüfung vor einem wie vorhin bereits beschrie- benen, aus Hochschullehrern,

praktizierenden Ärzten und Vertre- tern der ärztlichen Selbstverwal- tung gebildeten Prüfungskolle- gium statt. In dieser Prüfung soll festgestellt werden, ob der Kandi- dat die Voraussetzungen der Aus- bildungszieldefinition erfüllt. Nach Bestehen dieser Prüfung werden ihm die Approbation als Arzt und damit die uneingeschränkte Zulas- sung zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes erteilt.

Es ist nicht meine Aufgabe, im Rahmen des Referats zur Ausbil- dung des Arztes darauf einzuge- hen, welche Auswirkungen auf die in unserer Selbstverwaltung zu or- ganisierende Weiterbildung eine derartige Neuordnung der Ausbil- dung nehmen kann; wenn ich es richtig sehe, besteht aber weitge- hend Einigkeit darüber, daß Kon- sequenzen gezogen werden müs- sen und können.

Neben den Fragen der Vergütung der im klinisch-praktischen Aus- bildungsabschnitt befindlichen Kollegen ist ein entscheidender Punkt der Realisationsmöglichkeit dieses Konzepts die Einbeziehung niedergelassener Ärzte, vornehm- lich in der sogenannten Primärver- sorgung, in die Ausbildung. Wenn wir wollen, daß unsere künftigen Ärzte nicht weiterhin einseitig auf Spezialistentum ausgerichtet wer- den, müssen sie die in der Praxis des niedergelassenen Arztes vor- kommende Medizin kennenlernen.

Aus England, aber, wie wir selbst gesehen haben, auch aus Schwe- den und den USA 'können wir ler- nen, daß jeder Arzt, der in der Berufsausübung steht, selbstver- ständlich bereit ist, Lehrer für den ärztlichen Nachwuchs zu sein.

Ich bin sicher, daß Sie mir zustim- men, daß diese Funktion des Leh- rers nicht nur in akademischen Berufen seit jeher eine der vor- nehmsten Aufgaben ist. Ich bin auch sicher, daß gerade wir Dele- gierten dieses 82. Deutschen Ärz- tetages wie die aller vorhergehen- den Deutschen Ärztetage das Ziel haben, die ärztliche Freiheit für al- le Berufsangehörigen und die

1526 Heft 22 vom 31. Mai 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Möglichkeit der freiberuflichen Ausübung unseres Berufes zu er- halten und weiterzuentwickeln. Zu den Methoden der Verteidigung und Weiterentwicklung dieser Idee gehört aber, daß wir alle bereit sind, unsere nachwachsenden Kollegen nicht als Konkurrenz, sondern eben tatsächlich als Be- rufskollegen anzusehen. Wir müs- sen doch unzweifelhaft davon aus- gehen, daß diese Ärzte kommen werden.

Wir würden, so meine ich, einen schweren Fehler begehen, wenn wir nicht alle Möglichkeiten nut- zen, sie in unseren Berufsstand zu integrieren. Wenn aber Bildungs- politik geeignet ist, Systemverän- derung zu betreiben, so ist Bil- dungspolitik mindestens ebenso gut geeignet, Systemverteidigung zu üben.

Wenn wir in Saarbrücken vor zwei Jahren festgestellt haben, daß uns und unserer Selbstverwaltung feindlich gesonnene Gruppierun- gen versuchen, über den ärztli- chen Nachwuchs Einfluß auf unse- ren freien Beruf und seine Selbst- verwaltungseinrichtungen zu ge- winnen, so können wir heute fest- stellen, daß es gelungen scheint, eine weitere Infiltration zumindest zu stoppen.

Das Studium der Ärztetagsproto- kolle vom Ende der fünfziger und dem Anfang der sechziger Jahre deckt auf, daß unsere heutige Dis- kussion inhaltlich nicht zum er- sten Mal geführt wird. Gerade auch mit Hilfe solch profilierter Vertreter wie den Herren Kollegen Jungmann, Kerger, Dobler und an- deren ist es gelungen, eine Spal- tung der Ärzte damals und über die Zeit zu verhindern. Ich bin si- cher: Wenn wir diesen Grundkon- sens auch in den heutigen Ärzte- tag mitbringen, werden wir erfolg- reich konstruktive Arbeit leisten. ■

Anschrift:

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Bundesärztekammer

Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41 (Lindenthal)

Anderthalb Tage:

Engagierte Debatten zur Meinungs- und Mehrheitsfindung

Anfänglich sah es gar nicht nach einer klaren Mehrheit für die von Hoppe vertretenen Vorschläge aus. Einige Delegierte, die vor al- lem im Verbandswesen engagiert sind, hatten Gegenvorschläge ein- gebracht, die in einigem sehr grundsätzlich dem Antrag des Vorstandes der Bundesärztekam- mer widersprachen, vor allem hin- sichtlich der rechtlichen Struktur des abschließenden klinisch-prak- tischen Studienabschnittes. Auch ein Antrag vom letztjährigen Deut- schen Ärztetag, der auf volle Pflichtweiterbildung vor jeder Nie- derlassung abzielte und insofern nur konstruierte Verbindung zum Tagesordnungspunkt „Ausbil- dung" hatte, wurde in modifizier- ter Form wieder eingebracht, zum Teil vehement vorgetragen. Ge- genanträge, hinter denen aber bei den Abstimmungen — und auf die- se kommt es an — letztlich nur we- nige Stimmen der 250 Delegierten standen.

„Ganz bestimmte Gegenvorschlä- ge fanden offenbar beim NDR [=

Norddeutscher Rundfunk — Red.]

mehr Anerkennung als bei der Ärz- tetagsmehrheit", formulierte ein kritischer Journalist. Ein solcher Eindruck rührte wohl daher, daß sich gerade Minderheiten gern be- stimmter Medien bedienen (oder umgekehrt), um oppositionelle Vorstellungen hochzuspielen. An- dererseits konnte der Eindruck ei- nes besonderen Gewichtes oppo- sitioneller Vorschläge auch im Plenum und bei den Zuhörern ent- stehen, weil solche Ideen fast im- mer mit besonderer Eloquenz und manchmal auch mit überschießen- der Demagogie verfochten wurden und werden, während noch so klu- ge, sachlich vorgetragene Gedan- ken auf Außenstehende eben blas- ser wirken.

Eine andere Sache ist der „Nebel", den ein Delegierter im Verlauf der Aussprache im Saal aufsteigen und sich verbreiten „sah":

Schließlich schienen, um einiger- maßen im Bild zu bleiben, auch einige „Nebelwerfer" am Werk.

Aber spätestens nach der ersten Hälfte der Diskussionen hatte sich solcher Nebel gelichtet. Immer deutlicher zeichnete sich der grundsätzliche Unterschied zwi- schen dem Entschließungsantrag des Vorstands der Bundesärzte- kammer, vertreten von Dr. Jörg- Dietrich Hoppe, und den Anträgen ab, die ursprünglich von den Dres.

Häußler, Bourmer, Roos, Kossow, Schüller, Müller-Osten, Wegener, Rausch, Walther, Perlitz u. a. ein- gebracht und in Diskussionsbei- trägen vertreten, später zum Teil den Vorstellungen der Bundesärz- tekammer angepaßt wurden. (An dieser Stelle der Berichterstattung noch abgesehen von sachlichen Änderungsvorschlägen zu Detail- fragen, die vor allem mit den Na- men der Dres. Ital und Stucke ver- bunden sind und die später vom Plenum akzeptiert wurden; des weiteren noch abgesehen von an- deren, ergänzenden Einzelan- trägen.)

Die Debatte ums Prinzip

Im Prinzip ging es dem Vorstand der Bundesärztekammer — wie vom Referenten im Verlauf der De- batte mehrfach betont — um den Einbau eines verlängerten Zeit- raums praktischer Berufserfah- rung in die Ausbildung, wobei es sich gar nicht um eine De-facto- Verlängerung des Bisherigen han- delte und handelt, sondern ledig- lich um eine De-jure-Verlänge- rung, indem nämlich Jahre der er- sten praktischen Erfahrung, die bisher ohnehin jeder durchmach- te, ausdrücklich innerhalb der Ausbildung absolviert werden sol- len, die mit der Approbation ab- schließt. Demgegenüber sahen die in der Diskussion erläuterten Ge- genvorschläge vor, daß der künfti- ge Arzt nach einem fünfjährigen Universitätsstudium eine Appro-

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