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ahlen lügen nicht, aber sie können täuschen. Ende 2005 waren bun- desweit 1 433 mehr Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung tätig als im Jahr zuvor – insgesamt 134 798, davon 126 252 in der regulären Niederlassung. Dies erscheint ausrei- chend, und doch wächst die Sorge, dass das Gesundheitswesen auf einen massi- ven Ärztemangel zusteuert.„Der Mangel an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten hat sich manife- stiert“, sagt beispielsweise Eberhard Gramsch, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nieder- sachsen (KVN). Im nach Bayern größ- ten Flächenland der Bundesrepublik weiß man, dass es eigentlich schon fünf vor zwölf ist. Bis zum Jahr 2015 müssen sich rund 450 Ärzte in Niedersachsen niederlassen, damit eine Unterversor- gung in bestimmten Regionen des Bun- deslandes verhindert wird. Unterver- sorgung ist ein eher blutleerer Begriff mit geringer Alarmwirkung. Konkret
bedeutet Unterversorgung jedoch: Tau- sende von Patienten haben – vor allem in ländlichen Gebieten – keinen Arzt mehr, zu dem sie gehen können. Erst recht wird es dann keine Ärzte mehr ge- ben, die zum Patienten nach Hause kommen.
Überall derselbe Trend, noch deutlicher im Osten
Rund 450 fehlende Ärzte in den näch- sten zehn Jahren nach Niedersachsen zu holen dürfte kein unlösbares Problem sein. Aber: Das Flächenland im Norden steht nicht allein vor dieser Herausfor- derung. Nahezu überall zeichnet sich derselbe Trend ab, vor allem im Osten der Republik. Bei den wenigen Hundert Ärzten, die in Niedersachsen fehlen, geht es darum, eine Unterversorgung mit fatalen Folgen für die Bevölkerung zu verhindern. Soll hingegen der heutige Stand der ambulanten Versorgung bei-
behalten werden, fehlen schon 3 679 Nie- dergelassene. Und auch das ist in ande- ren Bundesländern ähnlich. Besonders deutlich wird die Dramatik in Prozent- zahlen. Die 3 679 Ärzte, die bis zum Jahr 2015 in Niedersachsen ausscheiden, stel- len rund 30 Prozent aller Vertragsärzte des Bundeslandes. Knapp ein Drittel hört (allein aus Altersgründen) auf, und noch weiß niemand, wo der Nachwuchs herkommen soll.
Die KVN wirbt jetzt bundesweit um niederlassungswillige Ärztinnen und Ärzte. „Werden Sie Hausarzt in Nieder- sachsen“ ist eine Anzeige im Rubriken- markt des Deutschen Ärzteblattes (Heft 8/2006) überschrieben. Niedersachsen streckt die Fühler aus, andere Bundes- länder tun dies bereits auch, weitere wer- den folgen – auf verschiedenen Wegen.
Im Norden hat der KV-Vorstand ein dreistufiges Konzept zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung beschlossen.
Niederlassungsseminare der KV, Infor- mationsveranstaltungen an Krankenhäu- sern und Universitäten, die Einbindung der KV in die Weiterbildungskurse zur Allgemeinmedizin und die Kooperation mit den Gemeinden sind der erste Schritt. Stufe zwei besteht aus der Förde- rung der Weiterbildung – zum Beispiel mit dem Angebot eines Ausbildungs- plans mit exakt definierten Weiterbil- dungsabschnitten. Auch finanziell soll die Weiterbildung unterstützt werden.
Im Gegenzug erwartet die KV die Be- reitschaft, eine Niederlassungspflicht zu akzeptieren. Stufe drei besteht aus Um- satzgarantien für Ärzte in bestimmten Regionen, aus Zinszuschüssen sowie Zu- schlägen für Landarztpraxen.
Vor allem Letzteres ist entscheidend für die Zukunft der ambulanten Versor- gung in Landkreisen wie Emsland, Gif- horn, Celle und Stade, um nur einige zu nennen. Überall dort gehen in etwa zehn Jahren die Lichter aus, wenn die Anwer- bung nicht gelingen sollte. Dasselbe Schicksal droht beispielsweise auch den Bundesländern Brandenburg, Sachsen- Anhalt und Thüringen. Dort scheiden bis zum Jahr 2015 zwischen 40,8 und 42,9 Prozent der heute noch tätigen Hausärz- te aus.
Der Slogan der KV Niedersachsen könnte vor diesem Hintergrund erwei- tert werden: „Werden Sie Hausarzt in Deutschland!“ Josef Maus P O L I T I K
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A662 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 11⏐⏐17. März 2006