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Quartiere Vigne Nuove 1971-1979. Urbanität durch Dichte?

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Quartiere Vigne Nuove 1971-1979

1-3 Planungsbüro IACP.

Pro1ektleitung Lucio Passarelli, Quartiere Vigne Nouve, 1971-1979, Zustand heute

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Der Architekt 9/01

Originalveröffentlichung in: Der Architekt : Zeitschrift des Bundes Deutscher Architekten, 2001, Nr. 9 (September), S. 48-51

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Gort, ist das hart - so der erste Eindruck von Vigne Nouve, alswir nach einigem Suchen in der nördlichen Peripherie Roms auf die grauen Riesen treffen. AllesStein,alles grau, alles hart - auch diebuntenJalousien mildern nicht den Andruck eines gigantischenZementwerks. Wir begeben uns ins Innere der Wohnmaschine, laufendurch Erschließungsgänge, die teilweise Mmpenartig angelegtsind. VieleEcken, und, euswelchen Gründen auch immer, offene, nicht Weitergebaute Räume (vielleicht waren hier ur­

sprünglich kleinereLädengeplant) sind be­

schmiert, verdreckt, mit Gerümpelbedeckt, an­

dere wiederum peinlich sauber. Vorsichtig bege­

ben wir uns weiter ins Innere des Komplexes undtreffenaufeinigeältereBewohner. Sie be­ grüßen uns freundlich, wir kommen ins Gespräch und erfahren, daß sie hier eine Altenbegeg­ nungsstätteunterhalten, die wir sogleich besich­

tigen müssen. Keine Unzufriedenheit mit der MerkwürdigkaltenUmgebung, eher scheint Stolz auf, hier, in dieser Riesensiedlung, so etwas wie einenTreffpunkt zuhaben. Ja, natürlich sei es hier nichtschön,die Stadt zu weit weg, keine Läden, oft Randale. Aber schließlich wohnen sie schon immerda, sind jetzt alt undsterben auch bier. Auch einige pubertierende Jungs, die uns verstohlen beobachten,reagieren ausgespro­ chen nett aufunsereFrage, wieesum ihr Wohl­ befinden bestelltist: wenig los hier, nichts ei­

gentlich. Es gibt keinen Raum fürsie: So sitzen sie zwischen den Pfeilern, in den offenen Durchgängenzwischen den Blocks, oft stun­

denlang, rauchen, erzählen.Fürjunge Leuteist VigneNuovekeinguterOrt, so dieeinmütige Aussage,für einbißchen Action fahren sie mit dem Bus ins Stadtzentrum.

Weiter in den schnurgeraden, teilweise unangenehmdunklen Gängen, treffen wir auf einen kleinen Sammelsurium-Laden mit einem etwas exotischen Ambiente: eine wirre Ansamm- Lung vonallem möglichem Eß-und Trinkbaren, halbauseinandergenommenen Kaffeemaschi­ nen, vorsintflutlich anmutendenPutzgeräten, Reissäckenund dergleichenmehr. Der Laden­ inhaber entpuppt sich als sehr gesprächiger Redrone, ein prämiierter Tontaubenschütze, wie er unsin kaumstoppendem Redefluß erzählt - und auf seiner nagelneuenPC-Anlageim Hinter­

immer seinesRumpelladens führt er uns als Be­ weis seine Homepage vor.

Beim Verlassenscheintder Riesenkomplex dann doch nichtmehr ganzso schlimm - immer noch grau,immer noch hart, aber dieMenschen, die wir getroffenhaben, waren alle nett. Und - dieobligatorischen Kampfhunde insolchen Wohnstätten habenuns freundlicherweise auch nicht gebissen.

Urbanität durch Dichte?

Steffen Krämer

Das Quartiere Vigne Nuove im Norden Roms gehört neben denGroßsiedlungenCorvialeund Laurentinozu einem kommunalenUrbanisie­

rungsprojektEnde der sechziger Jahre, dasdie Aufwertung der urbanen Peripherieinnerhalb der Stadtregion zum Ziel hatte. Die öffentlichen Siedlungsprojekte dienten hierbei alsInstrumente eines stadtplanerischen Eingriffs,der die unge­

ordneten undfragmentierten Außenbereiche der Stadt systematisieren und zu einem geschlosse­

nenGroßraum zusammenfassensollte. Der Sied­

lungsbau warsomitStädtebau, mit demmandie nach dem Zweiten Weltkrieg verlorene Identität derurbanenPeripherie wiederzuerlangenglaubte.

Die Siedlungenwurdenals überörtliche und teilautonomeZentren mit öffentlichen Einrich­

tungen geplant,die anstelle einer reinen Wohn­

funktion einen urbanen Charakter erhalten und sich sukzessive zu einemKristallisationspunktin den städtischenRandbereichen entwickeln soll­

ten. Die architektonischenGrundlagen für die Planungenwaren dieüberliefertenStrukturen der organisch gewachsenen Stadt mit ihrer cha­

rakteristischen Morphologie, ihrer Topographie undihrer baulichen Typologie.ImGegensatz zu demnachkriegszeitlichen Idealbild eines räum­ lich entflochtenenund durchgrünten Wohnungs­

baus wurdengroß dimensionierte Projektemit einererstaunlich hohen Bewohnerdichte konzi­

piert. Urbanität durchDichtewardieLeitvorstel­

lung,mit der eineneuestädtische Qualität nicht nur für dasSiedlungsareal, sondernebenso für dasangrenzende Umlanderzeugt werden sollte.

Im Vergleich zu denbeiden anderen Sied­

lungsvorhaben wurde das Quartiere VigneNuove nicht nur als erstes realisiert, sondernnoch auf

einverhältnismäßig geringesAusmaßin der Flächenausdehnung wie der Bewohnerzahl redu­

ziert. 1971 erstellte das Planungsbüro des IACP einen Massenverteilungsplan, der einem Archi­

tektenkollektiv unter der Leitung von LucioPassa­ rellizur weiterenAusarbeitungüberreichtwurde.

Der im folgenden Jahr erarbeitete Gesamtent­

wurfwurde ohne weitere Veränderungen von 1973bis1979mitAusnahme mehrerer Sekundär­

einrichtungen vollständig ausgeführt.Ineinem Gebietvon nur achtHektarentstandeninsgesamt 524 Wohneinheiten für 3330 Bewohner. Dies bedeutete eine extrem hohe Wohndichte von 416Bewohnern pro Hektar.

Um eine sinnvolle Massenverteilung auf der triangulären Planungsfläche zu erhalten, wurde der einfacheZeilenbau alspräzisedefinierter Wohnbautypgewählt, der inseinerräumlichen Konfiguration frei disponibel ist.Anstelle einer monotonen Reihung wähltemaneine mehrfach gegliederte Zeilenanlage, die sich über dasge­

samte Areal von Norden nach Süden erstreckt.

Mit mehreren Gelenk- oder Bruchstellen inder linearen Entwicklungder Zeile sollte die Bezug­ nahme auf den umgebenden Kontext visualisiert werden, dessen räumliche Fragmentierung die füreineWohnsiedlung äußerstungünstigeBe­

bauungsfläche hervorgerufenhat.

Sieben- oder achtgeschossige Wohnzeilen aufeinem Pfeilerfundament mit einerAußenver­

kleidung aus grauemSichtbetonund externen Zirkulationssystemenin angefügten Betonzylin­ dern bilden eine architektonischeGroßform, die als eine gewaltige Silhouetteweithin sichtbar ist undden Charakter des nördlichen Stadtrand­ gebietes prägt. Mit dieser enormen baulichen Verdichtung versuchte man, dieurbaneAtmo­ sphäre der Siedlungoptisch zum Ausdruckzu bringen. Die Vielfalt städtischer Funktionen sollte - zumindest in der ursprünglichen Planung - durch eine Ansammlung unterschiedlicherSe­ kundäreinrichtungen gewährleistet werden,die sich als eine niedrige, überwiegend eingeschos-

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sige Bautexturumdie großen Wohnzeilen grup­

pieren. Monument undGewebe als Konstanten einerurbanenMorphologie stehen in einer wech­

selseitigen Bezugnahme zueinander und werden durch ein kompliziertes Wegesystem aus Passa­

gen, TreppenundRampen miteinander verklam­ mert.Anstelle grüner Freiflächen ist der Außen­ raum derSiedlung somit durchein öffentliches Straßennetz gekennzeichnet,das durch eine Ab­ folge verschiedener Platzanlagen nochmalsdiffe­

renziertwird.

Die GroßsiedlungohneInfrastruktur Hinter den unterschiedlichen Entscheidungenim Planungsprozess ist ständig der Versuch zu er­

kennen, wichtige Gestaltungs- und Organisations- Prinzipien der Stadt auf den Siedlungskomplex zuprojizieren. Urbanität war derLeitgedanke, mit demdie Architekten dieser römischenSied­

lungen den verödetenWohnungsbau aus der Nachkriegszeitzu reaktivieren suchten. In der eigentlichen Planungstätigkeit wurde dieseRück­

kehr zur städtischen Formaber insofern miß- gedeutet, alsdie Architekten einemaximaleBe­

bauungsdichte zumalleinigen Parameterihrer Konzeption erhoben und dieteilweise maßlose Vergrößerung der Baumassenin Verbindung mit einer abnorm hohen Bewohnerdichtelediglich mit dem Anspruch auf eine städtischeLebens­

weise legitimierten. Diemehrfach gebrochene Wohnzeile in Vigne Nuove ist hierfür ein lehr­ reiches Beispiel. Aufgrund der Vorherrschaft städtebaulicher Prinzipien im Siedlungsentwurf wurde auf die individuellen oder kollektiven Be­ dürfnisseder Bewohnerwenig geachtet. Diese fast unbedacht wirkendeGleichsetzung von Städte- und Siedlungsbau führte eindeutig zu einer Vernachlässigung dersozialen Komponente, Wurde aber durch denVerweis aufdiekomplexe Infrastruktur inden Siedlungen stets legitimiert.

Hierbeiwurdejedoch nichtmitberücksichtigt, daß sich die Bereitstellung der notwendigen Se­ kundäreinrichtungen entweder zeitlich immens verzögerte oderaber sich auf ein kaum mehr reduzierbares Mindestmaß verringerte.

In VigneNuoveistbis heute nur eingeringer Teil der anfänglich geplanten öffentlichen Ein­ richtungen realisiert worden. Auchstehen viele derfür diese Zweckebereitgestellten Gebäude laerund sind daherZiel eines ständigen Vanda­

lismus. Als ein teilautonomes Zentrum mit einem

weiträumigen Einzugsgebietwar das Konzept der Großsiedlung in derstädtischen Peripherie auf eine zumindest partielle Selbständigkeit von der historischen Stadt angelegt.Aufeinever­

kehrstechnisch sinnvolle Anbindung an die Stadt wurde deshalb wenig Wert gelegt,so daß die Siedlungenam römischen Stadtrand heute iso­

liert sind.Die Bewohner desQuartiere Vigne Nuovesind auf einenBusverkehr angewiesen, der nicht sehrhäufig pro Tag zwischendemStadt­

zentrum und der Siedlung pendelt.

Diezur Zeit ihrer Planung nochvielgepriesene städtische Lebensweise in den Großsiedlungen der urbanen Peripherie konnte sich nach deren Realisierung nicht etablieren. Die ursprüngliche Zielsetzung, mit einer der Stadt analogen Groß­

form den Siedlungsbau zu reaktivieren, war ein Idealgedanke, deraufgrund derunmittelbar nach der Fertigstellungauftretenden, negativen Folgeerscheinungen immer stärker in den Hinter­ grund tratund letztlich einer umfassenden Kritik andiesen Siedlungskonzepten weichen mußte.

Daß diese Planungsproblematiknicht nur ein spezifisches römisches Phänomen darstellte, be­ weisen die immer häufiger auftretendenAngriffe gegen denitalienischen oder aberden europäi­

schen Siedlungsbauab denspäten sechziger Jahren. Sloganswie „Superstädteausder Retor­

te" oder „Vergewaltigung durch die Umwelt"

beherrschten bald das Feld unddokumentieren eine immer tiefer gehende Skepsis gegenüber diesen Siedlungskonzepten.

Die urbane und verdichteteStadt als Modell­

vorstellung, dieden römischen Großsiedlungen der siebziger undfrühen achtziger Jahrewie demQuartiereVigne Nuove zugrunde liegt, hat sich aus heutiger Sicht keinesfalls bewährt.

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