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Archiv "Zukunft der Freien Berufe: Chancen auch in der globalisierten Welt" (30.11.2007)

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A3314 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 48⏐⏐30. November 2007

T H E M E N D E R Z E I T

W

ie ist es um die Zukunft der freien Berufe bestellt? Sind sie in einer globalisierten Dienstleis- tungsgesellschaft überlebens- und leistungsfähig? Kann man in einer zunehmend durch Wettbewerb und ökonomische Effizienz geprägten Zeit einem Berufsbild noch ein

„gemäßigtes Gewinnstreben“ zu- grunde legen und mit Gebührenord- nungen und Werbebeschränkungen arbeiten? Ist vielleicht der „freie Be- ruf“ ein Reizwort, auf das man lie- ber verzichten sollte, weil es in vie- len Köpfen mehr mit Standesprivi- legien und Wettbewerbsbeschrän- kungen verbunden ist als mit Frei- heit, Qualität und Gemeinwohlori- entierung?

Diese Fragen werden in den letz- ten Jahren häufiger gestellt. Institu- tionen wie die Europäische Kom- mission mit ihrer Generaldirektion Wettbewerb, aber auch die deut- sche Monopolkommission haben sich inzwischen als Kritiker der freien Berufe etabliert. Sie fordern radikale Veränderungen des Be- rufsrechts, die auf die Abschaffung des bisherigen Berufsbilds hinaus- laufen.

Doch was ist mit den „freien Be- rufen“ überhaupt gemeint? Die deutsche Rechtsordnung verwendet den Begriff vornehmlich im Zusam- menhang mit sogenannten Anknüp- fungstatbeständen, das heißt, der Begriff als solcher wird vorausge- setzt oder umschrieben. So heißt es im § 1 Partnerschaftsgesellschafts- gesetz: „Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der Grundlage be- sonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbrin- gung von Dienstleistungen höherer

Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.

Ausübung eines Freien Berufs im Sinne dieses Gesetzes ist die selb- ständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Hebammen, Heilmasseure, Diplom-Psychologen, Mitglieder der Rechtsanswaltskam- mern, Patentanwälte, Wirtschafts- prüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidig- ten Buchprüfer (vereidigten Buch- revisoren), Steuerbevollmächtig- ten, Ingenieure, Architekten, Han- delschemiker, Lotsen, hauptberuf- lichen Sachverständigen, Journalis- ten, Bildberichterstatter, Dolmet- scher, Übersetzer und ähnlicher Berufe sowie der Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Erzieher.“

Bereits diese Aufzählung lässt die erhebliche Spannweite der erfassten Berufe erkennen. Sie macht insbe- sondere deutlich, dass es sich nur zum Teil um reglementierte Berufe handelt, bei denen der Zugang zur Berufsausübung vom Nachweis ei- ner gesetzlich bestimmten und durch eine Prüfung zu dokumentierenden Qualifikation abhängig ist. 2006 wa- ren statistisch rund 906 000 Freibe- rufler erfasst. Vor allem bei den kul- turschaffenden freien Berufen, die mit mehr als 20 Prozent einen erheb- lichen Anteil der Berufsträger ausma- chen, fehlt es an einer solchen Vor- aussetzung. Für die klassischen frei- en Berufe, also die freien Heilberufe, die freien rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe sowie die freien technischen und naturwissen- schaftlichen Berufe ist indes bestim- ZUKUNFT DER FREIEN BERUFE

Chancen auch in der globalisierten Welt

Ärzte lassen sich in Medizinischen Versorgungszentren anstellen, Anwälte arbeiten

als Unternehmensberater. Das Bild vom Freiberufler wandelt sich – sein Berufsrecht ebenso.

Umso wichtiger wäre ein klares Leitbild.

Winfried Kluth

GRAFIK

Ein großer, bunter Haufen – so ließe sich die Gruppe der freien Berufe salopp beschreiben. Sänger, Ärzte und Steuerbe- rater unterscheiden sich dabei durch ihre Tätigkeiten und sehr unterschiedliche Re- glementierungen.

Was solche freien Berufe im Kern eint, könnte ein neues Leitbild beschreiben.

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mend, dass die Berufsausübung an eine förmliche Zulassung gebunden und durch ein besonderes Berufsge- setz beziehungsweise eine ergänzen- de Berufsordnung der jeweiligen Kammer reguliert ist.

Trotz der weitreichenden Ver- rechtlichung der freien Berufe hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung darauf hin- gewiesen, dass es sich aus der Per- spektive des Verfassungsrechts beim freien Beruf in erster Linie um einen soziologischen Befund handelt.

Daran knüpft die rechtliche Ausge- staltung der einzelnen Berufsbilder an. Diese Ausgestaltung wiederum eröffnet dem Gesetzgeber (im Rah- men der Vorgaben des Artikels 12 Absatz 1 Grundgesetz) erhebliche Gestaltungsspielräume.

Gleichwohl geht die deutsche Rechtsordnung von einem Kriteri- enkatalog aus, der in seinen wesent- lichen Bestandteilen in der wissen- schaftlichen und berufspolitischen Fachwelt anerkannt ist. Mit seiner Hilfe wird der freie Beruf sowohl positiv in seinen Eigenschaften be- schrieben als auch von anderen, ins- besondere gewerblichen Betätigun- gen abgegrenzt. Ein vergleichbarer Kriterienkatalog hat sich inzwi- schen auch im Europarecht heraus- gebildet. Zu den Kriterien zählen:

die Erbringung „ideeller Leis- tungen“, wiewohl auch der freie Beruf der Sicherung des Lebensun- terhalts dient

die persönliche Leistungser- bringung, in der sich die besondere fachliche Qualifikation des Freibe- ruflers widerspiegelt

die inhaltlich-fachliche Eigen- bestimmtheit der Leistungserbrin- gung. Danach unterliegt der Freibe- rufler keinem Direktionsrecht des Auftraggebers, was auch zu Span- nungen führen kann, da das Berufs- recht Auftragswünschen Grenzen setzt. Eine andere Facette wird an- gesprochen, wenn es um das Direk- tionsrecht zwischen Berufsträgern geht, bei denen der eine dem ande- ren übergeordnet ist, wie etwa im Krankenhausbetrieb.

die wirtschaftliche Selbststän- digkeit, wobei vor dem Hintergrund der großen Anzahl abhängig be- schäftigter Berufsträger die prägen-

de Kraft dieses Merkmals deutlich an Bedeutung verloren hat.

die qualifizierte Ausbildung.

Darin spiegelt sich die „Experten- funktion“ der Freiberufler wider, denen bewertende und beurteilende Funktionen von gehobener gesell- schaftlicher Bedeutung zugewiesen sind.

Gemäßigtes Gewinnstreben bei hohem Einkommen Das gemäßigte Gewinnstreben.

Der Freiberufler wird in vielen Zu- sammenhängen vom Gewerbetrei- benden abgegrenzt, indem seine Gewinnerzielungsabsicht relativiert wird. Dies ist so zu verstehen, dass die eigenen wirtschaftlichen Inter- essen zurückgestellt werden (sol- len). Jedenfalls soll ein übertriebe- nes Gewinnstreben verhindert wer- den. Sachlich spiegelt sich in dieser – durch Gebührenordnungen nor- mativ umgesetzten – Vorgabe ein Teil der besonderen Gemeinwohl- verantwortung der freien Berufe wider. So wird vor allem bei Rechts- anwälten, Notaren und Ärzten auch eine soziale Komponente ihrer Leis- tungsdarbietung bestimmt, das heißt, es wird der Zugang aller sozialer Schichten zu ihrer Dienstleistung gesichert. Das gemäßigte Gewinn- streben, das der Gesetzgeber den freien Berufen zum Teil auferlegt,

ist aber in erster Linie vor dem Hin- tergrund zu verstehen, dass Freibe- rufler in der Regel über vergleichs- weise hohe Grundeinkommen ver- fügen beziehungsweise verfügten.

Nur deshalb konnten sie sich eine fi- nanzielle Zurückhaltung ohne we- sentliche Einbußen der Existenz- sicherung und des Lebensstandards leisten. Heute sieht dies anders aus.

Anspruch auf Vertrauen in die freiberufliche Integration. In einer

„modernen“ Betrachtungsweise wird dies durch eine Betonung des Ver- braucherschutzes beziehungsweise im Fall der Heilberufe des Patien- tenschutzes im Berufsrecht zum Ausdruck gebracht.

Besondere Vertrauensbezie- hung und Berufsgeheimnis. Dieses Vertrauen führt zu einer besonderen Beziehung zwischen Mandant be- ziehungsweise Patient und Freibe- rufler, die durch das gesetzliche Be- rufsgeheimnis- und Aussageverwei- gerungsrecht praktisch anerkannt und vor einem staatlichen Informa- tionszugriff geschützt wird. Aller- dings ist zu beachten, dass diese Vorschriften nur einen Teil der frei- en Berufe erfassten.

Sporadisch hat der Bundesgesetz- geber das Recht einzelner freier Be- rufe korrigiert, wobei die Zahl der Ankündigungen deutlich größer war als die abgeschlossenen Gesetzge- bungsakte. Exemplarisch zu erwäh- nen sind die vielfältigen Eingriffe in die Selbstständigkeit der Heilberufe im Kontext von Gesundheitsrefor- men, die Eingriffe in die Vertrauens- beziehung zum Kunden im Kontext der gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche sowie Eingriffe in die Preisregulierung, zu- letzt bei den Anwälten.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu Begriff und Status der freien Berufe und ihrer Selbstver- waltung in seiner Facharztentschei- dung und seinen Entscheidungen zum Standesrecht der Rechtsanwäl- te grundlegend geäußert. Beide Ent- scheidungen haben dazu beigetra- gen, dass die gesetzlichen Grundla- gen des Rechts der freien Berufe verfassungskonform ausgestaltet und insoweit keinen grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt sind. Zudem wurde auf diesem Weg die demo-

EHRUNG EINES STIFTERS

An seinem 70. Geburtstag, dem 27. März 1957, errichtete der niedersächsische Arzt Dr. med. Ludwig Sievers die später nach ihm be- nannte „Stiftung zur För- derung der wissenschaftli- chen Forschung über Wesen und Bedeutung der freien Beru- fe“ in Hannover. Sie fördert seitdem

in einer Schriftenreihe Arbeiten auf dem Gebiet der freien Berufe, unterstützt junge Wissenschaftler, die in diesem Themenbereich tätig sind, und vergibt Fördermittel für Gut- achten.

Der Aufsatz „Chancen auch in der globalisierten Welt“

beruht auf dem Festvortrag von Prof. Dr. Winfried Kluth, den er anlässlich der Feierstunde zum 50. Jubliäum der Stiftung in Berlin gehalten hat (DÄ, Heft 14/2007).

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kratische Legitimation des Berufs- rechts verbessert. Insgesamt ging und geht es bei den Gerichten um die Durchsetzung rechtsstaatlicher und grundrechtlicher Standards, nicht um eine Infragestellung des Rechts der freien Berufe.

Weniger rücksichtsvoll, sondern vielmehr durch den Anspruch einer radikalen Deregulierung bestimmt ist die seit 2003 durch die General- direktion Wettbewerb der EU-Kom- mission im Rahmen des sogenann- ten Lissabon-Prozesses durchge- führte Deregulierungskampagne.

Ziel ist es, den Wettbewerb im Be- reich der Dienstleistungen im EU- Binnenmarkt deutlich zu verbes- sern. Dies soll durch einen spürba- ren Abbau der Regulierungen in den Mitgliedstaaten erreicht werden, die den Marktzugang (Qualifikation) und das Marktverhalten regeln.

Zu diesem Zweck hat die EU- Kommission eine Untersuchung der Regulierungsintensität für die meis- ten reglementierten freien Berufe in Auftrag gegeben, die lebhafte Kritik

provoziert hat. Die Kommission be- tont inzwischen zwar, dass es ihr nicht um die Abschaffung jeglicher Reglementierung, sondern um eine bessere und adäquatere Reglemen- tierung gehe. Im Zentrum der For- derungen steht aber durchweg der Verzicht auf Reglementierungen.

Dabei bezieht sich die Kommission vor allem auf Pilotprojekte, die in den Niederlanden und den skandi- navischen Ländern durchgeführt wurden und sich auf die Berufsfelder der Notare, Apotheker und Rechts- anwälte beziehen. Ein grundsätzli- ches Problem besteht dabei bereits darin, dass die Effekte dieser Pro- jekte sehr unterschiedlich beurteilt werden. Hinzu kommt, dass die Herangehensweise der Generaldi- rektion Wettbewerb nach wie vor zu undifferenziert am Preiswettbewerb orientiert ist. Dieser stellt aber nur eines von mehreren Beurteilungs- kriterien dar.

In ihren Forderungen nach Dere- gulierung noch übertroffen wird die Generaldirektion Wettbewerb in- zwischen durch die deutsche Mono- polkommission, die den freien Be- rufen in ihrem letzten Hauptgutach- ten ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Sie schlägt unter anderem die Verlagerung der Apothekerausbil- dung von den Universitäten an die Fachhochschulen vor – und begrün- det das damit, dies reiche für die Qualifizierung eines „gehobenen Verkäufers“ aus. Ähnlich weitrei- chende Forderungen findet man für andere freie Berufe. So wird etwa die weitgehende Öffnung des An- waltsmarkts für Bachelorabsolven- ten von Fachhochschulen und die Abschaffung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure ge- fordert.

Veränderungen sind aber nicht nur von außen ausgelöst worden.

Impulse gingen in den letzten Jah- ren auch immer wieder von den Be- rufsträgern selbst aus. Zunächst ist zu beobachten, dass viele Deregulie-

rungsforderungen kontrovers kom- mentiert werden. So werden Forde- rungen nach einer Zurücknahme der Preisregulierung und der Liberali- sierung der Werbung von vielen Be- rufsträgern und einzelnen Berufs- verbänden unterstützt. Dabei spielt die subjektive Einschätzung der Vor- und Nachteile und damit der ei- genen Leistungsfähigkeit im Wett- bewerb eine zentrale Rolle.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass nicht wenige Freiberufler einen erheblichen Teil ihres Umsatzes im gewerblichen Bereich und damit außerhalb der durch das Berufsrecht erfassten Vorbehaltsaufgaben reali- sieren. Damit verbunden ist eine stärkere „gewerbliche“ Ausrich- tung, die sich auch im Wettbewerb mit rein gewerblich tätigen Berufen niederschlägt und ein rechtliches Sonderregime fragwürdig werden lässt. Beispiele sind der Zahnarzt, der ein Zahntechniklabor betreibt,

der Steuerberater, Rechtsanwalt oder Notar, der Unternehmen berät, oder der Arzt, der als Gesundheitsmana- ger arbeitet. Berufsbilder und Be- rufsrecht verschwimmen auf diese Art und Weise. Hinzu kommt, dass der Anteil abhängig Beschäftigter steigt. All dies trägt zur Erosion des klassischen Leitbilds bei.

Zu erwähnen sind schließlich noch veränderte Erwartungen an die Berufstätigkeit. So wird das Risiko der Selbstständigkeit durch die Gründung von Kapitalgesellschaf- ten reduziert. Teilzeitberufstätigkeit nimmt zu, vor allem dort, wo der Frauenanteil steigt und es um die Vereinbarkeit von Beruf und Fami- lie geht (Ärzte/Zahnärzte). Diese Veränderungen sind in ihren Konse- quenzen für das Berufsrecht noch zu wenig aufgearbeitet.

Verändert haben sich aber auch die Dienstleistungsmärkte selbst.

Anzutreffen sind weltweit neue Konkurrenzlagen und Anforderun- gen. Die neuen Konkurrenten unter- liegen oft anderen berufsrechtlichen Anforderungen, die von den deut- schen Berufsträgern häufig als vor- teilhaft und damit für sie selbst als nachteilig empfunden werden. Das gilt vor allem im Hinblick auf die Kosten vor dem Hintergrund un- terschiedlicher Preisregulierungen.

Auch veränderte Kundenwünsche beeinflussen das Verhalten von Frei- beruflern. Wenn Dienstleistungen aus einer Hand gewünscht werden, ist das ein Motiv für neue Formen der interprofessionellen Zusammen- arbeit, und zwar nicht nur mit ande- ren Freiberuflern. Allerdings treten hier besondere berufsrechtliche Pro- bleme auf.

Der Gestaltungsfreiheit bei der Bestimmung der Organisationsfor- men kommt schließlich zunehmend auch unter dem Blickwinkel von Kapital Bedeutung zu. Was sich bei den Krankenhausträgern bereits weit entwickelt hat und sich bei den Apothekern durch das Phänomen DocMorris andeutet, kann auch in anderen Bereichen bald an Bedeu- tung gewinnen, etwa für die Finan- zierung von Ärztehäusern mit auf- wendigen technischen Einrichtun- gen. Das alles hat Folgen für die Rechtsform der Berufsausübung,

Die neuen Konkurrenten unterliegen oft anderen berufs- rechtlichen Anforderungen, die von deutschen

Berufsträgern häufig als vorteilhaft empfunden werden.

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die Berufsorganisationen und das Berufsbild, bei dem eine weitere Zunahme des Einflusses wirtschaft- licher Interessen zu verzeichnen ist.

Angesichts all dieser Herausfor- derungen sowie der grundsätzlichen Kritik stellt sich die Frage, ob es möglich und sinnvoll ist, am Leit- bild des freien Berufs festzuhalten.

So kann zum Beispiel die wirt- schaftliche und rechtliche Selbst- ständigkeit als bestimmendes Merk- mal durch den Hinweis auf ange- stellte Ärzte, Apotheker und Rechts- anwälte infrage gestellt werden. Ei- ne gesetzlich geschützte, besondere Vertrauensbeziehung ist nicht be- stimmend bei Ingenieuren und Ar- chitekten, auch nicht bei Apothekern.

Von einem gemäßigten Gewinn- streben kann jedenfalls in Bezug auf Spitzenverdiener unter Ärzten, Rechtsanwälten und Architekten nicht die Rede sein.

Zugestehen muss man, dass bei den einzelnen freien Berufen bezie- hungsweise ihren verschiedenen Formen (selbstständig – nicht selbst- ständig et cetera) die einzelnen Be- schreibungsmerkmale in ganz un- terschiedlicher Intensität auftreten.

Bei einem angestellten Arzt sind sie anders ausgeprägt als bei einem selbstständigen Architekten. Für ei- ne gemeinsame Strategie wäre die Herausarbeitung eines auf wenige Merkmale beschränkten Leitbilds unerlässlich, da nur ein solches auch vermittelbar ist. Dafür müssten die bislang verwendeten Merkmale ei- ner kritischen Würdigung unterzo-

gen werden. Folgende drei Merk- male gehören wohl zum unverzicht- baren Kernleitbild des freien Be- rufs:

die hohen Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung, wobei die universitäre Ausbildung weiter- hin den Regelfall bilden sollte

die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung beziehungs- weise die strikte Beschränkung der Delegationsmöglichkeiten an gerin- ger Qualifizierte sowie die Unab- hängigkeit bei der Leistungserbrin- gung

die Beschränkung der Organi- sationsformen der beruflichen Be- tätigung in der Art und Weise, dass bei der Nutzung von Kapitalgesell- schaften die Gesellschaftsstellung auf Berufsträger begrenzt ist. Dies wirkt sich auch auf die Mitglied- schaft und Mitwirkung in den Be- rufskammern aus, die für das Be- rufsrecht und Berufsethos (mit-) verantwortlich sind.

Einem Aspekt der Freiberuflich- keit wird zudem noch zu wenig Auf- merksamkeit geschenkt. Gemeint sind die sozialen und kulturellen Wirkungen, die von der Freiberuf- lichkeit herkömmlichen Typs aus- gehen. Klar abgegrenzte Berufs- gruppen mit gemeinsamer sozialer Verfassung bilden die Grundlage für die Entwicklung eines Berufsethos, das die Einhaltung ethischer Stan- dards garantiert. Die damit verbun- dene Selbststeuerung wird im Zuge der Globalisierung und der damit verbundenen Steuerungsverluste

von staatlichem Recht immer wich- tiger. Der Soziologe Ralf Dahren- dorf hat darauf hingewiesen, dass die Stabilität der (globalisierten) Gesellschaft auf neue Ligaturen an- gewiesen ist, also verbindliche Ori- entierungen, die Vertrauen schaffen und dadurch dauerhaften Freiheits- gebrauch erst ermöglichen. Deshalb muss die Rolle der Berufsorganisa- tionen und des Berufsrechts in die- sem Bereich gepflegt und verteidigt werden. Das allgemeine Wettbe- werbsrecht reicht nicht aus, um eine solche Leistung zu erbringen.

Noch weniger betrachtet wird die soziale und ökonomische Kompo- nente der Freiberuflichkeit. Freibe- rufler sind regional beziehungswei- se lokal orientierte, kleine und mit- telständische Unternehmer, denen unter anderem eine große Bedeu- tung als örtliche und regionale Inves- toren und Sponsoren zukommt. Sie tragen damit im Sinne von Artikel 16 EG-Vertrag zum regionalen und sozialen Zusammenhalt bei. Diese spezifischen Leistungen fallen weg, wenn zum Beispiel aus Einzelapo- theken Dependancen von Ketten und aus selbstständigen Ärzten An- gestellte eines staatlichen oder pri- vaten Gesundheitszentrums werden.

Globalisierte Gesellschaft:

Freiberufler als Stabilisatoren Hinzu kommt, dass die mittelständi- sche Struktur der freien Berufe eine langfristige strukturelle Sicherung des Leistungswettbewerbs ermög- licht. Denn sie verhindert, dass sich wettbewerbsfeindliche Oligopole durch fremdkapitalfinanzierte Ket- ten bilden. Auch aus wettbewerbs- politischer Perspektive sprechen deshalb gute und überlegene Grün- de für das Modell der Freiberuflich- keit, sodass selbst die Berufung auf Wettbewerb und Ökonomie keinen zwingenden Einwand gegen die Beibehaltung eines modifizierten Leitbilds des freien Berufs begrün- den kann.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2007; 104(48): A 3314–7

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. jur. Winfried Kluth

Institut für Marktordnungs- und Berufsrecht e.V.

c/o Lehrstuhl für Öffentliches Recht Universitätsplatz 10 a, 06099 Halle (Saale) Als eine bessere

Verkäuferin gilt manchen mittlerwei- le die Apothekerin.

Deshalb wird die zu- nehmende Zahl von Versandapotheken begrüßt. Andere meinen: Nichts geht über eine Freiberuf- lerin, die persönlich eine Patientin über Nebenwirkungen ei- nes Medikaments berät und Einnahme- empfehlungen gibt.

Foto:vario images

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