Hackethal führt Prostata-Kranke in die Irre
Köln, dpa/fwt — Gesundheitspoli- tisch und ärztlich verantwor- tungsloses Handeln hat einer der führenden deutschen Urologen, Prof. Carl Erich Alken (Köln), dem Chirurgen Prof. Julius Hackethal (Lauenburg) vorgeworfen. Alken beschuldigt den Autor des um- strittenen Buches „Auf Messers Schneide", in seinem neuesten Werk „Nachoperation" Tausende von Kranken durch falsche und irreführende Darstellung der Pro- stata-Leiden verunsichert zu ha- ben. Hackethal verbaue damit diesen Patienten die Möglichkeit der Heilung.
Nach Ansicht von Alken häufen sich in dem Kapitel über Vorste- herdrüsenkrebs, das in einer illu- strierten Zeitschrift vorveröffent- licht wurde, fehlerhafte Angaben.
Bereits das anatomische Schema der Vorsteherdrüse sei völlig un- zutreffend. Entgegen Hackethals Darstellung, so erklärte Alken ge- genüber dem dpa-Wissen- schaftsdienst, sei der Prostata- Krebs kein deutsches, sondern ein internationales Problem. Es stehe an dritter Stelle der Krebs- krankheiten des Mannes. Wäh- rend laut Hackethal der Prostata- Krebs im Vergleich zu anderen Krebsarten „ausgesprochen harmlos und gutartig verläuft", sei dieser in vier verschiedenen Formen auftretende Krebs viel- mehr besonders bösartig.
Die Diagnose Krebs könne entge- gen Hackethal an keinem Organ mit dem Finger gestellt werden, kritisiert der Urologe. Die von Hackethal angegriffene Nadel- biopsie zur Entnahme einer Ge- webeprobe sei international die einfachste und schonendste Me- thode, einen Krebs festzustellen.
Die einzige Behandlungsform, um einen Patienten mit fortge- schrittenem Prostatakrebs und Metastasen schmerzfrei zu ma- chen und sein Leben um fünf bis zehn Jahre zu verlängern, seien weibliche Hormone und Kastra- tion. Hackethal bezeichnet diese Therapie als „Bankrotterklärung der modernen Medizin". Profes- sor Huggins/USA hat für diese Entdeckung den Nobelpreis er- halten.
Die moderne Hochvoltbestrah- lung, mit der ohne Strahlenschä- digung bestimmte Formen dieses Krebses sogar heilbar seien, er- wähne Hackethal in seinem Buch überhaupt nicht. Der Chirurg schreibt in der „Nachoperation", bisher fehle „jede brauchbare Therapie". „Deshalb gibt es nach meiner Ansicht auch keinen ver- nünftigen Grund für einen Mann, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen". Nach Überzeugung von Alken kann der Arzt jedoch nur durch die Vorsorgeuntersuchung in der noch beschwerdefreien Zeit die Frühstadien des Prosta- ta-Krebses erfassen. (Deutsche Presse-Agentur/fwt, 15. Juni 1977).
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Unter aller Kritik: Hackethals „Nachoperation"
im ersten Jahr nach Beginn der Östrogenbehandlung beobachteten Herz- und Kreislaufkomplikationen ausschließlich nach einer Dosis von 5 mg Diäthylstilböstrol (DES) pro Tag auftraten und nicht mehr nach- zuweisen waren, wenn die Östro- gendosis auf ein Fünftel, das heißt 1 mg DES pro Tag, bei onkologisch gleicher Wirkung, herabgesetzt wurde. Bereits Huggins war vor mehr als 30 Jahren bekannt, daß
1 mg DES pro Tag eine onkologisch wirksame Dosis beim Prostatakarzi- nom ist.
Damit haben sich die aus der Studie gezogenen Schlußfolgerungen be- züglich der Nebenwirkungen auf Herz und Kreislauf als falsch erwie- sen und letztlich auf ein einfaches Dosisproblem reduziert; denn die Komplikationen sind lediglich als Folge einer überhöhten Hormonzu-
fuhr anzusehen. Klinische Untersu- chungen haben außerdem gezeigt, daß nach Gabe von natürlichen Östrogenen die zu kardiovaskulä- ren Komplikationen disponierenden Blutfette (Triglyzeride und Choleste- rin) nicht ansteigen.
Auch die Autoren der ersten ameri- kanischen Studie, die bereits 1960 begonnen wurde, verlangen zur Si- cherung der Diagnose eines Prosta- takarzinoms die histologische Un- tersuchung durch Biopsie, die kei- neswegs zur Krebszellaussaat führt, wie die Erfahrungen seit dieser Zeit mit der Nadel- oder Stanzbiopsie er- geben haben. Durch diese diagno- stische Maßnahme werden Fehl- diagnosen vermieden, ohne daß der
„Countdown" für die letzte Phase der Krebskrankheit ausgelöst wird, wie Hackethal meint.
Die Unterlassung der histologischen Sicherung der Diagnose durch Biopsie — wichtig auch für Behand- lungsart und Beurteilung des Be- handlungserfolges — ist heute ein Kunstfehler!
Selbst ein erfahrener Urologe kann — leider — niemals mit „100prozenti- ger Sicherheit" allein durch die rek- tale Palpation die Differentialdia- gnose zwischen einem Karzinom in einem frühen Stadium und entzünd- lichen Veränderungen stellen, wenn auch in 50 Prozent der Fälle eines isolierten umschriebenen, steinhar- ten, kleinen Knotens in einem Lap- pen der Prostata ein Karzinom vor- liegt (Jewett).
Hinsichtlich der Früherkennung des Prostatakarzinoms sei an dieser Stelle nur auf die Ausführungen von Professor Carl Erich Alken in dieser Zeitschrift (Heft 9/1976, Seite 571) hingewiesen.
Seit 1972 besteht am Pathologi- schen Institut der Universität des Saarlandes in Homburg (Direktor:
Professor Dr. med. Georg Dhom) ein zentrales Prostatakarzinomregister für Deutschland, in dem bisher mehr als 10 000 Prostatakarzinome histo- logisch untersucht und klassifiziert sowie zum Teil bereits hinsichtlich
1952 Heft 31 vom 4. August 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT