• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Erforschung von Nutzen und Risiken zugelassener Arzneimittel: Eine ärztliche Aufgabe" (23.04.1993)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Erforschung von Nutzen und Risiken zugelassener Arzneimittel: Eine ärztliche Aufgabe" (23.04.1993)"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

AKTUELLE MEDIZIN

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Erforschung

von Nutzen und Risiken

zugelassener Arzneimittel:

Eine ärztliche Aufgabe

Helmut Schäfer', Norbert Victor', Jörg Michaelis 2

'Die Zulassung

ist nicht der Abschluß der Forschung zu ,einem Arzneimittel

Um ein Fertigarzneimittel in Verkehr bringen zu können, benötigt der Arzneimittelhersteller eine vom Bundesgesundheitsamt oder (bei Se- ren und Impfstoffen) vom Paul-Ehr- lich-Institut erteilte Zulassung. Das deutsche Arzneimittelgesetz (1) for- dert den Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arznei- mittels als Voraussetzung für die Zu- lassung. Was unter diesem Nachweis zu verstehen ist, bleibt dabei nicht dem Hersteller überlassen, sondern wird in den sogenannten Arzneimit- telprüfrichtlinien (2) nach Art und Umfang ausgeführt. In einem weite- ren Richtlinienpapier, den Grund- sätzen für die ordnungsgemäße Durchführung der klinischen Prü- fung von Arzneimitteln (3), sind die methodischen und biometrischen Grundprinzipien für die geforderten klinischen Prüfungen festgelegt. Auf EG-Ebene gibt es inzwischen ähnli- che Bestimmungen, die für die Mit- gliedsstaaten verbindlich sind (4).

Trotz dieser hohen gesetzlichen Anforderungen und des erreichten wissenschaftlichen Standards kann die Arzneimittelprüfung vor der Zu- lassung weder die absolute Sicher- heit eines Arzneimittels gewährlei- sten noch alle seine Wirkungen und alle Gesichtspunkte seiner Wirksam- keit erfassen. Die Zulassung ist ein

Die klinische Prüfung von Arznei- mitteln vor der Zulassung hat ei- nen hohen wissenschaftlichen Standard erreicht. Sie kann den- noch wichtige Fragen zur Wirk- samkeit und zu Risiken eines Arz- neimittels nicht abschließend be- antworten. Eine kontinuierliche Fortführung der Arzneimittelfor- schung nach der Zulassung mit hoher wissenschaftlicher Quali- tät ist daher eine unabdingbare Voraussetzung für eine sichere Arzneimitteltherapie. Der For-

schungsbedarf ist viel breiter als gemeinhin angenommen und er- fordert breitere Aktivitäten als bis- her und vielfältige Forschungsme- thoden. Die Ärzteschaft sollte durch aktive Mitgestaltung dieses Forschungsbereiches zur notwen- digen Verbesserung der Arznei- mittelforschung nach der Zulas- sung in Deutschland beitragen.

juristisch definierter und letztlich aufgrund einer gesellschaftlichen Konvention festgelegter Zeitpunkt, an dem die Kenntnisse über Wirk- samkeit und Risiken des Arzneimit- tels durchaus noch unvollständig sind. Damit soll keineswegs in Zwei- fel gezogen werden, daß Zulassungs- voraussetzungen und Zulassungs- zeitpunkt, wie sie sich etwa aus dem deutschen Arzneimittelrecht erge- ben, sinnvoll und auch wissenschaft-

Abteilung Medizinische Biometrie der Universität Heidelberg (Direktor: Professor Dr. rer. nat. Norbert Victor)

2 Institut für Medizinische Statistik und Do- kumentation der Universität Mainz (Direktor:

Professor Dr. med. Jörg Michaelis)

lich begründet sind. Jedoch darf der staatliche Stempel der Zulassung nicht als Garantie für ein vollständig erforschtes und absolut sicheres Arz- neimittel mißverstanden werden.

Die weitere klinische Erforschung des Arzneimittels nach der Zulas- sung muß sichergestellt sein.

Warum noch

Arzneimittelforschung nach der Zulassung?

Seltene, aber schwere Risiken können vor der Zulassung nicht mit ausreichender Sicherheit er- kannt werden.

Wichtigstes Ziel der Arzneimit- telforschung nach der Zulassung ist die Entdeckung seltener, aber schwerwiegender Arzneimittelrisi- ken. Verursacht zum Beispiel ein neuentwickeltes Schmerzmittel in ei- nem von 100 000 behandelten Fällen eine Agranulozytose (Inzidenz = 1:100 000), oder induziert ein Anti- rheumatikum in einem von 1 000 000 behandelten Patienten ein Lyell- Syndrom, so sind derlei Nebenwir- kungen ohne Frage als selten zu be- zeichnen. Dennoch ist wegen der Schwere der Nebenwirkungen ein solches Risiko bei der einzelnen Verordnung eines Arzneimittels nicht zu vernachlässigen, zumal in ei- nem Bereich, in dem zahlreiche Al- ternativen zur Verfügung stehen.

Ein Risiko dieser Größenordnung kann aber im Rahmen der klinischen Prüfung vor der Zulassung nicht mit hinreichender Sicherheit entdeckt und daher durch die klinische Prü- fung auch nicht ausgeschlossen wer- den. Um mit einer Sicherheit von 95 Prozent auch nur einen einzigen Fall A1-1178 (38) Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993

(2)

einer so seltenen Nebenwirkung (1:100 000) zu beobachten und damit einen Hinweis auf das bestehende Risiko zu erhalten, müßte man nach einer einfachen statistischen Berech- nung mindestens 300 000 Patienten mit dem Arzneimittel behandeln.

Bei einer Inzidenz von 1:1 000 000 wären es 3 000 000 Patienten. In der Praxis umfaßt die klinische Prüfung vor der Zulassung höchstens einmal wenige tausend Patienten. Nichts be- gründet eindrucksvoller die Notwen- digkeit von Arzneimittelforschung nach der Zulassung. Zu dem geschil- derten Problem der Risikoentdek- kung kommen dann weiterführende Fragen nach der Bestätigung, Quan- tifizierung und Differenzierung des vermuteten Risikos hinzu.

Die Wirksamkeit muß nach der Zulassung unter Praxisbedin- gungen anhand klinisch relevan- ter Kriterien überprüft werden.

Es ist zudem eine verbreitete, aber zu enge Auffassung, Arzneimit- telforschung nach der Zulassung könne sich auf die Risikoproblema- tik beschränken. Auch die Wirksam- keit eines Arzneimittels wird in der begrenzten Zeit vor der Zulassung in der Regel nicht abschließend unter- sucht werden können. Vor kurzem ist eine Studie durch die medizini- sche Literatur gegangen, die dies wieder einmal eindrucksvoll illu- striert: die CAST-Studie (7) zur Be- handlung von Herzrhythmusstörun- gen. Die „günstige" Beeinflussung von ventrikulären Extrasystolen oder Salven im Langzeit-EKG durch An- tiarrhythmika ist durch klinische Stu- dien zweifelsfrei belegt. Auf dem, Nachweis solcher Wirkungen (elek- trophysiologische Parameter) basiert denn auch die Zulassung dieser Sub- stanzen. Die nach der Zulassung durchgeführte CAST-Studie, eine Langzeitstudie mit der Letalität als Zielkriterium, hat aber erneut ge- zeigt, daß elektrophysiologische, la- borchemische oder ähnliche Para- meter häufig als Surrogatkriterien anzusehen sind, die nicht den siche- ren Schluß auf einen therapeuti- schen Nutzen erlauben: In dieser Studie starben in zwei Behandlungs- gruppen jeweils signifikant mehr Pa- tienten als in der Placebogruppe.

Zumindest bei einem Teil der Pa- tienten können die betreffenden Substanzen unter Dauerbehandlung also einen schädigenden Effekt ha- ben — an dieser Aussage besteht trotz aller Vorsicht bei der Ergebnisinter- pretation kein Zweifel.

Der Nachweis einer günstigen Beeinflussung eines „Risikoparame- ters", oft Grundlage einer Arznei- mittelzulassung, kann also nur als ei- ne vorläufige Aussage über die Wirk- samkeit eines Präparats verstanden werden. Die Frage des unmittelba- ren therapeutischen Nutzens für den Patienten muß in solchen Fällen nach der Zulassung genauer abge- klärt werden. Auch in anderen Indi- kationsgebieten werden bei der Arz- neimittelzulassung Surrogatkriterien anstelle der eigentlich relevanten Wirksamkeitsparameter verwendet.

Weitere typische Beispiele sind die Wiedereröffnungsrate der Koronar- gefäße bei Lysetherapie (anstelle der Letalität oder Reinfarktrate) oder die Messung der HbA1-Konzentrati- on unter Behandlung mit Antidiabe- tika (anstelle der Häufigkeit diabe- tischer Spätfolgen).

Das Spektrum der Fragen, die es nach der Arzneimittelzulassung noch zu untersuchen oder zu vertiefen gilt, ist viel breiter als gemeinhin angenommen.

Weitere Limitierungen der klini- schen Prüfung vor der Zulassung und der daraus resultierende For- schungsbedarf nach der Zulassung können hier nur angerissen werden.

Risikopatienten und spezielle Indi- kations- und Kontraindikationsgrup- pen, wie zum Beispiel Nierenkranke, Schwangere, alte Patienten usw., sind oft ausgeschlossen. Selbst Fra- gen der Pharmakokinetik, die typi- scherweise in frühen Prüfphasen (Phase I) geklärt werden, bleiben für solche speziellen Patientengruppen häufig zunächst offen. Der gesetzli- che Wirksamkeitsnachweis beinhal- tet nur den Vergleich mit einem Pla- cebo. In vielen Fällen fehlt der Ver- gleich mit anderen medikamentösen und nichtmedikamentösen Thera- pien. Langzeiteffekte wie Wirkverlu- ste usw. werden nicht ausreichend erfaßt. Für den praktischen Einsatz sind differenzierte Aussagen wie die

Charakterisierung von Non-Respon- dem oder die Beschreibung von Pa- tienten, die besonders von einem Arzneimittel profitieren, von großer Bedeutung. Solche Aussagen können aufgrund der klinischen Prüfung vor der Zulassung jedoch kaum getroffen werden. Sie definieren weitere wichti- ge Themen der Arzneimittelfor- schung nach der Zulassung, ebenso die Fragen nach Akzeptanz und Com- pliance. Aus der praktischen Anwen- dung eines Arzneimittels können sich auch Hinweise für eine notwendige Modifikation der Dosis oder des Do- sierungsschemas ergeben.

Arzneimittelforschung nach der Zulassung dient letztlich der Einord- nung eines Arzneimittels in das The- rapiespektrum, welches im jeweili- gen Indikationsgebiet verfügbar ist, und einer objektiv begründeten Nut- zen-Risiko-Abwägung bei seiner An- wendung in jedem einzelnen Anwen- dungsfall.

Arzneimittelforschung nach der Zulassung kann auch zur Ent- deckung neuer Anwendungsge- biete oder neuer Wirkmechanis- men bekannter Arzneisubstan- zen führen.

Das bekannteste Beispiel ist die Entdeckung der thrombozytenaggre- gationshemmenden Wirkung der als Analgetikum und Antiphlogistikum eingeführten Azetylsalizylsäure. Sul- finpyrazon, zunächst als Urikosuri- kum eingesetzt, hat einen aktiven Metaboliten, der ebenfalls die Thrombozytenaggregation hemmt.

Bromocriptin hatte als Prolaktinsyn- thesehemmer sein Anwendungsfeld zuerst in der Endokrinologie bei Hy- pophysentumoren. Nachdem es sich zusätzlich als Dopamin-Antagonist herausgestellt hat, findet es auch in der Neurologie zur Behandlung des Morbus Parkinson Anwendung. Die als Antihypertensiva bekannten ACE-Hemmer vermindern nach neueren Forschungsergebnissen die Dicke von Gefäßwänden und werden nun auch zur Prophylaxe der Angina pectoris verwendet. Carbamazepin wurde als Antiepileptikum einge- führt, inzwischen hat sich herausge- stellt, daß es auch antidepressiv wirkt. Natürlich sind neue Indikati- onsgebiete einer bekannten Arznei- Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993 (41) A1-1181

(3)

substanz durch klinische Prüfungen zu belegen und bedürfen einer ge- trennten Zulassung.

Gründe für eine aktive Beteiligung

der Ärzteschaft an der Arzneimittelforschung nach der Zulassung

Forschungsergebnisse aus der ärztlichen Praxis kommen dem einzelnen Patienten zugute.

Anders als die Anwendung eines Arzneimittels im Rahmen der klini- schen Prüfung dient die Verordnung nach der Zulassung nicht primär der Erkenntnisgewinnung, sondern der Therapie des jeweiligen Patienten.

Jede Anwendung eines Arzneimit- tels im Rahmen der regulären Pa- tientenversorgung bietet jedoch ne- ben dem Primärziel der Behandlung des Patienten auch Erkenntnismög- lichkeiten, und diese Erkenntnis- möglichkeiten gilt es bestmöglich auszuschöpfen. Dabei geht es nicht um zweckfreie Forschung im Interes- se irgendeines höheren praxisfernen Begriffs von Arzneimittelsicherheit, sondern darum, aus der ärztlichen Praxis Erkenntnisse zu gewinnen, die bei der Therapieentscheidung für den individuell zu behandelnden Pa- tienten wieder anwendbar sind und somit dessen Sicherheit zugute kom- men.

Systematische Sammlung und Auswertung der ärztlichen Er- fahrung

In gewisser (subjektiver) Weise wird der Arzt ohnehin die von ihm persönlich gesammelten Erfahrun- gen mit einem Arzneimittel bei jeder neuen Verordnung berücksichtigen.

Der Erkenntnisgewinn kann jedoch beträchtlich erhöht werden, wenn dies nach wissenschaftlichen Kriteri- en systematisch erfolgt, wenn die Daten von vielen Ärzten gesammelt und wenn sie wissenschaftlich ausge- wertet werden. Arzneimittelfor- schung nach der Zulassung beruht letztlich auf der systematischen Sammlung und Auswertung der Er- fahrung der verschreibenden Ärzte mit dem zugelassenen Arzneimittel.

Unsere obigen Beispiele zeigen, wie notwendig eine solche systema- tische Erfahrungssammlung und -auswertung ist. Nicht selten gehörte Ansichten wie: „Ich habe schon 250 Patienten mit dem neuen Schmerz- mittel behandelt und nie eine Agra- nulozytose gesehen", verlieren jegli- che objektive Bedeutung für die Si- cherheit des Arzneimittels, wenn man bedenkt, daß (siehe oben) min- destens 300 000 Behandlungfälle do- kumentiert werden müßten, um ein bestimmtes Risiko auszuschließen — ein Risiko, welches für den einzelnen Verordnungsfall durchaus relevant ist! Auch eine potentiell schädigende Wirkung einer Arzneisubstanz, wie sie in der zitierten CAST-Studie ge- funden wurde, kann nur an hinrei- chend großen Patientenzahlen und mittels spezieller Studienansätze er- kannt werden, die in besonderem Maße die Vergleichbarkeit zweier Behandlungsgruppen gewährleisten.

Im Falle der CAST-Studie bestand dieser Ansatz in der zufälligen Zuteilung der Patienten zu den Vergleichstherapien (Randomisie- rung). Immerhin sind diese Substan- zen ja seit langem im Gebrauch, oh- ne daß im Routineeinsatz deutlich wurde, daß sie bei einem (kleinen!) Teil der Patienten eine schädigende Wirkung haben. Hier ist die systema- tische Zusammenführung und wis- senschaftliche Auswertung der Er- fahrungen vieler Ärzte gefordert, um umfangreichere, differenziertere und präzisere Informationen zu er- halten.

Sorgfältige und systematische Beobachtung und Erfahrungssamm- lung trägt wesentlich zu einer siche- ren und wirksamen Arzneimittelbe- handlung bei, ohne daß für den in die Beobachtung eingeschlossenen Patienten irgendein Nachteil oder ein zusätzliches beobachtungsbe- dingtes Risiko entsteht (Konflikt zwischen Individual- und Sozial- ethik). Selbst wo Erkenntnisse nur durch besondere methodische An- sätze gewonnen werden können, er- scheint es im Licht von Ergebnissen wie etwa denjenigen der CAST-Stu- die als eine ethische Pflicht, solche Prüfungen durchzuführen, um zu- künftige Patienten vor Schaden zu bewahren.

Kenntnis von Arzneimittelrisi- ken und rationaler Umgang mit Arzneimittelrisiken vergrößert die Arzneimittelsicherheit.

Die wirksame, aber völlig risiko- lose Arzneisubstanz wird es nur aus- nahmsweise geben. Es hilft keinem Patienten, Arzneimittelrisiken zu ig- norieren oder zu verteufeln. Auch in der Entwicklung neuer und mögli- cherweise sichererer Wirksubstan- zen liegt nur eine begrenzte Mög- lichkeit zur Vergrößerung der Arz- neimittelsicherheit. Der sicheren Arzneimitteltherapie dient in erster Linie eine genaue und differenzierte Kenntnis der Arzneimittelrisiken und deren Beachtung bei jeder ein- zelnen Verordnung. „Eine möglichst genaue und differenzierte Kenntnis der Risiken trägt zur Arzneimittelsi- cherheit bei" (8). Solche Kenntnisse können aber nur aufgrund zuverläs- siger wissenschaftlicher Daten ge- wonnen werden.

Fehlen wissenschaftlich fundier- te Aussagen, so besteht darüber hin- aus die Gefahr, daß behördliche Entscheidungen, wie zum Beispiel Einschränkungen der Indikation ei- nes Arzneimittels, nicht rational ge- troffen werden. Zu oft hat sich in der Vergangenheit in nicht sachdienli- cher Weise der Einfluß der Medien oder spektakulärer Einzelfälle gel- tend gemacht. Solche Entscheidun- gen haben aber unmittelbare Aus- wirkungen darauf, welche Arznei- mittel dem Arzt für die Behandlung seiner Patienten zur Verfügung ste- hen. Auch die Einschränkung einer Arzneimittelzulassung oder die Marktrücknahme eines Arzneimit- tels kann ja ein Sicherheitsrisiko dar- stellen, sowohl direkt, weil damit ei- ne Behandlungsmöglichkeit wegfällt, als auch indirekt, weil andere Be- handlungen an die Stelle des betrof- fenen Arzneimittels treten. Dies können neuzugelassene Arzneimittel sein, zu deren Risiken möglicherwei- se noch wenig Erkenntnisse vorlie- gen. Entscheidungen, die die allge- meine Verfügbarkeit von Arzneimit- teln betreffen, bedürfen daher, na- türlich in Abhängigkeit von der Schwere des (vermuteten) Risikos, einer wissenschaftlichen Begrün- dung oder einer anschließenden wis- A1-1182 (42) Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993

(4)

senschaftlichen Überprüfung mit der Möglichkeit der Modifikation oder Revision.

Arzneimittelforschung nach der Zulassung ist ohne die engagier- te Mitarbeit der Ärzteschaft nicht im notwendigen Umfang und nicht mit der notwendigen Qualität durchführbar.

Die Mitwirkung der Ärzteschaft ist nicht nur deshalb erforderlich, weil allein die Ärzte den Zugang zu den Patienten haben. Aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen mit der Anwendung eines Arzneimittels sind sie auch in der Lage, die in der tägli- chen Praxis auftretenden Fragen zu stellen und so die Forschungsinhalte mitzubestimmen. Die Ärzteschaft ist unabhängig von ökonomischen In- teressen einzelner Hersteller und kann diese Position zugunsten einer objektiven Forschung zum Wohle des Patienten ausnutzen. Die einzelnen pharmazeutischen Hersteller können nicht allein die Verantwortung für die Arzneimittelforschung nach der Zu- lassung tragen. Viele Fragen stellen auf den Vergleich verschiedener Arz- neimittel im gleichen Indikationsge- biet ab, andere müssen wirkstoffbezo- gen, also arzneimittel- und herstelle- rübergreifend angegangen werden oder nichtmedikamentöse Behand- lungsalternativen einbeziehen. Der fi- nanzielle Aufwand für wichtige For- schungsaktivitäten, die im Interesse von (vielleicht wenigen) Patienten lie- gen, kann für den Hersteller eines Arzneimittels unökonomisch werden.

Arzneimittelforschung nach der Zu- lassung benötigt breitere Förderung und Beteiligung als bisher, worauf die Ärzteschaft nachdrücklich aufmerk- sam machen sollte.

Was kann

die

Ärzteschaft tun?

Meldegewohnheiten verbessern!

Das Rückgrat der Arzneimittel- sicherheit bilden die von der Arznei- mittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dem Bundesgesund- heitsamt und von vielen Herstellern betriebenen Register für Spontan- meldungen über Verdachtsfälle un-

erwünschter Arzneimittelwirkungen.

Diese Melderegister können ihre Funktion als Frühwarnsystem aber nur erfüllen, wenn jeder Arzt, der ein Arzneimittel verschreibt, sich der Bedeutung dieser Spontanmeldun- gen für die Arzneimittelsicherheit bewußt und entsprechend aufmerk- sam ist. Deutschland bildet zusam- men mit drei anderen Ländern das Schlußlicht, was die Meldehäufigkeit anbelangt (25 Meldungen je 1000 niedergelassene Ärzte, Griffin 1992 [5]). Bei unerwarteten Ereignissen im Verlaufe einer Krankheit sollte immer an die Möglichkeit eines Zu- sammenhangs mit einem Arzneimit- tel gedacht und, wenn dieser nicht mit absoluter Sicherheit auszuschlie- ßen ist, die Mühe einer Meldung nicht gescheut werden (Meldefor- mular bereithalten!). Sie dient der Arzneimittelsicherheit!

Über die Teilnahmezustimmung auf die wissenschaftliche Quali- tät von Arzneimittelstudien ein- wirken!

Bei dem teilweise beträchtlichen Aufwand der Arzneimittelhersteller für begleitende Forschung nach der Markteinführung eines Arzneimit- tels sind Fortschritte derzeit vor al- lem durch eine Verbesserung der wissenschaftlichen Qualität zu erzie- len. Die wissenschaftliche Qualität sogenannter Anwendungsbeobach- tungen kann zum Beispiel durch Vermischung mit Marketingzielen in Frage gestellt sein (Zitat aus einer Werbebroschüre: „Anwendungsbe- obachtungen sind gleichzeitig Ziel- gruppenbildung"). Anwendungsbe- obachtungen können wichtige Er- kenntnisse liefern, wenn grundlegen- de Anforderungen an die Planung, Durchführung und Auswertung be- achtet werden (9), die wichtigsten formalen Bedingungen werden nach- folgend aufgelistet. Verschiedene Arzneimittelhersteller bemühen sich inzwischen um eine Qualitätsverbes- serung. Die Ärzteschaft sollte dies unterstützen und durch eine for- schungsbewußte kritische Einstel- lung gegenüber Vorhaben, die an sie herangetragen werden, weitere An- reize in dieser Richtung setzen.

Der einzelne Arzt, der um Teil- nahme an einem Studienprojekt ge-

beten wird, hält einen wirksamen Hebel zur Verbesserung der Quali- tät der Arzneimittelforschung nach der Zulassung in der Hand: Er kann seine Teilnahmebereitschaft an Qua- litätsforderungen knüpfen. Eine aus Pharmakologen, Internisten und Biometrikern zusammengesetzte Ex- pertengruppe der Deutschen Gesell- schaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) hat kürzlich in einem Me- morandum (9) Qualitätskriterien für die Arzneimittelforschung nach der Zulassung veröffentlicht. Es kann nicht Aufgabe des um Teilnahme ge- betenen Arztes sein, ein Studienvor- haben im Detail zu überprüfen. Es gibt jedoch einige wichtige formale Bedingungen, die unter anderem si- cherstellen, daß der notwendige Sachverstand einfließt:

Wissenschaftliche Zielsetzung: Der Studie muß eine klar formulierte wissenschaftliche Fragestellung zu- grunde liegen. Eine pauschale For- mulierung wie „Dokumentation der Wirksamkeit und Verträglichkeit"

genügt nicht.

• Fachkompetenz: Die Studie muß durch kompetente Fachwissen- schaftler (zum Beispiel medizinisch- wissenschaftliche Abteilung des Her- stellers oder unabhängige wissen- schaftliche Einrichtungen wie Hoch- schulinstitute oder -kliniken) geleitet und betreut werden. Dabei muß vor allem medizinischer Sachverstand eingebracht werden. Die Planung solcher Studien — man denke etwa an das Problem der Auswahl eines opti- malen Studiendesigns —, die Siche- rung der Datenqualität und die Aus- wertung erfordern in der Regel aber auch die Beteiligung eines kompe- tenten Biometrikers, wie sie übrigens für die klinische Prüfung vor der Zu- lassung bereits vorgeschrieben ist (3 ).

Studienplan: Vor Beginn des Vor- habens muß ein detaillierter Studi- enplan vorliegen, in dem die wissen- schaftliche Zielsetzung und die Me- thodik festgelegt sind. Ein Vorschlag für den Mindestinhalt eines Studien- plans für die wichtigsten Studienfor- men findet sich in dem zitierten Me- morandum (9).

Veröffentlichungsgarantie: Die Er- gebnisse der Studie, auch negative, A1-1184 (44) Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993

(5)

müssen veröffentlicht werden, mög- lichst in wissenschaftlichen Fachzeit- schriften. Mindestens ist eine Veröf- fentlichung unter den betroffenen und insbesondere den an der Studie teilnehmenden Ärzten zu garantie- ren, damit die gewonnenen Erkennt- nisse bei der Behandlung zukünfti- ger Patienten angewendet werden können.

Schulung der Ärzte: Die teilneh- menden Ärzte müssen ausreichend in die Studie eingeführt werden.

Hierzu gehört eine Schulung in der Studiendokumentation.

Diese Forderungen sind leicht zu überprüfen. Hält eine Studie be- reits diesen formalen Kriterien nicht stand, so ist ihre Aussagefähigkeit von vornherein zweifelhaft und da- her eine Teilnahme zumindest unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht sinnvoll. Umgekehrt geht der Arzt, der seine Teilnahme zugesagt hat, auch die Verpflichtung zur re- gelmäßigen Untersuchung und pro- tokollgerechten Dokumentation der Befunde ein.

Beteiligung auch an wissen- schaftlich anspruchsvollen Vor- haben

Die Beteiligung niedergelasse- ner Ärzte an der Arzneimittelfor- schung nach der Zulassung be- schränkte sich bisher vor allem auf Spontanmeldungen über Verdachts- fälle von Arzneimittelnebenwirkun- gen oder auf die Teilnahme an soge- nannten Phase-IV-Studien oder Feldstudien, die von den Herstellern durchgeführt werden und für die seit der letzten Novellierung des Arznei- mittelgesetzes in Anlehnung an § 67 Abs. 6 die Bezeichnung Anwen- dungsbeobachtung gebraucht wird.

Die Vielfalt der angerissenen Frage- stellungen macht aber deutlich, daß darüber hinaus verstärkt auch ande- re Methoden eingesetzt werden müs- sen, so zum Beispiel pharmakoepide- miologische Studienformen wie die vergleichende Kohortenstudie und die Fall-Kontroll-Studie (vgl. den Beitrag von Letzel in diesem Heft).

Selbst die randomisierte Studie, die eine durch Zufallszuteilung ge- bildete und unter gleichen Bedin- gungen dokumentierte Vergleichs- gruppe (zum Beispiel Behandlung

mit einem anderen für die gleiche In- dikation zugelassenen Medikament) umfaßt und die daher eine hervorra- gende Aussagekraft besitzt, wird im klinischen Bereich inzwischen pra- xisnah und praxisrelevant eingesetzt, bei gleichzeitiger Minimierung des zusätzlichen Aufwandes für die Prüf- ärzte. Sie ist dabei in Größenord- nungen vorgestoßen, die ebenso Bei- träge zu der Frage erwarten lassen, welchen therapeutischen Nutzen ein Arzneimittel unter Praxisbedingun- gen hat, wie auch zur Untersuchung bestimmter Arzneimittelrisiken. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die ISIS-3-Studie (6) mit über 45 000 randomisierten Patienten aus 932 teilnehmenden Krankenhäusern in 16 Ländern zur Frage der Thrombo- lysebehandlung des akuten Myo- kardinfarkts. Bei gleicher Wirksam- keit der Fibrinolytika Streptokinase, tPA und APSAC, das heißt gleichen Überlebenskurven, wiesen in dieser Studie tPA und APSAC zum Bei- spiel ein signifikant höheres Risiko für zerebrale Blutungen und Schlag- anfälle auf als die (zudem billigere) Streptokinase — ohne Zweifel ein für die Klinik direkt bedeutendes und umsetzbares Ergebnis.

Solche methodisch hochwerti- gen Studien müssen kein For- schungsprivileg der Klinik sein. Für bestimmte Fragestellungen wären ähnliche Studienansätze durchaus auch im niedergelassenen Bereich durchführbar. Wo sich solche Studi- enansätze in Zukunft als praktikabel erweisen, sollten sie bei forschungs- bewußten Ärzten nicht auf geringe- re, sondern höhere Teilnahmebereit- schaft stoßen als methodisch weniger zuverlässige Ansätze.

Bei allen Forschungsprojekten sollte letztlich nicht die Wahl der Studienform im Vordergrund stehen („Wir wollen eine Anwendungsbeob- achtung mit dem neuen Präparat . . . durchführen"), sondern eine klar formulierte wissenschaftliche Frage- stellung, für die dann die adäquate Methode ausgewählt wird. Adäquat heißt dabei: die beste, am wenigsten fehleranfällige Studienform, die je- weils praktikabel ist. Dies erfordert die Beteiligung entsprechenden wis- senschaftlichen Sachverstandes an der Studienplanung.

Eigene Aktivitäten entfalten!

Mit einer „passiven" Einwirkung auf Projekte, die von außen an sie herangetragen werden, muß sich die Ärzteschaft jedoch nicht zufrieden- geben. Die Bedeutung der Arznei- mittelforschung für eine sichere Arz- neimittelbehandlung, die Auswir- kungen ihrer Ergebnisse auf ärztli- che Therapieentscheidungen und auf die Verfügbarkeit von Arznei- mitteln, die Möglichkeit des Arztes, aus seiner Erfahrung heraus die rele- vanten Fragen zu stellen, die not- wendige Objektivität und Qualität der Forschung — all das sind gewich- tige Gründe für die Ärzteschaft, auf dem vernachlässigten Gebiet der Forschung mit zugelassenen Arznei- mitteln verstärkt Eigeninitiative zu entwickeln. Dabei ist nicht nur an die Durchführung konkreter For- schungsprojekte, etwa in Zusam- menarbeit mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften, zu denken.

Durch Publikationen, Tagungen usw. sollte das Thema zunehmend ins Bewußtsein der Ärzte gebracht werden. Die Teilnahme eines Arztes an Forschungsprojekten muß als Er- füllung ärztlicher Aufgaben verstan- den und stärker als bisher honoriert werden. Um die notwendige wissen- schaftliche Qualität von Studien zu gewährleisten, wäre die Einführung eines „Gütezertifikats" denkbar, das durch ein von der Ärzteschaft einge- setztes Expertengremium vergeben würde. Der Initiator einer Studie, die von diesem Expertengremium gebilligt wurde, hätte dann Vorteile bei der Rekrutierung teilnehmender Arztpraxen oder Kliniken.

Fazit

Die klinische Erforschung eines Arzneimittels ist nicht mit der Zulas- sung abgeschlossen. Ein breites Spektrum von Fragen bleibt offen, welches den systematischen Einsatz einer ebenso breiten Palette wissen- schaftlicher Methoden erfordert.

Die kontinuierliche Fortführung der begleitenden Forschung zu einem Arzneimittel nach dessen Zulassung und die daraus resultierenden Kenntnisse über Wirkungen und Ri- siken sind unerläßliche Grundlage A1-1186 (46) Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993

(6)

für eine sichere Arzneimittelbehand- lung jedes einzelnen Patienten. Die Bedeutung dieser Forschung sollte insbesondere in Deutschland stärker realisiert, ihre Qualität und wo nötig auch ihr Umfang sollten verbessert werden.

Das Thema findet zur Zeit na- tional und international starke Be- achtung. Die EG hat einen Aktions- plan erarbeitet, wissenschaftliche Fachgesellschaften haben sich des Themas angenommen (vgl. das be- reits zitierte Memorandum [91), es wurde sogar eine internationale Fachgesellschaft für Pharmakoepi- demiologie gegründet. Zahlreiche Kongresse belegen die Aktualität und Bedeutung des Themas. Auch Arzneimittelhersteller sehen nun zu- nehmend die Vorteile einer praxis- orientierten, aber gleichzeitig quali- tativ hochwertigen begleitenden Arz- neimittelforschung nach der Zulas- sung. Zwei große Pharmafirmen ha- ben dies durch Gründung einer ge- meinsamen Stiftung zur Förderung von einschlägigen Modellprojekten unterstrichen.

Arzneimittelforschung nach der Zulassung kann nicht allein Aufgabe der Hersteller sein. Die Ärzteschaft als die am stärksten betroffene Be- rufsgruppe sollte selbst aktiv werden und diesen Forschungsbereich mit- gestalten. Die Ärzte können durch ihre Zustimmung zur Teilnahme an Projekten Qualitätsmaßstäbe durch- setzen. Sie können aus ihrer prakti- schen Erfahrung mit der Anwendung von Arzneimitteln heraus die praxis- relevanten Fragen stellen und ent- sprechende Forschungsprojekte in- itiieren. Die Ärzteschaft kann über- zeugend weitere Akzente setzen und auch private und öffentliche Mittel- geber auf die Wichtigkeit dieses For- schungsbereichs aufmerksam ma- chen. Nur durch eine aktive Beteili- gung der Ärzte kann die Arzneimit- telforschung nach der Zulassung in dem notwendigen Maße intensiviert und verbessert werden.

Dt. Ärztebl. 90 (1993) A 1 -1178-1189 [Heft 16]

Literatur

1. Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (1990). Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelge- setz); 4. Änderung, 11. April 1990.

2. Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (1989). Allgemeine Verwal- tungsvorschrift zur Anwendung der Arznei- mittelprüfrichtlinien. Vom 14. Dez. 1989.

Bundesanzeiger Nr. 243a.

3. Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (1987). Grundsätze für die ordnungsgemäße Durchführung der klini- schen Prüfung von Arzneimitteln. Vom 9.

Dez. 1987. Bundesanzeiger S. 16617.

4. CPMP Working Party on Efficacy of Medici- nal Products (1990). EG-Note for Guidance

„Good Clinical Practice for Trials on Medici- nal Products in the European Community"

(Verabschiedung: 11. 7. 1990, Wirksamwer- den: 1. 7. 1991)

5. Griffin, J. B.: The Comparison of Spontan- eous Adverse Reaction Reporting Systems and more Recently Developed Methods for Post-Marketing-Surveillance. In: Bethge, 1-1., Kiep, G. (Hrsg.): Post-Marketing-Surveill- ance (PMS) as a Tool for the Evalvation of Drug Experience. Demeter-Verlag 1992.

6. ISIS-3 (Third International Study of Infarct Survival Collaborative Group): A randomiz- ed comparison of streptokinase vs tissue plas- minogen activator vs anistreplase and of aspi- rin plus heparin vs aspirin alone among 41 299 cases of suspected acute myocardial in- farction. Lancet 1992; 339: 753-770.

7. The Cardiac Arrhythmia Suppression Trial (CAST) Investigators (1989). Preliminary Report: Effect of Encainide and Flecainide on Mortality in a Randomized Trial of Ar- rhythmia Suppression after Myocardial In- farction. The New England Journal of Medic- ine 321, 406-412.

8. Victor, N.: Nutzen-Risiko-Bewertung von Arzneimitteln. In: Arzneimittelsicherheit in der Praxis. Ausgabe 1991. Herausgeber:

Hoechst AG, Geschäftsbereich Pharma.

9. Victor, N., H. Schäfer, H. Nowak et al.: Arz- neimittelforschung nach der Zulassung. Be- standsaufnahme und Perspektiven. Erarbei- tet im Auftrag der Arbeitsgruppe „Therapeu- tische Forschung" der Deutschen Gesell- schaft für medizinische Dokumentation, In- formatik und Statistik e. V. (GMDS). Sprin- ger-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, 1991.

Adressen der Verfasser

Priv.-Doz.

Dr. rer. nat. Helmut Schäfer Prof. Dr. rer. nat. Norbert Victor Abteilung Medizinische Biometrie der Universität Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 305 W-6900 Heidelberg

Prof. Dr. med. Jörg Michaelis Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation

der Universität Mainz Langenbeckstraße 1 W-6500 Mainz 1

Alters- und

geschlechtsspezifische Normwerte der

Dickdarmtransitzeit bei Gesunden

Bei 128 gesunden Frauen und Männern im Alter zwischen 20 und 81 Jahren aus der Schweiz wurden mit röntgendichten Markern und ei- ner Röntgenaufnahme des Abdo- mens die alters- und geschlechtsspe- zifischen Normwerte der segmenta- len und totalen Dickdarmpassagezeit untersucht. Hierbei zeigte sich, daß die Dickdarmtransitzeit bei beiden Geschlechtern altersunabhängig war. Allerdings war die totale Kolon- transitzeit bei den Männern signifi- kant kürzer als bei den Frauen (30,3

± 2 Stunden versus 40,7 ± 4 Stun- den). Der Unterschied war durch ei- ne signifikante Verlangsamung der Passagegeschwindigkeit im linken Kolon bei den Fauen bedingt. Wäh- rend das Rauchen bei den Männern durch eine langsamere Passage im Rektosigmoid zu einer Verlängerung der Kolontransitzeit führte (40 ± 5 Stunden versus 26 ± 2 Stunden), hatte das Rauchen bei den Frauen keinen Einfluß auf die Passagedau- er. Auch die Phasen des Zyklus und das Klimakterium veränderten die Transitzeit nicht. Die Normwerte der totalen Kolontransitzeit rangie- ren in der Studie bei den rauchenden Männern zwischen 10 und 66 Stun- den und bei den Nichtrauchern zwi- schen 5 und 44 Stunden, während sie bei den Frauen generell zwischen 10 und 70 Stunden liegen. sch

Meier, R.; C. Beglinger; J. P. Dederding;

B. Meyer-Wyss; M. Fumagalli; A. Rowed- der; J. Turberg; R. Brignoli: Alters- und geschlechtsspezifische Normwerte der Dickdarmtransitzeit bei Gesunden.

Schweiz. med. Wschr.; 122 (1992) 940-943 Dr. R. Meier, Kantonsspital Liestal, CH-4410 Liestal

Dt. Ärztebl. 90, Heft 16, 23. April 1993 (49) A1-1189

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Europäische Akademie für ärztliche Fortbildung hat sich vorge- nommen, europaweit die Maßstäbe für eine kontinuierliche Fortbildung zu harmonisieren sowie ihre Rolle

Einem Ratgeber für die Nachsorge nach einer Kurmaßnahme für adipöse Kinder dürfen Anleitungen für Multiplikato- ren (Eltern) nicht fehlen.. Ratgeber bieten zumeist

Der Vorschlag, Ge- brauchsinformationen für Fachkreise an die entspre- chenden Ärzte immer dann zu verschicken, wenn sich der Text dieser Information geän- dert hat, ist

Es lohnt sich, diese ver- schiedenen Arztrollen zu überdenken, denn es wird langfristig weder dem Behandler noch dem Gemeinwesen und damit indirekt auch dem Patien- ten zugute

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in Deutschland die Berichte mehren, daß Patienten ihren Arzt nach den Leitlinien seiner Fachge- sellschaft fragen und

nes AA oder von Cisplatin dadurch erheblich zunimmt, daß eines der beiden Medikamente in ototoxischer Dosierung verabfolgt wird, eine hochgradige Niereninsuffizienz vor- liegt

Zur Be- wertung von Acetylsalicyl- säure muß, wie in Stock- holm ebenfalls durch eine Fall-Kontroll-Studie nach- gewiesen, von einem we- sentlich höheren Risiko für die

Eine solche Rege- lung sei auch so lange nicht nötig, wie die meisten Ange- hörigen von Verstorbenen in eine Organentnahme bei dem Toten