A 2336 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 47|
26. November 2010Das Leser-Forum
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FRÜHGEBORENE
Ab 2011 gelten Min- destmengen für die Versorgung im Kran- kenhaus (DÄ 41/
2010: „Frühgebore- nenversorgung: Es geht ums Überle- ben“ von Falk Osterloh).
Erleichtert
. . . Nach jahrelangem Ringen be- schloss der Ausschuss, die soge- nannte Mindestmenge als Voraus- setzung für die Behandlung von Frühgeborenen mit höchstem Risi- ko von zurzeit 14 auf 30 zu erhö- hen. Das bedeutet, dass ab 1. Januar 2011 Frühchen mit einem Geburts- gewicht von unter 1 250 Gramm nur noch in solchen Kliniken – den Perinatalzentren Level 1 – entbun- den und behandelt werden dürfen, in denen jährlich mindestens 30 dieser Kinder betreut werden. Diese Regelung bedeutet immer noch nicht das Optimum, aber als Dach- verband der Elternorganisationen frühgeborener Kinder in Deutsch- land sind wir erleichtert, dass nun endlich eine Entscheidung getroffen wurde, die quasi als sofort wirksa- me Maßnahme die Chancen unserer Kinder zu überleben und außerdem mit möglichst wenigen Beeinträch- tigungen zu überleben, deutlich ver- bessern wird.
Experten rechnen damit, dass der Beschluss mindestens 100 Kindern jährlich das Leben retten kann. Kri- tiker sagen dagegen, Mindestmen- gen vorzugeben sei eine „Rasenmä- hermethode“. Jetzt dürften auch diejenigen kleineren Kliniken, die jetzt schon gute Behandlungsquali- tät geboten hätten, nicht mehr kleinste Frühgeborene behandeln.
Besser sei es, über die Ergebnisqua-
lität zu steuern. Gerade deshalb hät- ten wir uns sehr gewünscht, wenn es auf freiwilliger Basis zu entspre- chenden Spezialisierungen und Netzwerkbildungen gekommen wä- re und haben dies auch immer wie- der gegenüber den Krankenhäusern angemahnt. Staatliche Reglementie- rungen wären dann überhaupt nicht nötig gewesen, denn Mindestmen- gen sind kein Selbstzweck und si- cher auch kein Allheilmittel.
Trotz jahrelanger Diskussion ist aber leider – bis auf wenige Aus- nahmen – eben gerade nichts ge- schehen. Deshalb war es für den G-BA nun an der Zeit, regelnd ein- zugreifen. Zeit gelassen hat er sich dazu lange genug. Deshalb ist es jetzt überhaupt nicht angebracht, über den Beschluss zu lamentieren.
Vielmehr ist es angebracht zu han- deln, um das Beste daraus zu ma- chen – das Beste für die betroffenen Kinder und ihre Familien wohlge- merkt. Es ist auch nicht damit ge- tan, sofort nach Ausnahmeregelun- gen zu rufen, wie es in einigen Bun- desländern schon der Fall ist. Und dass inzwischen einige Häuser be- reits gegen den G-BA-Beschluss gemeinsam Klage erhoben haben, demonstriert zwar deren Fähigkeit zur Kooperation, wenn auch nicht in der wünschenswerten Weise, löst aber bei mir blankes Entsetzen aus.
Machen Sie sich doch bitte einmal deutlich, dass wir auch nach Umset- zung dieses Beschlusses in Deutschland noch immer wesent- lich mehr Level-1-Zentren haben werden, als zum Beispiel in anderen europäischen Ländern, die uns in- zwischen auch noch bei der Säug- lingssterblichkeit den Rang abge- laufen haben. Mit einem absolut un- rühmlichen zwölften Platz der Rangliste von 22 kann sich nun wirklich niemand bei uns zufrieden
zurücklehnen. Hierzulande ist die Säuglingssterblichkeit zum Beispiel um ein Drittel höher als in Schwe- den. Leider machen gerade Frühge- borene unter 1 500 Gramm daran einen ganz erheblichen Anteil aus.
Sollte es nicht Aufgabe und Auftrag der ach so gepriesenen Hochleis- tungsmedizin im Lande sein, daran endlich etwas zu ändern . . .
Hans-Jürgen Wirthl, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands „Das frühgeborene Kind“ e.V., 60327 Frankfurt am Main
Worüber nicht gesprochen wird
. . . Es kann und darf letztendlich auf Dauer nicht mehr darum gehen, immer noch Frühergeborene am Le- ben zu erhalten, immer noch gerin- gere Geburtsgewichte „durchzu- bringen“ und dies dann alles noch stolz auf Kongressen zu präsentie- ren. Es wird nicht darüber gespro- chen, dass ein Großteil dieser Früh- chen mit bleibenden schwersten körperlichen Schäden wie Blind- heit, Taubheit, Spastik, ungenügen- der zerebraler Entwicklung usw.
geschlagen ist und dass hier auch keinerlei Behandlungsmöglichkei- ten existieren.
Es wird nicht darüber gesprochen, dass der ungeheure finanzielle, ma- terielle, zeitliche und pflegerische Aufwand, diese Frühchen am Le- ben zu erhalten, letztendlich nicht mehr vertretbar ist, wenn man sich klarmacht, dass das hier am Leben erhaltene Kind für immer schwer und schwerstgeschädigt sein wird und spätestens mit dem Ableben der Eltern (zumeist aber erheblich frü- her!) dann in ein mehr oder minder elendes Pflegedasein verwiesen wird . . .
Prof. Dr. med. Wolfgang Pförringer, 80333 München
Ü G O
A d V k 2 n g ben“von Falk Osterl