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Archiv "Frühgeborene" (06.08.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 31–32

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6. August 2012 517

M E D I Z I N

EDITORIAL

Frühgeborene: Kinderkliniken unter ökonomischem Druck

Klaus-Peter Zimmer

Editorial zu den Beiträgen: „Versor-

gung von Früh - geborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1 250 g – Risikoadjus- tierte Qualitätsverglei- che zur Validierung eines fallzahlbasierten

Steuerungsmodells“

von Kutschmann et al.

und „Risikoadjustierte Hirnblutungsraten bei sehr kleinen Frühge- borenen – Beitrag zur

interklinischen Quali- tätssicherung in der Neonatologie“ von Vogtmann et al. auf den folgenden Seiten

Aktuelle Studien zur Versorgungsqualität

Vor diesem Hintergrund sind die beiden Studien zu se- hen, die in dieser Ausgabe des Ärzteblattes erscheinen:

Die Studie von Kutschmann et al. (4) ergibt ein höheres Sterberisiko bei Kliniken mit jährlicher Fallzahl < 30, aber auch eine große Variabilität dieses Faktors in Kli- niken mit höherer Fallzahl, die die Autoren auf andere Parameter als die Zahl der behandelten Fälle zurück- führen. Vogtmann et al. (5) untersuchten risikoadjus- tiert die Inzidenzrate und zusätzlich zur Fallzahl rele- vante – zum Beispiel vorgeburtliche – Risikofaktoren der schweren Hirnblutung.

Ein grundsätzliches Problem dieser Forschung ist die Datenqualität: So wurden in der ersten Studie ledig- lich 75 % der populationsbezogenen Daten des Statisti- schen Bundesamtes für die Risikoadjustierung voll- ständig dokumentiert, und die in der zweiten Studie be- nutzten klinikeigenen Daten der Neonatalerhebung ent- sprachen nicht unbedingt hohen Qualitätsnormen (6, 7). Bisher gibt es keine Überprüfung der Eingabe dieser Qualitätsdaten, zum Beispiel anhand der per DRG-Ko- dierung abgerechneten Komplikationen.

Bei der Qualitätssicherung der Versorgung von Frühgeborenen spielen weitere Faktoren eine Rolle wie etwa

die Rate nosokomialer Infektionen und broncho- pulmonaler Dysplasien

die Schwangerenvorsorge

die Zahl und der Ausbildungsstand des ärztlichen und pflegerischen Personals

die psychosoziale Familienhilfe.

Im Gegensatz zur operativen Qualitätssicherung kommt es also auf eine komplexe Leistung eines inter- disziplinären Behandlungsteams über mehrere Wochen an (8–11). Leider fehlen bisher im deutschen Versor- gungssystem rationale Leistungsanreize beispielsweise zur Vermeidung von Frühgeburt, Frühgeborenen-Kom- plikationen und postnataler Transporte.

Viele Länder – etwa Kanada, die Niederlande, Frankreich, Schweden und Portugal – favorisieren ei- nen zentralistischen Ansatz für derartige Zentren mit hoher Behandlungszahl (12–14). In den USA und Großbritannien erwies sich in den 1980er beziehungs- weise 1990er Jahren eine zur Wettbewerbssteigerung eingeführte Dezentralisierung als nachteilig (15, 16).

In der Bundesrepublik verursachte der durch den öko- nomischen Wettbewerb des DRG-Systems bewirkte Aufbau neuer Zentren nach der Erfahrung des Autors

F

rühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weni- ger als 1 500 g – auch sehr untergewichtige Früh- geborene genannt – haben den größten Anteil an der Säuglingssterblichkeit und der zum Beispiel durch Hirnblutungen bedingten Behinderung von Neugebore- nen. Über die Versorgung der Frühgeborenen wird in Deutschland eine kontroverse Debatte geführt, deren In- tensität auch damit zusammenhängen mag, dass der ökonomische Druck auf Kinderkliniken zugenommen hat und die Behandlung von Frühgeborenen lukrativ vergütet wird. Ein Frühgeborenes mit einem Geburtsge- wicht von 550 g erlöst nach unkompliziertem Verlauf von etwa vier Monaten stationärer Behandlung rund 100 000 Euro. Sind Operationen erforderlich, kommt es zu Komplikationen wie Infektionen oder werden die (Personal-)Kosten niedrig gehalten, erhöhen sich Ein- nahmen oder Gewinn. Vermutlich auch vor diesem Hin- tergrund weist Deutschland eine im Vergleich zu ande- ren Ländern deutlich höhere Dichte an Maximalversor- gungszentren für Frühgeborene – Perinatalzentren Le- vel 1 genannt – auf. Bezogen auf 10 000 Geburten gab es 2005 2,1 Level-1-Zentren in Deutschland, aber nur 0,7 in Schweden (1). Die kontinuierliche Zunahme der Frühgeborenraten der letzten 20 Jahre in vielen Ländern – so auch in Deutschland von 7,6 auf 9,2 % beziehungs- weise von 0,7 auf 1,3 % für Frühgeborene < 1 500 g – mag viele Gründe haben. Es fällt jedoch auf, dass dieser Anteil in Schweden im gleichen Zeitraum konstant bei 5,9 bis 6,2 % beziehungsweise 0,5 % lag (2).

Mindestmengen – kontrovers diskutiert

In einem zentralen Punkt der wissenschaftlichen Debat- te um die Versorgung sehr kleiner Frühgeborener geht es um die Frage, ob zur Qualitätssicherung Mindestmen- gen, im Sinne der Zahl behandelter Patienten, eingeführt werden sollten. Fachgesellschaften (3) und auch Kran- kenkassen befürworten eine solche Regelung, weil sie davon ausgehen, dass sich die Versorgung auf diese Weise verbessert und günstiger organisieren lässt. Dem- gegenüber lehnen Bundesärztekammer und Deutsche Krankenhausgesellschaft die Mindestmengenregelung ab, weil sie diese Effekte bezweifeln. Beide Seiten sind sich dabei einig, dass Mindestmengen allein nicht als Qualitätskriterium ausreichen. Auch nach Aufhebung der durch den G-BA verhängten Mindestmengenrege- lung von 30 Frühgeborenen < 1 250 Gramm pro Jahr durch das Landessozialgericht Brandenburg im vergan- genen Jahr wird diese Debatte nicht verstummen.

Abteilung Allgemeine Pädiatrie und Neo - natologie, Zentrum für

Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Justus-Liebig- Universität, Gießen:

Prof. Dr. med. Zimmer

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einen „Braindrain“ gut ausgebildeter und erfahrener Neonatologen von großen Perinatalzentren in kleine Zentren und damit eine Zersplitterung pflegerischer und ärztlicher Expertise sowie eine Schwächung gro- ßer, etwa universitärer Zentren. Dabei besteht in Uni- versitätskliniken zusätzlich das Problem, dass die Ge- schäftsführungen zur Aufrechterhaltung der Kranken- versorgung Stellen aus Lehre und Forschung mitein- kalkulieren.

Ökonomische versus ethische Interessen

In diesem Spannungsfeld stehen neben dem Frühge- borenen und den Eltern der Gynäkologe und der Neo- natologe. In der neonatalen Maximalversorgung er- scheint eine DRG-bezogene Wettbewerbssituation so- wohl für die Versorgungsqualität als auch für den ra- tionalen Einsatz von Ressourcen kontraproduktiv. Die Existenzberechtigung von Kinderkliniken darf nicht von der Behandlung Frühgeborener < 1 500 g abhän- gig sein. Beispielhaft werden in den meisten Ländern die stationären Behandlungskosten für Kinder kom- plett, das heißt DRG-unabhängig (zum Beispiel Ge- sundheitsfürsorgeprogramm Medicaid/USA), erstat- tet.

Die Gefahr ist groß, dass Geburtshelfer und Neona- tologen in die Rolle von Verantwortungsträgern der Entscheidungen von Geschäftsführungen gedrängt werden und weniger fachlich und moralisch absolut un- abhängige Entscheidungsträger sind, wie es die Grün- dungsväter der Bundesrepublik mit gutem Grund in un- serem System der medizinischen Selbstverwaltung festlegten. Natürlich sind Geschäftsführungen bemüht um gute Werte in der Qualitätssicherung der neonatalen Versorgung. Das mag besonders ehrgeizige Geschäfts- führungen aber nicht davon abhalten, den Schadensfall mit den Erlösen beziehungsweise Kostenersparnissen – zum Beispiel im Personalbereich – zu verrechnen. Als Garant und juristisch Verantwortlicher der medizini- schen Behandlung stehen jedoch für den Arzt ethische und nicht ökonomische Gesichtspunkte im Vorder- grund. Gelingt es den ökonomischen Druck von den Frühgeborenen zu nehmen, wird auch die Frage einer rationalen Versorgungsstruktur für Frühgeborene auf der Grundlage valider Qualitätsdaten wissenschaftlich lösbar sein.

Interessenkonflikt

Prof. Zimmer hält Aktien der Rhön-Klinikum AG sowie von Fresenius. Er leitet als Universitätsprofessor der Justus-Liebig-Universität und als Chefarzt des Universitätsklinikums Gießen/Marburg GmbH, Standort Gießen, die Abteilung Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie.

LITERATUR

1. Gerber A, Lauterbach K, Lüngen M: Perinatalzentren: Manchmal ist weniger mehr. Dtsch Arztebl 2008; 105(26): A 1439–41.

2. Blencowe H, et al.: National, regional, and worldwide estimates of preterm birth rates in the year 2010 with time trends since 1990 for selected countries: a systematic analysis and implications.

Lancet 2012; 379: 2162–72.

3. Bauer K, et al.: Recommendations on the structural prerequisites for perinatal care in Germany. Z Geburtsh Neonatol 2006; 210:

19–24.

4. Kutschmann M, Bungard S, Kötting J, Trümner A, Fusch C, Veit C:

The care of preterm infants with birth weight below 1250 g: risk- adjusted quality benchmarking as part of validating of a caseload based management system. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(31–32):

519–26.

5. Vogtmann C, Koch R, Gmyrek D, Kaiser A, Friedrich A: Risk adjusted intraventricular haemorrhage rates in very premature infants – towards quality assurance between neonatal units.

Dtsch Arztebl Int 2012; 109(31–32): 527–33.

6. Hummler HD, Poets C: Mortality of extremely low birthweight infants

—large differences between quality assurance data and the national birth/death registry. Z Geburtsh Neonatol 2011; 215: 10–7.

7. Abler S, et al.: Effect of the introduction of diagnosis related group systems on the distribution of admission weights in very low birth- weight infants. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2011; 96: F186–9.

8. Lake ET, et al.: Association between hospital recognition for nursing excellence and outcomes of very low-birth-weight infants. JAMA 2012; 307: 1709–16.

9. Synnes AR, et al.: Neonatal intensive care unit characteristics affect the incidence of severe intraventricular hemorrhage. Medical Care 2006; 44: 754–9.

10. Tucker J: Patient volume, staffing, and workload in relation to risk-adjusted outcomes in a random stratified sample of UK neonatal intensive care units: a prospective evaluation. Lancet 2002; 359:

99–107.

11. Andersen BM, et al.: Spread of methicillin-resistant Staphylococcus aureus in a neonatal intensive unit associated with understaffing, overcrowding and mixing of patients. J Hosp Infect 2002; 50:

18–24.

12. Chung JH, et al.: Examining the effect of hospital-level factors on mortality of very low birth weight infants using multilevel modeling.

J Perinatol 2011; 31: 770–5.

13. Rogowski JA, et al.: Indirect vs direct hospital quality indicators for very low-birth-weight infants. JAMA 2004; 291: 202–9.

14. Goodman DC, et al.: The relation between the availability of neonatal intensive care and neonatal mortality. NEJM 2002; 346: 1538–44.

15. Richardson DK, et al.: Perinatal regionalization versus hospital competition: the Hartford example. Pediatrics 1995; 96: 417–23.

16. Pope C, Wild D: Putting the clock back 30 years: neonatal care since the 1991 NHS reforms. Arch Dis Child 1992; 67: 879–81.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Klaus-Peter Zimmer

Abteilung Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Justus-Liebig-Universität

Feulgenstraße 12 35385 Gießen

Englischer Titel:

Neonatology Departments Under Economic Pressure

Zitierweise

Zimmer KP: Neonatology departments under economic pressure. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(31–32): 517–8. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0517

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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