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Archiv "Zirkumzision: Kontroverse Debatte" (28.09.2012)

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A 1918 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 39

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28. September 2012

ZIRKUMZISION

Kontroverse Debatte

In zahlreichen Zuschriften beschäftigen sich Leser des Deutschen Ärzteblattes mit dem Thema religiöse Beschneidungen.

D

as Kölner Landgericht hat in einem womöglich wegwei- senden Urteil im Mai dieses Jahres die Beschneidung von Jungen als Straftat bewertet (Az.: 151 Ns 169/11). Dieses Urteil hat zu Dis- kussionen über das Thema religiöse Beschneidungen geführt. So hat Ende August der Deutsche Ethikrat nach kontroverser Debatte eine Tendenz für die Erlaubnis der Be- schneidung kleiner Jungen aus reli- giösen Gründen erkennen lassen.

Eine solche Erlaubnis sei allerdings nur unter Vorbehalten denkbar, sag- te die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Dr. med. Christiane Woopen, in Berlin. Dazu gehöre die Einwilligung beider Elternteile, die Schmerzbekämpfung und „fachge- rechte Durchführung“ der Be- schneidung.

Auch im Deutschen Ärzteblatt wird die Debatte über das Pro und Kontra religiöse Beschneidungen intensiv geführt. So hat in Heft 31–32/2012 die Rabbinerin und Oberärztin der Klinik für Urologie und Kinderurologie in Bamberg, Dr. med. Antje Yael Deusel, auf die ihrer Ansicht nach „unbestreitbar vorhandenen gesundheitlichen Vor- teile einer solchen Beschneidung“

hingewiesen. Sie kritisiert, dass das Kölner Urteil offenbar von man- chen als Lizenz zur Religions -

beschimpfung aufgefasst werden würde. Dagegen vertritt der Ulmer Päd iater und Mitglied im Berufs- verband der Kinder- und Jugend- ärzte, Dr. med. Christoph Kupfer- schmid, die Meinung, dass das Kindeswohl und das Recht der Kin- der auf körperliche Unversehrtheit Vorrang vor der Glaubensfreiheit und dem Elternrecht haben sollten.

Reaktionen auf das Kölner Urteil

Zahlreiche Leser reagierten in Zu- schriften auf dieses Pro und Kontra, wobei sich die Mehrheit gegen reli- giöse Beschneidungen aussprach.

Dr. med. David Wolff, München, unterstützt die Meinung von Deu- sel. Auch er sieht in den Reaktionen auf das Kölner Urteil eine „ten- denziös geführte“ Diskussion. Kein Arzt könne laut Berufsordnung zu einem Eingriff gezwungen werden, den er ablehnt. „Nun also ein lange praktiziertes Ritual allgemein ver- bieten zu wollen, hat offensichtlich nicht mit dem Ritual als solchem zu tun. In Deutschland werden invasi- ve ärztliche Eingriffe deutlich häu- figer vorgenommen als in ver- gleichbaren anderen europäischen Staaten, ohne dass hierdurch Le- bensdauer oder Lebensqualität glei- chermaßen zunehmen würde . . . Die Komplikationen durch nicht

zwingend notwendige Eingriffe be- wegen sich deutlich oberhalb der Marke von zwei Prozent, wie sie für Beschneidungen von Herrn Dr.

Kupferschmid angegeben werden.“

Zum Thema Traumatisierung sei festzustellen, dass Art und Umfang traumatisierender Erlebnisse im Säuglings- und Kleinkindesalter nicht trennscharf angegeben wer- den könnten. „Inwieweit ein den ganzen Tag laufender Fernseher oder die Kontaktaufnahme mit dem Arzt zum Zwecke der Vorsorgeun- tersuchung traumatisierend wirken, wurde bislang ebenso wenig unter- sucht wie die tatsächliche Situation der ,Opfer‘ der Beschneidung, der Beschnittenen selbst.“

Dr. med. Yves Nordmann, Zü- rich, und Dr. med. Alain Nordmann, Basel, verweisen auf die Archives of Pediatric and Adolescent Me - dicine, worin vor kurzem neue Forschungsergebnisse veröffent- licht wor den seien, „welche klar und unmissverständlich die medizi- nischen Vorteile der Beschneidung von Knaben im Kleinstkindalter so- wohl für das einzelne Kind wie auch für das Gesundheitswesen als Ganzes dokumentieren“. Die renom - mierte American Academy of Pe- diatrics habe zudem in ihrer Fach- zeitschrift Ende August eine neue Stellungnahme veröffentlicht, die erstmals von evidenzbasiertem sig- nifikantem gesundheitlichem Nut- zen von Knabenbeschneidungen im Kleinkind alter spreche und die Kran - kenversicherungen in den USA da- zu auffordere, die Kosten des Ein- griffs zu übernehmen. Vor dem Hintergrund dieser medizinischen Erkenntnisse erschiene es fragwür- dig, wenn in Zukunft gegen eine Der Deutsche

Ethikrat hat sich für eine Erlaubnis religiöser Be - schneidungen unter

bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen.

Foto: dapd

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von zwei Weltreligionen seit Jahr- tausenden praktizierte Tradition das Kindeswohl als Argument ins Feld geführt würde, um diese strafrecht- lich verfolgen zu lassen.

In zahlreichen anderen Zuschrif- ten wird dagegen der medizinische Nutzen von Beschneidungen be- stritten. „Medizinisch ist die Zir- kumzision fast nie indiziert. Die als Indikation häufig angegebene Phi- mose ist in aller Regel ohne opera- tiven Eingriff zu behandeln. [. . .]

Selbstverständlich kann ein Kör- perteil, der operativ entfernt wird, nicht mehr erkranken. Wollte man jedoch diese Erkenntnis als Recht- fertigung für die prophylaktische Entfernung von Körperteilen her - anziehen, so könnte man einem Kind auch die Füße amputieren, um der Entstehung von Fußpilz vorzu- beugen,“ schreibt Priv.-Doz. Dr.

med. Dr. Rainer Rahn, Frankfurt am Main.

Zwar habe Deusel recht, wenn sie von Vorteilen spreche, gerade auch bei der Übertragbarkeit sexu- eller Krankheiten beziehungsweise dem dadurch verringerten Risiko für Frauen, an Gebärmutterhals- krebs zu erkranken, „nur, mir wäre nicht bekannt, dass Knaben bereits ab dem achten Lebenstag regelmä-

ßig Geschlechtsverkehr ausüben.

Dies beginnt nach meiner Kenntnis doch eher im Alter von 14 Jahren und damit mit dem Beginn der Reli- gionsmündigkeit“, meint Dr. med.

Ralf Burgdörfer, Köln.

Der Diplom-Psychologe Bernd Schmid, Heitersheim, macht dar - auf aufmerksam, dass jede freie Entfaltung der Persönlichkeit, „sei sie religiös oder sonst wie moti- viert, deshalb dort begrenzt ist, wo sie die Rechte anderer verletzt (Grundgesetz Art. 2 [1]). Genau dies geschieht jedoch, wenn eine Glaubensgemeinschaft für sich be- ansprucht, in die körperliche und (!)

seelische Unversehrtheit eines Jun- gen irreversibel einzugreifen?“

Dr. med. Albrecht Pitzken, Ber- gisch Gladbach, schlägt vor, ähnlich vorzugehen, wie es teilweise im eng- lischsprachigen Raum üblich sei.

Dort werde eine symbolische Be- schneidung im Babyalter durch Be- rühren des Präputiums mit einem ent- sprechenden Instrument vorgenom- men „und die effektive Beschnei- dung erfolgt erst im Alter der freien Religionsentscheidung mit Zustim- mung der Betroffenen“. Das wäre auch mit der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vereinbar.

Gisela Klinkhammer

DISKUSSION IM INTERNET

video.aerzteblatt.de

Das Kölner Urteil zur religiösen Beschneidung und das Pro und Kontra im Deutschen Ärzteblatt hat auch zu einer regen Diskussion auf der DÄ-Homepage geführt. Ein schwedisches Gesetz zur Beschneidung stellt beispielsweise Prof. Dr. med.

Jörg Carlsson, Universität Kalmar (Schweden), vor. Für eine gesetzliche Regelung plädieren der UN-Sonderberichterstat- ter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Prof. Dr. Hei-

ner Bielefeldt, die Urologen Priv.-Doz. Dr.

med. Ahmed Magheli, Berlin, und Prof. Dr.

med. Oliver Hakenberg, Rostock, sowie der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen, Prof. Dr. med. Hans-Peter Bruch. Eine ganz andere Meinung vertreten dagegen der Passauer Strafrechtler Prof.

Dr. Holm Putzke sowie die Münchener Kin- derchirurgen Prof. Dr. med. Hans-Georg Dietz und Prof. Dr. med. Maximilian Stehr.

Ihrer Ansicht nach sind „medizinisch nicht -

indizierte und damit auch religiös motivierte Beschneidungen an Jungen rechtswidrig, weil sie nicht dem Kindeswohl die- nen, es vielmehr gefährden“.

Am 9. September fand in Berlin eine Demonstration ge- gen das Kölner Beschneidungsurteil und für Religionsfreiheit statt. Das Deutsche Ärzteblatt befragte Teilnehmer und Zu- schauer der Kundgebung. Sie berichten über den Konflikt zwischen Religionsfreiheit und Kindeswohl und nehmen Stel- lung dazu.

Hat eine Beschnei- dung gesundheitliche Vorteile? An dieser Frage scheiden sich die Geister.

Foto: dpa

Umfrage in Berlin: www.aerzteblatt.de/video51630

Was sagen Ärzte und Experten aus medizinischer und juristischer Sicht?:

www.aerzteblatt.de/9526

Pro und Kontra zum Thema:

www.aerzteblatt.de/121538

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