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ritische Ärzte reagieren mit ge- mischten Gefühlen auf die jetzt von der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigte Ausweitung der Anwen- dungsmöglichkeiten der Präimplantati- onsdiagnostik (PID). Eltern wird erst- mals erlaubt, mittels PID einen Blut- oder Gewebespender für ein bereits ge- borenes, krankes Kind zu erzeugen. Die britischen Entwicklun-gen könnten nach Mei- nung von Medizin- ethikern europaweite Signalwirkung haben.
Bislang durfte PID, bei der außerhalb des Mutterleibes befruch- tete Eizellen genetisch untersucht und erst bei einer Eignung in den Mutterleib implantiert werden, nur zum Aus- schluss schwerer gene- tisch bedingter Krank- heiten angewandt wer- den. Vor kurzem vo- tierte die britische Auf- sichtsbehörde Human Fertilization and Em- bryology Authority
(HFEA) für eine Ausweitung der PID- Indikationen. Diese Entscheidung ist nach Ansicht von Kritikern nicht zuletzt deshalb so bedeutsam, weil es sich dabei um einen Grundsatzbeschluss handelt.
PID ist nicht länger nur auf die Verhin- derung genetisch bedingter Krankhei- ten beschränkt, sondern kann künftig grundsätzlich auch zur Schaffung von genetisch geeigneten Blut- oder Gewe- bespendern benutzt werden. Damit geht Großbritannien weiter als die mei- sten anderen europäischen Länder.
Bevor Eltern zwischen London und Liverpool genetisch passende Embryo- nen selektieren können, legt ihnen die HFEA Steine in den Weg. In Groß- britannien ist die PID auch künftig nur unter dem Vorbehalt erlaubt, dass sie zunächst in jedem Einzelfall von ei- nem HFEA-Unterkomitee genehmigt wird. Damit unterscheiden sich die
britischen Spielregeln sowohl von de- nen in den USA als auch von denen in Belgien.
Das HFEA-Unterkomitee hat bis- lang vier Fachkrankenhäuser lizenziert, Anträge auf Durchführung der PID zu stellen. Erfahrungen aus den vergange- nen Jahren haben gezeigt, dass die Er- laubnis schwer zu erlangen ist. Bislang lassen sich die erteilten Genehmigun- gen jedenfalls in wenigen Dutzend mes- sen. Allerdings geht die HFEA-Leitung davon aus, dass sich die Zahl der Ge-
nehmigungen in den nächsten Jahren
„vervielfachen“ werde. Das rief Kriti- ker auf den Plan, die die weitere Aus- weitung der PID als einen „gefährli- chen Schritt“ bezeichnen. Die PID ma- che die Selektion zur Regel.
PID darf in Großbritannien außer in den jetzt neu genehmigten Fällen ledig- lich zur Verhütung schwerster Erb- krankheiten vorgenommen werden. Es obliegt dem jeweiligen Unterkomitee, im Einzelfall und unter Berücksichti- gung der familiären Situation zu klären, ob eine solche Krankheit vorliegt. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass sich die Entscheider in der Regel an Krank- heiten und Behinderungen orientieren, die auch einen Schwangerschaftsab- bruch ermöglichen.
Die Ausweitung der PID-Indikatio- nen geht auf den Fall einer Familie aus Nottingham (Mittel-England) zurück.
Die betroffene Familie hat bereits ein an Betathalassämie leidendes Kind und will versuchen, ein als Blut- oder Gewebespender geeignetes zweites Kind, das nicht an dieser Krankheit lei- det, zu zeugen. Betathalassämie kann seit 1999 auch mithilfe der PID festge- stellt werden. Mittlerweile zeigte sich, dass die Transplantation von Nabel- schnurblut, in dem Stammzellen enthal- ten sind, gute Behandlungsergebnisse zeigt.
In den USA gibt es bereits ein Bei- spiel, das zeigt, wohin PID führen kann.
Der mithilfe der Präimplantationsdia- gnostik gezeugte Adam Nash versorgte seine vier Jahre ältere und an Fanconi- Anämie leidende Schwester Molly mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut.
Adam war ohne Genehmigung einer staatlichen Behörde gezeugt und ausge- wählt worden. Nachdem der Fall be- kannt wurde, entbrannte eine Kontro- verse über die ethische Zulässigkeit die- ses Vorgehens.
Diese Debatte hat inzwischen durch die Ausweitung der PID-Indikationen in Großbritannien eine neue Dimension erhalten. Beobachter weisen darauf hin, dass der Beschluss der HFEA die PID plötzlich in den Rang einer gesellschaft- lich anerkannten Therapiemethode er- hoben habe. Sowohl innerhalb der briti- schen Ärzteschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit gibt es allerdings Gegner dieser Entwicklung. Kurt Thomas P O L I T I K
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A158 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 4½½½½25. Januar 2002
Präimplantationsdiagnostik
Eine neue Dimension der Debatte
In Großbritannien kann nach einem Votum der Aufsichts- behörde PID künftig auch zur Schaffung von genetisch geeigneten Blut- oder Gewebespendern benutzt werden.
Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) werden außerhalb des Mut- terleibes befruchtete Eizellen (hier: Intra-Cytoplasmatische Spermi- en-Injektion) genetisch untersucht. PID durfte in Großbritannien bis- her nur zum Ausschluss schwerer genetischer Krankheiten angewandt
werden. Foto: dpa