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Archiv "Niedriges LDL-Cholesterin genetisch determiniert" (17.08.2007)

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ie Senkung des LDL-Cholesterins zählt heu- te weltweit zum Standard in der Prävention von arteriosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen. Die Rationale für dieses Vorgehen beruht auf pathophysiologischen Erkenntnissen und dem Herz- Kreislauf-Risiko von Populationen mit unterschied- lich hohem Cholesterin sowie Personen mit Hyper- cholesterinämie. Aufgrund zahlreicher epidemiologi- scher und klinischer Untersuchungen (1, 2) ist der Zusammenhang zwischen LDL-Cholesterin (LDL,

„low density lipoprotein“) und dem Risiko für eine koronare Herzkrankheit (KHK) heute allgemein anerkannt. Die Schwierigkeit, die Größenordnung des Einflusses von Cholesterin auf die Entwicklung arteriosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen ab- zuschätzen, besteht darin, dass sich Populationen und Individuen in zahlreichen Aspekten, wie zum Beispiel Genetik, kardiovaskulären Risikofaktoren, Umwelt-

bedingungen und Ernährung, zusätzlich zum Choles- terin unterscheiden (1).

Überzeugender sind daher genetische Varianten, die das LDL-Cholesterin über lange Zeit erhöhen. Die bekannten monogen erblichen Hypercholesterinämi- en, namentlich die familiäre Hypercholesterinämie (FH), gehen ausnahmslos mit prämaturer Arterio- sklerose einher. Sie veranschaulichen die Wirkung eines erhöhten Spiegels von LDL-Cholesterin auf die Arte- rienwand auch unabhängig von weiteren Risikofakto- ren. Doch die Bedeutung dieser Beobachtungen für die Praxis ist eingeschränkt, weil eine so ausgeprägte Cholesterinerhöhung, wie man sie bei der familiären Hypercholesterinämie findet, selten vorkommt. Die meisten Patienten mit koronarer Herzkrankheit haben nur moderat erhöhte Cholesterinspiegel, sodass in der Regel das Zusammenwirken mehrerer Risikofaktoren zur Arteriosklerose führt.

ÜBERSICHTSARBEIT

Niedriges LDL-Cholesterin genetisch determiniert

Eine fundamentale Beobachtung

mit möglichen Implikationen für die Prävention

Eberhard Windler, David Evans, Franz Rinninger, Frank-Ulrich Beil

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Aufgrund der pathophysiologischen, epidemio- logischen und klinischen Evidenz zählt die Senkung des LDL-Cholesterins zum Standard in der Prävention arterio- sklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Effekt ei- ner medikamentösen Cholesterinsenkung mit Beginn im fortgeschrittenen Erwachsenenalter ist jedoch beschränkt.

Methoden: Identifikation klinischer Studien zum Zusam- menhang von Mutationen des PCSK9-Gens und koronarer Herzkrankheit mittels selektiver Literaturrecherche in Medline. Ergebnisse: Vor Kurzem sind genetische Varian- ten beschrieben worden, die beim Menschen zu einem niedrigen LDL-Cholesterin führen. Die klinischen Daten der Gen-Träger weisen auf eine unvorhergesehen starke Re- duktion arteriosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin, die auf ein von Kindheit an moderat niedrigeres LDL- Cholesterin zurückgeführt wird. Diskussion: Diese Beob- achtung, die sicherlich repliziert werden muss, würde die frühzeitige Modifikation des Lebensstils zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen – einschließlich einer Chole- sterinsenkung – mit Nachdruck unterstützen.

Dtsch Arztebl 2007; 104(33): A 2274–8 Schlüsselwörter: Cholesterin, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lebensstil, PCSK9-Gen, Prävention

SUMMARY

Genetically Determined Low Cholesterol and Its Implications for Prevention

Introduction: There is good pathophysiological, epidemio- logical and clinical evidence for LDL-cholesterol lowering as a measure for preventing atherosclerotic vascular dis- ease. However, the efficacy of pharmacological cholesterol lowering beginning in advanced adulthood is limited.

Methods: Selective Medline review of clinical studies ex- amining the relationship between PCSK9 gene mutations and coronary heart disease. Results: Genetic variants have recently been described which lead to low LDL-cholesterol in humans. The carriers of this gene appear to show an un- expectedly profound reduction of arteriosclerotic vascular disease which is attributed to lower LDL-cholesterol lower- ing from early life onwards. Discussion: This observation, which is in need of reproduction, would strongly support the early initiation of lifestyle modification for preventing vascular disease including cholesterol lowering.

Dtsch Arztebl 2007; 104(33): A 2274–8 Key words: cholesterol, cardiovascular disease, lifestyle, PCSK9 gene, prevention

Zentrum für Innere Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf:

Prof. Dr. med. Windler, Prof. Dr. med. Beil, Evans Ph. D., Prof. Dr. med. Rinninger

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Wirksamkeitsnachweis der Cholesterinsenkung

Erst Interventionsstudien lieferten den Nachweis, dass die Reduktion durchschnittlicher oder sogar ver- gleichsweise niedriger Cholesterinspiegel kardiovas- kuläre Ereignisse verhindern kann. Die Ergebnisse neuerer Studien vermitteln jedoch den Eindruck, dass die heutigen Therapieansätze in ihrer Wirkung limi- tiert sind. Die kürzlich publizierte prospektive Meta- analyse aller größeren Statinstudien zeigt, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins um 40 mg/dL das Risi- ko für wesentliche Herz-Kreislauf-Ereignisse in 5 Jah- ren um circa 20 % reduziert (Grafik 1) (2). Die absolu- ten Risiken aller vaskulärer Ereignisse verringern sich im Durchschnitt der Studien von 17,8 auf 14,1 %. Das entspricht einer Verminderung des absoluten Risikos bei Patienten ohne KHK um durchschnittlich 2,5 % und um 4,8 % bei Patienten mit KHK, das heißt einer

„number needed to treat“ (NNT) von 40 beziehungs- weise 21 pro 5 Jahre. Der durch die Studien abgedeck- te Bereich zeigt eine Reduktion des relativen Risikos bis zu etwa 30 %. Daraus ergibt sich ein Verhältnis von circa 1 % Risikosenkung pro 1 % Senkung des Ge- samtcholesterins. Dies steht Ergebnissen früherer Stu- dien gegenüber, aus denen eine mögliche Risikoreduk- tion um 2 oder sogar mehr Prozent abgeleitet wurde.

Allerdings muss man eine Reihe von Faktoren be- denken, die die Übertragung auf die Praxis – auch von randomisierten, prospektiven Doppelblindstudien als heutigem Goldstandard – deutlich einschränken (3).

Eine „Intention-to-treat“-Analyse reflektiert allen- falls, was im Durchschnitt erreichbar ist, wenn ein Medikament einer größeren Zahl von Patienten ver- schrieben wird, unabhängig davon, ob sie das Medika- ment tatsächlich einnehmen oder nicht. Die unvoll- ständige Compliance und die im Durchschnitt – nicht aber im Einzelfall – erreichten Zielwerte unterschätzen den Nutzen, den der Patient erwarten kann, der zuver- lässig täglich ein Medikament einnimmt und die Dosis so anpasst, dass er einen empfohlenen Wert erzielt.

Die Beurteilung des möglichen Erfolges einer Cho- lesterinsenkung ist darüber hinaus erheblich durch die Kürze der Studien erschwert, die immer häufiger weni- ger als 5 Jahre, sogar oft nur wenige Monate dauern.

Eine Cholesterinsenkung wirkt sich jedoch nicht so schnell aus, dass der Erfolg einer langfristigen Präven- tion in dieser vergleichsweise kurzen Zeit verlässlich abgeschätzt werden kann. Zwar ist in vielen kleineren Studien zum frühen Einsatz von Statinen nach akutem Koronarsyndrom eine Wirkung innerhalb von Mona- ten erkennbar, in keiner kam es aber zu einer prompten Verbesserung, wie man sie von anderen Medikamen- ten – wie zum Beispiel Aspirin – oder einer Lyse bei diesen Patienten kennt. Hinzu kommt, dass die Aus- wahl von Hochrisikopatienten in einem fortgeschritte- nen Stadium der KHK zwar erlaubt, eine hohe Zahl von Ereignissen innerhalb weniger Monate zu beob- achten, die absolute Risikoreduktion aber begrenzt ist.

Der Effekt einer Cholesterinsenkung auf kardio- vaskuläre Ereignisse nimmt langsam zu und wird in

den großen Studien erst nach etwa 1,5 Jahren signifi- kant. Überzeugende, klinisch relevante Unterschiede zu Nicht-Behandelten werden erst nach mehreren Jah- ren erreicht. Entsprechend ist die Cholesterinsenkung eine Langzeittherapie. Andererseits führt der allmäh- liche Wirkungseintritt zu einer gewissen Nachhaltig- keit für Jahre über das Ende der Studien hinaus (4).

Um den möglichen präventiven Effekt einer dauerhaf- ten Cholesterinsenkung zuverlässig in seinem ganzen Ausmaß abschätzen zu können, müsste die Reduktion des Cholesterins früh im Leben beginnen. Die Utopie, diese Hypothese überprüfen zu können, scheint jetzt Wirklichkeit geworden zu sein.

Effekt von genetisch determiniertem niedrigem Plasma-Cholesterin

Ein aussagekräftiges, natürliches Experiment wäre die Beobachtung einer Population mit einem gene- tisch niedrigen Cholesterin, weil die Wirkung unbe- merkt, also quasi verblindet, seit Jugend an frei von Complianceproblemen bei jedem Merkmalsträger be- stünde. In den vergangenen Jahren sind viele Gene und Genvarianten identifiziert worden, die die Akti- vität des LDL-Rezeptors modulieren. Eine Reihe solcher Mutationen schränken die Aktivität des LDL- Rezeptors ein und bewirken einen Anstieg des LDL- Cholesterins. Ein bekanntes Beispiel ist die familiäre Hypercholesterinämie, die zu außergewöhnlich hohen LDL-Cholesterinspiegeln führt.

Sicherlich hat man daraus gelernt, wie stark das LDL-Cholesterin selbst als einziger erkennbarer Risi- kofaktor die Atherogenese beeinflussen kann. Den Er- Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse im Verhältnis zur Senkung des LDL-Cholesterins im Durchschnitt von 14 randomisierten, kontrollier- ten Statinstudien mit 96 056 Probanden (Reduktion des absoluten Risikos von 17,8 auf 14,1 % entsprechend einer Reduktion des absoluten Risikos um durchschnittlich 2,5 % bei Patienten ohne KHK beziehungsweise 4,8 % bei Patienten mit KHK, das heißt einer

“number needed to treat” [NNT] von 40 beziehungsweise 21 pro 5 Jahre) (modifiziert nach [2]).

GRAFIK 1

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fahrungen mit diesem Krankheitsbild ist aber nicht zu entnehmen, was eine Cholesterinsenkung für den Pa- tienten mit durchschnittlichem, nicht genetisch ex- trem erhöhtem Cholesterinspiegel bedeutet. Die weni- gen Fallberichte von Familien mit Hypobetalipopro- teinämie weisen zwar in Richtung eines grundsätzlich niedrigen kardiovaskulären Risikos bei unterdurch- schnittlichen Cholesterinwerten, lassen aber keine statistisch validen Aussagen zu. Nur ein vergleichs- weise häufiger Polymorphismus kann dies leisten.

Vor Kurzem wurden neue Genvarianten beschrie- ben, die die Konzentration des LDL-Cholesterins im Plasma sowohl anheben, als auch senken können (5, 6, 7). Die Häufigkeit der Polymorphismen des PCSK9- Gens (Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin Typ 9 Serin Protease) erlaubt epidemiologische Untersu- chungen in der Allgemeinbevölkerung. Der Mecha- nismus, über den das Gen die Konzentration des LDL- Cholesterins reguliert, beruht vermutlich auf dem Ein- fluss des codierten Enzyms auf die Halbwertszeit des LDL-Rezeptors der Leber (8). Mäuse mit experimen- teller Überexpression des PCSK9-Gens haben eine verminderte Zahl an LDL-Rezeptoren und folglich ein

erhöhtes LDL-Cholesterin im Plasma. Demgegenüber zeigen Knock-out-Mäuse, die das PCSK9-Gen nicht mehr besitzen, eine erhöhte LDL-Rezeptor-Aktivität in der Leber und daher niedriges LDL-Cholesterin (9).

Beim Menschen haben nicht alle untersuchten Muta- tionen zu einem eindeutigen Ergebnis geführt.

Missense-Mutationen des PCSK9-Gens, wie F216L and S127R, verursachen eine autosomal dominant erb- liche Hypercholesterinämie. Die bisherigen Befunde sprechen dafür, dass sie einen Funktionszuwachs des codierten Enzyms bewirken, sodass die LDL-Rezepto- ren schneller abgebaut werden. Folglich wird das LDL langsamer katabolisiert, sodass das Plasmacholesterin ansteigt. Auch geschlechtsspezifische Effekte sind be- schrieben. Der E670G-Polymorphismus löst beispiels- weise bei Männern eine Hypercholesterinämie aus, nicht aber bei Frauen und wird daher im Umkehr- schluss in der deutschen Bevölkerung häufiger bei Männern mit dieser Erkrankung gefunden (10).

Besonders interessant sind die kürzlich beschriebe- nen Nonsense-Mutationen wie Y142X oder C679X.

Sie führen offenbar zu einem Funktionsverlust des Gens, das den Abbau der LDL-Rezeptoren vermin- dert. Infolge der höheren Rezeptorzahl wird das LDL- Cholesterin erniedrigt. Es sind Merkmalsträger mit einem LDL-Cholesterin unter 50 mg/dL bekannt.

Diese Gruppe gibt neue Einblicke in die Sicherheit langfristig niedriger Cholesterinwerte. Eine homo- zygot betroffene (biallelisch mit 2 unterschiedlichen Mutationen, also „compound heterozygote“) gesunde Frau hat ein LDL-Cholesterin von 14 mg/dL (11).

In jüngster Zeit wurde die Assoziation häufiger Nonsense-Mutationen im PCSK9-Gen für die Manife- station arteriosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkran- kungen in der ARIC-Studie untersucht (Atherosclero- sis Risk in Communities Study) (12). Bei den 301 he- terozygoten Merkmalsträgern (3,2 % der 9 542 Studi- enteilnehmer kaukasischer Herkunft) lag das LDL- Cholesterin zu Beginn dieser Untersuchung 15 % un- ter dem Durchschnitt – im Mittel bei 116 mg/dL ge- genüber 137 mg/dL bei den 9 223 Kontrollpersonen (Grafik 2). Merkmalsträger und Personen der Kon- trollgruppen unterschieden sich nicht in Triglyzeri- den, HDL-Cholesterin und weiteren Risikofaktoren wie Hypertonus (circa 25 %), Rauchen (circa 25 %) und Diabetes (circa 8 %).

Innerhalb der Beobachtungszeit von 15 Jahren er- litten die Merkmalsträger 47 % weniger kardiovas- kuläre Ereignisse (absolute Risiken 11,8 % versus 6,3 % entsprechend einer Reduktion des absoluten Ri- sikos um 5,5 %; Hazard ratio 0,50; p = 0,003) (Grafik 3). Nur etwa 3 % erlitten einen Schlaganfall, was kei- ne statistisch sichere Aussage über diesen Endpunkt zulässt. Entscheidend für die eindrucksvoll niedrigere Rate kardiovaskulärer Ereignisse ist vermutlich nicht allein die vergleichsweise geringfügige Differenz des LDL-Cholesterins während der 15 Jahre Beobach- tungszeit, sondern auch die lebenslang niedrigeren Werte. Das Ergebnis ist besonders auffällig, weil an- dere Risikofaktoren die üblich hohe Prävalenz hatten.

Effekt des PCSK9-Gens auf das LDL-Cholesterin. Oben die Verteilung des LDL-Cholesterins in der Normalbevölkerung (Wildtyp-Träger), un- ten der Heterozygoten mit einer Nonsense-Mutante (nach [11]).

GRAFIK 2

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Das Wirkungsverhältnis von etwa 3 % Risikore- duktion pro 1 % LDL-Cholesterinsenkung bestätigte sich auch bei Probanden afrikanischer Herkunft. Bei ihnen vermindern Nonsense-Mutationen des PCSK9- Gens das LDL-Cholesterin sogar um durchschnittlich 28 %, entsprechend einem LDL-Cholesterin von 100 mg/dL gegenüber 138 mg/dL bei den Kontroll- personen. Nur ein einziger der 85 Merkmalsträger ent- wickelte eine koronare Herzkrankheit innerhalb der 15 Jahre – das entspräche rein rechnerisch einer Re- duktion des relativen Risikos um 88 % (Hazard ratio 0,11; p = 0,03) (Grafik 3). Der Einfluss eines niedri- geren LDL-Cholesterins ist auch in dieser Population vor dem Hintergrund weiterer, häufiger Risikofakto- ren besonders bemerkenswert. Etwa 13 % der Proban- den hatten einen Diabetes und 27 % waren Raucher.

Allerdings waren Hypertoniker mit 37 % unter den Merkmalsträgern deutlich seltener gegenüber 55 % in der Vergleichsgruppe.

Diese Ergebnisse setzen einen Meilenstein in dem Versuch, den Nutzen einer Cholesterinsenkung zur Prävention arteriosklerotischer Herz-Kreislauf-Er- krankungen zu beurteilen. So bewerten auch die Nobelpreisträger M. Brown und J. Goldstein in

„Science“ die neuen Befunde (13). Sie klärten die Regulation der zellulären Cholesterinhomöostase an- hand der familiären Hypercholesterinämie auf und

lieferten fundamentale Erkenntnisse über die Bedeu- tung hoher Konzentrationen des LDL-Cholesterins für die Atherogenese. Aus den neuen Beobachtungen des genetisch determinierten niedrigen Cholesterins ist für die Praxis mindestens vergleichbar Entschei- dendes abzuleiten. Im Unterschied zur zitierten Meta- analyse deuten die genetischen Befunde darauf hin, dass eine Reduktion des LDL-Cholesterins um 20 mg das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um etwa 40 % absenkt und eine Reduktion um 40 mg sogar um mehr als 80 %. Entscheidend scheint die frühe und langfristige Cholesterinsenkung zu sein (Grafik 4).

Die Erfahrung mit den Nonsense-Mutationen des PCSK9-Gens spiegelt den Effekt einer moderaten Senkung üblicher Cholesterinspiegel vor dem Hinter- grund der Vielfalt anderer Risikofaktoren wider. Der besondere Einfluss des LDL-Cholesterins kann offen- kundig auch die Wirkung anderer Risikofaktoren deutlich abschwächen. Das bestätigt die zentrale Rol- le des LDL-Cholesterins in der Atherogenese. Theore- tisch ist es allerdings auch möglich, dass die geneti- schen Polymorphismen noch weitere, bisher unbe- kannte Wirkungen als nur die LDL-Senkung haben.

Statine als heutiger Goldstandard für die Reduktion des LDL-Cholesterins erhöhen die Aktivität des PCSK9-Gens, was die Vermehrung der LDL-Rezep- torzahl verhindert (14). Eventuell erklärt sich dadurch die begrenzte Wirksamkeit einer zunehmenden Statin- dosis. Das PCSK9-Gen ist in jedem Fall ein interes- santer Kandidat für neue Therapien.

Man darf aber nicht übersehen, dass nach systema- tischer Medline-Recherche – unter der Verknüpfung PCSK9 AND (coronary OR low OR protect* OR vas- cular OR hypocholesterol*) – und persönlichen Mit- teilungen bisher nur diese eine Studie diesen Zusam- menhang gezeigt hat und er daher erst noch bestätigt werden muss. Da aber die entscheidenden Mutationen nunmehr bekannt und einfach zu bestimmen sind, ist zu erwarten, dass die Ergebnisse bald in vielen weite- ren Studien überprüft werden. Schon jetzt wäre eine entsprechend angelegte Interventionsstudie als Basis Effekt des PCSK9-Gens auf das LDL-Cholesterin und kardiovaskuläre

Ereignisse innerhalb von 15 Jahren. In blau die Reduktion des LDL- Cholesterins und in grau die Verminderung der kardiovaskulären Er- eignisse unter Heterozygoten mit einer Nonsense-Mutation gegen- über Wildtyp-Trägern. Links für Amerikaner europäischer und rechts afrikanischer Herkunft (absolutes Risiko bei europäischer Herkunft 11,8 versus 6,3 % entsprechend einer Reduktion des absoluten Risi- kos um 5,5 % in 15 Jahren; Hazard ratio 0,50; p = 0,003). Einer von 85 Studienteilnehmern afrikanischer Herkunft mit einer PCSK9-Gen- Mutante entwickelte eine KHK entsprechend einem absoluten Risiko von 9,7 versus 1,2 % und einer Reduktion des absoluten Risikos um 8,5 % in 15 Jahren (Hazard ratio 0,11; p = 0,03) (nach [11]).

GRAFIK 3

Prinzipieller Unterschied zwischen Pharmakotherapie bei bedrohli- chem Risikoprofil beziehungsweise Zeichen der Gefäßkrankheit und langfristigem Einfluss durch genetische Determinanten oder frühzei- tige, anhaltende Lebensstiländerungen

GRAFIK 4

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für mögliche Anpassungen praxisbezogener Leitlini- en sicherlich wünschenswert.

Offenbar kann mit einer früh begonnenen moderaten Reduktion des LDL-Cholesterins in erster Linie durch gesunde Ernährung das gleiche oder mehr erreicht wer- den wie mit einer aggressiven Senkung des LDL-Choles- terins im fortgeschrittenen Alter beziehungsweise bei fortgeschrittener Arteriosklerose – selbst dann, wenn so wirksame Medikamente wie Statine eingesetzt werden (Grafik 4). Die Angaben zur Reduktion des absoluten Risikos – sowohl der Metaanalyse der Statinstudien als auch die der Studie zu Mutanten des PCSK9-Gens – können allerdings dazu führen, die klinische Bedeutung einer Medikation, eines Lebensstils oder des Einflusses eines Gens falsch zu bewerten. Da sich die Reduktion des relativen Risikos immer nur auf den Beobachtungs- zeitraum der Studie beziehen kann, unterschätzt sie die Langzeitwirkung. Darüber hinaus steigt mit dem Le- bensalter das kardiovaskuläre Risiko exponenziell an, sodass bei gleicher relativer Risikoreduktion die absolu- te Risikoreduktion im höheren Alter deutlich zunimmt.

Die Angabe absoluter Risiken in zeitlich vergleichswei- se begrenzten Studien bergen also die Gefahr, den lang- fristigen Nutzen unterzubewerten.

Es erscheint daher möglich, dass mit ausreichend früh begonnener Primärprävention – vorzugsweise mittels Lebensstilintervention – ein erheblicher, viel- leicht sogar der größte Teil arteriosklerotischer Herz- Kreislauf-Erkrankungen im mittleren Alter vermieden und das Lebenszeitrisiko drastisch reduziert werden kann. Diese Option sollte der Forderung nach einem höheren Stellenwert der Gesundheitsförderung durch einen geeigneten Lebensstil bei Kindern, Jugendli- chen und jungen Erwachsenen Nachdruck verleihen.

Interessenkonflikt

Prof. Windler erhielt Vortragshonorare von den Firmen MSD, Essex, Pfizer, Novartis, Astra und Zeneca. Prof. Beil bekam Studienunterstützung und Vor- tragshonorare von den Firmen MSD, Essex, Pfizer, Novartis. Prof. Rinninger und Ph. D. Evans erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtli- nien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 23. 1. 2007, revidierte Fassung angenommen: 8. 6. 2007

LITERATUR

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Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Eberhard Windler Zentrum für Innere Medizin

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52

20246 Hamburg

E-Mail: Windler@uke.uni-hamburg.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

@

Berichtigung

Zu dem Beitrag „Koronaroperationen ohne Herz- Lungen-Maschine“ von Ulrich Hake et al. im Deut- schen Ärzteblatt, Heft 30, vom 27. Juli 2007, wurde aufgrund eines technischen Fehlers die Abbildung 2 nicht mitgedruckt. Es handelt sich um folgende Darstellung:

Abbildung 2:

Shunts zur temporären intrakoronaren Einlage

Referenzen

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