DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT PHARMAFORSCHUNG
Koronares Risiko:
LDL/HDL-Quotient entscheidend
D
ie Bedeutung von HDL-Cholesterin und Triglyzeriden bei derPrävention der koronaren Herzkrankheit stand im Mit- telpunkt einer Pressekonfe- renz, die — gesponsert von Parke-Davis — Ende Juni in München stattgefunden hat.
Veranstalter war das „Inter- national Lipid Information Bureau", New York. Wäh- rend in der Vergangenheit primär auf die atherogene Potenz des LDL-Cholesterins abgehoben wurde, hat sich doch in jüngerer Zeit mehr und mehr herausgestellt, daß dem gefäßprotektiven HDL- Cholesterin eine zumindest gleichrangige Bedeutung bei der Einschätzung des indivi- duellen kardiovaskulären Ri- sikos beizumessen ist. Die ge- naue Gewichtung der beiden Faktoren ist nicht abschlie- ßend geklärt, in diversen gro- ßen Studien hat sich aber der LDL/HDL-Quotient als po- tentester Prädiktor des kar- diovaskulären Risikos erwie- sen. Laut Prof. Gerd Ass-
mann, Münster, liegt der kri- tische Umschlagpunkt, ab dem eine Intervention ange- raten ist, bei einem LDL/
HDL-Quotienten von 5. Un- terhalb dieses Grenzwertes vermögen hohe HDL-Werte nachweislich das Risiko ho- her LDL-Werte zu kompen- sieren.
Daß durch therapeutische Korrektur eines pathologisch erhöhten LDL/HDL-Quo- tienten das kardiovaskuläre Risiko vermindert werden kann, wird unter anderem durch die „Helsinki-Heart- Study" dokumentiert. In die- ser randomisierten Doppel- blind-Studie wurden über viertausend Männer mit Fett- stoffwechsel-Störungen ent- weder mit Gemfibrozil (Gevi- lon®) oder Plazebo therapiert.
Nach fünfjähriger Behand- lung war unter Gemfibrozil ge- genüber Plazebo eine Senkung
der Myokardinfarkte um 67 Prozent zu verifizieren, wobei die beiden Behandlungsgrup- pen diesbezüglich nach zwei Jahren auseinanderdrifteten.
Das LDL-Cholesterin verrin- gerte sich unter der Verum- therapie um im Mittel elf Pro- zent, das HDL-Cholesterin stieg um durchschnittlich elf Prozent an.
Wie Prof. Jean Davignon, Montreal, berichtete, liegen inzwischen erste klinische Da- ten vor, denen zufolge sich durch eine Therapie von Fett- stoffwechsel-Störungen auch bereits bestehende Gefäßver- änderungen zur Regression bringen lassen. So konnte in der „Cholesterol-Lowering Atherosclerosis Study" an 188 Patienten nach Bypass-Opera- tion unter zweijähriger Chole- stipol/Niacin-Therapie in 16,2 Prozent der Fälle eine deut- liche Regression arterioskle-
rotischer Läsionen verifiziert werden gegenüber einer Ver- besserung des Koronarstatus bei 2,4 Prozent der plazebo- behandelten Patienten. Auch bezüglich der Chance einer Regression erwies sich der LDL/HDL-Quotient als po- tentester Prädiktor: Je niedri- ger der erzielte Quotient, de- sto besser der Therapieerfolg.
Einem breitangelegten Screening des HDL steht der- zeit noch der Mangel an einfa- chen Tests entgegen. Hier bahne sich aber möglicherwei- se ein Durchbruch an, erklärte Prof. Assmann in München und avisierte einen neuen
„Fingerbeeren-Test", mit dem die HDL-Bestimmung aus ei- nem Tropfen Blut gelingen soll. Derzeit gehe die Empfeh- lung dahin, das HDL in einem Speziallabor immer dann ana- lysieren zu lassen, wenn zu- sätzlich zu einem erhöhten Gesamtcholesterin über 200 mg/dl zwei weitere kardiovas- kuläre Risikofaktoren vorhan- den sind.
Ulrike Viegener
Instabile Angina pectoris:
Was ist die optimale Therapie?
T
rotz einer Fülle von Studien sind verbind- liche Aussagen über die optimale Therapie der insta- bilen Angina pectoris derzeit nicht möglich. So lautete das ernüchternde Resumee eines internationalen Symposiums über Pathogenese und Mana- gement der instabilen Angi- na, das — gesponsert unter an- derem von Schwarz Pharma — Anfang Juni in Hamburg stattgefunden hat. Nutzen und Stellenwert der verschie- denen Therapiemaßnahmen bedürfen der weiteren Abklä- rung, wobei die zum Teil kon- troversen Ergebnisse der vor- liegenden Studien maßgeb- lich darauf zurückzuführen sein dürften, daß die Ein- schlußkriterien für die ver- schiedenen Studien stark dif- ferieren. Überhaupt sehen die Experten in einer Diffe- renzierung des wahrschein- lich sehr heterogenen Patien- tenkollektivs mit „instabiler Angina" einen wichtigen An- satz bei dem Bemühen, in Zu- kunft zu klareren Therapie-empfehlungen zu gelangen.
Konsens herrscht zumindest darin, daß die instabile Angi- na pectoris eine maximale Therapie verlangt. Als gesi- chert kann weiterhin der Nut- zen einer Basistherapie mit niedrigdosierter Azetylsali- zylsäure (ASS) gelten, wobei es laut R. Lorenz, München, Hinweise darauf gibt, daß ein Regime von 100 mg jeden zweiten Tag der Applikation von jeweils 50 mg täglich vor- zuziehen ist. Durch die nied- rigdosierte ASS-Therapie läßt sich die Mortalität bei in- stabiler Angina pectoris nach- weislich deutlich reduzieren.
Die mit ASS zu erzielen- den Therapieerfolge stehen in Einklang mit dem heutigen Verständnis der Pathogenese der instabilen Angina pecto- ris, wonach die Bildung von Thromben an sogenannten komplizierten arterioskleroti-
schen Plaques im Vorder- grund steht, während den frü- her stark favorisierten Vaso- spasmen — bezogen auf das Gesamtkollektiv — heute eine geringere Rolle zugeschrie- ben wird.
Zusätzlich zur ASS-Thera- pie erscheint angesichts der aktuellen Datenlage die Kombination eines Beta- Blockers mit einem — kombi- nierbaren — Kalzium-Antago- nisten oder mit einem Nitrat empfehlenswert. Als Richtli- nien für eine Akuttherapie mit Nitroglycerin i. v. — deren Nutzen allerdings bislang kei- neswegs sauber dokumentiert ist — nannte U. Thadani, Oklahoma City, ein Regime von fünf bis zehn itg/min für 24 bis 48 Stunden, wobei die Dosis individuell so zu titrie- ren sei, daß die Ischämie- symptome verschwinden, an- dererseits aber der Blut-
druckabfall 10 bis 20 mm Hg nicht überschreitet.
Die enttäuschenden Re- sultate, die die vorliegenden Studien einer medikamentö- sen Lysetherapie bei instabi- ler Angina pectoris bescheini- gen, könnten darauf zurück- zuführen sein, daß eine der- artige Therapie lediglich fri- sche Thromben beseitigt — an die komplizierten Plaques heften sich dann aber, so die Vermutung, rasch neue Thromben an. Erfolgverspre- chend sei die Lysetherapie bei Patienten mit komplettem Gefäßverschluß — bei instabi- ler Angina pectoris keine Sel- tenheit —, erkärte F. Bär, Maastricht. Allerdings sei das Risiko einer invasiven Koro- nardiagnostik bei Patienten mit instabiler Angina nicht abschließend geklärt, und die Suche nach nicht invasiven Parametern, durch die sich Kandidaten für eine Ly- setherapie vorab charakteri- sieren ließen, sei bisher nega- tiv verlaufen.
Ulrike Viegener
Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989 (85) A-2877