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Archiv "Medizinische Versorgung - organisatorische Anforderungen - ökonomische Verflechtungen" (17.03.1988)

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THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ARZTEBLATT

D

ie über hundertjährige Entwicklung der gesetzli- chen Krankenversicherung hat diese zu einer Art Volksversicherung anwachsen las- sen, in der nunmehr ca. 95 Prozent der Bürger unseres Landes versi- chert sind.

In den verschiedenen staat- lichen und gesellschaftspolitischen Perioden dieser Entwicklung hat es immer wieder Auseinandersetzun- gen um die Organisation der ärzt- lichen Versorgung gegeben, in de- nen die Ärzteschaft ihre Freiberuf- lichkeit teils mit arbeitskampfähn- lichen Maßnahmen, teils mit politi- schem Geschick verteidigen mußte.

Dabei ist sie 1932 bekanntlich sogar in eine öffentlich-rechtliche Organi- sationsform geschlüpft.

Nicht einmal der nationalsoziali- stische Staat hat die prinzipielle Freiberuflichkeit der Ärzte im Kran- kenversicherungssystem angetastet.

So ist danach auf dem Bestehen- den aufgebaut worden, und dabei ist die Synthese zwischen hoher sozialer Sicherheit und einer nahezu privaten Inanspruchnahme und Leistungsge- staltung im gesundheitlichen Wirt- schaftsbereich immer weiter gefestigt worden. Fast 80 Prozent der Bevölke- rung sind laut demoskopischer Unter- suchung damit zufrieden.

Nach den „Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft" ist die eben nur kurz umrissene Synthese anpas- sungsfähig genug und dafür geeig-

net, den Anforderungen an die Wei- terentwicklung der Medizin, der Technik und des Leistungsbedarfs auch in Zukunft gerecht zu werden, ohne dabei die Vorteile einer per- sönlichen Krankenversorgung für die Humanität aufgeben zu müssen.

Das heißt also: Weiter freie Arztwahl für die Patienten auch im Rahmen der Sozialversicherung, freie Wahl unter den zugelassenen Krankenhäusern, den Apothekern, den medizinischen Handwerksbe- trieben, den selbständigen Kranken- gymnasten, Masseuren und Bade- meistern usw. , soweit diese in die Verträge mit den Krankenkassen einsteigen wollen. Dadurch wird we- nigstens ein patientenfreundlicher Wettbewerb erhalten, der übrigens auch den Ärzten, den Apothekern, den Zahnärzten und neuerdings auch den Krankenhäusern nicht mehr fremd ist. Die Pluralität der Trägerorganisationen hat also durchaus ihre Vorteile für die Pa- tienten.

Pluralität der

Krankenkassenarten

Ähnlich beurteilt die Ärzte- schaft die Vielfalt der Versicherten- gemeinschaften in der gesetzlichen Krankenversicherung. Jedenfalls wehrt sie sich nachdrücklich gegen alle Pläne in Richtung einer Ein- heitsversicherung, und zwar nicht nur, weil dadurch die Vormachtstel-

lung der Kassenseite am Verhand- lungstisch noch stärker würde, son- dern auch, weil die letzte Verbin- dung zwischen den Versicherten und ihrer selbstverwalteten Krankenkas- se zugunsten einer bundesweiten oder auch landesweiten Gesund- heitsverwaltung beseitigt würde.

Zur Zeit kann man allenthalben hören, daß die vorhandene Plurali- tät der Krankenkassenarten und die unterschiedliche Größe der Versi- chertengemeinschaften deren Posi- tion schwäche. Ich halte das für Zweckbehauptungen mit der Ziel- richtung „Einheitsversicherung"

Natürlich gibt es Punktwertunter- schiede beim ärztlichen Honorar.

Daß die Ärzte mit ihren Einkünften in die regionale Wirtschaftssituation eingebunden sind, ist aber eigentlich nichts Neues. Insgesamt hat sich die Steigerung des kassenärztlichen Ge- samthonorars in den vergangenen 10 Jahren dicht unterhalb der Grund- lohnsummensteigerung bewegt — na- türlich als Folge von Verträgen, die auf die allgemeine Wirtschaftslage Rücksicht nehmen mußten. Unge- hindert weiter wachsen konnten aber alle anderen Leistungsbereiche mit entsprechenden Ausgabenstei- gerungen, allen voran der fast ver- staatlichte Krankenhausbereich mit der entsprechenden politischen Pro- tektion.

Dennoch herrscht in der Ärzte- schaft Einigkeit darüber, daß soviel wie möglich im Rahmen der ambu- lanten Krankenversorgung behan- delt werden sollte und nicht mehr als nötig im Krankenhaus. Die Gründe für diese gemeinsame Auffassung der Ärzteschaft sind keineswegs nur sozialökonomisch, sondern vorwie- gend humanitär.

Das aber bedeutet Spielräume, auch finanzielle, für den Ausbau der kassenärztlichen Versorgung und ei- ne möglichst enge Zusammenarbeit an den Nahtstellen des ambulanten mit dem stationären Bereich in der Krankenversorgung.

Die Übernahme komplizierter Untersuchungs- oder Behandlungs- methoden in die kassenärztliche Versorgung wird durch Sozietäten gefördert. Nicht nur ergänzende Kenntnisse und Fähigkeiten, son- dern auch gegenseitige Assistenz

Ernst Eberhard Weinhold

Medizinische Versorgung

organisatorische Anforderungen, ökonomische Verflechtungen

Auf der Basis der „Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft" setzt sich der Verfasser mit aktuellen Forderungen und Trends ausein- ander. Weinhold, Vorstandsmitglied der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, hat maßgeblich an program- matischen Vorstellungen der Ärzteschaft mitgearbeitet.

A-658 (26) Dt. Ärztebl. 85, Heft 11, 17. März 1988

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und gemeinsame Investitionen eb- nen den Weg zur Entlastung des sta- tionären Behandlungsbedarfs. Diese Entwicklung wird die Versorgungs- struktur von morgen bestimmen, wobei zu beachten sein wird, daß die Sozietäten nicht zu groß werden.

Für die Sicherung der Präsenz und der Qualität in der Primärversor- gung sind Partnerpraxen zu zweit die beste Garantie dafür, daß der per- sönliche Charakter der Krankenver- sorgung und die Durchschaubarkeit persönlicher ärztlicher Entscheidun- gen erhalten bleiben.

An den Nahtstellen zwischen ambulanter und stationärer Kran- kenversorgung werden immer wie- der Kommunikationsdefizite festge- stellt. Sie werden sowohl den Kran- kenhäusern als auch den Kassenärz- ten angelastet. Früher wurde auch von einem beträchtlichen Qualitäts- gefälle von der Klinik zur Praxis ge- sprochen; das kann heute niemand mehr behaupten, nachdem minde- stens soviele Experten für besondere Untersuchungs- und Behandlungs- methoden in der Praxis arbeiten wie in den Kliniken. Das liegt einfach daran, daß nur etwa die Hälfte von ihnen befriedigende Lebensstellun- gen in den Kliniken gefunden hat.

Natürlich gibt es nach wie vor und völlig unstrittig den Bedarf an statio- närer Krankenversorgung vom kran- ken Menschen her und von der Me- dizin her, und es gibt spezielle Kenntnisse und Erfahrungen bei Krankheiten, die im Krankenhaus öfter behandelt werden als draußen.

Hier sind Verbindungen sinnvoll und notwendig; die Beteiligungen und Ermächtigungen von leitenden Krankenhausärzten bieten dafür das geeignete Instrumentarium. Sie kön- nen so bedarfsgerecht formuliert werden, wie es von der regionalen Versorgungsstruktur und von der Person her für die Patientenversor- gung am besten ist. Von dem vorge- sehenen Instrumentarium von Insti- tutsverträgen zwischen Krankenkas- sen und Krankenhausträgern zur vorstationären Diagnostik und zur nachstationären Behandlung hält die offizielle Vertretung der Ärzteschaft gar nichts. Schon die Definition, was dort an Leistungen erbracht werde, sei stationäre Krankenversorgung,

ist an den Haaren herbeigezogen.

Natürlich ist es ambulante Kranken- versorgung und damit nach der bei uns kodifizierten Arbeitsteilung kas- senärztliche Versorgung. Auch die Vorstellung, daß der Aufnahmearzt, der weder den Patienten kennt noch in der Regel eine abgeschlossene Weiterbildung hat, im Gegensatz zum einweisenden Arzt, dessen Ent- scheidung aufheben kann, ist nicht erträglich. Zur Zeit wird so etwas im direkten kollegialen Kontakt erle- digt, so daß die kassenärztliche Ver- sorgung fortgesetzt wird, gegebe- nenfalls in Zusammenarbeit mit dem beteiligten Chefarzt.

Für die institutionalisierten Re- gelungen besteht überhaupt kein Bedarf; sie sind ein Rudiment des letzten einschlägigen Versuches im Rahmen des KVKG von 1977, die Krankenhäuser für die ambulante Krankenversorgung wenigstens ein bißchen zu öffnen, und zwar aus ge- sellschaftspolitischen Gründen.

„Verzahnung" der Krankenversorgung

Wer es tatsächlich ernst meint mit der sogenannten „Verzahnung"

von ambulanter und stationärer Krankenversorgung, der sollte, nach Meinung der Ärzteschaft, das Beleg- arztsystem ausbauen und weiterent- wickeln. Da sind freie Arztwahl, klare persönliche ärztliche Verant- wortung, Kontinuität in der Patien- tenbetreuung in der Praxis und Kli- nik von vornherein in der Konzep- tion angelegt. Die gesamte Grund- und Regelversorgung könnte so or- ganisiert werden; aber daran haben zur Zeit die Krankenhausträger kein Interesse, weil ihnen als Hausherren einige wenige Chefärzte im Anstel- lungsverhältnis begreiflicherweise lieber sind, als ein ganzes Rudel selbständiger Freiberufler, die ihre Angelegenheiten natürlich selber re- geln wollen, wie dies beispielsweise in der USA geschieht.

Die Ärzteschaft könnte sich durchaus vorstellen, daß die gesam- te Grund- und Regelversorgung, so- weit sie von Ärzten geleistet wird, in die kassenärztliche Versorgung ein- bezogen wird und damit die Kassen-

ärztlichen Vereinigungen auch die Verträge mit den Krankenhausträ- gern und den Krankenkassen schlie- ßen. Dann könnten Behandlungs- kontinuität und Patientennähe, Zu- sammenarbeit der Ärzte und Wei- terbildung in Klinik und Praxis bes- ser als je zuvor gelöst werden. Aber es gibt in den verschiedenen politi- schen Lagern, die mit so viel Freibe- ruflichkeit überhaupt nichts anfan- gen können, auch völlig andere Vor- stellungen, so daß ich mir in dieser Richtung keine Illusionen mache.

Wenn die Ärzteschaft in ihren

„Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen" auch ein klares Be- kenntnis zur Notwendigkeit wirt- schaftlichen Handelns ablegt, so hat sie sich dort nicht zu sozialökonomi- schen Problemlösungen geäußert.

Inzwischen ist das aber bei vielen an- deren Gelegenheiten geschehen, in den Konzertierten Aktionen, auf den Ärztetagen 1986 und 1987 und in den Stellungnahmen der ärzt- lichen Körperschaften und Verbän- de zur Strukturreform des Gesund- heitswesens.

Aus allen sachverständigen Äu- ßerungen geht eins hervor: Die Ku- mulation dynamischer Kräfte im ge- sundheitlichen Wirtschaftsbereich aus wissenschaftlichem Fortschritt, technischer Weiterentwicklung, stei- gendem Leistungsbedarf, insbeson- dere wegen der demographischen Entwicklung und dem gesellschaft- lichen Prozeß in Richtung Dienstlei- stungen, macht die Anbindung an die Wachstumsraten anderer Wirt- schaftsbereiche oder gar deren Durchschnitt zur Illusion.

Niemand wird die Verantwor- tung für eine Verschlechterung der Qualität der Krankenversorgung tragen wollen und niemand wird den Gedanken des sozialen Ausgleichs mit gleichem Recht für alle in der Krankenversorgung eine Absage er- teilen wollen. Das aber wäre die Voraussetzung für eine Reform des Gesundheitswesens durch Umstel- lung auf marktwirtschaftliche Grundlagen. Marktregeln sind grau- sam, sie begünstigen den Starken und zwingen den Schwachen zu Ver- zichten. Soziale Marktwirtschaft be- deutet zwar Korrekturen zum Aus- gleich innerhalb der Gesamtwirt- Dt. Ärzten 85, Heft 11, 17. März 1988 (29) A-659

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schaft mit Umverteilungsprozessen.

Sie bedeutet aber noch keine totale Abkoppelung von den Marktregeln

— im Gegenteil, die positiven Anrei- ze sollen erhalten bleiben, die so Be- günstigten aber auch überproportio- nal zugunsten von Gemeinschafts- aufgaben belastet werden.

Der gesundheitliche Wirt- schaftsbereich wird dagegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, über Beiträge und über die öffent- lichen Haushalte finanziert. Seine Abkoppelung von Marktmechanis- men ist, wenn man einmal von wenig durchdachten Selbstbeteiligungen absieht, total. Der Wirtschaftsbe- reich Gesundheit wird aus sozialen Gründen anders finanziert als das sonst in der sozialen Marktwirtschaft üblich ist. Dennoch ist er ein Teil der Gesamtwirtschaft mit zahlrei- chen Verflechtungen in andere Wirt- schaftsbereiche hinein und dazu ein personalintensiver — das heißt Ar- beitsplätze schaffender — Dienstlei- stungssektor.

Er gehört weder zur öffentlichen Verwaltung noch ist er durch Global- steuerungen sinnvoll zu lenken. Seine Wachstumskräfte sind weitgehend autonom. Er ist mit seinen Angebo- ten und seinem Nachfrageverhalten insgesamt abhängig von der Neigung der Menschen zur Sparsamkeit oder zum Gegenteil — niemand hätte dage- gen Einwände, wenn die soziale Fi- nanzierung nicht wäre.

Um die Verbindungen mit der Gesamtwirtschaft an einem simplen Beispiel darzulegen, greife ich ein- mal die Ausgaben der Krankenkas- sen für die kassenärztliche Versor- gung heraus:

—Ein Viertel dieser Ausgaben sind Personalkosten, also Arbeits- plätze für Mitarbeiter, die ihrerseits wieder Steuern und Beiträge zahlen,

—ein weiteres Viertel sind Inve- stitionen. Sie fließen als Investitio- nen von Wirtschaftsgütern unmittel- bar in produktive Wirtschaftsberei- che hinein,

—das dritte Viertel kassiert der Staat an Steuern,

—und lediglich das vierte Viertel sind ärztliche Einkünfte nach Abzug der Steuern, aber vor den Abgaben für die eigene Alterssicherung und die Krankenversicherung.

Mit den entsprechenden Varia- tionen kann dieses Beispiel auf alle Sektoren des gesundheitlichen Wirt- schaftsbereichs übertragen werden.

Dazu kommt die Suche der Ge- sellschaft nach Arbeitsmöglich- keiten für die freigesetzten Arbeits- kräfte aus der automatisierten Indu- strie; im gesundheitlichen Wirt- schaftsbereich gibt es immer mehr zu tun:

Arbeitsplätze

im Gesundheitswesen

• die Zahl der berufstätigen Ärzte stieg um 50 391 (1975 bis 1986)

• die Zahl der Zahnärzte stieg um 5000

• die Zahl der Krankenpflege- personen stieg um 53 561 (1982)

• die Zahl der Masseure, Bade- meister und Krankengymnasten stieg um 10 098 (1982)

• die Zahl der Arzthelferinnen stieg um ca. 47 323

• die Zahl der übrigen Assi- stenzberufe um 12 638 (1982)

• die Zahl der Angestellten in den Gesundheitsverwaltungen um 12 578

• die Zahl der Apotheker um 5268 (1984)

• die Zahl der pharmazeutisch- technischen Assistenten um 6798 (1984)

Bei den Verwaltungsangestell- ten der Krankenkassen ist, soweit man dazu Zahlen von der Berufsge- nossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bekommen konn- te, mindestens eine Verdoppelung der Zahl der Verwaltungsangestell- ten eingetreten, allerdings fehlen da- bei einige große Kassenarten, die sich bei anderen Berufsgenossen- schaften versichert haben. Jedenfalls haben — niedrig geschätzt — rund 250 000 Menschen mehr im gesund- heitlichen Wirtschaftsbereich Arbeit gefunden, und das sind mehr als im Baugewerbe ihre Arbeitsplätze ver- loren haben. Das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen hat- te bereits 1980 eine Zunahme der Beschäftigten in Gesundheitsberu- fen von 16 Prozent registriert, wäh- rend die Zunahme in den anderen

Dienstleistungsberufen nur bei 6 Prozent lag. Allein dieser Aspekt spiegelt eine Entwicklung wider, die mit Kostendämpfungskonzepten nicht verändert werden kann, und angesichts von über 2 Millionen Ar- beitslosen auch nicht verändert wer- den sollte. Dazu kommt die starke Position der Pharmaindustrie mit ih- rem Exportanteil von fast 50 Pro- zent, deren wirtschaftliches Wohler- gehen jedem Marktwirtschaftler am Herzen liegt.

Wo aber soll die Grundlohnkop- pelung funktionieren, wenn die Pro- duktivität und mit ihr die Löhne nicht so steigen wie der gesundheit- liche Wirtschaftssektor wächst?

In den vergangenen Jahren sind die Reserven, die die Ärzte in freier Praxis in den Jahren des Wirtschafts- wachstums bilden konnten, durch sehr zurückhaltende Honorarverein- barungen abgeschmolzen. Die Pra- xiskosten sind im Durchschnitt um 15 Prozent angestiegen, das durch- schnittliche Einkommen aus freibe- ruflicher Tätigkeit mit im Durch- schnitt 50 Stunden straffer Arbeits- zeit in der Woche nähert sich dem Gehalt eines Beamten nach A14 oder A15. Da ist nichts mehr zu ho- len, zumal die Preise für die ärzt- lichen Leistungen mit der jetzt in Kraft getretenen Reform der Ge- bührenordnungen für die RVO- und Ersatzkassen sehr scharf kalkuliert worden sind.

Dazu kommt, daß alle, die im gesundheitlichen Wirtschaftsbereich arbeiten, nicht vergessen haben, daß die Überlastung der aktiven Bei- tragszahler und die hohen Lohnne- benkosten zum größten Teil Folge einer leichtfertigen Sozialpolitik in den frühen siebziger Jahren ist. Die angesparten Beiträge der Rentner- Krankenversicherung, die bei der Rentenreform von 1957 ausdrücklich nicht in den Generationenvertrag einbezogen worden sind, wurden ver- braucht. Als das Geld in den Staats- kassen so knapp wurde, daß die Staatsquote an die Rentenversiche- rungen nicht mehr in derselben Höhe aufrechterhalten werden konnte,

— 1883 waren es noch 30 Prozent, heu- te sind es 17,5 Prozent —, bedien- te sich die bundesdeutsche Legis- lative aus den Taschen der ak- A-660 (30) Dt. Ärztebl. 85, Heft 11, 17. März 1988

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tiven Beitragszahler der Krankenkas- sen. Damals, 1977, waren es rund 6 Milliarden, die nun anstelle von den nicht mehr vorhandenenangesparten Beiträgen bei den Rentenversiche- rungen von den aktiven Versicherten aufgebracht werden mußten. Heute sind das 3,5 von den durchschnittlich 12,8 Beitragsprozentpunkten, also mehr als 25 Prozent des Beitrags. Das Hin- und Hergeschiebe von Beitrags- prozentpunkten zwischen Renten- versicherung, Arbeitslosenversiche- rung und Krankenversicherung ist für die Versicherten und für die Rentner wenig geeignet, zur Sparsamkeit an- zuregen. Daß sich der Staat sogar mit den Krankenversicherungsbei- trägen der Rentner Entlastungen eingehandelt hat, nämlich wiederum geringere Zuschüsse an die Renten- versicherungen, versteht zumindest der Rentner überhaupt nicht mehr.

Wenn er schon etwas über das hin- aus bezahlen soll, was er eigentlich mit seinen Beiträgen an die Renten- versicherung schon bezahlt hat, dann soll das wenigstens seine Kran- kenkasse bekommen. Aber dem ist leider nicht so.

Kurzum es hilft nichts, der Staat, der sich in guten Zeiten aus fremden Taschen bedient hat, der muß jetzt, wo das Geld nicht mehr reicht, für seine Entscheidungen von damals eintreten. Schon die einfache Erkenntnis, daß die 25 Prozent Bei- tragsauteil nie durch Selbstbeteili- gungen oder Leistungsausgrenzun- gen eingespart werden könnten, zeigt, daß damit keine Stabilität der Beitragssätze zu erreichen ist.

So kann auch die zur Zeit in Vorbereitung befindliche Struktur- reform des Gesundheitswesens nicht dazu führen, daß der dazugehörige Wirtschaftsbereich kleiner wird. Im Gegenteil, weil hinsichtlich der Prä- vention und der Pflegeleistungen weitere Tätigkeitsfelder hinzukom- men werden, wird er größer werden.

Wer meint, das könnte aus Um- schichtungen finanziert werden, der träumt neben der Wirklichkeit her.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med.

Ernst Eberhard Weinhold Berliner Allee 22

3000 Hannover 1

DEUTSCHES

ARZTEBLATT

KURZBERICHTE

Bundesländer fordern

"sinnvolle" Länge der Praxisphase

Die gemeinsame Sonderkonfe- renz der Sozial- und Gesundheitsmi- nister der Länder (am 25. Februar in Bonn) hat im Zusammenhang mit der Beratung des vom Bundesar- beitsministeriums vorgelegten Refe- rentenentwurfs eines ,,Gesundheits- reformgesetzes'' auch deren Positio- nen zur "Ausbildung in der Medi- zin" akzentuiert. Die Entschließun- gen heben sich zum Teil von frühe- ren Länder-Eckwerten und auch de- nen des Bundes ab.

So fordern die Minister, die Ka- pazitätsverordnungen neuzufassen, um die Ausbildungskapazitäten im Studiengang Medizin reduzieren zu können. Die Länderkonferenz ver- weist auf die drei Sachverständigen- gutachten zur Ausbildungskapazität in der Medizin (dazu Heft 311988:

, ,Zu viele Studenten, zu wenige Pa- tienten").

Die Vorschriften des Ausbil- dungs- und Prüfungsrechtes sowie die Durchführung der Arzt-im-Prak- tikums-Zeit müßten aufeinander ab- gestimmt und harmonisiert werden.

Speziell zum Problemkomplex , ,Ärztliche Ausbildung/ Arzt im Praktikum/Vorbereitungszeit für die kassenärztliche Tätigkeit" stellen die Länderminister fest:

~ Eine mindestens 18monatige Tätigkeit als Arzt im Praktikum sol- le Voraussetzung für die Approba- tion als Arzt sein. Für die Zulassung als Kassenarzt sollten weitere sechs Monate Vorbereitungszeit ausrei- chend sein. Dagegen halten es die Länder für "bedenklich", die AiP- Zeit auf 12 Monate zu verkürzen und ein~ mindestens 12 Monate dau- ernde spezielle kassenärztliche Vor- bereitungszeit gesetzlich vorzu- schreiben.

Begründung: , ,Eine Strukturie- rung/ Aufteilung der AiP-Zeit bezie- hungsweise in Tätigkeiten im kon- servativen und operativen Bereich, die vom Ausbildungszweck wün- schenswert wäre, scheidet bei einer Gesamtdauer von nur noch 12 Mo- naten praktisch aus.''

Die Abwicklung der AiP-Zeit ließe sich durch die Länder nur dann in etwa gewährleisten, wenn die Be- schäftigung als Arzt im Praktikum , ,sinnvoll ausgestaltet werden kann''. Dies erfordere eine Beschäf- tigung des Arztpraktikanten auf ei- ner bestimmten Stelle über eine ge- wisse Dauer und eine deutliche Un- terscheidung von den Studenten im Praktischen Jahr (ein Jahr im letzten Abschnitt des Medizinstudiums). Ei- ne sechsmonatige Assistenzarzttätig- keit (anstelle einer gesetzlich vorge- schriebenen kassenärztlichen Vor- bereitungszeit) halten die Länderso- zial- und Gesundheitsminister in Anbetracht der sich verschlechtern- den Stellensituation für , ,eher durchführbar''.

In einem anderen Beschluß der Länderminister heißt es: "Die Vor- bereitungszeit auf die kassenärzt- liche Tätigkeit darf sich nicht als un- überwindliche Hürde auf dem Weg zur Berufsausübung auswirken. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesver- einigung haben deshalb über die vorgesehene Regelung (§ 84 Ab. 8 Entwurf des Gesundheitsreformge- setzes) hinaus dafür zu sorgen, daß die benötigten Plätze zur Ableistung der Vorbereitungszeit in den Praxen niedergelassener Kassenärzte zur Verfügung stehen.''

Die Länderfachressorts empfeh- len, die Krankenkassen per Gesetz zu verpflichten (nach einer Über- gangszeit) , , Transparenz-Leistungs- konten" zu führen, in der die ma- schinellen Abrechnungsverfahren mit den Leistungserbringern zu ver- einbaren sind. Ferner sollten Um- fang und Verwendungszweck der Datenspeicherung bei den Kassen- ärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen festgelegt werden (per Gesetz).

Um eine institutionalisierte re- gelmäßige , ,Gesundheitsberichter- stattung" aufzubauen, sollte die Aufbereitung der Leistungsdaten für statistische Zwecke gesetzlich gere- gelt werden, empfehlen die Länder- minister. Nach ihrer Ansicht wäre eine fallbezogene, anonyme und nach Regionen gegliederte Verfüg- barkeit der Leistungsdaten , ,praxis-

gerecht''. EB

Dt. Ärztebl. 85, Heft 11, 17. März 1988 (33) A-663

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