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Archiv "Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit" (17.07.2006)

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M E D I Z I N

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A1960 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 28–29⏐⏐17. Juli 2006

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ie klein ist zu klein?“ fragten bereits Hack und Fanaroff 1988 (1). Die Diskussion über die Überlebenschancen extrem unrei- fer Frühgeborener ist nach der Publi- kation der neuesten Daten der EPI- Cure-Studie, einer englischen Popula- tionsstudie, international erneut ent- facht (2). Die Ergebnisse dieser Studie haben auch in Deutschland zu Diskus- sionen über die Grenzen der Lebens- fähigkeit geführt.

Während in der Schweiz die Versor- gung von Frühgeborenen vor der voll- endeten 25. Gestationswoche (GW) kritisch gesehen und in den Niederlan- den die Euthanasie schwerstbehinder- ter Neugeborener erörtert wird, ist es in Deutschland Leitlinienempfehlung lebenserhaltende Maßnahmen zu er-

greifen, wenn für das Kind auch nur ei- ne kleine Überlebenschance besteht (3, 4). Dies ist vor der vollendeten 23.

Gestationswoche selten bis nie der Fall. Aber bereits eine Woche später können Eltern, Geburtshelfer und Neonatologen vor der schwierigen Entscheidung stehen, inwieweit post- natal Intensivmaßnahmen getroffen werden sollen. In seinem exzellenten Editorial zur Frage der Behandlung schwerstkranker Neugeborener for- dert Fost Daten als Grundlage ethi- scher Entscheidungen („good ethics starts with good facts“) (5). Im Fol- genden wird die derzeitige Datenla- ge zur Mortalität und Morbidität im In- und Ausland zusammengefasst und bewertet.

Methoden

Das Datenmaterial stammt aus einer Auswahl relevanter Veröffentlichungen über extreme Frühgeburtlichkeit. Es wurde durch eigene und durch Angaben

zweier deutscher Neonatalerhebungen ergänzt. Die Literaturübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist insbesondere keine Metaanalyse aller publizierten Studien. Entspre- chend der International Classification of Disease (10th revision) wird das Gestationsalter als das postmenstruelle Alter definiert und in Wochen und Ta- gen angegeben. 25 Wochen und 0 Tage (25 0/7) entspricht beispielsweise dem Beginn der 26. Schwangerschaftswoche.

Ergebnisse

Mortalität

Die EPICure-Studie erfasste alle 4 004 Geburten mit einem Gestations- alter von 20 0/7 bis 25 6/7 Wochen in Irland und Großbritannien für das Jahr 1995 und verfolgt seither die Ent- wicklung der Überlebenden zu defi- nierten Zeitpunkten (6–8).

In der Tabelle werden die Morta- litätsraten der EPICure-Studie und

Frühgeborene an der Grenze der

Lebensfähigkeit

Zusammenfassung

Der Einsatz intensivmedizinischer Maßnah- men bei sehr unreifen Frühgeborenen an der Grenze der Lebensfähigkeit wird internatio- nal kontrovers diskutiert. Für eine objektive, valide Beratung von Eltern, für Entscheidun- gen über das Vorgehen und für die Qualitäts- kontrolle der eigenen Abteilung werden so- wohl populationsbasierte Mortalitäts- und Morbiditätsdaten als auch die Ergebnisse ein- zelner Perinatalzentren benötigt. Weder dür- fen niedrige Mortalitätsraten einzelner Zen- tren zu einem unberechtigten Optimismus führen und die Langzeitmorbidität außer Acht lassen, noch dürfen die meist schlechte- ren Überlebensraten und die höhere Morbi- dität populationsbasierter Untersuchungen in einem therapeutischen Nihilismus enden.

Die perinatale und neonatale Mortalität wer- den in den Neonatalerhebungen der einzel- nen Bundesländer erfasst, aber im Gegensatz

zu anderen Ländern gibt es für Deutschland keine aktuellen Daten über die Langzeitmor- bidität extrem unreifer Frühgeborener. So- wohl die flächendeckende Vorsorge Schwan- gerer als auch die Versorgung Frühgeborener unterscheiden sich von anderen Ländern, ins- besondere den USA. Daher sind eigene Nach- sorgedaten, sowohl von einzelnen Perinatal- zentren als auch populationsbasiert, drin- gend notwendig.

Schlüsselwörter: Frühgeborenes, Mortalität, Morbidität, Grenzen der Lebensfähigkeit

Summary

Neonates at the margins of viability The initiation of neonatal intensive care for in- fants at the limits of viability is a subject of in- tense international debate. Objective, valid in- formation for parents and for quality manage-

ment requires both population based mortality and morbidity data and data from individual perinatal units. The better outcome data of in- dividual perinatal centers should not result in unqualified optimism, but nor should worse outcomes in population based studies lead to therapeutic nihilism which can become a self fulfilling prophecy. Mortality and short term morbidity data for premature infants are collected for individual German states, but there is a lack of long term neurodevelopmen- tal outcome data for extremely premature infants in Germany. Prenatal care is available to all women in Germany and some aspects of neonatal care also differ compared to other countries, in particular to the US. Longitudinal, population based outcome data, as well as data from individual centers, are urgently needed.

Key words: premature infant, mortality, morbi- dity, limits of viability

1Neonatologie (Leiterin: Prof. Dr. med. Orsolya Genzel- Boroviczény) der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, Klinikum der Universität Mün- chen

2Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburts- hilfe (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Friese), Klinikum der Universität München

Orsolya Genzel-Boroviczény1 Klaus Friese2

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des Swiss Minimal Neonatal Data Set den Daten aus Deutschland gegen- übergestellt. Der Vergleich der Sterbe- raten ist durch unterschiedliche Defi- nitionen erschwert. Die Mortalität be- zieht sich je nach Publikation auf alle Geborenen oder aber auf alle in einer neonatologischen Intensivstation auf- genommenen Kinder und schließt da- mit die im Kreißsaal verstorbenen a priori aus.

Die so genannte „neonatale Morta- lität“, die sich auf die ersten 28 Le- benstage beschränkt, ist in diesem Grenzbereich nicht sinnvoll, weil ein Frühgeborenes der 24. Woche (23 0/7) 28 Tage später erst 27 Gestationswo- chen alt ist und dem entsprechend noch einen langen Krankenhausauf- enthalt vor sich hat. Die meisten Mor- talitätsraten beziehen sich daher auf den gesamten Klinikaufenthalt. Dabei werden solche Frühgeborene, die nach der Entlassung an den Folgen ihrer Frühgeburtlichkeit sterben, nicht er- fasst.

Ein weiteres Problem liegt in der unterschiedlichen Zusammenfassung von Gestationswochen. In den Neona- talerhebungen der Bundesländer wur- den über mehrere Jahre die sehr unrei- fen Frühgeborenen unterschiedlich zusammengefasst: zunächst alle mit ei- nem Gestationsalter von weniger als 28 Wochen, danach diejenigen mit ei- nem Gestationsalter von weniger als 26 Wochen, jetzt zum Teil auch aufge- schlüsselt in weniger als 24 Wochen und 24 bis 25 Wochen.

Ein Vergleich von Geburtsgewicht- klassen erscheint auf den ersten Blick vorteilhafter, weil das Geburtsgewicht genauer als das Gestationsalter (Prä- zision des Frühultraschalles ± 4 Ta- ge) gemessen werden kann. Man muss dabei bedenken, dass bei sehr unter- gewichtigen Frühgeborenen der An- teil an wachstumsretardierten Kin- dern relativ hoch ist, die Mortalität aber in diesem Grenzbereich primär eher durch die extreme Unreife als durch das niedrige Geburtsgewicht bestimmt wird.

Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, unterscheiden sich die Mortalitätsra- ten deutscher Perinatalzentren trotz dieser Beschränkungen deutlich von den Schweizer Daten.

Morbidität

Bei der Morbidität ist zwischen Kom- plikationen der unmittelbaren postna- talen Phase, Störungen der Entwick- lung in den ersten Lebensjahren und schwerer lebenslanger Behinderung zu unterscheiden. Gravierende postnatale Komplikationen betreffen hauptsäch- lich Gehirn, Lunge und Darm. Schwere intraventrikuläre Zerebralblutungen findet man bei vier bis 15 Prozent sehr unreifer Frühgeborener. Sie können mit schlechteren entwicklungsneuro- logischen Ergebnissen assoziiert sein.

Fast alle Frühgeborene mit einem Gestationsalter von weniger als 26 Wo- chen entwickeln eine Retinopathie un- terschiedlichen Grades. In der EPI- Cure-Studie mussten etwa 15 Prozent der Fälle deswegen auch mit Laser- oder Kryotherapie behandelt werden (6). Ei- ne vollständige Erblindung tritt in Peri- natalzentren aber inzwischen sehr sel- ten auf.

Auch bei pränataler Steroidgabe zur Lungenreifung und dem Einsatz von Surfactant postnatal entwickelt sich aus dem neonatalen Atemnotsyn- drom bei sehr unreifen Frühgebore- nen häufig eine bronchopulmonale Dysplasie. Diese mündete bei 32 der Überlebenden der EPICure-Studie in einen zusätzlichen Sauerstoffbedarf zum Zeitpunkt der Entlassung (6). Die Inzidenz der nekrotisierenden Ent- erokolitis variiert mit sechs bis elf Pro- zent zwischen den Zentren und trägt mehr zur Mortalität als zur Langzeit- morbidität bei, weil ein resultierendes Kurzdarmsyndrom selten ist.

Entwicklungsneurologische Ergebnisse

Die Frühgeborenen der EPICure-Stu- die werden zu bestimmten Zeitpunkten mit standardisierten Tests entwick- lungsneurologisch untersucht. Im Alter von sechs Jahren konnten 78 Prozent der 308 überlebenden Kinder nachbe- obachtet und mit einer Kontrollgruppe von 160 reifgeborenen, gleichaltrigen Kindern verglichen werden. Der Anteil an schwerer, mäßiger oder leichter Be- hinderung lag bei 22, 24 beziehungswei- se 34 Prozent. Zwölf Prozent litten an einer schweren Zerebralparese.

Legt man die Referenzwerte der kognitiven Tests zugrunde, befanden sich nur 21 Prozent der ehemaligen Frühgeborenen unterhalb des Norm- bereichs, das heißt zwei Standardab- weichungen unterhalb des Mittelwer- tes. Verwendet man zum Vergleich statt der Referenzwerte den Mittel- wert der reifgeborenen Kontrollgrup- pe, lagen 41 Prozent der ehemaligen Frühgeborenen zwei Standardabwei- chungen unter diesem Mittelwert. Ver- gleichbare entwicklungsneurologische Daten aus dem deutschsprachigen Raum fehlen. Inwieweit die Resultate der EPICure-Studie für Deutschland übernommen werden können, muss kritisch hinterfragt werden. Die prä- natale Versorgung ist in Deutschland flächendeckend und umfasst auch so- zial schwache Schichten, Migranten und Flüchtlinge.

Diskussion

1975 startete die Münchner Perinatal- studie. Sie wurde 1979 als bayerische Perinatalerhebung flächendeckend für Bayern implementiert. Inzwischen werden Perinataldaten in allen Bun- desländern erhoben. In der Literatur findet man Mortalitätsraten für ganze Regionen wie in der EPICure-Studie, für neonatale Netzwerke und für indi- viduelle Perinatalzentren.

Regionale Ergebnisse erscheinen auf den ersten Blick am aussagekräf- tigsten, unterliegen aber auch ihrem ei- genen spezifischen Bias (9). Wie be- reits erwähnt, beruhen die Empfehlun- gen der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie zwar auf regionalen, aber auch sehr kleinen Patientenzah- len. Das Schweizer Beispiel mit den kleinen Zahlen und die sehr große EPICure-Studie mit einer sehr hetero- genen Population demonstrieren die beschränkte Aussagekraft regionaler Untersuchungen. Ihre Ergebnisse soll- ten nicht uneingeschränkt übernom- men werden, weil prä- und postnatale Versorgung und Zugang zu Vorsorge- untersuchungen sehr verschieden sein können. Wie die Tabelle zeigt, können die kumulativen Daten eines einzelnen Perinatalzentrums ausreichend groß sein, um valide Aussagen zu treffen.

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Populationsbasierte Mortalitätsra- ten enthalten je nach Land einen sehr unterschiedlich großen Anteil an post- natal verlegten Frühgeborenen. Post- natale Verlegungen erhöhen die Mor- talität und die Morbidität. Wenn die Überlebenschancen für sehr unreife Frühgeborene als nicht sehr gut beur- teilt werden und die Behandlung als vergeblich eingestuft wird, wird häufig auf die Verlegung verzichtet; Frühge- borene sterben dann ohne Therapie im Kreissaal. Dies führt im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung erneut zu einer höheren Mortalität.

Trotz all dieser Ausführungen sind die Ursachen für die großen Unter- schiede in Mortalität und Morbidität zwischen einzelnen Publikationen und einzelnen Zentren nicht leicht zu iden- tifizieren. Horbar untersuchte 7 672 Frühgeborene mit Geburtsgewichten von 501 bis 1 500 g, die zwischen 1991 und 1992 in 62 Zentren des Vermont Oxford Network behandelt worden waren (10). Die Mortalitätsraten wa- ren in Ausbildungskliniken zunächst höher. Nach der Berücksichtigung ver- schiedener Patientencharakteristika, wie Gestationsalter oder Geburtsge- wicht, verschwand diese Differenz. Es zeigte sich auch keine Verbindung zwi- schen jährlichem Patientenaufkom- men und Mortalitätsraten, dabei be- handeln fast alle Zentren wesentlich mehr Patienten als die Perinatalzen- tren in Deutschland. Hier konnten bis-

her zwei Publikationen eine Abhän- gigkeit der Mortalität von der Anzahl der behandelten Patienten nachwei- sen (11, 12).

Vohr analysierte die Mortalität und Morbidität von 2 478 lebenden Frühge- borenen mit Geburtsgewichten zwi- schen 401 und 1 000 g, zwischen 1993 und 1994 in die zwölf Zentren des Neo- natal Research Network des National Institute of Child Health and Human Development aufgenommen wurden.

Bezüglich demographischer Daten, Vorsorgeuntersuchungen, pränataler Steroidgabe, neonataler Interventio- nen, Mortalität und Morbidität gab es signifikante Unterschiede zwischen den Zentren (13). Unter anderem konnten bei kürzeren Beatmungszeiten und einem schnelleren enteralen Nah- rungsaufbau bessere Langzeitergebnis- se nachgewiesen werden – auch nach Berücksichtigung der maternalen und neonatalen Daten (13). In Deutschland werden Frühgeborene meist kürzer be- atmet und schneller enteral ernährt als in den meisten angelsächsischen Län- dern. Das könnte die besseren Resulta- te einzelner Zentren erklären und die Übernahme der Ergebnisse der EPI- Cure infrage stellen.

Auch der Einfluss pränataler Vor- sorge auf Überleben und Langzeit- mortalität und -morbidität konnte nachgewiesen werden (14). Die größte Untersuchung zwischen Zentren, die 19 265 Frühgeborene in 17 Neugebo-

renen-Intensivstationen in Kanada vergleicht, betont die Bedeutung von Schwangerschaftsvorsorge und präna- talem Transport der Mutter. Alle Stu- dien stimmen überein, dass der Trans- port in utero dem postnatalen Trans- port des Kindes vorzuziehen ist. Der optimale Zeitpunkt für diese Transfers ist jedoch oft schwierig zu beurteilen.

Im eigenen Zentrum sind fast alle der Frühgeborenen im versorgenden Peri- natalzentrum geboren worden, und fast alle Schwangeren erhalten Maß- nahmen zur Lungenreifung des Feten.

Die Planung und die Handhabung der Entbindung ist äußerst wichtig, beson- ders bei extrem unreifen Frühgebore- nen. Die Abwägung zwischen den Ri- siken der Schwangerschaftsverlänge- rung und den postnatalen Komplika- tionen erfordert große Erfahrung. Die Schweizer Empfehlungen lehnen ei- nen In-utero-Transfer in ein Perinatal- zentrum vor der Lebensfähigkeit ab.

Nach eigenen Beobachtungen ist das Management von Risikoschwanger- schaften in erfahrenen Zentren jedoch bereits vor oder in der 23. Woche we- sentlich besser und führt zu Schwan- gerschaftsverlängerungen nicht nur bis zum Beginn der Lebensfähigkeit des Kindes, sondern auch darüber hinaus.

Im Gegensatz dazu zieht der verspätete Transport einer instabileren Risikopa- tientin knapp nach Erreichen der Le- bensfähigkeit des Kindes oft eine baldi- ge Entbindung nach sich.

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´ Tabelle 1

Vergleich von Mortalitätsstatistiken

Studie 23 0/7–23 6/7 24 0/7–24 6/7 25 0/7–25 6/7

Mortalität (%) Mortalität (%) Mortalität (%)

(Verstorbene/Gesamtzahl) (Verstorbene/Gesamtzahl) (Verstorbene/Gesamtzahl)

EPICure Study Group 80 (105/131) 66 (198/298) 59 (171/357)

(1995) (5)

MNDS 100 (5/5) 82 (23/28) 53 (33/62)

(2000) (15)

Genzel-Boroviczény 31 (13/42) 21 (16/78) 21 (16/78)

(1990–2000) (16)

Bayerische Neonatalerhebung 53 (16/30) 18 (27/150)*

(2000) (www.baq-bayern.de)

Rapp 1997–1999 (12) 70 (7/10) 52 (13/25) 35 (15/43)

Polandt 1995–1997 (17) 38 24

Die Jahreszahlen beziehen sich auf die Erfassungsjahre.

* Frühgeborene mit 24 0/7 bis 25 6/7 Gestationswochen

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Diese Verbesserung durch die Ver- längerung der Tragzeit durch ein gutes perinatales Management kann nur schwer bis gar nicht nachgewiesen wer- den, weil die meisten Perinatalerhe- bungen keine ausreichend detaillier- ten Daten über das pränatale Vorge- hen enthalten.

Der Grad an Kooperation und Kommunikation zwischen Geburtshel- fern und Neonatologen beim Manage- ment einer Risikoschwangerschaft und der optimale Zeitpunkt der Entbin- dung fließen normalerweise nicht in die Studien ein. Tägliche Gespräche zwischen Geburtshelfern und Neona- tologen über prä- and postnatale Pati- enten tragen aber sicher zu besseren Resultaten bei.

Für die Problematik der Beratung von Eltern und ärztlichen Kollegen bezüglich des Transfers der Schwange- ren und deren Entbindung ist daher eine Vielfalt an Daten, von popula- tionsbasierten bis zu zentrumsbasier- ten Untersuchungen, notwendig. Nie- drige Mortalitätsraten dürfen nicht zu falscher Euphorie bezüglich des Über- lebens an der Grenze der Lebensfähig- keit extrem früh Geborener führen, weil diese Kinder leider in allen Studi- en ein hohes Morbiditätsrisiko haben.

Andererseits ist die Veröffentlichung von niedrigen Mortalitätsraten wich- tig, um nicht durch die alleinige Publi- kation hoher Mortalität und Morbi- dität in einen ärztlichen Nihilismus zu verfallen, der dann wieder schlechte Ergebnisse hervorbringt.

In der Bekanntmachung der Ver- einbarung gemäß § 137 über die

„Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neu- geborenen“ vom 20. September 2005 wird zum ersten Mal in Deutschland die Teilnahme an Perinatal- und Neo- natalerhebungen und die Durchfüh- rung einer standardisierten entwick- lungsneurologischen Nachsorgeunter- suchung zwingend vorgeschrieben.

Diese Maßnahme wird hoffentlich zu einer besseren Datenlage beitragen.

Es konnte bereits mithilfe der Daten der Niedersächsischen Perinatalerhe- bung eine niedrigere Mortalität für wachstumsretardierte Frühgeborene nachgewiesen werden, die in größeren Perinatalzentren (mehr als 36 Frühge-

borene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1 500 g pro Jahr) versorgt wurden (11).

Tyson fordert bei Entscheidungen in den Grenzbereichen des Lebens ei- ne evidenzbasierte Ethik, die den ge- wissenhaften und wohl überlegten Einsatz der besten Evidenz in Bezug auf Behandlung und Prognose bein- haltet und Intuition, Erinnerung an ei- gene Erfahrung und „Expertenmei- nung“ als alleinige Basis für Entschei- dungen relativiert. Sie schließt die Werte und Präferenzen der Patienten beziehungsweise Eltern bei der Wahl der Behandlung ein (9).

Resümee

Die Überlebensrate extrem unreifer Frühgeborener variiert zwischen eu- ropäischen Ländern und auch zwischen Perinatalzentren. Die Ursachen für diese Unterschiede sind vielfältig. Ge- burtshelfer und Neonatologen benöti- gen eine breite Grundlage von interna- tionalen und lokalen sowie von popula- tionsbasierten und zentrumsbasierten Daten, kombiniert mit Nachsorgean- gaben, um Schwangere mit drohender Frühgeburt zu beraten und zu behan- deln. Diese Angaben sind zudem für den Qualitätsvergleich eigener Ergeb- nisse wichtig. Die Zusammenführung der Perinatal- und Neonatalerhebun- gen und kooperative Nachsorgestudien sind daher dringend erforderlich. Die- ses statistische Material ist ein wichti- ger Baustein im Dialog zwischen El- tern und Ärzten.

Manuskript eingereicht: 11. 10. 2005, revidierte Fas- sung angenommen: 1. 2. 2006

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(28–29): A 1961–4.

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Orsolya Genzel-Boroviczény Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Klinikum der Universität München Maistraße 11, 80337 München M E D I Z I N

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