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Archiv "Umgang mit Patientenverfügungen: Probleme durch pauschale Formulierungen" (15.11.2013)

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A 2186 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 46

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15. November 2013

U

m selbstbestimmt am Ende des Lebens Entscheidungen treffen zu können, wird seit vielen Jahren intensiv über die Patienten- verfügung (PV) diskutiert (1). Da- bei steht die PV als Oberbegriff für die Willenserklärung eines einwilli- gungsfähigen Menschen für künfti- ge medizinische und pflegerische Behandlungen (2). Die Grafik zeigt die Ergebniskategorien.

Aus Sicht von fünf befragten lei- tenden Intensivmedizinern (Kasten) sind Patientenverfügungen häufig wenig hilfreich, da die Inhalte fast nie die konkrete Situation beschrei- ben, in der sich der Patient dann wirklich befindet. Nur sehr wenige PVen sind ihrer Ansicht nach um- setzbar und erfüllen ihr Ziel. Zahl- reiche PVen bestehen den Befragten zufolge aus vorgefertigten Textbau- steinen oder sind Vordrucke, die aus dem Internet heruntergeladen wur- den und dadurch wenig aussage- kräftig sind. Wenn ein akutes Ereig- nis eintritt, ist die Patientenverfü- gung außerdem oft nicht verfügbar, bedauern die befragten Ärzte. In solch einer konkreten Notfallsitua- tion wäre das Lesen einer PV viel zu zeitintensiv.

Falsche Vorstellungen von der medizinischen Praxis

Ein weiteres Problem besteht, so die befragten Ärzte, außerdem dar - in, dass die meisten Patienten ihre Meinung gegenüber einer Therapie ändern, wenn sie plötzlich selbst betroffen sind und sich bewusst in diesem Krankheitserleben befin- den, direkt mit der Thematik kon- frontiert werden und das Leben auf einmal endlich erscheint. Fehlende Fachkenntnisse, teilweise auch von Juristen und Hausärzten, könnten dazu führen, dass Situationen oft falsch eingeschätzt werden. Vor al- lem in Bezug auf den Verzicht auf

bestimmte medizinische Maßnah- men sind Patientenverfügungen oft fehlerhaft. So fehlt nach Aussage der interviewten Ärzte beispiels- weise nicht selten die Differenzie- rung von Akutsituation und Dauer- zuständen.

Viele Menschen haben falsche Vorstellungen von der medizini- schen Praxis und somit von den heutigen therapeutischen und dia - gnostischen Möglichkeiten. Andere Patienten sind durch die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung dahingehend verunsichert, dass sie jegliche erbringbare Leistung for- dern. Die interviewten Intensivme- diziner berichteten, dass in den meisten Fällen schon bei der Pa- tientenaufnahme erfasst wird, ob ei- ne PV vorliegt.

Hilfestellung für klinische Ethikkomitees

Die Intensivmediziner vermuten, dass Menschen eine Patientenverfü- gung erstellen, um sich vor der Ag- gressivität der Medizin zu schützen und unnötige Qualen und Leid so- wie eine nutzlose, nicht mehr le- bensbringende Therapie zu vermei- den. Diese Patientenverfügungen können eine Hilfestellung für die klinischen Ethikkomitees sein, die häufig in schwierigen Fällen zurate gezogen werden. In den meisten Fällen wird dann eine Empfehlung für die unmittelbar Beteiligten aus- gesprochen, was als große Hilfe für Ärzte und auch für Angehörige emp- funden wird. Der Entschluss zum Therapieabbruch fällt Ärzten häufig nicht leicht. Eine Möglichkeit des Therapieabbruches ist die „finale Extubation“, jedoch wird diese nicht von allen interviewten Intensivme- dizinern befürwortet. In der Regel wird in den befragten Kliniken eher eine Therapiebegrenzung vor einem Therapieabbruch favorisiert.

Mittels problemzentrierter Interviews wurden fünf Intensiv- mediziner hinsichtlich der Praktikabilität von Patientenverfü- gungen befragt. Die Interviewpartner, fünf leitende Fachärz- te für Anästhesie und Intensivmedizin aus vier verschiede- nen Kliniken in Sachsen-Anhalt, werden mindestens einmal wöchentlich mit einer PV konfrontiert. Als Erhebungsver- fahren wurden leitfadengestützte problemzentrierte Inter- views gewählt (3). Als Analysetechnik wurde die qualitative Inhaltsanalyse, (Zusammenfassung und induktive Katego- rienbildung nach Mayring) (4) angewandt. Die Ergebnis - kategorien sind in der Grafik schematisch dargestellt.

METHODIK

UMGANG MIT PATIENTENVERFÜGUNGEN

Probleme durch pauschale Formulierungen

Intensivmediziner begrüßen die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen, berichten jedoch von Schwierigkeiten bei der Umsetzung.

Foto: i Stockphoto

P O L I T I K

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A 2188 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 46

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15. November 2013 Mit dem am 1. September 2009

in Kraft getretenen „Patientenver- fügungsgesetz“ wurde das Instru- ment der PV in das Betreuungs- recht eingeführt und damit erst- mals gesetzlich geregelt (5). Diese gesetzliche Regelung wurde von den Intensivmedizinern sehr gut angenommen. Die Gesetzeslage bringt ihrer Ansicht nach mehr Rechtssicherheit und minimiert da- mit die Sorge hinsichtlich unterlas- sener Hilfeleistungen. Damit ha- ben die Ärzte mehr Spielraum, den Patientenwillen umzusetzen. Die befragten Ärzte halten aber auf je- den Fall ein Gespräch mit den An- gehörigen/dem Betreuer für erfor- derlich.

In der Literatur wird auf eine Vielzahl an Problemen in den ver- schiedensten Bereichen im Umgang mit Patientenverfügungen hinge- wiesen (6) – von Problemen in der

Formulierung, Problemen in der Reichweitenbestimmung, Proble- men im Widerruf bis hin zu einer Vielzahl an Gefahren, die eine Pa- tientenverfügung bergen kann (7).

Viele Vordrucke sind unbrauchbar

Ausgehend von den Ergebnissen dieser Befragung können zahlrei- che Schwierigkeiten im Umgang mit PVen bestätigt und ergänzt werden. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass diese Interviews nur einen sehr limitier- ten Ausschnitt der Meinungen al- ler Intensivmediziner in Deutsch- land darstellen. Die befragten Ärzte weisen wie Kierig und Beh- lau (7) darauf hin, dass ein grund- legendes Problem bei der Abfas- sung einer Patientenverfügung dar - in besteht, dass niemand vorhersa- gen kann, ob und vor allem in wel-

cher Situation die von ihm ver- fasste PV zum Tragen kommt. Der Patient kann sich laut der befrag- ten Ärzte und ebenso nach Zim- mermann (8) somit bei der Erstel- lung der Patientenverfügung über die Tragweite seiner Entscheidung nie vollständig im Klaren sein. Al- lerdings war sich der Gesetzgeber dieser Umstände durchaus be- wusst (7). Trotz oder gerade we- gen einer Vielzahl von ungefähr 250 verschiedenen Formularen für Patientenverfügungen, die sich in Deutschland im Umlauf befinden, bleibt das Problem bestehen, dass viele Vordrucke zu PVen aufgrund pauschaler Formulierungen bei schwierigen Entscheidungen in der Intensivmedizin unbrauchbar sind. Diese Einschätzung der In- tensivmediziner deckt sich eben- falls mit den bestehenden Exper-

tenmeinungen (9).

Susan Langer, Jens-Uwe Knorr, Almuth Berg Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Med. Fakultät Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg GRAFIK

Die Befragung von Intensivmedi-

zinern bestätigt und ergänzt zahlrei-

che Probleme im Umgang mit Patien-

tenverfügungen.

Umgang mit Patientenverfügungen im intensivmedizinischen Bereich

Generelle Probleme bezüglich der Umsetzbarkeit

Konfrontation mit dem Alltags- verständnis

Umsetzung in der eigenen

klinischen Praxis

Ethische Heraus- forderungen

Generelle Einstellung zur

Patienten - verfügung

Geringe Präzision hinsichtlich

konkreter Situationen

Mangelnde Fachkenntnisse

und Ungewissheit

Keine Behand- lung gegen den Patienten-

willen

Unsicherheiten hinsichtlich

passiver Sterbehilfe

Gesetzliche Neuregelung

Laienanspruch an Behandlungs -

maßnahmen

Vermittlung einer falschen Sicherheit und

Enttäuschung

Berück - sichtigung vorhandener Patienten - verfügungen

Entscheidung unter Ungewissheit

Vorteile einer Patienten - verfügung

(Zeit-)Probleme in Not - situationen

Falsche Vor- stellungen und Unsicherheiten aufseiten der

Patienten

Akzeptanz des Patienten-

willens

Schwierig - keiten und Unbehagen bei

Therapie - abbruch

Gefahren

Meinungs - änderung/

Widerruf

Teamentschei- dung und Ethikkomitee

Empfehlungen für die Zukunft

„Allerwelts- Schreiben“

LITERATUR

1. Nordmann H, Schuldzinski W: Patienten- verfügung, Vorsorgevollmacht, Betreu- ungsverfügung. Berlin, Verbraucherzen - trale; 2012.

2. May AT, Brokmann JC: Medizinische und medizinethische Grundlagen der Vorsor- gemöglichkeiten. Anaesthesist 2010; 59:

118–25.

3. Witzel A: Das problemzentrierte Interview.

In: Jüttemann G: Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrens- weisen, Anwendungsfelder. Weinheim:

Beltz; 1985: 227–55.

4. Mayring P: Qualitative Inhaltsanalyse:

Grundlagen und Techniken. Weinheim:

Beltz; 2010.

5. Simon A: Patientenverfügung in der Inten- siv- und Notfallmedizin. Intensivmedizin und Notfallmedizin 2010; 47: 43–8.

6. Ulsenheimer K: Neue Regelung der Pa- tientenverfügung. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Praxis? Anaesthesist 2010; 59: 111–7.

7. Kierig F, Behlau W: Der Wille des Patienten entscheidet: Patientenverfügung, Vorsor- gevollmacht und Behandlungsabbruch.

Heidelberg: C. F. Müller; 2011.

8. Zimmermann W: Vorsorgevollmacht, Be- treuungsverfügung, Patientenverfügung:

für die Beratungspraxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag; 2009

9. Rüddel H, Zenz M: Validierung einer Pa- tientenverfügung. Anaesthesist 2011; 60:

325–33.

P O L I T I K

Referenzen

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