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Archiv "Patientenverfügungen: Angst trifft auf Angst" (06.05.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 18

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6. Mai 2011 A 993 PATIENTENVERFÜGUNGEN

Angst trifft auf Angst

Kranke wie Ärzte tun sich nach wie vor schwer mit der Umsetzung von Patientenverfügungen – auch, weil viele Probleme nicht juristischer, sondern organisatorischer oder kommunikativer Natur sind.

W

enn man den Leiter der Pal- liativstation im Helios-Kli- nikum Berlin-Buch, Dr. med. Mat- thias Gockel, nach seinen Erfahrun- gen mit dem jüngsten Betreuungs- rechtsänderungsgesetz fragt, fällt seine Bilanz eher gemischt aus:

„Ich habe keine Veränderung in der Praxis mit Patientenverfügungen wahrgenommen.“ Viele sind aus seiner Sicht für die jeweilige Ent- scheidungssituation nicht relevant oder mit Formulierungen wie „nicht an Schläuche und Apparate hän- gen“ passiv abgefasst. Auch For- mularverfügungen kann Gockel nichts abgewinnen: „Sie sagen nichts über das Warum einer kon- kreten Entscheidung aus.“ Gockel, seit etwa zehn Jahren palliativmedi- zinisch tätig, berichtete im Rahmen eines Symposiums, dass er sich selbst bislang nur auf eine einzige Patientenverfügung habe beziehen können.

Zwischen Wille und Wohl Dabei hat die neue gesetzliche Vor- schrift nach Ansicht des Palliativ- mediziners durchaus mehr Rechts- sicherheit gebracht. Doch die ei- gentlichen Probleme im Umgang mit dem Patientenwillen sind für Gockel nicht juristischer, sondern organisatorischer, psychischer und kommunikativer Natur: „Angst trifft auf Angst. Ein Arzt hat durch- aus Angst davor, einem Patienten sagen zu müssen, dass er ihn nicht mehr heilen kann.“ Die Angst kön- ne schon darin bestehen, nicht zu wissen, was einen als Arzt in einem solchen Patientengespräch erwartet und wie lange dieses dauert.

Für Rechtsanwalt Oliver Tolmein stellt sich generell die Frage, woher der Arzt weiß, was der Patient will:

„Der Arzt muss nach Feststellung der medizinischen Indikation und

der möglichen Behandlungsmaß- nahmen auch an der Ermittlung des Patientenwillens mitwirken: Ma- chen wir das, was medizinisch indi- ziert ist, oder machen wir das nicht?

Im Zweifelsfall ist er darauf ange- wiesen, was ihm die Angehörigen oder ein Betreuer sagen. Entweder kann er sich eine eigene Meinung bilden oder er ist der Beurteiler einer solchen Äußerung.“

Verglichen mit dem früheren Be- treuungsgesetz, hat es nach den Ausführungen Tolmeins mit dem neuen Gesetz eine Verschiebung gegeben. Früher habe sich der Be- treuer eher bemüht, dem Wohl des Patienten gemäß zu entscheiden, möglicherweise in der Annahme, dass der Tod seinem Wohl nicht entspreche. Heute aber sei der tat- sächliche oder mutmaßliche Wille das absolute Leitbild. „Der Wille ist auch dann zu berücksichtigen, wenn er ausdrücklich nicht dem Wohl des Patienten entspricht“, be- hauptet der Jurist.

Regelungslücken sieht er unter anderem beim Widerruf einer einmal getroffenen Entscheidung:

„Wie widerrufe ich als Wachko- mapatient oder als Mensch, der

sich aktuell in einer psychischen Extremsituation befindet?“ Ein Problem ist es für Tolmein auch, dass es keine Regelung für Kin- der und Jugendliche gibt. Schließ- lich seien auch sie unter Um - ständen einwilligungsfähig. Dem Gesetz nach können aber nur Voll- jährige eine Patientenverfügung hinterlegen.

Fürsorge vor Verbindlichkeit Die christlichen Religionsgemein- schaften haben sich nach Angaben von Prof. Dr. Andreas Lob-Hüde- pohl, Präsident der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, von Anfang an für klare rechtliche Regelungen zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen starkgemacht.

Dahinter steht nach seinen Worten die Überzeugung, dass Menschen, die eine solche Verfügung abfas - sen, sich stärker mit Sterben und Tod auseinandersetzen. Deshalb se- hen die Kirchen in Patientenver - fügungen durchaus ein geeignetes Ins trument der Entscheidungshilfe für Ärzte, Pfleger, An gehörige oder Betreuer.

Lob-Hüdepohl mahnte allerdings die Verantwortlichen in christlichen Krankenhäusern und Altenheimen, die Patientenautonomie ernst zu nehmen und sich nicht hinter einem christlichen Fürsorgeauftrag zu ver- stecken, der gelegentlich in Oppo - sition zum Patientenwillen gebracht werde. „Ich stelle nicht die Lauter- keit eines solchen Motivs infrage.

Aber wer sich darauf stützt, kann sich nicht dezidiert auf ein christli- ches oder theologisches Argument berufen“, betonte der Theologe.

Es gebe zudem kein spezifisch christliches Beratungskonzept für solche Entscheidungen. Wohl aber stellen die Kirchen nach Aussagen Lob-Hüdepohls die Frage nach der Reichweite einer Patientenverfü- gung. Eine Bindungswirkung sol- cher Verfügungen kann es aus ih- rer Sicht dann nicht geben, „wenn Ärzte oder Pfleger beim Suizid assistieren sollen“. Die Kirchen akzeptierten lediglich eine Hilfe im Sterben, „also dann, wenn der Sterbeprozess irreversibel einge-

setzt hat“. ■

Reinhold Schlitt Im September 2009 ist das 3. Betreuungsrechtsänderungs-

gesetz in Kraft getreten. Es regelt den Umgang mit dem mutmaßlichen oder tatsächlichen Behandlungswillen eines einwilligungsunfähigen Patienten und hat Einfluss auf Patientenverfügungen.

Die neue Vorschrift sollte mehr Rechtssicherheit brin- gen. Doch Juristen sehen Regelungslücken. Ärzte wieder- um meinen, dass sich dadurch in der Praxis nichts verän- dert hat; höchstens zehn Prozent aller Patientenverfügun- gen seien überhaupt valide formuliert. Das war bei einem Symposium zum Thema zu vernehmen, welches die Ka- tholische Akademie Berlin Ende März veranstaltete.

WENIG WIRKUNG VOR ORT

P O L I T I K

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