Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 27⏐⏐3. Juli 2009 A1397
P O L I T I K
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on einer „Sternstunde des Par- laments“ spricht in Bezug auf die jüngste bioethische Entschei- dung des Deutschen Bundestages niemand. Das war bei vergangenen Abstimmungen, die ebenfalls kei- nem Fraktionszwang unterlagen, anders. Diesmal hagelt es stattdes- sen Kritik an dem von Joachim Stünker (SPD) eingebrachten und mit 317 von 555 Stimmen verab- schiedeten Gesetz zu Patientenver- fügungen.Dr. med. Frank Ulrich Montgom- ery, Vizepräsident der Bundesärzte- kammer, nennt es gar ein „Patien- tenverfügungs-Verhinderungsgesetz“.
Es werde die Schwellenangst vor ei- ner derartigen Niederschrift er- höhen, prophezeit er. Selbst die Deutsche Hospiz Stiftung, die eine gesetzliche Regelung immer für
„unverzichtbar“ gehalten hatte, be- wertet das Gesetz lediglich mit der Note Vier minus. Inzwischen hat sie bereits eine Schiedsstelle eingerich- tet, die bei Konflikten um Patienten- verfügungen berät.
„natürlicher Wille“ als neue Äuße- rung gelten, etwa wenn ein demenz- kranker Mensch Lebensfreude zeigt.
Damit die Verfügung gilt, muss sie sich jedoch konkret auf eine Heilbe- handlung oder einen ärztlichen Ein- griff beziehen und auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Das heißt: Formulierun- gen, nach denen Menschen etwa das
„Hängen an Schläuchen“ ausschlie- ßen, sind nicht ausreichend. Ein Volljähriger kann zwar in bestimm- te ärztliche Eingriffe einwilligen oder sie untersagen – dem Gesetz zufolge soll jedoch der Betreuer (al- so in der Regel die Angehörigen, oft- mals in Absprache mit den behan- delnden Ärztinnen und Ärzten) überprüfen, ob die Festlegungen ak- tuell zutreffen. Ist dies nicht der Fall, muss der Betreuer entsprechend des mutmaßlichen Willens des Patienten entscheiden. Gerichte sollen nur in Streitfällen eingeschaltet werden.
Patientenverfügungen, die bei be- stimmten Krankheiten eine aktive Sterbehilfe verlangen, sind auch künftig unwirksam.
Nicht durchsetzen konnte sich im Bundestag die Forderung nach ei- nem Verzicht auf eine gesetzliche Regelung, für den sich die Bundes- ärztekammer mehrfach ausgespro- chen hatte. „Ein Gesetz zur Patien- tenverfügung ist eine Pseudorege- lung“, hatte Bundesärztekammer- Präsident, Prof. Dr. med. Jörg-Diet- rich Hoppe, nochmals am Tage der Abstimmung betont. Doch dies sah der Deutsche Bundestag anders.
Gleich zu Beginn der Abstimmung lehnte er den entsprechenden An- trag des CDU-Politikers Hubert Hüppe ab.
Keine Mehrheit fanden auch die beiden Entwürfe, die die Gültigkeit von Patientenverfügungen stärker eingeschränkt hätten. So stimmten für den Entwurf von Wolfgang Zöl- ler (CSU), der eine ärztliche Bera- tung vorschrieb, nur 77 von 571 Ab- geordneten. Für den Entwurf von Wolfgang Bosbach (CDU), der den Abbruch lebenserhaltender Maß- nahmen nur bei tödlich verlaufen- den Krankheiten ohne Weiteres er- lauben wollte, entfielen 220 von 566 abgegebenen Stimmen. I Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
PATIENTENVERFÜGUNGEN
Wenig Akzeptanz für das Gesetz
Nach sechsjährigem Diskurs sollte die gesetzliche Regelung für Klar- heit im Betreuungsrecht sorgen. Doch den Reaktionen zufolge scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Eine neue Schiedsstelle existiert bereits.
Foto:dpa
Auch die Kirchen zeigen sich al- les andere als erfreut über die neue Regelung, gegen die die Union mit einer Ausnahme geschlossen votier- te. Das Gesetz schaffe „keine Ver- besserung gegenüber der bisherigen Rechtslage“, meint Bischof Wolf- gang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutsch- land, die sich grundsätzlich für ein Patientenverfügungsgesetz ausge- sprochen hatte. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofs- konferenz, Erzbischof Robert Zol- litsch, kritisiert ebenfalls eine „ein- seitige Betonung der Selbstbestim- mung des Patienten“ und warnt vor einem Automatismus.
Das Gesetz, für das sich fast alle Abgeordneten der SPD, FDP und der Linken sowie ein Teil der Grü- nen aussprachen, soll bereits im frühen Herbst in Kraft treten. Dann wird die Verbindlichkeit von Patien- tenverfügungen in jeder Krankheits- phase gesetzlich vorgeschrieben sein – sofern der Patient sich nicht anders äußert. Dabei soll auch ein