Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2413. Juni 2008 A1307
S E I T E E I N S
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iele Menschen haben Angst vor einer endlosen, quälenden medizinischen Behandlung am Le- bensende. Patientenverfügungen können sie davor schützen. In Meinungsumfragen spricht sich etwa die Hälfte der Bevölkerung für die Beachtung des Patien- tenwillens aus. Dennoch haben nur 2,5 Prozent der Be- völkerung ein solches Dokument hinterlegt. Offensicht- lich gibt es trotz der großen Zustimmung noch Beden- ken. Und dies nicht zu Unrecht. So zeigte eine im Deut- schen Ärzteblatt veröffentlichte Studie, dass selbst bei einer dramatisch verlaufenden neurodegenerativen Krankheit eine positive Lebenseinstellung und eine Existenz ohne depressive Störung in jeder Phase mög- lich sind (DÄ, Heft 23/2008). „Lebensverkürzende Maßnahmen sind bei Vorliegen bestimmter Erkrankun- gen also nicht mehr mit dem Hinweis auf eine Erlösung von Leid zu rechtfertigen“, folgert Prof. Dr. med. Hans Förstl, München. Untersuchungen haben außerdem ge- zeigt, dass die Konfrontation mit einer schweren Er- krankung bei vielen Patienten zu einer veränderten Ein- stellung führt. Ihre Prioritäten wandeln sich von der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts zur Lebenser- haltung und Weiterbehandlung.Die Kirchen teilen diese Bedenken. Sie haben sich of- fen gegen den vom SPD-Rechtspolitiker Joachim Stün- ker und Abgeordneten von FDP, der Grünen und der Linken verfassten Gruppenantrag zur Regelung der Pati- entenverfügung gewandt. Dieser ist bisher als einziger Gesetzentwurf formell in das parlamentarische Verfah- ren eingebracht und von inzwischen 205 Abgeordneten unterzeichnet worden, unter anderem von Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt. Nach diesem Entwurf sollte Patienten eine möglichst weitgehende Selbstbe- stimmung eingeräumt werden. Nur wenn sich Arzt und Betreuer nicht einig sind, soll eine gerichtliche Klärung erfolgen. Er bestehe darauf, dass noch vor der Sommer- pause die erste Beratung im Parlament stattfinde, sagte jetzt SPD-Fraktionschef Peter Struck. Die Grünen, de- nen vorgeworfen wird, den Entwurf zu torpedieren, führen seit Wochen Gespräche mit den Kirchen, die ih- nen in ethischen Fragen inzwischen oft näher stehen als der Union. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskon- ferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Ratsvorsit-
zende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bi- schof Wolfgang Huber, befürworten zwar ebenfalls eine weitere Stärkung des Instruments der Vorsorgevollmacht.
Die Verantwortung, die dem Betreuer oder Bevollmäch- tigten mit der Prüfung zukommt, geht ihnen jedoch ein- deutig zu weit. Der Entscheidung des Betreuers oder Be- vollmächtigten sollte ihrer Ansicht nach immer ein Ge- spräch mit Angehörigen, Ärzten und Pflegepersonal vor- ausgehen und davon dürfe nur ausnahmsweise abgewi- chen werden. Die Vorbehalte der Kirchen sind nicht von der Hand zu weisen. Schließlich nehmen Patienten keine Dienstleistung in Anspruch, sondern „bis heute ist die Fürsorge für den Patienten ein Grundbestandteil des ärztlichen Auftrags“, wie es Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) ausdrückte.
Letztendlich bleibt es fraglich, ob eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen überhaupt not- wendig ist. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, hat sich auf der Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Deut- schen Ärztetages dagegen ausgesprochen. „Die Rechts- lage ist klar, sie ist nur nicht bekannt genug“, sagte der BÄK-Präsident. Er empfiehlt dagegen eine Orientie- rung an den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, die tatsächlich für jeden Arzt eine un- entbehrliche Orientierung für ärztliches Handeln im Umfeld von Sterben und Tod sind und für deren Ver- breitung Hoppe zu Recht überall wirbt, „wo ich nur Ärzte treffe“.
Gisela Klinkhammer Chefin vom Dienst
PATIENTENVERFÜGUNGEN
Die Rechtslage ist klar
Gisela Klinkhammer