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Archiv "Kassenärztetag in Köln: „Ausverkauf der solidarischen Krankenversicherung“" (02.04.1999)

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um zweiten Male gingen die Kassenärzte wegen Reform- vorhaben der rot-grünen Ko- alition an die Öffentlichkeit. Auf den Aktionstag am 18. Dezember vergan- genen Jahres – er richtete sich gegen das sogenannte GKV-Solidaritäts- stärkungsgesetz – folgte am 20. März 1999 ein außerordentlicher deutscher Kassenärztetag in Köln. Veranstalter war die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV). Erstmals präsen- tierte sich hier auch Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer in größerem Kreis der Ärzteschaft.

Einziges Thema dieses Kas- senärztetages waren die Eckpunkte zur Gesundheitsreform 2000, mit denen die rot-grü-

ne Koalition ihre Vorstellungen ei- ner grundlegenden Gesundheitsreform formuliert hat. Die Vertreter der Ärz- teschaft ließen an den Eckpunkten kein gutes Haar.

Insbesondere die Fortführung der Budgetierung und die von der Koaliti- on in Aussicht ge- nommenen Auflö- sungen der bisheri- gen Versorgungs- strukturen empö- ren die Kassenärz- te. Sie befürchten

den Ausverkauf einer solidarischen Krankenversicherung durch ein am Wettbewerb um gesunde Versi- cherte ausgerichtetes Versorgungs- system, gekennzeichnet durch eine Übermacht der Krankenkassen.

Als Alternative präsentierte die Kassenärztliche Bundesverei- nigung eigene Vorschläge zur Strukturreform im Gesundheitswe- sen. Die Kritik an den Koalitions- plänen formulierte KBV-Vorsitzen- der Dr. Winfried Schorre, sekun- diert von Sprechern der Bundesärz- tekammer, der regionalen Kas- senärztlichen Vereinigungen und der großen ärztlichen Verbände (bis auf den BDA). Auf Schorre

antwortete Gesundheitsministerin Fischer. Sie gab sich gesprächsbe- reit und versuchte den Stellenwert der Eckpunkte zu relativieren, machte allerdings in der Sache kei- ne Konzessionen.

Schorre lehnt Reformpläne ab

Nach Ansicht des Vorsitzenden der KBV führen die Reformpläne, wie sie in den „Eckpunkten“ der rot- grünen Bundesregierung für das Gesundheitswesen zum Ausdruck kommen, zu einer völligen Umgestal- tung des Solidarsystems und einer

Verschlechterung der Versorgungs- qualität. Schorre forderte Bundesge- sundheitsministerin Andrea Fischer auf, die geplante Struk- turreform grundle- gend zu überar- beiten.

Besonders deutlich wandte sich Schor- re gegen die Ver- schärfung des Wett- bewerbs im Ge- sundheitswesen.

Wenn den Kran- kenkassen die Mög- lichkeit gegeben werde, mit einzel- nen Leistungser- A-819

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999 (15)

Kassenärztetag in Köln

„Ausverkauf der solidarischen Krankenversicherung“

KBV-Vorsitzender Dr. med. Winfried Schorre rechnete beim Kassenärztetag mit den Eckpunkten der rot-grünen Koalition ab. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer

gab sich gesprächsbereit, ohne aber in der Sache Konzessionen zu machen.

Z

Chaos statt Solidarität (so das Generalthema des Kassenärztetages) befürchtet die KBV, wenn die

„Eckpunkte“ der Koalition gesetzlich umgesetzt werden sollten.

(2)

bringern und Arztgruppen sowie Krankenhäusern Verträge abzu- schließen, werde die solidarische Krankenversicherung zerstört.

Eine verstärkte Risikoselektion zu Lasten schwerkranker Versi- cherter sei zu befürchten. „Die Kassenärztlichen Vereinigungen können unter diesen Bedingun- gen den Sicherstellungsauftrag für die vertragsärztliche Versor- gung nicht mehr übernehmen“, sagte Schorre.

Der KBV-Vorsitzende wehr- te sich gegen Vorwürfe aus der Politik, die hausärztliche ge- genüber der fachärztlichen Versorgung zu benachteiligen.

Durch die propagierte Aufwer- tung der Hausärzte habe viel- mehr Fischer einen „Spaltpilz“

in die Ärzteschaft getragen. Das Vor- haben, auch Krankenhäuser zur am- bulanten Versorgung zuzulassen, lehnte Schorre ab: „Damit wird dem niedergelassenen Facharzt die Exi- stenzgrundlage genommen.“

Weil die Budgetierung für die ärztliche Gesamtvergütung und die Arznei- und Hilfsmittel entgegen früheren Zusagen aus dem Ge- sundheitsministerium bestehenblei-

be, fühle man sich von der Politik getäuscht. „Damit wird uns Kas- senärzten als einzigem Beruf in Deutschland zugemutet, Leistungen zu erbringen, ohne zu wissen, wel- ches Entgelt hierfür zu erwarten ist“, machte Schorre deutlich. Gegenüber dem Patienten unverantwortlich und unethisch sei es, die Vertragsärzte für die Einhaltung der ökonomisch defi- nierten Arznei- und Heilmittelbud- gets durch Honorarabzug haftbar zu machen.

Die KBV überreichte Ministerin Fischer mehr als 260 000 Unterschrif- ten von Ärzten und Patienten gegen das zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretene GKV-Solidaritätsstärkungs- gesetz. Schorre kündigte gegen die dauerhafte Budgetierung der ver- tragsärztlichen Versorgung den ent- schiedenen Widerstand der Kas- senärzte an, weil hierdurch das Ver- hältnis zwischen Arzt und Patient in unzumutbarer Weise belastet werde.

Der Vorsitzende der KBV be- grüßte aber, daß Fischer offen-

sichtlich bereit sei, die Eck- punkte der Gesundheitsreform zu überarbeiten. „Sie haben jetzt die Gelegenheit zur Klar- stellung, zum Schlagen einer Brücke über die Untiefen des drohenden Chaos“, appellierte Schorre unter dem Beifall der etwa 800 Teilnehmer des Kas- senärztetages an die Ministerin.

Fischer signalisiert Gesprächsbereitschaft

Die geplante Gesundheitsre- form soll nicht zu Lasten der niedergelassenen Ärzte gehen, versicherte Bundesgesundheits- ministerin Andrea Fischer in ih- rer Rede. „Es ist nicht meine Absicht, alle fachärztlichen Tätigkei- ten in die Klinik abzuschieben“, sagte Fischer. Auch könne keine Rede da- von sein, daß die Regierung zukünftig alle Macht den Krankenkassen über- tragen wolle.

Die Ministerin versuchte, die Gemeinsamkeiten mit den Kassen- ärzten bei den Zielen der Reform hervorzuheben. Eine Begrenzung der Ausgabenzuwächse bei den Kas- senarten sei jedoch unvermeidlich.

„Bei den Lohnnebenkosten ist die Schmerzgrenze nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Ar-

beitnehmer erreicht“, sagte Fischer im Hinblick auf die Budgetierung der Gesamtvergütungen. Bei der Verab- schiedung des Vorschaltgesetzes hatte die Grünen-Politikerin noch geäußert, die Ausgabenbegrenzung für die vertragsärztliche Versorgung werde auf ein Jahr befristet. Fischer sagte den Vertragsärzten zu, sie in die A-820

P O L I T I K LEITARTIKEL

(16) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999

Dr. Schorre: Sicherstellungsauftrag wäre nicht mehr zu halten.

Fischer zu den Kassenärzten (sinngemäß): „Weshalb die Auf- regung über die Eckpunkte? Dia- log und Zuhören sind jetzt ange- sagt. Und keine Sorge, die Re- form geht nicht zu Lasten der Ärzte.“

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A-821

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 13, 2. April 1999 (17) Ausgestaltung integrierter Versor-

gungsformen zwischen Haus- und Fachärzten sowie ambulantem und stationärem Bereich einzubeziehen.

„Neue Versorgungsformen können immer nur das Ergebnis frei ausge- handelter Verträ-

ge zwischen Lei- stungserbringern und Kassen sein“, entgegnete die Ministerin den protestieren- den Ärzten. Sie prophezeite, daß die Initiative hierzu eher von den Ärzten als von den Kassen ausgehen werde.

Die Zulas- sung der Kran-

kenhäuser zur Teilnahme an der am- bulanten fachärztlichen Versorgung solle ausschließlich für hochspeziali- sierte Leistungen erfolgen. Nur in den Regionen, in denen es kein ausrei- chendes Angebot durch Vertragsärzte gebe, solle die Behandlung chronisch Kranker ermöglicht werden. Die Sor- ge der niedergelassenen Fachärzte sei daher unbegründet.

„Mit der Gesundheitsreform 2000 sollen alle ambulanten und sta- tionären Einrichtungen in Zukunft verpflichtet werden, ein umfassendes Qualitätsmanagement ein-

zuführen“, sagte Fischer.

Es sei beabsichtigt, die Ver- gütung dann von der Qua- lität der erbrachten Lei- stung abhängig zu machen.

In der Arzneimittelversor- gung will Fischer die Qua- lität mit der Einführung ei- ner Positivliste verbessern.

Zum Schluß ihrer Re- de betonte die Gesund- heitsministerin, daß sie die Eckpunkte als Diskussi- onsgrundlage und nicht als fertiges Gesetz verstehe.

Zwar strebe man einen zü- gigen Gesetzgebungspro- zeß an, nehme sich aber Zeit für den Dialog mit al- len Beteiligten. Die Stan- desvertreter der Ärzte- schaft hatten Fischer vor- geworfen, sie bisher nicht

in die Überlegungen zur Gesund- heitsreform einbezogen zu haben.

Die Vorschläge der KBV zur Strukturreform präsentierte deren Hauptgeschäftsführer Dr. jur. Rainer Hess. Auch die KBV plädiere für ver-

stärkte Verzahnung der einzelnen Be- reiche des Gesundheitswesens. Eine Ursache für Fehlentwicklungen sei die starre Abschottung der Versor- gungsform. Die Verzahnung müsse jedoch personenbezogen, nicht in- stitutionell sein. Die Ärzteschaft wende sich zudem gegen die von der Bundesregierung angepeilte „to- tale Durchbudgetierung des Gesund- heitswesens“.

Statt der geplanten sektoralen Budgets schlägt die KBV neue Ver- sorgungs- und Vergütungsstrukturen

als Alternative vor. Ziel der Ärzte- schaft ist laut Hess:

« Stärkung der hausärztlichen Ver- sorgung bei Erhaltung der freien Arztwahl

¬ Förderung kooperativer Praxisfor- men

­ Förderung in- tegrierter Versor- gungsformen

® Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung

¯ Neustrukturie- rungder Bedarfs- planung

° Neuordnung des Vergütungs- systems.

So geschlossen die Kassenärzte bei dem Kölner Kassenärztetag auch auftraten, die eindrucksvolle Veran- staltung hatte einen kleinen Makel:

Die Interessenvertretung der Allge- meinärzte, der BDA, hatte sich ausge- klinkt. Er fährt seit der Regierungs- neubildung einen getrennten Kurs.

Ohne den BDA zu nennen, mahnte Bundesärztekammerpräsident Prof.

Dr. Karsten Vilmar die „Solidarität al- ler 350 000 Ärzte“ an. Es dürfe nicht sein, daß „einige um möglicher kurzfri- stiger Erfolge willen“ der Ärzteschaft insgesamt schaden. Vilmar lag sichtlich auch an Solidarität der Kas- senärzte und der Kranken- hausärzte. Auch die sind, so Vilmar, Leidtragende von Budgetierung und bü- rokratischen Regelungen im Gesundheitswesen.

Mit einigem Interesse wur- de gerade unter diesem Aspekt auch das Auftreten des MB-Vorsitzenden, Dr.

Frank Ulrich Montgomery, beim Kassenärztetag regi- striert. Montgomery riet dazu, die Gesundheitsre- form um mindestens ein Jahr zu verschieben, und appellierte, bis zum 102.

Deutschen Ärztetag, der Anfang Juni in Cottbus stattfindet, „die Einheit der Ärzteschaft wiederherzustellen“.

Norbert Jachertz Volker Votsmeier Prof. Vilmar (Bundesärztekam-

mer): „Solidarität aller Ärzte“

Dr. Montgomery (Marburger Bund): „Reform verschieben“

Dr. Helming (KV Brandenburg):

„Nichts zur Ost-Problematik“

Mit Trillerpfeifen und Plakaten: Protest gegen die rot-grünen

„Eckpunkte“

Alle Fotos: Bernhard Eifrig

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