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Archiv "Fehlerhafte Sterilisation und genetische Beratung: Die Gerichtsurteile sind durchaus angemessen" (20.11.1998)

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nde vergangenen Jahres haben Pressemeldungen zu zwei Ur- teilen des Bundesverfassungs- gerichts in Sachen Arzthaftung Auf- sehen erregt und zu einer kontrover- sen Diskussion geführt. In einem Fall ging es um eine ungewollte Schwan- gerschaft nach fehlgeschlagener Steri- lisation, im zweiten um die Geburt ei- nes schwerbehinderten Kindes nach fehlerhafter genetischer Beratung.

Beide Urteile nahm die Ärzteschaft teilweise mit Empörung auf, da sie oh- ne Kenntnis juristischer Details, vor allem der vorinstanzlichen Urteile, als unangemessen erschienen. Das sind sie jedoch nach sorgfältiger Betrach- tung nicht.

Arzthaftung nach fehlgeschlagener Sterilisation

Ein niedergelassener Urologe war von einem Landgericht 1991 nach einer von ihm vorgenommenen Sterilisation für das nach dem Ein- griff gezeugte und geborene Kind zur Zahlung eines angemessenen Unter- haltes sowie eines Schmerzensgeldes an die Mutter verurteilt worden. Als schuldhafte Pflichtverletzung wurde dabei die Mitteilung des Arztes an seinen Patienten angesehen, er kön- ne nach einmaliger Aspermie nach dem Eingriff von seiner Zeugungsun- fähigkeit ausgehen. Bei diesem Pati- enten hatte nun das erste postopera- tive Spermiogramm noch zahlreiche bewegliche Spermien, das zweite hin- gegen eine Aspermie ergeben. Dar- aufhin wurde dem Patienten, damals bereits Vater dreier Söhne, von der Arzthelferin des Urologen mitge- teilt, er könne sich nunmehr als zeu- gungsunfähig betrachten. Nach Fest- stellung der vierten Schwangerschaft seiner Ehefrau wiederum zwei Mo- nate später wurde hingegen durch ein drittes Spermiogramm die volle Zeu-

gungsfähigkeit des Patienten festge- stellt.

Das Landgericht urteilte, daß der Arzt fahrlässig gehandelt habe, weil er eine für den damaligen Er- kenntnisstand in urologischen Fach- kreisen unübliche beziehungsweise unvollständige Aufklärung vorge- nommen habe. Auch sah das Gericht keine durchgreifenden Bedenken bezüglich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden (der Geburt eines unerwünschten Kin- des). Nach Auffassung des Gerichts wird nicht das Kind selbst, sondern die durch seine planwidrige Geburt ausgelöste Unterhaltsbelastung der Eltern als juristischer Schaden ange- sehen. Die Tatsache, daß die Eltern den zunächst unerwünschten vierten Sohn später als erwünscht betrachte- ten, spreche den Operateur nicht von seiner Unterhaltsverpflichtung frei;

vielmehr habe die Befreiung von der finanziellen Belastung durch den

„Schädiger“ im Gegenteil eine für das Verhältnis der Eltern zu ihrem Kind förderliche Wirkung, da die in- folge der „unerwünschten Geburt“

eingetretene Belastung neutralisiert werde.

Auch stelle der (von dem beklag- ten Arzt geforderte) Abbruch der Schwangerschaft keine selbstver- ständliche Alternative zur beabsich-

tigten, aber fehlgeschlagenen Emp- fängnisverhütung dar. Eine insoweit persönliche Gewissensentscheidung der Klägerin in einer derart existenti- ellen Situation sei in jedem Fall zu re- spektieren.

Arzthaftung nach fehlerhafter

genetischer Beratung

Der zweite Tatbestand ist in seinen Auswirkungen noch gravie- render. Die Kläger des Ausgangs- verfahrens sind die Eltern einer 1982 geborenen, von Geburt an geistig und körperlich behinderten Tochter. Weil sie eine genetische Disposition als Ur- sache für eine Behinderung befürch- teten beziehungsweise ausschließen wollten, suchten sie die Abteilung für Klinische Genetik eines Universitäts- instituts auf, um vor dem Entschluß zu einem weiteren Kind die Gefahr einer Erbkrankheit abklären zu lassen.

Hier ist zu ergänzen, daß ein Augenarzt zuvor bereits ein autoso- mal-rezessives Erbleiden (Cogansche Apraxie) vermutet hatte, so daß die Eltern auf eine Chromosomenunter- suchung drängten. Bei beiden wurde angeblich ein normaler Karyotyp und die Wahrscheinlichkeit einer vererb- baren Störung als Ursache der kind- lichen Behinderung als „äußerst unwahrscheinlich“ angesehen. Eine nicht bekannt gewordene, erworbene pränatale Störung sei vermutlich beim ersten Kind Ursache der Behinde- rung. Dem Elternpaar wurde nicht von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten.

1985 wurde jedoch die zweite Tochter mit den gleichen geistigen A-2978 (38) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 47, 20. November 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Fehlerhafte Sterilisation und genetische Beratung

Die Gerichtsurteile sind durchaus angemessen

E

Dem Beitrag liegen folgende Gerichtsurteile zugrunde:

Landgericht München:

Az.: 9 O 738/90, 1 U 2278/91;

Landgericht Tübingen:

Az.: 4 O 250/88, 14 U 57/89;

Bundesverfassungsgericht:

Az.: 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94.

Sigrid Planz-Kuhlendahl

Zwei Prozesse zum Thema „Kind als Schaden“ haben vor

kurzem für Diskussionen in der Ärzteschaft gesorgt. Die

Autorin des Beitrags hält die Entscheidungen für berechtigt.

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und körperlichen Behinderungen wie ihre Schwester geboren. Wie sich schon durch eine Amniozentese während der zweiten Schwanger- schaft der Klägerin herausstellte, lag sowohl bei dem noch ungeborenen Kind als auch beim Vater eine chro- mosomale Abweichung vor, nämlich eine Inversion des Chromosoms Nr. 7.

Sie war auch von den vorherigen hu- mangenetischen Untersuchern gefun- den, jedoch als für die vorliegende Behinderung unerheblich angesehen worden und blieb deshalb auch im Arztbrief an den überweisenden Arzt unerwähnt.

Das Landgericht vertrat in sei- nem Urteil die Auffassung, ein Bera- tungsfehler liege nicht vor. Es wies die Klage der Eltern auf Unterhalt und Schmerzensgeld ab. Das zuständige Oberlandesgericht sah hingegen ei- nen Verstoß gegen eine umfassende und vollständige genetische Beratung.

Diese hätte es verlangt, auch ohne konkrete Nachfrage die Kläger auf al- le bekannten oder erkennbaren gene- tischen Auffälligkeiten hinzuweisen – unter zutreffender Erläuterung der hieraus begründeten (sei es auch „in der Verwirklichungswahrscheinlich- keit gering zu bewertenden“) Risi- komöglichkeiten, ein genetisch ge- schädigtes Kind zu bekommen.

Zum Vorwurf gemacht wurde den Beklagten weiterhin, daß sie eine Untersuchung der erstgeborenen Tochter auf die gleiche Chromoso- meninversion unterlassen hatten.

Überhaupt hätten sie keine Vorbefun- de früherer Untersuchungen dieses Kindes zum Beratungsgespräch hin- zugezogen. Zum Beratungszeitpunkt habe die Unklarheit der bis dahin vor- liegenden Befundsituation aber gera- de für ein weiteres Beobachten der Entwicklung des erstgeborenen Kin- des gesprochen. Im Widerspruch hier- zu wurde von den Beklagten eine prä- natale Schädigung des ersten Kindes zu sehr gewichtet und die daraus ab- geleitete Empfehlung für die Eltern nicht hinreichend abgesichert.

Die beiden hinzugezogenen ge- richtlichen Sachverständigen konnten überzeugend darlegen, daß – rückwir- kend gesehen – beide Kinder gleichar- tige Schadensbilder aufwiesen, die je- denfalls und zumindest eine Kombi- nationsschädigung genetischer und

exogener Herkunft darstellten. Dem- gegenüber sei eine perinatale oder ei- ne alleinige pränatal erworbene Schä- digung als gänzlich unwahrscheinlich anzusehen. Den Klägern wurde Scha- densersatz, und zwar der gesamte Un- terhaltsbedarf des „planwidrig gebo- renen“ Kindes und nicht nur krank- heitsbedingte Mehraufwendungen in- folge der körperlichen und geistigen Behinderung zuerkannt als auch ein Schmerzensgeld für die Geburt und die mit der Schwangerschaft einher- gehenden psychischen und physi- schen Belastungen.

Entscheidungen des

Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hatte – zusammengefaßt – über eine Verfassungsbeschwerde der Beklag- ten zu entscheiden, ob nämlich die Unterhaltspflicht für ein „planwidrig geborenes“ Kind einen zu ersetzen- den Schaden darstellen könne. Aufge- räumt wurde dabei mit dem Schlag- wort „Kind als Schaden“, das eine un- angemessene und aus rechtlicher Sicht auch untaugliche Betrachtung darstelle. Der Schaden bestehe in dem durch die planwidrige Geburt aus- gelösten Unterhaltsaufwand. Nun mag man dies als künstliche Aufspal- tung der „personalen Ganzheit“ und damit als sophistisch abtun. Das Ge- richt sah diese Unterscheidung jedoch aus schadensrechtlicher Sicht als fol- gerichtig an. Die Anknüpfung der Schadensersatzpflicht an den Unter- halt wirke sich auch nicht negativ auf Persönlichkeit und Dasein des Kindes aus. Sie bedeute auch nicht, daß über das Kind selbst ein Unwerturteil aus- gesprochen und es durch die Verbin- dung mit dem Begriff „Schaden“ in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt werde. Die Würde des Menschen lei- de auch nicht darunter, daß der Unter- halt für ein Kind als Schaden angese- hen werde.

Ausgangspunkt für die rechtliche Wertung des Unterhaltsaufwands als Schaden sei die vertragliche Haftung des Arztes für die Erfüllung der medi- zinischen Anforderungen zur Erzie- lung des Erfolges der Behandlung oder Beratung. Dieser haftungsrecht- liche Ansatz gelte allerdings nur für

Verträge, gegen deren Rechtmäßig- keit keine Bedenken bestünden. Be- ratungsverträge, durch die bereits die Zeugung eines erbgeschädigten Kin- des verhindert werden solle, hätten ebenso wie gleichgerichtete Sterilisa- tionsverträge einen rechtmäßigen Er- folg zum Ziel. Diene die Übernahme der medizinischen Aufgabe durch den Arzt dem Erreichen eines erlaubten Vertragszwecks (anders als vielleicht bei einem Schwangerschaftsabbruch), könne das nicht ohne rechtliche Ver- antwortung für den Arzt und nicht oh- ne Konsequenzen für das Haftungs- recht bleiben. Eltern würden schließ- lich einseitig mit dem Risiko eines ärztlichen Fehlers belastet, wenn schuldhaftes ärztliches Handeln in diesem Bereich weitgehend sankti- onslos bliebe.

Bemerkungen

Selbst wenn man konzediert, daß es nie ein zu 100 Prozent fehlerfreies ärztliches Handeln wird geben kön- nen, haben sich die beteiligten Ärzte mit ihrem Vorgehen in den vorliegen- den zwei Fällen sicher kein Ruhmes- blatt ausgestellt. Dies gilt besonders für die Haltung des beklagten Urolo- gen in einem der beiden Prozesse, der gefordert hatte, den „Schaden“ und seine Haftung dafür durch einen Ab- bruch der Schwangerschaft abzuwen- den.

Unverständlich bleibt, warum Ärzte Behandlungsfehler, die immer ein Risiko ärztlichen Handelns dar- stellen und in den vorliegenden Fällen auch noch offensichtlich und erwiesen waren, hartnäckig bestreiten müssen und damit den bereits entstandenen Schaden für das eigene Ansehen und das der übrigen Ärzteschaft weiter vergrößen, anstatt sowohl moralisch als auch haftungsrechtlich zur Scha- densbegrenzung beizutragen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-2978–2980 [Heft 47]

Anschrift der Verfasserin

Dr. med. Sigrid Planz-Kuhlendahl Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie

Aliceplatz 7, 63065 Offenbach

A-2980 (40) Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 47, 20. November 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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