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Archiv "Genetische Beratung und pränatale Diagnostik" (08.06.1978)

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Etwa vier Prozent aller Neugebo- renen in der Bundesrepublik Deutschland (und die gleichen Zahlen gelten für Europa) tragen eine wesentliche Auffälligkeit oder Behinderung, auf Grund derer ei- ne genetische Beratung indiziert ist. Dabei sind nur manche dieser Defekte schon in den ersten Le- benstagen zu erkennen (zum Bei- spiel Mongolismus, angeborene körperliche Fehlbildung). Viele treten erst im Laufe der Kindheit oder gar des Erwachsenenalters in Erscheinung (Muskeldystrophie, geistige Behinderungen). Bezo- gen auf eine Geburtenzahl von et- wa 600 000 pro Jahr in der Bun- desrepublik bedeuten diese vier Prozent etwa 24 000 Kinder jähr- lich.

Die entscheidenden Zahlen auf diesem Gebiet sind G. G. Wendt zu verdanken, der modellhaft am In- stitut für Humangenetik der Uni- versität Marburg eine genetische Poliklinik eingerichtet hat. Wendt folgert: „Wenn man die Auswir- kungen der genetischen Beratung nur sehr vorsichtig einschätzt und wenn man in diese Schätzung auch die Erfahrung der geneti- schen Poliklinik in Marburg aus rund 3500 Familienberatungen einfließen läßt, dann hätte man bei mindestens 20 Prozent dieser erb- kranken Kinder den Eltern ein we- sentliches Risiko schon vor der Zeugung vorhersagen können. Et- wa 5000 genetisch kranke Kinder müßten also pro Jahr in Deutsch- land nicht geboren werden, wenn die Eltern von den Möglichkeiten genetischer Beratung gewußt und wenn sie diese Möglichkeit für sich genutzt hätten."

Neue Dimension

Mit der genetischen Diagnostik ist der Medizin, und zwar speziell der Präventivmedizin in praktisch al- len Bereichen und Spezialdiszipli- nen eine neue Methodik zuge- wachsen, die der genetischen Be- ratung eine neue Dimension gibt.

Bis zu Beginn der 70er Jahre konnte bei genetischer Beratung den Ratsuchenden nur ihr statisti- sches Risiko genannt werden. Die konkrete Frage nach Gesundheit oder Krankheit des Kindes aus ei- ner geplanten weiteren Schwan- gerschaft blieb unbeantwortet.

Heute kann der medizinische Ge- netiker mit den neuen Methoden der pränatalen Diagnostik in spe- ziellen genetischen Situationen ei- ne genaue Voraussage machen:

Durch die Untersuchung von Zel- len des ungeborenen Kindes ge- lingt es, alternativ festzustellen, ob ein bestimmtes, befürchtetes ge- netisches Leiden vorliegt oder nicht. Der geradezu explosive Zu- wachs unseres Wissens und die Zunahme der technischen Unter- suchungsmöglichkeiten haben zu einer enormen Diskrepanz geführt zwischen theoretischen Anwen- dungsmöglichkeiten im ärztlichen Alltag. Unschätzbare Dienste bei der Einführung der pränatalen ge- netischen Diagnostik in der Bun- desrepublik Deutschland hat die Deutsche Forschungsgemein- schaft (DFG) geleistet. Im Rahmen des Schwerpunktprogramms

„Pränatale Diagnostik genetisch bedingter Defekte" wurden von 1973 bis heute mehr als 7000 prä- natale diagnostische Untersu- chungen durchgeführt.

Die Probleme der praktischen An- wendung genetischer Beratungen und pränataler Diagnostik, ver- bunden mit den offenen Fragen, die durch das Auslaufen der For- schungsförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft entste- hen, hat den 80. Deutschen Ärzte- tag bewogen, pränatale Diagno- stik und genetische Beratung auf dem 81. Deutschen Ärztetag in ei- nem eigenen Tagesordnungs- punkt zu behandeln. Folgende Aspekte sollen dabei angespro- chen werden:

O Die medizinischen Möglichkei- ten und Indikationen zur pränata- len Diagnostik mit einer Bilanz der Untersuchungen in der Bundesre- publik bis zum 30. September 1977

Die wahrscheinlich notwendi- gen Kapazitäten für den Bereich der Bundesrepublik

Die Entschließung der 40. Kon- ferenz der für das Gesundheitswe- sen zuständigen Minister und Se- natoren der Länder (GMK) vom November 1977 und die Beantwor- tung einer Umfrage bei den zu- ständigen Ministerien sämtlicher Bundesländer

O Fragen der Kosten und des Nutzens der pränatalen geneti- schen Diagnostik

Die ethischen Probleme, die sich aufgrund der pränatalen Dia- gnostik genetischer Krankheiten beim Feten stellen.

Indikation

zur pränatalen Diagnostik;

Bilanz der Untersuchung in der Bundesrepublik Deutschland Eine vorgeburtliche Untersuchung ist nur sinnvoll, wenn ein Risiko für ein definiertes genetisches Leiden besteht, das sich entweder in den Amnionzellen, in der Amnionflüs- sigkeit, im Blut oder in der Mor- phologie des Feten manifestiert.

Sicherer Bestandteil der Routine- Diagnostik sind heute sechs Indi- kationsgruppen, die sich in ihrer

Genetische Beratung

und pränatale Diagnostik

Referat zu Tagesordnungspunkt III

Professor Dr. med. Jan-Diether Murken

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 8. Juni 1978 1379

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Relation zueinander enorm ver- schoben haben: Nahezu 80 Pro- zent der Untersuchungen entfallen heute auf das erhöhte Alter der Mutter.

Erhöhtes Alter der Mutter

Als kritische Grenze, von der an die pränatale Diagnostik als Vor- sorgeuntersuchung angeboten werden sollte, muß das 35. Le- bensjahr angesehen werden. Vor dieser Altersgruppe ist das geneti- sche Risiko für ein Kind mit einer Chromosomenaberration zu ge- ring, um derzeit den Eingriff zu rechtfertigen. Zwischen dem voll- endeten 35. und 38. Lebensjahr wird man bei den heutigen Kapazi- täten abwägen müssen, ob die Un- tersuchung vorgenommen wird oder nicht.

In jedem Fall muß die pränatale Diagnostik vom 38. Lebensjahr an angeboten werden. Das Risiko er- reicht in diesem Alter die Dreipro- zentgrenze, vom 40. Lebensjahr an verdoppelt es sich etwa alle zwei Lebensjahre. 2923 Untersuchun- gen wurden bis zum 30. Septem- ber 1977 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemein- schaft in der Bundesrepublik durchgeführt. In 80 Fällen (das entspricht 2,7 Prozent) fand sich ein pathologischer Befund.

Vorangegangenes Kind mit Chromosomenaberration Das Risiko für ein weiteres Kind mit einer Chromosomenkrankheit ist mit etwa 1,5 Prozent leicht ge- genüber dem Risiko der Normal- bevölkerung erhöht. Es zeigte sich, daß Frauen, die jünger als 25 Jahre waren als das erste Kind mit Downsyndrom geboren wurde, ein höheres Wiederholungsrisiko ha- ben, als Frauen, die älter als 25 Jahre waren. 500 Untersuchungen bei vorangegangenem Kind mit Downsyndrom (ohne elterliche Translokation, Mutter jünger als 35 Jahre) wurden durchgeführt, in vier Fällen (gleich 0,8 Prozent) wurde ein pathologischer Befund erhoben.

Eine neue Dimension ist der geneti- schen Beratung durch die genetische Diagnostik zugewachsen, betonte Pro- fessor Murken in seinem Referat, das auf diesen Seiten dokumentiert wird.

Ein Elternteil ist Träger einer balancierten Chromosomenaberration

Der Anteil der Untersuchungen ist absolut genommen relativ klein, er macht mit 63 nur 1,4 Prozent an der Gesamtzahl der Untersuchun- gen aus. Das empirische Erkran- kungsrisiko für ein weiteres Kind hängt vom Translokationstyp ab:

es ist sehr hoch und liegt in der Bundesrepublik bei neun von 63 (gleich 14 Prozent).

Die Mutter ist Konduktorin für X-chromosomal

rezessives Erbleiden

Ist die Mutter sichere Überträgerin einer solchen Krankheit, die sich biochemisch bisher nicht diagno- stizieren läßt (Muskeldystrophie Duchenne oder Hämophilie), so besteht bisher nur die Möglichkeit,

das fetale Geschlecht zu bestim- men. Bei diagnostizierter Knaben- schwangerschaft beträgt das Er- krankungsrisiko 50 Prozent, und der Schwangerschaftsabbruch muß diskutiert werden. Auch diese Untersuchungsgruppe ist in der Bundesrepublik bisher klein, 48 Untersuchungen wurden durchge- führt, und in 20 Fällen (gleich 42 Prozent) wurde wegen Knaben- schwangerschaft ein Abbruch durchgeführt.

Beide Eltern sind

heterozygote Anlageträger Etwa 50 solcher Stoffwechsellei- den können bisher routinemäßig

pränatal diagnostiziert werden, das Wiederholungsrisiko liegt ent- sprechend den Mendelschen Re- geln bei 25 Prozent. Für sich allein genommen, sind diese Stoffwech- seldefekte insgesamt sehr selten, ihre Häufigkeit ist jeweils geringer als 1:10 000. In der Bundesrepu- blik wurden bisher 61 pränatale Untersuchungen durchgeführt, in 16 (gleich 26 Prozent) Fällen wur- de ein pathologischer Befund erhoben.

Genetisches Risiko

für offenen Neuralrohrdefekt Das empirische Wiederholungsri- siko für dieses multifaktoriell be- dingte Leiden beträgt nach einem kranken Kind drei bis fünf Prozent und steigt nach zwei betroffenen Kindern auf acht bis zehn Prozent an. Durch die Bestimmung des Alpha-Fetoproteinspiegels im Fruchtwasser kann die Diagnose dieser Fehlbildung gestellt wer- den. Die Untersuchungsmethode ist relativ neu, sie wird erst etwa seit 1976 routinemäßig durchge- führt. In der Häufigkeit der Indika- tionen steht das vorangegangene Kind mit Spina bifida oder Anen- cephalus jedoch schon an dritter Stelle der pränatalen Diagnosen.

Genetische Defekte, denen weder eine biochemisch nachweisbare Stoffwechselstörung noch eine Chromosomenaberration zugrun- de liegt, entziehen sich bisher

1380 Heft 23 vom 8. Juni 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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weitgehend der pränatalen Dia- gnostik. Zu diesen Krankheiten gehören die autosomal dominan- ten und eine Vielzahl der multifak- toriell vererbten Leiden. Neue Un- tersuchungsmethoden, speziell die Fetoskopie und der Ultra- schall, werden hier in den kom- menden Jahren mit Sicherheit enorme neue Möglichkeiten bringen.

€) Erforderliche Kapazitäten für die pränatale Diagnostik Durch das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsge- meinschaft (DFG) „Pränatale Dia- gnostik genetisch bedingter De- fekte" ist die Praktikabilität der pränatalen Untersuchungen be- wiesen. Eine Ermittlung der erfor- derlichen Kapazitäten wurde von

Flatz, Knörr und Neuhoff vorgenommen. Sie gingen dabei von folgenden Fakten aus:

„Die meisten Frauen, die sich der pränatalen Diagnostik unterzie- hen, gehören dem Kollektiv der Schwangeren im höheren Gebär- alter ab dem 35. Lebensjahr an (im Ulmer Beobachtungsgut unter rund 1000 Amniozentesen 56 Prozent). Der Anteil der Graviden ab dem 35. Lebensjahr betrug 1975 in der Bundesrepublik 8,5 Prozent, das sind umgerechnet auf die 600 000 Geburten pro Jahr in der Bundesrepublik 51 000 Schwangere dieser Altersgruppe.

Das altersbedingte genetische Ri- siko kommt darin zum Ausdruck, daß allein diese Mütter 40 Prozent der mongoloiden Kinder zur Welt bringen.

In die Kapazitätsberechnung muß weiterhin eingehen, daß zahlrei- che Mütter, die bereits ein Kind mit einer Chromosomenanomalie ge- boren haben, in der folgenden Schwangerschaft wegen des er- höhten Wiederholungsrisikos auf eine pränatale Untersuchung des Fruchtwassers drängen werden (im Ulmer Beobachtungsgut ent- fallen bei rund 1000 Amniozente-

sen 22 Prozent auf diese Risiko- gruppe). Dabei ist zu berücksichti- gen, daß, bezogen auf die Gesamt- geburtenzahl, die Rate der Neuge- borenen mit Chromosomenano- malien etwa 0,5 Prozent beträgt.

Das sind bei einer jährlichen Ge- burtenzahl von 600 000 in der Bundesrepublik etwa 3000 Neuge- borene mit chromosomal beding- ten Mißbildungen. Wenn diese Zahl auch durch die Familienpla-

nung rückläufige Tendenzen er- kennen läßt, so erscheint es nicht unrealistisch, etwa 2000 Fälle pro Jahr für die vorgeburtliche Dia- gnostik in dieser Gruppe in Voran- schlag zu bringen.

Auch wenn man die zahlenmäßig nicht bekannten Frauen mit dem Risiko der Geburt von Kindern mit geschlechtsgebundenen Erb- krankheiten, mit einer erblichen Chromosomen- oder Stoffwech- selanomalie oder mit offenen Spaltbildungen außer Betracht läßt, so dürfte die jährlich zu ver- anschlagende Zahl der für die vor- geburtliche Diagnostik in Frage kommenden Frauen in der Bun- desrepublik mindestens 53 000 betragen.

Erfahrungsgemäß unterzieht sich jedoch bei Präventivmaßnahmen nur ein begrenzter Teil der ange- sprochenen Bevölkerungsgruppe der angebotenen Untersuchung, wie vor allem aus den Erhebungen über die Teilnahme an Vorsorge- untersuchungen zur Krebsfrüher- , kennung bekannt ist. Selbst wenn

sich in Anbetracht dieser Erfah- rungen in der Präventivmedizin auch nur 20 Prozent der Schwan- geren mit genetischem Risiko ei- ner Fruchtwasserpunktion zum Zwecke einer vorgeburtlichen Dia- gnose unterziehen werden, so gilt es — und das muß das Nahziel sein

—, in der Bundesrepublik die vor- geburtliche Diagnostik für etwa 11 000 bis 12 000 Schwangere pro Jahr sicherzustellen.

Die aktuelle Diskrepanz zwischen Bedarf aufgrund der Kapazitätsbe- rechnung und den Möglichkeiten leitet über zu den politischen Akti-

vitäten und Verhältnissen in den einzelnen Bundesländern. Dabei soll die bisherige Aktivität der Deutschen Forschungsgemein- schaft genauer umrissen werden:

Ihr kommt das Verdienst zu, durch Einrichtung des Schwerpunktpro- gramms „Pränatale Diagnostik ge- netisch bedingter Defekte" die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnostik in der Bundesrepublik entscheidend gefördert, ja über- haupt erst möglich gemacht zu ha- ben. Sie hat ihren satzungsgemä- ßen Aufgaben entsprechend im Rahmen dieses Programms alle je- ne Vorhaben gefördert, die dazu geeignet waren, neue Erkenntnis- se zu gewinnen. Im Interesse der Sache und auch im Hinblick auf die große gesellschaftliche Bedeu- tung dieses Programms hat die DFG in Kauf genommen, daß dabei zugleich auch in nennenswertem Umfang Routineleistungen unter- stützt wurden, deren Förderung ja strenggenommen nicht « zu den Aufgaben der DFG gehört. Da nun mehr, dank des erfolgreichen Ein- satzes aller Teilnehmer des Schwerpunktprogramms die Me- thoden der vorgeburtlichen Dia- gnostik Routineverfahren darstel- len, ist satzungsgemäß die ur- sprüngliche Aufgabe der DFG er- füllt. Das Schwerpunktprogramm läuft Ende 1978 aus. Etwa 100 Wis- senschaftler, die die Methode ex- zellent beherrschen, stehen damit vor der Frage: Wer wird die An- schlußfinanzierung übernehmen?

Wie werden die Stellen weiter ge- sichert sein?

Es besteht die Gefahr, daß die bis- herigen Aufwendungen vergeblich waren, die geschaffenen Einrich- tungen zerfallen und dadurch Nachteile für Individuum und Ge- sellschaft erwachsen, wenn nicht die für das Gesundheitswesen in Bund und Ländern verantwortli- chen Stellen einerseits für die Er- haltung der vorhandenen Arbeits- gruppen und andererseits für de- ren konsequenten weiteren Aus- bau Sorge tragen. Nur so kann dieser wichtige Zweig der Präven- tivmedizin der Bevölkerung erhal- ten bleiben.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 8. Juni 1978 1381

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Dabei muß jedoch nachdrücklich betont werden, daß die Aufrecht- erhaltung der pränatalen Diagno- stik in der Bundesrepublik keines- falls durch einfache Übernahme der von der Deutschen For- schungsgemeinschaft im Schwer- punktprogramm geforderten Stel- len gewährleistet ist. Es muß viel- mehr die Versorgung aller Schwangeren mit erhöhtem gene- tischen Risiko gesichert werden a) durch einen großzügigen und raschen materiellen und personel- len Ausbau der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft einge- richteten genetischen Laborato- rien für pränatale Diagnostik und b) durch Neueinrichtung solcher Laboratorien an den im DFG-Pro- gramm nicht geförderten Universi- täten und Schwerpunktkranken-

häusern.

Die Entschließung der Gesundheitsministerkonferenz (GMK)

Es ist offensichtlich, daß die prä- natale Diagnostik auch in der fer- neren Zukunft nur einen Teil der genetischen Risiken in der Schwangerschaft eliminieren kann. Deshalb kommt der geneti- schen Beratung zur Vorbeugung von Erbkrankheiten diese erhebli- che Bedeutung im Rahmen der Präventivmedizin zu. Im Gegen- satz zur pränatalen Diagnostik, die durch die Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland eta- bliert ist, sind die personellen Vor- aussetzungen für die genetische Beratung, also alle die Leiden, die nicht durch die speziellen Labor- methoden vorgeburtlicher geneti- scher Diagnostik festgestellt wer- den können, absolut unzurei- chend. Daran ändert bisher auch die Entschließung "Humangeneti- sche Beratung" nichts, die im No- vember 1977 in Berlin gefaßt Wurde.

Die Entschließung lautet: „Die GMK nimmt den Bericht des Aus-

schusses für Gesundheitshilfe zu Fragen der genetischen Beratung der Bevölkerung zur Kenntnis.

Sie stellt fest, daß die von ihr in den vergangenen Jahren bereits mehrfach aufgegriffene Thematik aufgrund neuer medizinischer Er- kenntnisse an Dringlichkeit weiter zugenommen hat. Sie begrüßt da- her die Entschließung des 80.

Deutschen Ärztetages, genetische Beratung und pränatale Diagno- stik anläßlich des 81. Deutschen Ärztetages in einem besonderen Tagesordnungspunkt zu behan- deln. Um das humangenetische Beratungsangebot zu erweitern, wird die GMK bemüht sein, Mög-

lichkeiten der genetischen Bera- tung auch an den Gesundheitsäm- tern und anderen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdien- stes mit dem Ziel zu verbessern, daß dort Beratungen in enger Zu- sammenarbeit mit den wissen- schaftlichen Instituten durchge- führt werden können.

Die Fortbildung des dafür geeig- neten Personals wird die GMK in Zusammenarbeit mit diesen Insti- tuten und den Akademien für öf- fentliches Gesundheitswesen nachdrücklich fördern. Sie geht davon aus, daß auch die ärztliche Fortbildung durch die Berufsver- tretungen sich dieser Frage inten- siv annehmen wird.

Die GMK spricht sich dafür aus, daß die durch Förderung der DFG eingerichteten Laboratorien ent- sprechend dem langfristigen Be- darf und der weiteren Notwendig- keit der Forschung finanziell si- chergestellt werden. Weiter soll ei- ne Erweiterung der Möglichkeiten zur Untersuchung aller schwange-

ren Frauen mit einem entspre- chenden Risiko für eine pränatal diagnostizierbare Krankheit ange- strebt werden.

Unter dieser Zielsetzung wird sie darauf hinwirken, daß pränatal ge- netische Diagnostik auch in geeig- neten Krankenhäusern sicherge- stellt wird. Im übrigen hält die GMK die Einrichtung von human-

genetischen Instituten an allen Universitäten nach wie vor für dringlich."

Aufgrund des Auftrages, dieses Referat vorzubereiten, wurde ein Rundschreiben an sämtliche in der GMK zusammengefaßten Mini- , sterien geschrieben.

Die Antworten waren allerdings im Sinne sachgerechter genetischer Beratung von ganz unterschiedli- cher Qualität. Die Umfrage lautete:

„Anläßlich des 81. Deutschen Ärz- tetages 1978 in Mannheim wird über die aktuelle Situation der ge- netischen Beratung und pränata- len Diagnostik in der Bundesrepu- blik referiert werden. Im Referat zu diesem Tagesordnungspunkt soll unter anderem ein aktueller Über- blick über die derzeitige Situation der genetischen Beratung und pränatalen Diagnostik in den ein- zelnen Bundesländern gegeben werden, besonders im Hinblick darauf, daß Ende dieses Jahres das Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemein- schaft: ,Pränatale Diagnostik ge- netisch bedingter Defekte' aus- läuft.

Vom Präsidium der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind sämtliche Landesregierungen be- ziehungsweise die für das Ge- sundheitswesen zuständigen Mi- nisterien angeschrieben worden und auf die Problemlage hinge- wiesen worden. Es wird um Stel- lungnahme über das weiter ge- plante weitere Vorgehen Ihres Hauses gebeten.

Insbesondere interessiert, zu er- fahren, ob Stellen für

O wissenschaftliches Personal, O technisches Personal oder O sonstiges Personal

im Haushalt für 1979 heu ausge- wiesen sind, speziell im Hihblick auf das auslaufende DFG-Pro- gramm.

1382 Heft 23 vom 8. Juni 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Ist von Ihnen geplant, daß geneti- sche Beratungsstellen im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdien- stes eingerichtet werden? Die Konferenz der für das Gesund- heitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (GMK) hat anläßlich der Tagung am 9./10.

November 1977 in Berlin auch im Hinblick auf den anstehenden Deutschen Ärztetag im Top 10 eine Entscheidung: ,Humangenetische Beratung' gefaßt. In der Entschlie- ßung der Gesundheitsminister- konferenz wird davon gesprochen, daß die Konferenz bemüht sein wird,

die Möglichkeiten der geneti- schen Beratung auch an den Ge- sundheitsämtern und anderen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu verbes- sern,

in Zusammenarbeit mit human- genetischen Instituten und Akade- mien für öffentliches Gesundheits- wesen die Fortbildung geeigneten

Personals nachdrücklich zu fördern,

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die durch Förderung der DFG eingerichteten Laboratorien ent- sprechend dem langfristigen Be- darf und der weiteren Notwendig- keit der Forschung finanziell si- cherzustellen,

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die Erweiterung der Möglich- keiten zur Untersuchung aller schwangeren Frauen mit einem entsprechenden Risiko für eine pränatal diagnostizierbare Krank- heit anzustreben.

Sind aufgrund dieser Entschlie- ßung konkrete Maßnahmen ergrif- fen worden und wenn ja, welche?"

Aus den Antworten der einzelnen Landesministerien soll, um den aktuellen Stand von Bundesland zu Bundesland darzustellen, im einzelnen zitiert werden. Die Rei- henfolge ist dabei durch das Al- phabet gegeben.

Baden-Württemberg

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung: „In Baden-

Württemberg führen die Institute für Anthropologie und Humange- netik der Landesuniversitäten Hei- delberg, Freiburg, Tübingen und Ulm die humangenetische Bera- tung durch. Der Bedarf an geneti- scher Beratung wird auf jährlich rund 4000 Fälle geschätzt. Hierfür reicht die Beratungskapazität der genannten universitären Bera- tungseinrichtungen aber nicht aus. Deshalb sind im Nachtrags- haushalt 1978 des Kultusministe- riums für das Klinikum Freiburg, das Klinikum Heidelberg, das Kli- nikum Tübingen und die Universi- tät Ulm jeweils vier Stellen folgen- der Qualität ausgebracht worden:

1. eine Stelle BAT II a/I b für einen Arzt

2. eine Stelle BAT V b/IV b für ei- ne Sozialarbeiterin

3. eine Stelle BAT VI b/V c für ei- ne technische Assistentin

und

4. eine Stelle BAT IX bis VII für eine Schreibkraft.

Nach einer Mitteilung des Kultus- ministeriums Baden-Württemberg vom 31. März 1978 steht in Zusam-

menhang mit dem auslaufenden Programm der Deutschen For- schungsgemeinschaft Herr Pro- fessor Dr. Knörr vom Departement für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universität Ulm wegen der prä-

natalen Diagnostik — Chromoso- mendiagnostik — in der Abteilung Klinische Genetik der Universität Ulm zur Erhaltung der DFG-Stel- len noch in Verhandlung mit der Deutschen Forschungsgemein- schaft.

Zur Frage der genetischen Bera- tung durch den öffentlichen Ge- sundheitsdienst stellt sich die Si- tuation wie folgt dar: Im Rahmen der Gesundheitshilfe sind wir da- bei, in allen Gesundheitsämtern des Landes Baden-Württemberg humangenetische Sprechstunden einzurichten. Erhebungen durch das Ministerium für Arbeit, Ge- sundheit und Sozialordnung Ba- den-Württemberg bei den Regie-

rungspräsidien und Gesundheits- ämtern im Blick auf die personelle Situation haben erkennen lassen, daß ein großer Teil der Ärzte und Ärztinnen der Gesundheitsämter an einer entsprechenden Fortbil- dung zur Durchführung humange- netischer Beratung sehr interes- siert ist.

Die Fortbildung der genannten Personenkreise beziehungsweise die Ausbildung für die humange- netische Beratung wird das Insti- tut für Anthropologie und Human- genetik der Universität Heidelberg (Direktor: Professor Dr. Vogel) in Zusammenarbeit mit dem Ministe- rium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württem- berg übernehmen.

Den Gesundheitsämtern soll bei der humangenetischen Beratung eine gewisse Filterwirkung zu- kommen; die Gesundheitsämter sind als Anlaufstellen für die hu- mangenetische Beratung der Be- völkerung gedacht. Die einfacher gelagerten Beratungsfälle der Ratsuchenden werden die beson- ders fortgebildeten Ärzte und So- zialarbeiterinnen übernehmen.

Sobald nicht einfach gelagerte Be- ratungssituationen auftreten, wer- den die ‚Überweisungen' an die genannten Universitätsinstitute vorgenommen werden.

Darüber hinaus ist beabsichtigt, auch die ,Schlüsselpersonen' in der gesundheitlichen Aufklärung und Gesundheitserziehung, wie beispielsweise Ärzte, Lehrer und sonst berufsmäßig mit der Betreu- ung der Jugend befaßte Personen- kreise als Multiplikatoren für die Verbreitung des Wissens über die Bedeutung der humangeneti- schen Beratung zu unterrichten.

Wir sind der Auffassung, daß mit diesem gesamten Vorgehen in ab- sehbarer Zeit der Bedarf an hu- mangenetischer Beratung ausrei- chend zu decken sein wird."

Bayern

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung: „Das

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Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung war und ist an einer verbesserten human- genetischen Beratung weiterhin sehr interessiert.

Die in Bayern vorhandenen hu- mangenetischen Untersuchungs- stellen sind im Bereich der Univer- sitäten angesiedelt und gehören demnach in den Zuständigkeitsbe- reich des Bayerischen Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus.

Es ist uns bekannt, daß die vor- handenen humangenetischen Be- ratungs- und Untersuchungsstel- len nicht ausreichen. Weitere Stel- len im Raum Regensburg bzw.

Würzburg werden von uns als er- forderlich gehalten. Inwieweit die- se Untersuchungsstellen ebenfalls im universitären Bereich angesie- delt werden können, muß durch das Kultusministerium geprüft werden.

Möglich wäre auch eine Angliede- rung an ein Krankenhaus der Ver- sorgungsstufe III. Hier ist aller- dings neben der organisatori- schen Frage die der Finanzierung völlig offen.

Die Fortbildung der Ärzte des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes wird in enger Zusammenarbeit mit unserem Hause von der ,Akademie für den öffentlichen Gesundheits- dienst' des Bayerischen Staatsmi- nisteriums des Innern, nicht zu- letzt auf Anregung von Professor Heynen, vorgenommen. Die Mög- lichkeiten in den Gesundheitsäm- tern bestehen in einer primären genetischen Beratung.

Die Intensivierung der humange- netischen Beratung in Bayern wird auch durch den Bayerischen Landtag als erforderlich angese- hen."

Der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus hat eine schriftliche Anfrage der Abgeord- neten Ursel Redepenning im Baye- rischen Landtag betreffend die hu- mangenetische Beratung an der Kinderpoliklinik der Universität München wie folgt beantwortet:

0 „Die Humangenetische Bera- tungsstelle der Kinderpoliklinik der Universität München hat die Aufgabe, medizinische Untersu- chungsmethoden zu erforschen und anzuwenden, mit denen vor der Empfängnis und der Geburt von Kindern festgestellt werden kann, ob ein Kind an genetischen Fehlbildungen leiden oder gesund zur Welt kommen wird. Bei den hierfür entwickelten Untersu- chungsmethoden handelt es sich im wesentlichen um Chromoso- men- und Fruchtwasseruntersu- chungen. Die Zuverlässigkeit der Untersuchungen hat eine zuneh- mende Bedeutung dieses Spezial- gebietes in Wissenschaft und ärzt- licher Ausbildung zur Folge. Mit der Durchführung vorheriger Un- tersuchungen und entsprechen- der Beratung der Eltern kann in sogenannten Risikofällen die Ge- burt von Kindern mit irreparablen genetischen Fehlbildungen ver- hindert werden. Die Staatsregie- rung ist daher der Auffassung, daß der Arbeit der genetischen Bera- tungsstelle der Kinderpoliklinik der Universität München besonde- re Bedeutung zukommt.

Die vorhandenen Arbeitsmög- lichkeiten sind für die Bedürfnisse von Lehre und Forschung ausrei- chend. Wegen der besonderen Be- deutung der Tätigkeit der human- genetischen Beratungsstelle ist das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus darüber hinaus bemüht, durch die Schaffung neu- er Personalstellen im Staatshaus- halt die bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bezahl- ten Mitarbeiter soweit als möglich zu übernehmen. Dies soll auch da- zu dienen, den Einrichtungen der allgemeinen Gesundheitsvor- und -fürsorge, die nicht Aufgabe der Universitätskliniken ist, den Auf- bau entsprechender Untersu- chungs- und Behandlungsmög- lichkeiten zu erleichtern."

Die Probleme, die sich durch die Aufteilung der Kompetenzen im Gesundheitswesen in fast jedem Bundesland zeigen, treten gerade in Bayern besonders hervor.

Dennoch hat sich hier schon vor zwei Jahren eine recht glückliche Entwicklung dadurch ergeben, daß durch einen Antrag im Bayeri- schen Senat, eingebracht durch den Senator Professor Dr. H. J.

Sewering, drei Planstellen ge- schaffen wurden. Es waren dies die ersten Planstellen in der Bun- desrepublik überhaupt, die spe- ziell für genetische Beratung und pränatale Diagnostik geschaffen wurden. In Bayern, speziell in München, sind deshalb die Ar- beitsbedingungen außerordent- lich günstig gewesen, solange die Quantität der Ratsuchenden nicht so stark überhandnahm.

Berlin

Der Senator für Gesundheit und Umweltschutz: „Meine Senatsver- waltung beabsichtigt, eine human- genetische Beratungsstelle im Rahmen des öffentlichen Gesund- heitsdienstes einzurichten. Es ist vorgesehen, die Personalkapazität des Humangenetischen Instituts der Freien Universität Berlin so- weit zu verstärken, daß ein be- darfsdeckendes Beratungsange- bot in Fragen der menschlichen Erblehre für die Bevölkerung zur Verfügung steht. Vorgesehen ist die Finanzierung nach einem Zweistufenplan: Erste Stufe im Nachtragshaushalt 1978 unterge- bracht, zweite Stufe ab 1980. Der Bedarf sieht wie folgt aus:

A. Beratung: 1 Arzt/Biologe Vgr.

Ib/la (erste Stufe); 1 wiss. Angest.

Vgr. lia/lb (erste Stufe);

B. Untersuchung: 1 Arzt/Biologe Vgr. Ib/la (zweite Stufe);

C. 3 medizinisch-technische oder biologisch-technische Assistenten Vgr. Vc/Vb (erste und zweite Stufe);

D. 1 Fotograf — 20 Wochenstun- den — Vg r. Vc (erste Stufe); 1 Labo- ratoriumsarb. Lgr. III (erste und zweite Stufe)."

Der Senator für Umweltschutz fährt fort: „Ich beabsichtige, der

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 8. Juni 1978 1385

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Freien Universität Berlin die Mittel für das oben angegebene Perso- nal sowie die Sachkosten zu er- statten. Über die ,Einrichtung ei- ner genetischen Beratungsstelle' wurde dem Senat eine Vorlage zur Beschlußfassung vorgelegt. Nach Annahme dieser Vorlage werden die humangenetischen Beratun- gen, die auch die pränatal gewon- nenen Fruchtwasseruntersuchun- gen einschließen, für Berlin, im Anschluß an das DFG-For- schungsprogramm, sichergestellt sein.

Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte des öffentlichen Gesund- heitswesens hat meine Verwaltung vorgesehen. Die ärztlichen Mitar- beiter der Beratungsstellen für werdende Mütter und der Jugend- gesundheitsdienste sollen in den Stand versetzt werden, geeignete Fälle der pränatalen Diagnostik beziehungsweise der humangene- tischen Beratung zuzuleiten."

Dem Schreiben ist eine Senatsvor- lage von 13 Seiten beigefügt, die außerordentlich differenziert und genau die rechtlichen, sozialen und die speziellen Berliner Vor- aussetzungen beschreibt.

Bremen

Auf Veranlassung des Senators für Gesundheit und Umweltschutz der Freien Hansestadt Bremen ist die aktuelle Situation dort vom Lehr- stuhlinhaber an der Universität, Professor Schloot, geschildert. In Bremen gab es noch 1974, im Ge- gensatz zu allen anderen Bundes- ländern, weder eine genetische Beratungsstelle noch ein Chromo- somenlabor. Die nächsten Bera- tungsstellen und Labors befanden sich in Münster, Hannover und Hamburg.

Da die Universität Bremen sich nicht darauf verstehen konnte, aus dem eigenen Stellenkontingent Stellen einzurichten, wurde auf politischer Ebene in Verhandlun- gen mit dem Senator für Gesund- heit und Umweltschutz die Zusage

erreicht, daß dieser die Stelle ei- nes Arztes und einer MTA ab 1979 über sein Stellenkontingent ein- richten würde. Im Rahmen dieser Verhandlungen wurde ein Koope- rationsmodell formuliert und in- zwischen auch vertraglich fixiert, welches eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen dem Hauptgesundheitsamt und der Universität Bremen vorsieht.

Der Arzt führt zu festen Zeiten in den Räumen des Hauptgesund- heitsamtes eine genetische Bera- tungstätigkeit durch. Die Laborun- tersuchungen (Chromosomenana- lysen) werden im Institut für Hu- mangenetik durchgeführt. Man kann davon ausgehen, daß es zwei humangenetische Beratungsstel- len in Bremen gibt, die eng zusam- menarbeiten beziehungsweise eng miteinander verflochten sind.

In der derzeitigen Besetzung kön- nen pro Jahr bis 100 Chromoso- menanalysen. und höchstens 200 Beratungen durchgeführt werden.

Damit können nur die dringend- sten Fälle im Bereich Bremen ab- gedeckt werden, ganz zu schwei- gen von Untersuchungen im Rah- men der pränatalen Diagnostik.

Inwieweit sich die Kooperation zwischen dem Hauptgesundheits- amt und der Universität in Sachen humangenetischer Beratung als sinnvoll erweist, kann naturgemäß jetzt noch nicht abgesehen wer- den, da die Arztstelle erst seit De- zember 1977 besetzt ist und Erfah- rungen in der Zusammenarbeit na- turgemäß nicht vorliegen.

Hamburg

Die Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg:

„Das Institut für Humangenetik des Universitätskrankenhauses Eppendorf ist in der Lage, jährlich 400 Chromosomen-Analysen, da- von 50 pränatale Diagnosen, sowie die im Bereich des Universitäts- krankenhauses Eppendorf anfal- lenden klinisch-genetischen Un- tersuchungen durchzuführen. Wie

uns das Institut mitteilte, erscheint die von ihm angestrebte Zuwei- sung weiterer Planstellen vor 1979

nicht durchführbar. Zuständig hierfür ist allerdings das Hoch- schulamt der Behörde für Wissen- schaft und Kunst, der das Univer- sitätskrankenhaus Eppendorf un- tersteht.

Die Humangenetische Untersu- chungsstelle bei der Gesundheits- behörde (und das ist in Hamburg eine besondere Konstruktion, weil mit Frau Dr. Stockenius eine au- ßerordentlich erfahrene Zytogene- tikerin zur Verfügung steht) hat

1977 423 Chromosomenanalysen, 174 Geschlechtschromosomenun- tersuchungen und 722 genetische Beratungen durchgeführt.

In Konsequenz der von der Ge- sundheitsministerkonferenz in Berlin verabschiedeten Entschlie- ßung zur humangenetischen Bera- tung hat die Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Ham- burg inzwischen die Einrichtung einer weiteren humangenetischen Untersuchungsstelle in Angriff ge- nommen. Diese soll regional vor allem den Westteil unserer Stadt abdecken. Engste Zusammenar- beit mit der dort gelegenen großen Frauenklinik und einem großen Kinderkrankenhaus von 350 Bet- ten ist vorgesehen. Zunächst sol- len sieben Planstellen eingewor- ben werden."

Daran schließt sich in der Antwort der Gesundheitsbehörde der Hin- weis auf „einen niedergelassenen

Laborarzt, der humangenetische Untersuchungen übernimmt" an.

Es handelt sich dabei um die La- borpraxis Dr. 0. Fenner. Auf diese Praxis, die beispielhaft zeigt, daß genetische Diagnostik auch vom niedergelassenen Arzt übernom- men werden kann, soll noch ein- gegangen werden.

Hessen

Der Hessische Sozialminister schreibt: „Ihre Umfrage kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit

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der Angabe konkreter Stellenzah- len beantwortet werden. Die Ent- scheidungen über den Haushalts- plan 1979 werden nicht vor Jah- resende 1978 fallen. Zu Ihrer Un- terrichtung darf ich Ihnen aber die erste Teilantwort auf eine im Hes- sischen Landtag gestellte Kleine Anfrage zur Kenntnis geben. Die Anfrage richtet sich allgemein auf den Grad einer etwaigen Gefähr- dung der vorgeburtlichen Chro- mosomendiagnostik als Vorsorge- maßnahme und auf die Möglich- keiten, auf Landesebene wirksam zu helfen."

In der Antwort heißt es: „An den Universitätsinstituten für Human- genetik in Marburg und Frankfurt sind Polikliniken eingerichtet, die mit einem entsprechenden Perso- nal zur Aufrechterhaltung eines Beratungsdienstes in der Lage sind. Orientieren muß sich selbst- verständlich diese Dienstleistung am Lehr- und Forschungsbedarf der Universität. Eine Möglichkeit der Ausweitung der Stellen be- steht mit Rücksicht auf die Haus- haltspolitik im universitären Be- reich für die nächsten Jahre nicht.

Nach Auffassung der Vertreter des Kultusministers können die seit Ende der 60er Jahre verdoppelten Stellenpläne gegenwärtig nicht weiter ausgedehnt werden.

An der Universität Gießen ist eine Poliklinik nicht eingerichtet. Hier vertritt der Kultusminister die Auf- fassung, daß der Fachbereich in der Lage wäre, durch ein geeigne- tes Forschungsvorhaben auch für die Zukunft entsprechende Arbei- ten über die Deutsche For- schungsgemeinschaft finanzieren zu können. Auch hier hält sich der Kultusminister für außerstande, bisher nicht vorhandene Stellen neu zu schaffen und zu finanzie- ren.

Im Marburger Institut für Human- genetik wurde im Auftrag des Mi- nisters ein Gespräch über die Wei- terentwicklung der genetischen Beratung im Zusammenwirken mit den Gesundheitsämtern geführt.

Professor Wendt hat erklärt, daß

bei der derzeitigen personellen Besetzung des Chromosomenla- bors in Marburg eine volle Funk- tionsfähigkeit zur Fortsetzung und

notwendigen Erweiterung der Chromosomendiagnostik im Rah- men der ständig steigenden Nach- frage nicht möglich sei und er für eine flächendeckende Beratung der Bevölkerung im nordhessi- schen Raum einschließlich der Chromosomendiagnostik zwei weitere Ärzte und je zwei weitere medizinisch-technische Assisten- ten und Schreibkräfte dringend benötige."

Weiter heißt es in der Antwort: „Im übrigen wird die Auffassung ge- teilt, daß die vorgeburtliche Chro- mosomendiagnostik ständig an Bedeutung gewinnt und die Finan- zierung über den Zeitraum der Startfinanzierung durch die DFG dem steigenden Bedarf entspre- chend verstärkt fortgesetzt werden muß. Professor Wendt ist zugleich bereit, bei Erfüllung der personel- len Voraussetzungen als Landes- arzt für die genetische Beratung mit seinen Mitarbeitern tätig zu werden und die Gesundheitsämter beim Aufbau ihrer Beratungsstel- len und der Beratung der Bevölke- rung im Rahmen ihrer Aufgaben zu unterstützen und die Fortbil- dung des Fachpersonals der Ge- sundheitsämter zu übernehmen.

Die Bewilligung einer zusätzlichen Arztstelle und je einer Stelle für einen medizinisch-technischen Assistenten und eine Schreibkraft wird für erforderlich gehalten und müßte bereits im Haushaltsplan 1979 berücksichtigt werden."

Niedersachsen

Der Niedersächsische Sozialmini- ster schreibt: „Bevor ich auf die

Beantwortung Ihrer einzelnen Fra- ge eingehe, möchte ich betonen, daß ich der genetischen Beratung und pränatalen Diagnostik einen hohen gesundheitspolitischen Stellenwert beimesse und meiner Genugtuung Ausdruck geben, daß Minister Professor Dr. Pestel sich bereit gefunden hat, die von der

Deutschen Forschungsgemein- schaft geförderten Vorhaben von 1979 ab weiterzuführen.

Für die Medizinische Hochschule Hannover sind fünf Stellen und für die Universität Göttingen vier Stel- len aus diesem Grunde im Hoch- schulstellenplan ausgewiesen. Es handelt sich um drei wissenschaft- liche Mitarbeiter, fünf MTA und ei- ne Schreibkraft. Um eine Möglich- keit zu finden, genetische Bera- tungsstellen an die Gesundheits- ämter anzugliedern, laufen in Nie- dersachsen zwei Modellversuche, deren Ergebnisse noch keine Rückschlüsse zulassen. Eine Ein- richtung von genetischen Bera- tungsstellen im öffentlichen Ge- sundheitsdienst neben den an den

Hochschulen bestehenden Ein- richtungen läßt sich in absehbarer Zeit nicht verwirklichen. Durch die gute Zusammenarbeit mit den be- stehenden Beratungsstellen der Nachbarländer werden die drin- gendsten Bedürfnisse auf diesem Gebiet annähernd erfüllt. (Eine klare, präzise Aussage.)

Zu den Fragen nach der GMK im November 1977 in Berlin habe ich folgendes anzuführen: Die Förde- rung geeigneten Personals für hu- mangenetische Beratungen ist ein Anliegen, das aufmerksam verfolgt wird. Durch gezielte Fortbildung von Angehörigen der Mütterbera- tungsstellen für die praktische Be- ratung wurde auch das Auffang- system gemeinsam mit den Frau- en- und Kinderärzten verdichtet.

Es ist aber erwähnenswert, daß die Fortbildungsangebote der Hu- mangenetischen Beratungsstelle Marburg von den Ärzten der Ge- sundheitsämter wegen der Zeit- dauer nicht angenommen werden konnten. Erst nach der zu erwar- tenden Stabilisierung der Perso- nallage an den Gesundheitsäm- tern ist eine gewisse Beteiligung zu erwarten. Andererseits wird es nicht für günstig erachtet, wenn Forbildungskurse auf dem Gebiet der Humangenetik drastisch ver- kürzt würden, da die Effizienz der Beratung vom Ausbildungsstand

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des Beraters abhängt. Nur bei ei- ner echten Filterung in der Bera- tungsstelle ist die Weiterleitung an das Humangenetische Institut ökonomisch und menschlich zu vertreten. Hier scheint es erforder- lich, Kosten-Nutzen-Überlegun- gen anzustellen.

Eine Erweiterung der Möglichkei- ten zur Untersuchung aller schwangeren Frauen mit einem entsprechenden Risiko für eine pränatal diagnostizierbare Krank- heit besteht für Niedersachsen darin, daß mit der Hansestadt Bre- men entsprechende Verhandlun- gen laufen, um eine Betreuung des Oldenburger Raumes absi- chern zu können."

Nordrhein-Westfalen

Der Minister für Arbeit, Gesund- heit und Soziales: „In Nordrhein- Westfalen ist 1976 mit dem plan- mäßigen Ausbau der genetischen Familienberatung als präventive Maßnahme am Institut für Human- genetik und Anthropologie der Medizinischen Einrichtungen der Universität Düsseldorf und am In- stitut für Humangenetik der West- fälischen Wilhelmsuniversität Münster begonnen worden. Beide Institute werden im Rahmen des Universitätshaushalts vom Mini- ster für Wissenschaft und For- schung NW finanziert, soweit es sich um Lehre und Forschung handelt. Die zusätzlichen Perso- nal- und Sachkosten für die über- nommene Beratungstätigkeit wer- den aus Mitteln meines Hauses ge- tragen.

Langfristiges Ziel ist die Sicher- stellung humangenetischer Bera- tung durch die Ärzte der Gesund- heitsämter in enger Zusammenar- beit mit den wissenschaftlichen In- stituten im Sinne der Entschlie- ßung der für das Gesundheitswe- sen zuständigen Minister und Se- natoren der Lände vom November 1977.

Das Institut für Humangenetik der Universität Münster hat dieser For-

derung entsprechend schon die Fortbildungstagung durchge- führt."

Ergänzend dazu schreibt der Mini- ster für Wissenschaft und For- schung des Landes Nordrhein- Westfalen: „Nachdem der Herr

Präsident der Deutschen For- schungsgemeinschaft mit Schrei- ben vom 11. Mai 1977 mitgeteilt hat, daß die Deutsche For- schungsgemeinschaft auf Dauer die mit der pränatalen Diagnostik

befaßten Stellen in den Hoch- schulkliniken nicht mehr weiter fi- nanzieren könne, weil die pränata- le Diagnostik aus dem Stadium der Forschung in das Stadium der Routine übergegangen sei, habe ich durch Erlaß zur Vorbereitung des Haushaltsvoranschlags für 1979 angeordnet, daß die Hoch- schulen in den Haushaltsvoran- schlag für 1979 die Stellen aufneh- men sollten, die die Deutsche For- schungsgemeinschaft bisher für die pränatale Diagnostik finanziert hatte. Es bleibt nun den Verhand- lungen mit dem Finanzminister vorbehalten, ob diese Stellen auch in den Regierungsentwurf des Haushaltsplans 1979 aufgenom- men werden können. Dafür be- steht jedoch durchaus begründete Hoffnung."

Rheinland-Pfalz

Ministerium für Soziales, Gesund- heit und Sport: „In den letzten Mo- naten haben in Rheinland-Pfalz mehrere Gynäkologen und Pädia- ter ihr Interesse an der Einführung der pränatalen Diagnostik zu er- kennen gegeben. Diese Bestre- bungen werden von uns im Rah- men unserer Möglichkeiten unter- stützt, so wurde zum Beispiel die apparative Ausstattung der Uni- versitätsfrauenklinik Mainz ver- vollständigt, Verhandlungen we- gen einer MTA-Stelle in Ludwigs- hafen sind zur Zeit noch nicht ab- geschlossen.

Wir vertreten die Auffassung, daß pränatale Diagnostik aufgrund der ,Richtlinien des Bundesausschus-

ses der Ärzte und Krankenkassen über die ärztliche Betreuung wäh-

rend der Schwangerschaft und nach der Entbindung (Mutter- schaftsrichtlinien)` eine Pflichtlei- stung der gesetzlichen Kranken-

kassen ist.

Soweit pränatale Diagnostik aus ärztlicher Sicht erforderlich ist, stellt sie unseres Erachtens einen Bestandteil der kurativen Medizin dar. Demnach ist es Aufgabe ge- eigneter Krankenhäuser, die unter anderem über entsprechend aus- gebildetes Personal verfügen, mit den Krankenkassen entsprechen- de Vereinbarungen zu treffen.

In Rheinland-Pfalz wurde im März 1975 die genetische Beratungs- stelle in Mainz — im wesentlichen nach dem Marburger Modell, aller- dings ohne Anbindung an ein wis- senschaftliches Institut — einge- richtet; die Leiterin ist Frau Pro- fessor Theile.

Die Beratungsstelle ist zwar räum- lich beim Gesundheitsamt unter- gebracht, sie arbeitet jedoch un- abhängig davon. Die Beratungs- stelle konnte den erkennbaren Be- darf bisher decken.

Im Entwurf eines Gesetzes über den öffentlichen Gesundheits- dienst in Rheinland-Pfalz — Stand:

Januar 1978 — hat § 19 Abs. 2 fol- genden Wortlaut:

,Das Gesundheitsamt wirkt darauf hin, daß der Bevölkerung ausrei- chende Möglichkeiten für eine Be- ratung in Fragen der Genetik und zur vorgeburtlichen Diagnostik zur Verfügung stehen.' Es wird davon ausgegangen, daß künftig geeig- nete Ärzte der Gesundheitsämter genetische Beratung — vor allem im Sinne eines Vorfilters — durch- führen, soweit sie von ihrer Ausbil- dung her dazu in der Lage sind und Ratsuchende, bei denen eine differenzierte Diagnostik erforder- lich ist, an eine genetische Bera- tungsstelle oder gegebenenfalls an ein Krankenhaus zur prä- natalen Diagnostik weiter ver- mitteln."

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Saarland

Der Minister für Arbeit, Gesund- heit und Sozialordnung: „Die Ent- schließung der Gesundheitsmini- ster vom November 1977 betref- fend humangenetische Beratung wurde im Hinblick auf Umset- zungsmöglichkeiten im Saarland mit dem Direktor des humangene- tischen Institutes der Universitäts- kliniken Homburg durchgespro- chen. Dabei wurde eher ,eine Er- schwerung der Arbeit des Institu- tes durch eine Beratungsstelle des öffentlichen Gesundheitsdienstes' gesehen, sofern diese Beratungs- stelle nicht durch einen der Wei- terbildungsordnung entsprechen- den Fachmann besetzt ist.

Als bedarfsgerecht und ausrei- chend wurde für unser Land (1,08 Mio. Einwohner) eine einzige Be- ratungsstelle am Institut für Hu- mangenetik angesehen. Eine Be- ratung der Gesundheitsämter durch Abhalten von Sprechtagen durch das humangenetische Insti- tut wurde als zusätzliche Möglich- keit erörtert.

Auf Ihre besonderen Fragen teile ich Ihnen mit, daß für den Haushalt 1979 weder vom Kultusministe- rium noch vom Gesundheitsmini- sterium neue Stellen für die gene- tische Beratung und pränatale Diagnostik ausgewiesen wurden.

In meinem Lande werden aller- dings im Hinblick auf die zuneh- menden Aufgaben im Bereich der Versorgung und Beratung Ver- handlungen zwischen Kultusmini- sterium und Gesundheitsministe- rium wegen Überführung des In- stitutes in das Gesundheitsressort geführt."

Schleswig-Holstein

Der Sozialminister des Landes Schleswig-Holstein: „Die human- genetische Beratung wird von den Abteilungen für Humangenetik an der Universität Kiel und der Medi- zinischen Hochschule Lübeck wahrgenommen. Diese unterhal- ten Außenstellen bei den Gesund- heitsämtern in Flensburg, Eutin

und Ratzeburg, die ihrerseits hier- für Personal zur Verfügung stel- len. Bei den sonstigen Gesund- heitsämtern in Schleswig-Holstein werden die Ratsuchenden im Be- darfsfalle an die beiden jeweils zuständigen Hochschulinstitute

überwiesen.

Durch den engen Kontakt zwi- schen Gesundheitsämtern, nieder- gelassenen Ärzten und Kranken- hausärzten einerseits sowie den humangenetischen Instituten an- dererseits wird eine zunehmende Verbesserung in Beratungs- und Überweisungsverfahren regi- striert.

Betrieb und Forschung an dem durch Förderung der Deutschen

Forschungsgemeinschaft einge- richteten Laboratorium für präna- tale Diagnostik in der Universitäts- Kinderklinik Kiel sollen vom Kul- tusminister des Landes Schles- wig-Holstein mit meiner Unterstüt- zung durch die Anwerbung von Stellen für drei medizinisch-tech- nische Assistentinnen sowie eine wissenschaftliche Assistentenstel-

le sichergestellt werden. Den bei- den humangenetischen Instituten Kiel und Lübeck werden von mir bereits seit 1977 anteilige Sach- mittel für die planmäßig ausge- baute humangenetische Familien- beratung gewährt.

Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Professor Dr. Grote, Abtei- lung für Humangenetik an der Uni- versität Kiel, sowie Frau Professor

Dr. Tolksdorf, Universitäts-Kinder- klinik Kiel, kann für Schleswig- Holstein davon ausgegangen wer- den, daß nach Sicherstellung der angeworbenen bzw. noch geplan- ten Stellen ausreichend Möglich- keiten zur Untersuchung aller schwangeren Frauen mit einem entsprechenden Risiko für eine pränatal diagnostizierbare Krank- heit bestehen werden."

Zusammenfassende Bemerkungen

Die Übersicht zeigt, daß es inzwi- schen gelungen ist, die Diskussion

um den Ausbau genetischer Bera- tung und pränataler Diagnostik in allen Bundesländern mit den zu- ständigen Ministerien zu führen, das rechte Problembewußtsein zu schaffen. Übereinstimmung herrscht in der Ansicht, daß gene- tische Beratung mit Chromoso- mendiagnostik oder pränataler Diagnostik — also mit zytogeneti- schem oder biochemischem Labor

— im allgemeinen nur an den Uni- versitäts-Instituten oder -Kliniken durchgeführt werden sollte. Dem öffentlichen Gesundheitsdienst soll bei der humangenetischen Beratung eine gewisse Filterwir- kung zukommen; die Gesund- heitsämter sind als Anlaufstellen der Bevölkerung gedacht. Das gilt mit Ausnahme solcher Ämter, wie dem Gesundheitsamt Hamburg, an denen ein erfahrener medizini- scher Genetiker die Beratungs- stelle leitet.

Ganz besonders bemerkenswert scheint, daß in mindestens drei Ländern, nämlich Berlin, Nord- rhein-Westfalen und Schleswig- Holstein Präzedenzfälle geschaf- fen sind in dem Sinne, daß in Ber- lin der Senator für Gesundheit und Umweltschutz, der Minister für Ar- beit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und der Sozialminister von Schleswig- Holstein aus Mitteln ihres Hauses Personal- und Sachkosten für die genetische Beratungstätigkeit an den Universitäten tragen. Hier scheint mir eine entscheidende Weichenstellung gelungen zu sein.

Im ganzen fällt ins Auge, daß die lokalen Unterschiede bezüglich genetischer Beratung in der Bun- desrepublik noch erheblich sind:

Ländern wie zum Beispiel Baden- Württemberg, Berlin und Nieder- sachsen mit einem klaren Konzept und sicheren Zusagen stehen an- dere Bundesländer gegenüber, in denen man über Absichtserklärun- gen nicht hinausgekommen ist.

Hier auf klare Entscheidungen der zuständigen Ministerien zu drin- gen sollte eines der Ziele der Ent-

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schließung des Deutschen Ärzte- tages zu diesem Tagesordnungs-

punkt sein.

Vergleich von Kosten und Nutzen der Prävention durch pränatale Diagnostik') Kosten-Nutzen-Analysen werden in der Medizin nur selten ange- stellt, in erster Linie wohl deshalb, weil es dem hippokratischen Den- ken widerstrebt, Geld und menschliches Leiden gegeneinan- der aufzurechnen.

Dabei wird oft übersehen, daß eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht der ethischen Begründung einer the- rapeutischen oder präventiven Maßnahme dient; vielmehr zwin- gen die rapide ansteigenden Ko- sten im Gesundheitswesen dazu, sich Gedanken über die Relation von Kosten und Nutzen zu machen.

Die medizinische Forschung hat in den letzten Jahrzehnten eine Viel- falt von Methoden zur Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten erarbeitet, deren allgemeine Ein- führung die Finanzkraft der öffent- lichen Hand in den meisten Län- dern übersteigen würde. Der Hauptzweck einer Kosten-Nutzen- Analyse ist deshalb, den für das

Gesundheitswesen Verantwortli- chen die notwendigen Optionen zu erleichtern.

Der Gesetzgeber hat in der Bun- desrepublik Deutschland durch die Neuregelung des § 218 StGB das Recht auf Schwangerschafts- abbruch im Fall einer „eugeni- schen Indikation" anerkannt.

Gleichzeitig werden „flankierende Maßnahmen" empfohlen, die bei geringem Risiko die Bereitschaft zur Fortsetzung einer Schwanger- schaft fördern sollen.

Eine der wirksamsten möglichen flankierenden Maßnahmen ist die pränatale Diagnostik, die anstelle theoretischer Wahrscheinlichkeit Sicherheit über das Vorliegen ei- ner Anomalie beim Feten schafft.

Zahl der vorgeburtlichen Untersuchungen

Wie viele Amniozentesen zur prä- natalen Diagnostik sind für eine optimale Effektivität notwendig?

Bei der Beantwortung dieser Fra- ge ist zunächst die Zahl der Schwangerschaften mit hohem Ri- siko für eine pränatal diagnosti- zierbare Krankheit zu berücksich- tigen. Es handelt sich um Frauen, die in einer vorhergehenden Schwangerschaft ein Kind mit ei- ner Chromosomenanomalie, einer pränatal diagnostizierbaren erbli- chen Stoffwechselkrankheit oder einer Verschlußstörung des Neu- ralrohrs geboren haben. Hinzu kommen Schwangerschaften mit schweren, X-chromosomal vererb- ten Krankheiten, die nicht pränatal diagnostizierbar sind. Eine grobe Schätzung ergibt für diese Gruppe mit hohem Risiko 2200 Fälle im Jahr. Die pränatale Diagnostik hat bei dieser Gruppe einen hohen Wirkungsgrad, der einen Kosten- Nutzen-Vergleich überflüssig er- scheinen läßt. Die vorhandenen Laboratorien reichen für die vor- geburtlichen Untersuchungen in dieser Gruppe aus.

Eine weit größere Zahl von Amnio- zentesen und Chromosomenana- lysen ergibt sich für die pränatale Diagnostik aus Altersindikation.

Das Risiko dieser Frauen betrifft hauptsächlich Kinder mit chromo- somalen Trisomien. Wegen der re- lativ guten Überlebenschancen fällt nur die Trisomie-21 ins Ge- wicht. Wie ähnliche Studien im Ausland wurde die folgende Ko- sten-Nutzen-Analyse deshalb aus- schließlich auf die Prävention des Downsyndroms bei Kindern von Müttern mit erhöhtem Alter abge- stellt.

Kosten der Amniozentese und der Chromosomenanalyse Die Schätzung der Kosten für die Amniozentese und die Chromoso- menanalyse beruht auf der Annah- me von diagnostischen Zentren, die mehr als etwa 500 Amniozen -

tesen und Chromosomenanalysen pro Jahr durchführen. Unter Be- rücksichtigung einer Wiederho- lungsrate von drei Prozent errech- nen sich die Kosten für eine Am- niozentese mit pränataler Chro- mosomendiagnostik zu 977 DM.

Die Kosten für eine Schwanger- schaftsunterbrechung wurden mit 3,5 Tagessätzen (Durchschnitt von sechs Kliniken im Bundesgebiet) mit 690 DM angesetzt.

Kosten für die Betreuung von Patienten mit Downsyndrom

Im Gegensatz zu dieser relativ un- komplizierten Berechnung der Ko- sten für die pränatale Diagnostik verursachte die Nutzenseite, also die Kosten für die Behandlung und Betreuung von Patienten mit Downsyndrom, große Schwierig- keiten.

Da Angaben über die Häufigkeit des Downsyndroms und die Sterb- lichkeit der Patienten für die Bun- desrepublik Deutschland nicht verfügbar sind, mußten diese Zah- len Studien aus Kanada, USA und Dänemark entnommen werden.

Auf der Kostenseite wurde die Krankenhausbehandlung von Pa- tienten, die im Säuglings- und Kleinkindesalter sterben, die heil- gymnastische Behandlung im Säuglingsalter, die Förderung in Sonderkindergärten, die Sonder- schulausbildung, die Betreuung in beschützenden Werkstätten und ähnlichen Einrichtungen berück- sichtigt, weiter die Heimunterbrin- gung eines Teils der Patienten und die Steuerbefreiung der Eltern und Pflegeberechtigten berücksich- tigt. Bei den Baukosten und bei der Schätzung der Beteiligung an den kostenträchtigen Betreuungs- maßnahmen wurde angenommen, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein erheblicher

„Nachholbedarf" besteht, der in

1) Der Vergleich von Kosten und Nutzen der Prävention des Downsyndroms ist dem be- treffenden Kapitel von Gebhard Flatz in:

„Pränatale Diagnostik", hrsg. von J.-D.

Murken und S. Stengel-Rutkowski, Enke, Stuttgart, 1978, entnommen.

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den nächsten Jahrzehnten be- trächtliche Investitionen erfordern wird. Die derzeitigen Kosten für die Betreuungsmaßnahmen wur- den durch eine Befragung von 22 mit der Betreuung von Behinder- ten befaßten Einrichtungen im ge- samten Bundesgebiet errechnet.

Unter Berücksichtigung der er- höhten Sterblichkeit, vor allem im ersten Lebensjahr, ergibt sich für die lebenslange Betreuung eines Patienten mit Downsyndrom ein durchschnittlicher Betrag von 303 000 DM. Diese Summe ist oh- ne Diskontierung nach den Ko- stenangaben um die Jahreswende 1976/77 berechnet. Wenn man ei- nen Diskontierungssatz von fünf Prozent pro Jahr für die gesamte Überlebenszeit ansetzt (dieser Satz erscheint für die Bundesre- publik Deutschland realistisch), errechnen sich die durchschnittli- chen Kosten für die Betreuung ei- ner Person mit Downsyndrom zu 148 000 DM pro Jahr.

Kosten-Nutzen-Vergleich

Beim Vergleich der Kosten mit dem zu erwartenden monetären Nutzen wurden nur die Altersgrup- pen über 35 Jahren berücksichtigt, da die Geburtenzahl unterhalb dieser Altersgrenze so hoch und die Häufigkeit des Downsyndroms so gering ist, daß eine allgemeine Einführung der Amniozentese in diesen Altersgruppen unreali- stisch ist. Als Beispiel sollen Fälle von Frauen über 40 Jahren dienen:

8900 Amniozentesen und Chromo- somenanalysen, Schwanger- schaftsabbruch in 172 Fällen, von nachgewiesener Trisomie-21:

8 814 000 DM;

Öffentliche Kosten für die Be- handlung und Betreuung von 172 Patienten mit Downsyndrom:

25 456 000 DM;

Monetärer Nutzen: 16642000 DM.

Kosten-Nutzen-Vergleich für eine genetische Beratungsstelle Wendt ist in seiner Kosten-Nutzen- Schätzung von der Wirksamkeit

einer einzelnen genetischen Bera- tungsstelle ausgegangen: Eine ge- netische Poliklinik mit ausreichen- dem Chromosomenlabor für 2,5 Millionen Menschen kostet jähr- lich rund 650 000 DM. Aus dieser Bevölkerung von 2,5 Millionen sind jährlich 25 000 Neugeborene und (bei vier bis fünf Prozent) 1000-1250 Kinder mit einem we- sentlichen genetischen Defekt zu erwarten. Wenn wir in diese Rech- nung erneut unsere vorsichtige Schätzung der Wirksamkeit gene- tischer Beratung einbringen, dann könnte man mit einer Ausgabe von 650 000 DM jährlich die Geburt von 200 bis 250 erbkranken Kin- dern verhindern.

„Ich glaube, daß wir für deutsche Verhältnisse an der unteren Gren- ze des Wahrscheinlichen liegen, wenn wir die durchschnittlichen zusätzlichen Kosten für ein Kind, das mit einem wesentlichen gene- tischen Defekt zur Welt kommt, auf 100 000 DM ansetzen. Manche Kranke werden weniger, manche auch viel mehr zusätzliche Kosten verursachen. Legen wir diese 100 000 DM pro krankes Kind zu- grunde, dann können wir zu der weiteren Folgerung gelangen, daß sich mit 650 000 DM jährlich 20 bis 25 Millionen an Folgekosten einsparen lassen."

Und noch einmal muß Wendt zi- tiert werden: „Wenn aber Erb- krankheit für rund 80 Prozent aller Behinderungen bei uns verant- wortlich ist, dann wird durch die Auswirkungen einer umfassenden genetischen Beratung zugleich die Chance für eine optimale Be- treuung aller vorhandenen Behin- derten wesentlich verbessert. Un- ter diesem Aspekt ist es unver- ständlich und unverantwortlich, daß der Staat und die in der Behin- dertenhilfe tätigen Verbände und Organisationen sich immer noch nicht entschließen können, etwas für die genetische Beratung zu tun.

Ich habe früher einmal geglaubt, sagt Wendt, daß für die Einrich- tung genetischer Polikliniken an

allen humangenetischen Universi- tätsinstituten etwa ein bis zwei

Prozent derjenigen Mittel ausrei- chen würden, die in der Bundesre- publik für Behinderte ausgegeben werden. Das war offensichtlich ein großer Irrtum. Das Statistische Jahrbuch 1976 weist aus, daß im Jahre 1974 allein als Eingliede- rungshilfe für Behinderte 1,07 Mil- liarden Mark ausgegeben wurden.

Diese Milliarde enthält nicht die Hilfen für den Lebensunterhalt und die Krankenhilfe.

Meine Gesprächspartner im Bun- desgesundheitsministerium, sagt Wendt, konnten keine Zahl für die Gesamtkosten der Behindertenhil- fe in der Bundesrepublik nennen, sie haben mich aber dahin korri- giert, daß größenordnungsmäßig höchstens 0,1 Prozent der Mittel der Behindertenhilfe völlig ausrei- chen würden, die Bundesrepublik mit dem notwendigen Netz geneti- scher Beratungsstellen zu verse- hen."

Möglichkeiten

des niedergelassenen Arztes Daß auch vom niedergelassenen Arzt mit enormem Gewinn für die Allgemeinheit pränatale Diagno- stik betrieben werden kann, zeigt die Praxis Dr. Fenner in Hamburg.

Die genetischen Diagnosen wur- den von seiner Mitarbeiterin, Frau Dr. Thea Koske-Westphal, die als Zytogenetikerin auf jahrelange Er- fahrung an dem Hamburger Institut für Humangenetik zurückblicken kann, durchgeführt. Bei bisher 52 Untersuchungen wurden drei Fe- ten mit einer Chromosomenab- erration und ein Fet mit einer Mye- lomeningocele diagnostiziert.

Legen wir die vorher genannten Zahlen zugrunde, bedeutet das al- lein für die beiden Trisomien-21 eine Ersparnis an Kosten von ca.

300 000 DM. Bei der Meningomye- locele war die Untersuchung we- gen eines 6 Monate vorher mit dem gleichen Leiden geborenen Geschwisters durchgeführt. Die Behandlungskosten für dieses Ge- schwisterkind hatten vom 30. Au-

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gust 1977 bis 6. Mai 1978 rund 40 000 DM betragen. Es fällt mir schwer, so mit Zahlen zu argu- mentieren. Doch die Zahlen sind wichtig, weil die Kosten unsere Möglichkeiten begrenzen.

Ethische Überlegungen Ganz zu Unrecht ist bei der Ein- führung der pränatalen Diagnostik als Argument gegen diese neue Methode angeführt, sie bewirke ei- ne Erhöhung von Schwanger- schaftsabbrüchen.

Das Gegenteil ist der Fall: Die Möglichkeiten der pränatalen ge- netischen Diagnostik ermutigt El- tern mit genetischer Belastung, Schwangerschaften zu planen, die ohne diese neue Methode als zu hohes Risiko empfunden würden.

Darüber hinaus können Schwan- gerschaften, die von einem hohen genetischen Risiko bedroht sind und bei denen von den Eltern der Abbruch erwogen wird, aufgrund der exakten Diagnosemöglichkei- ten bei Ausschluß des fraglichen Leidens ausgetragen werden.

Entsprechendes gilt für die sach- gerechte genetische Beratung: El- tern, denen ein Kind mit einer an- geborenen Fehlbildung geboren wurde, die sich vielleicht trotz aller Kunst des Kinderchirurgen als in- operabel erwies, oder Eltern, die ihr Kind an einem genetischen Lei- den verloren haben, stehen unter einem schweren Schock. Erst die genetische Beratung mit einer ge- nauen Abgrenzung des Risikos, das meist wesentlich geringer ist, als von den Eltern subjektiv ange- nommen wird, läßt den Wunsch nach einer weiteren Schwanger- schaft aufkommen, gibt den Mut zu einem oft mit ganzem Herzen gewünschten weiteren Kind. Un- sere Erfahrungen in München in diesem besonderen Bereich der genetischen Beratung beruhen auf den engen Kontakten zu unse- rem Kinderchirurgen, Waldemar Christian Hecker, die ich hier dankbar hervorheben möchte.

Wird das befürchtete genetische Leiden pränatal diagnostiziert, muß der Schwangerschaftsab- bruch diskutiert werden. Dabei ist die Entscheidung der Eltern unbe- dingt zu respektieren. Keinesfalls, das ist meine eigene Meinung, darf eine vorgeburtliche Untersu- chung von der vorherigen Zustim- mung der Eltern zum Abbruch der Schwangerschaft bei pathologi- schem Befund abhängig gemacht werden. Die theoretische Vorstel- lung einer Konfliktsituation ist et- was völlig anderes als die direkte

Konfrontation mit dem aktuellen Konflikt. Eltern, die sich bewußt entscheiden, ihr krankes Kind zu bekommen, verdienen unsere ganze Hilfe und dürfen unter kei- nen Umständen unter irgendeinen Druck gesetzt werden.

Schwangerschaftsabbruch aus kindlicher Indikation

Wird der Entschluß zum Schwan- gerschaftsabbruch aus kindlicher Indikation gefaßt, so ist dieser Ein- griff bis zur 22. Woche nach der Konzeption legal. Auf die rechtli- chen Überlegungen zum Abbruch aus kindlicher (genetischer) Indi- kation soll hier nicht weiter einge- gangen werden, der Gegenstand ist in extenso von dem Saarbrük- kener Rechtswissenschaftler Det- lev Krauß dargestellt worden.

Nicht die Legalität, sondern die Moralität des Abbruchs aus kindli- cher Indikation möchte ich zum Abschluß dieser Übersicht kurz diskutieren. Ist, was rechtlich er-

laubt ist, auch sittlich vertretbar?

Stellung der Kirchen:

ein ökumenischer Bericht Die Moralität kann nur kurz ange- sprochen werden, ich stütze mich dabei auf den ökumenischen Be- richt: Genetik und die Qualität des Lebens, erschienen 1975 in der Zeitschrift für Evangelische

Ethik, stützen.

„Immer neue Möglichkeiten in der Humangenetik stellen den einzel-

nen und die Gesellschaft vor neue Entscheidungen und erinnern uns daran, daß jedes Wissensgebiet, das der Mensch erobert, ihm Ent- scheidungen darüber abverlangt, wie er seine neue Macht ausüben will. Wo immer und wann immer es möglich ist, sollte unser Wissen dafür eingesetzt werden, alle Kin- der lebenstüchtig zu machen, so daß sie frei von ernsten geistigen oder physischen Schäden leben können.

Einer der Gründe, die für eine Re- duktion genetischer Schäden sprechen, ist die damit verbunde- ne Minderung menschlicher Lei- den. Zwar sind Leiden ein unab- wendbarer Aspekt des menschli- chen Daseins, doch können sie in vielen Fällen gelindert, wenn nicht gar verhütet werden. Auch geneti- sche Schäden verursachen Leid — durch physische und geistige Ein- schränkungen, die sie dem Kran- ken auferlegen und die ihm auch sein Leben verkürzen können, wie auch durch daraus resultierende physische, psychische und finan- zielle Belastungen für andere. Die Familie, die Ärzte und die Gesell- schaft sollten bestrebt sein. Lei- den dieser Art auf ein Minimum einzuschränken, wo immer es oh- ne einen Verstoß gegen morali- sche Werte möglich ist.

Die Kirche kann sich nicht auf Prä- zedenzfälle aus der Vergangenheit stützen, um Fragen zu beantwor- ten, die früher nie gestellt wurden.

Andererseits ist der wissenschaft- liche Fortschritt kein Maßstab da- für, was menschenwürdig und er- strebenswert ist. Ethische Ent- scheidungen auf wissenschaftli- chem Neuland setzen voraus, daß die Möglichkeiten der Wissen- schaft erkannt und von Menschen und Gemeinschaften dienstbar ge- macht werden, die ihre eigenen in- nersten Überzeugungen von der Wesensart des Menschen und vom Schicksal achten. Ein gesundes ethisches Urteil in diesen Dingen ist ohne wissenschaftliche Sach- kenntnis nicht möglich, doch die Wissenschaft dient uns nicht nur zum Guten.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 8. Juni 1978 1393

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