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Archiv "Pränatale genetische Diagnostik" (24.03.1977)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

AUSSPRACHE

Pränatale genetische Diagnostik

Zu einem Beitrag von Professor Dr. med. Jan-Diether Murken in Heft 41/1976, Seite 2560 ff.

1.

Ansicht einer milieubedingten psy- chischen Normabweichung bei XYY-Patienten. Witkin und Mitarbei- ter (1976) beziehen die Kriminalität einiger YY-Patienten auf ihre ernied- rigte Intelligenz.

Herabgesetzte Intelligenz Der Übersichtsaufsatz „Pränatale

genetische Diagnostik" von Zahn, Murken, Zach u. Stengel-Rutkowski gibt uns Anlaß, zu einer Stellung- nahme. Unseres Wissens ist die von den oben genannten Autoren ge- schilderte Schwangerschaftsunter- brechung einer 38jährigen Erstpara in mens IV—V mit einem YY-Feten der 2. in der Literatur geschilderte Fall (Adler, 1973).

Die Gonosomenstörung YY ist die zweithäufigste Chromosomopathie mit 1,21 auf 1000 Neugeborene (Friedrich u. Nielsen, 1973). Diese Patienten werden in Kinderkliniken so gut wie nie phänotypisch erkannt und entgehen in der Erwachsenen- medizin weitgehend der Diagnostik.

Dagegen sehen wir in unserer Poli- klinik etwa alle sechs Wochen das Turner-Syndrom, obwohl diese Go- nosomenstörung etwa an zehnter Stelle aller Chromosomopathien liegt. Diese Patientinnen fallen in al- len Lebensaltern auf.

Zahn et al. bezeichnen (1976) in ih- rem Übersichtsaufsatz diese YY- Konstellation ebenfalls als Syndrom.

Wir bezeichnen doch heute als Syn- drom — zuletzt 1975 definiert (Smith)

— ein wiederkehrendes Muster von Fehlbildungen, vermutlich gleicher Ätiologie und nicht als Folge eines einzelnen lokalisierbaren Irrtums in der Morphogenese.

Als wiederkehrende, wiedererkenn- bare Fehlbildungsmuster nennen die Autoren Hochwuchs, Verhal- tensstörungen (häufig Kriminalität), herabgesetzte Intelligenz und Hypo- genitalismus.

Hochwuchs

Dieses Symptom ist das wohl einzi- ge Charakteristikum dieser Patien-

ten. Von 48 YY-Männern über 18 Jahre lagen 20,83 Prozent der Pa- tienten mit ihrer Körpergröße zwi- schen der 90.-97. Perzentile (normal 7 Prozent) und 33,33 Prozent der Patienten oberhalb der 97. Perzenti- le (normal 3 Prozent).

Hypogonadismus

Endokrinologische Studien zeigen unterschiedliche Befunde. Neben Normalwerten von Testosteron sind erhöhte Plasmawerte und LH-Spie- gel analysiert worden. Aber: welche Rolle spielt der erhöhte Testosteron- spiegel überhaupt beim normalen XY-Mann, geschweige denn beim XYY-Mann?

Fertile Männer mit zwei Y-Chromo- somen und gesunden Kindern bei- derlei Geschlechtes sind bekannt.

Verhaltensstörungen (häufig Kriminalität)

Eine direkte Beziehung zwischen dem Extra-Y-Chromosom und Ag- gressivität beziehungsweise antiso- zialem Verhalten besteht nicht (Bor- gaonkar u. Shah, 1974; Witkin u.

Mitarbeiter, 1976). Die Befunde frü- herer Jahre basieren auf Untersu- chungen, die in Gefängnissen und ähnlichen Institutionen durchge- führt wurden, aber nicht auf Scree- ning-Ergebnissen der Normalbevöl- kerung. Es existiert vielmehr die Vorstellung, daß hochwüchsige Menschen eher mit ihrer Umwelt in Konflikt treten als normal große Menschen und folglich in Gefäng- nissen oder auf psychiatrischen Sta- tionen eine Selektierung der Nor- malbevölkerung — sozial wie auch chromosomal — stattfindet. Auch Zü- blin (1969), Wenigwieser (1973) und Schlegel et al. (1975) vertreten die

Seit den Untersuchungen von Hope et al. (1967), McKerracher (1971) und Noel et al. (1974) weiß man, daß der 1. Q. bei Menschen mit YY-Konstella- tion durchschnittlich nicht niedriger liegt als im Vergleich zur Normalbe- völkerung. Sind YY-Männer also an- ders als Y-Männer? Unterschiede gelten offenbar nur hinsichtlich der Körpergröße.

Abschließend stellt sich die Frage:

Warum wurde die Gravidität der 38jährigen Erstgebärenden mit ih- rem heranwachsenden YY-Foeten unterbrochen? Mitarbeiter in vielen Zentren der pränatalen Diagnostik scheuen sich, zufällig pränatal dia- gnostizierte XO-Turner-Syndrome oder XXY-Klinefelter-Syndrome zu abortieren, da es zahlreiche Beispie- le einer normalen menschlichen Entwicklung bei diesen beiden Go- nosomenstörungen — noch häufiger bei YY-Männern — gibt.

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Jürgen Kunze Facharzt für Pädiatrie Universitäts-Kinderklinik Fröbelstraße 15-17 2300 Kiel-Hassee

Schlußwort

Herr Kunze stellt in seinem Leser- brief die Frage des Schwanger- schaftsabbruches bei gonosomalen Chromosomenaberrationen zur Dis- kussion. Wir meinen, daß diese Frage keinesfalls aus der Sicht des Arztes allein zu sehen ist, sondern vor allem aus der Sicht der Eltern, die mit der Frage zur Untersuchung kamen: Können wir mit einem chro- mosomai unauffälligen Kind rech- nen? Findet sich eine Chromoso- menaberration, so sind wir selbst-

808 Heft 12 vom 24. März 1977

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Pränatale genetische Diagnostik

verständlich verpflichtet, die Eltern über das Gesamtbild dieser Aberra- tion aufzuklären. Diese Aufklärung muß auch mögliche Fehlentwick- lung und nicht in jedem Fall obligate Symptome einschließen.

Der Begriff des „YY-Syndroms" ist allgemein anerkannt, es sei unter anderem nur auf die Definition bei Witkowski-Prokop hingewiesen.

Niemand würde behaupten — das ha- ben speziell auch unsere eigenen Untersuchungen in den Jahren 1969 bis 1973 gezeigt —, daß eine direkte Beziehung zwischen dem überzähli- gen Y-Chromosom und Aggressivi- tät besteht. Dennoch zeigen sich eine Reihe von psychologischen Auffälligkeiten gehäuft bei YY-Pro- banden als da sind: Passivität, Halt- losigkeit, Verführbarkeit, Gefühlsar- mut, Labilität und Kontaktschwäche (Money).

Kinder mit dem Syndrom zeigen eine Reihe von Auffälligkeiten wie Störung der psychomotorischen Entwicklung, Verhaltensstörungen, Genitalanomalien mit Hypogonadis- mus in einer Größenordnung, die von Keutel und Dauner mit etwa 30 Prozent angegeben wurden. Be- dingt durch den Auslesefehler mö- gen diese Zahlen zu hoch sein, ge- wiß aber finden sich diese Auffällig- keiten bei YY-Knaben häufiger als bei Knaben mit der normalen Ge-

schlechtschromosomenkonstitu- tion.

Nun zur konkreten Fragestellung:

Eine 38jährige Erstgebärende kommt zur pränatalen Diagnostik, um bezüglich des Chromosomen- status ihres zu erwartenden Kindes zu erfahren, ob er auffällig sei oder nicht. Der Befund der YY-Gonoso- menkonstellation muß den Eltern in einem solchen Fall mitgeteilt wer- den. Es ist dann in das Ermessen der Eltern gestellt, ob eine solche Schwangerschaft ausgetragen wird oder nicht.

Wir versuchen grundsätzlich nicht, unsererseits einen Einfluß auf die Eltern bezüglich ihrer Entschei- dung, ob eine solche Schwanger-

schaft aus genetischer Indikation unterbrochen werden soll oder nicht, auszuüben.

Allein aus einer Literaturübersicht kann das Krankheitsbild wohl nicht beurteilt werden. Die Aussage, „mit großer Wahrscheinlichkeit" werde das Kind unauffällig sein, ist sicher zu diskutieren. Sinn der pränatalen Genetik ist aber, den Eltern exakte Aussagen bezüglich ihrer Fragestel- lung zu machen. Wir glauben auf- grund unserer eigenen Erfahrungen, daß das Argument einer Mutter, daß sie als ihr erstes geplantes und er- wünschtes Kind nicht eines mit ei- nem auffälligen Chromosomensatz haben möchte, zu respektieren ist.

Dies um so mehr bei starkem Kin- derwunsch nach einem chromoso- mal gesunden Kind.

Literatur beim Verfasser Professor Dr. med.

Jan-Diether Murken Kinderpoliklinik

der Universiät München Pettenkoferstraße 8a 8000 München 2

II.

Über Bedeutung und Aktualität des in dieser Veröffentlichung abgehan- delten Themas bedarf es keiner Dis- kussion. Daß dieses Übersichtsrefe- rat im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT unter der Rubrik „Zur Fortbildung, Aktuelle Medizin" veröffentlicht wurde, ist gerade deshalb nützlich und zu begrüßen, weil hierdurch ein großer ärztlicher Leserkreis erreicht wird und dieses Thema unabhängig von der Fachrichtung alle Ärzte an- geht. Desto bedauernswerter ist es, wenn die groß aufgemachte Tabelle über Kliniken, in denen Amniozente- sen vorgenommen werden — die Ta- belle macht räumlich fast zwei Drit- tel der Veröffentlichung aus — in kei- ner Weise dem heutigen Stand ent- spricht.

Jeder nur halbwegs mit der Materie Vertraute sieht auf den ersten Blick, daß in dieser Tabelle zahlreiche Uni- versitätskliniken wie auch andere

Frauenkliniken fehlen, an denen seit vielen Jahren bereits Amniozente- sen vorgenommen werden.

Professor Dr. med. K. Cretius Städtische Frauenklinik Stuttgart Bismarckstraße 3

7000 Stuttgart 1

Schlußwort

Auf der zweiten Seite unseres Bei- trages haben wir darauf hingewie- sen, daß die beigefügte Aufstellung über die pränatale Diagnostik in der Bundesrepublik Deutschland der Dokumentation der Deutschen For- schungsgemeinschaft entnommen ist. Diese spezielle Auswahl bringt es mit sich, daß bezüglich der Kliniken, die überhaupt Amniozentesen zum Zweck der pränatalen Diagnostik vornehmen, keine Vollständigkeit besteht.

Wir sind deshalb seit dem letzten Informationsblatt dazu übergegan- gen, unabhängig davon, ob eine Be- teiligung am Schwerpunktpro- gramm der Deutschen Forschungs- gemeinschaft besteht, alle Kliniken, die Amniozentesen durchführen, so- wie auch alle genetischen Bera- tungsstellen, an denen pränatale Diagnostik durchgeführt wird, in un- ser Informationsblatt mit einem ent- sprechenden Vermerk aufzu- nehmen.

Wir möchten deswegen die Anre- gung von Herrn Kollegen Cretius be- nützen, auch an dieser Stelle aufzu- fordern, uns mitzuteilen, welche Kli- niken und welche Institute in diesem Bereich arbeiten, damit die Koordi- nation und Kooperation im Bereich der Bundesrepublik Deutschland so vollständig wie möglich durchge- führt werden können.

Professor Dr. med.

Jan-Diether Murken Kinderpoliklinik

der Universität München Pettenkoferstraße 8a 8000 München 2

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 12 vom 24. März 1977 809

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