• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "GENETISCHE BERATUNG: Mißverstanden" (16.11.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "GENETISCHE BERATUNG: Mißverstanden" (16.11.1978)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Briefe an die Redaktion

nicht, den Schaden hat die Ärzte- schaft allgemein, nicht nur die mit Dreck beworfenen selbstkritischen und redlichen unter den Psychoana- lytikern.

Daß wir von vielen in unserer „ärztli- chen Heimat" nicht verstanden wer- den, wissen wir. Um der Medizin und der vielen anständigen Kollegen wil- len sind wir aber nicht bereit, uns von einigen Giftspeiern ins Exil schicken zu lassen .. .

Dr. med. Joachim Pongratz

— Psychotherapie — Rauschenwasser 79 A 3406 Bovenden 1

GENETISCHE BERATUNG

Kritisch geäußert hatten sich in Heft 39/

1978 (Seite 2222) Dr. med. Gottfried Bütt- ner und cand. med. Stephan Grüter zu dem Referat von Prof. Dr. med. Jan-Die- ther Murken (gehalten auf dem Deut- schen Ärztetag 1978, veröffentlicht in Heft 23/1978).

Bizarre Ansichten

Die von zwei Leserbriefen wiederge- gebenen bizarren Ansichten können nicht akzeptiert werden — auch nicht als die von Außenseitern. Solche Meinungen verletzen. Als Vater ei- nes an Störungen des Hirnstoff- wechsels tödlich erkrankten Kindes, das einst anscheinend kerngesund herumsprang, rollerte und spielte und jetzt dahinsiecht, gelähmt, mit Sprachstörungen und zunehmender Idiotie, dazu erblindet, nur noch ein Schatten seiner selbst ist, gehöre ich zu diesen Betroffenen, denn die- se Krankheit soll ebenso wie die in Rede stehende von einer erblichen Bereitschaft (Ceroidlipofuszinose, autosomal rezessiv) bedingt sein.

Hätten wir gewußt, welches Leiden auf uns, die Geschwister und Ver- wandten, das arme von uns geherzte Wesen jetzt zugekommen ist, hätten wir alles darum gegeben, dieses für Außenstehende in seinen Gefühlsdi- mensionen nicht mitzuerlebende Geschehen abzuwenden. Doch war damals die pränatale Diagnostik noch nicht soweit, den verursachen- den Enzymmangel zu erkennen und

einen Schwangerschaftsabbruch zu indizieren. Wir hätten ihn sofort vor- nehmen lassen. Es grenzt schon an die Gefühlskälte eines Scharfrich- ters, anderen mittels Eventualvor- satz das Krüppeldasein eines Mißbil- deten aufzuzwingen. Alle sozialen Maßnahmen, die immer noch sehr langwierig und schleppend geleistet werden, können die emotionalen Leiden derjenigen, die verunstaltete Kinder haben, nicht aufwiegen, ganz abgesehen davon, daß die materiel- len Hilfen oft ein Hohn auf das sind, was die vom Schicksal geschlage- nen Familien und Opfer durchma- chen müssen.

Wolf Kosche Parkstraße 27 2360 Bad Segeberg

Mißverstanden

Die Stellungnahmen zeigen ebenso wie etwa Leserbriefe in der FAZ zum gleichen Thema, daß Murken mit seinem Referat in entscheidenden Grundsatzfragen mißverstanden worden ist. Gestützt auf eine fast siebenjährige praktische Erfahrung mit der genetischen Beratung möchte ich versuchen, das in den Diskussionsbeiträgen isoliert ange- sprochene Problem des Abbruches einer Schwangerschaft aus geneti- scher Indikation in seinen entschei- denden Zusammenhängen darzu- stellen. Damit gebe ich zugleich eine Begründung dafür, daß ich geneti- sche Beratung und pränatale Dia- gnostik gerade unter dem Gesichts- punkt ärztlicher Ethik nicht nur für möglich, sondern für notwendig halte.

Durch die verdienstvolle Darstellung des behinderten Kindes in den Mas- senmedien der Nachkriegszeit ist das Problem kindlicher Behinde- rung jedermann bewußt geworden.

Dies hat aber neben den erwünsch- ten positiven Auswirkungen im In- teresse unserer behinderten Mit- menschen zugleich die Wirkung,

daß viele Menschen besorgt die Fra- ge stellen, ob ihre eigenen künftigen Kinder wohl gesund zur Welt kom- men würden. Jeder Arzt kennt Ehe- paare, die sich wegen solcher Be- fürchtungen vorgenommen haben, auf Kinder zu verzichten. Genetische Beratung hat die Aufgabe, vor der Zeugung von Kindern oder vor der Zeugung von weiteren Kindern den Eltern zu erklären, ob sich durch ei- ne Untersuchung oder aus der Fami- liengeschichte ein besonderes Risi- ko für ihre (weiteren) Kinder vorher- sagen läßt. In der Praxis werden da- bei ganz überwiegend verständli- che, aber unbegründete Ängste zer- streut. In diesem Sinne ist die gene- tische Beratung tatsächlich eine wirksame, Geburten fördernde Tätigkeit.

Wenn aber in seltenen Fällen die ge- netische Beratung den Rat- suchenden ein besonderes Risiko für ihre Kinder vorhersagen muß, dann können die Betroffenen ihren Kinderwunsch an diesem Risiko messen und gegebenenfalls auf ei- gene Kinder verzichten. Die prakti- sche Erfahrung zeigt, daß fast alle Ratsuchenden selbst ein Risiko von 5 Prozent für zu hoch halten und es zum Anlaß nehmen, keine Kinder oder keine weiteren Kinder zu bekommen.

Einem kleineren Teil dieser Paare, die sich wegen eines besonderen Ri- sikos zum Verzicht auf Kinder ent- schlossen haben, kann nun die prä- natale genetische Diagnostik helfen:

Wenn nämlich das erkannte Risiko eine Krankheit des sich entwickeln- den Kindes betrifft, die aus dem Fruchtwasser festzustellen ist, dann kann man solchen pessimistischen Risiko-Eltern die Möglichkeit zei- gen, das den Kinderwunsch verhin- dernde Risiko durch die Fruchtwas- seruntersuchung in ein „Ja" oder

„Nein" zum Vorliegen der befürch- teten Krankheit zu verwandeln. Die Untersuchung aus dem Fruchtwas- ser führt, wie Statistiken aus aller Welt zeigen, fast immer (nämlich in 96 bis 97 Prozent aller Fruchtwas- seruntersuchungen) zu einer sor- genfreien Schwangerschaft. In nur 3 bis 4 Prozent aller Untersuchungen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 46 vom 16. November 1978 2765

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Briefe an die Redaktion

kommt es zu einer Situation, in der für die betroffenen Mütter die vorher besprochene Möglichkeit eines Ab- bruches der Schwangerschaft zur logischen Konsequenz wird.

Auch die pränatale genetische Dia- gnostik aus dem Fruchtwasser ist also ganz überwiegend Geburten fördernd. Sie bewirkt praktisch, daß 96 bis 97 Prozent von Frauen, die vorher entschlossen waren, auf Kin- der zu verzichten, doch Kinder bekommen.

Ich bin nun nicht der Meinung, daß eine solche Hilfe für Frauen, die an- ders keine Schwangerschaft wagen würden, der ärztlichen Ethik wider- spricht. Wer als Arzt oder als Mitbür- ger in dieser Frage zu einer anderen Auffassung kommt, der kann meines Respektes sicher sein. Ich hoffe, er wird auch die Auffassung derjenigen respektieren, die wie ich genetische Beratung und Diagnostik für eine wichtige ärztliche Hilfe halten.

Schließlich: Die beanstandeten Ko- sten-Nutzen-Analysen sind in unse- rer Welt nun einmal notwendig, wenn man Forderungen an den Staat begründen will. Diese Analy- sen haben aber doch ganz offen- sichtlich nicht den Zweck, öffentli- che Mittel für die Vorbereitung und für die Durchführung einer „Ver- nichtung unwerten Lebens" zu ge- winnen. Sie sollen vielmehr die fi- nanziellen Voraussetzungen dafür schaffen, daß möglichst allen betrof- fenen Familien Ängste genommen werden können, die anders den Wunsch nach Kindern unterdrückt hätten. Diesen Zusammenhang hof- fe ich, mit meiner Darstellung der genetischen Beratung und der prä- natalen Diagnostik dargelegt zu haben.

Professor Dr. med.

G. Gerhard Wendt Direktor des Institutes für Humangenetik und der Genetischen Poliklinik an der Universität Marburg/Lahn Bahnhofstraße 7a

3550 Marburg

TAGUNGSBERICHT

Die frühen Mutter-Kind-Beziehun- gen sind in den letzten Jahren wie- derholt Gegenstand von wissen- schaftlichen Theorien und Kontro- versen gewesen. Das Fundament dieser Theorien ist beileibe nicht in dem Maße gesichert und umfang- reich wie die Publizität, die dem Thema zuteil geworden ist. Den psy- choanalytischen Vorstellungen über orale Bedürfnisse des Neugebore- nen stehen behavioristisch-lern- theoretisch geprägte Erkenntnisse und Anstöße aus der vergleichenden Verhaltensforschung und Entwick- lungsbiologie gegenüber.

Allen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie nur einen Teil der Wahrheit ent- halten. Insofern ist es nicht gerecht- fertigt, zum Teil recht einseitige und apodiktische Forderungen an die Mütter und an die Geburtshilfe zu richten. Unbestritten erscheint in- dessen, daß eine frühe Trennung von Mutter und Kind sich nachhaltig auf die Qualität auch der späteren familiären Beziehungen auswirkt.

Was dem zugrunde liegt, war Ge- genstand wissenschaftlicher Erörte- rung auf der 42. Tagung der Deut- schen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in München. Der Präsident der Gesellschaft, Prof. Jo- sef Zander, hatte als renommierte Sachkenner den Freiburger Verhal- tensbiologen Prof. Dr. rer. nat. Bern- hard Hassenstein, den Münchener Entwicklungsbiologen Prof. Dr.

med. Hanuä Papouäek und den Düs-

seldorfer Psychosomatiker Prof. Dr.

med. Hans Molinski zu Vorträgen geladen.

Am Anfang aller neueren Hypothe- sen über die Natur früher Mutter- Kind-Beziehungen stehen die Er- gebnisse der vergleichenden Etho- logie. Beobachtungen an verschie- denen Tierspezies haben zweifels- frei ergeben, daß die Pflegebereit- schaft der Mutter zunächst hormo- nal — durch Prolaktin und/oder durch Östrogene — induziert wird.

Hassenstein zitierte in dem Zusam- menhang die Arbeiten des amerika- nischen Verhaltensbiologen Jay Ro- senblatt, der in Experimenten mit Ratten belegt hat: Etwa einen Tag vor der Geburt der eigenen Jungen beginnt das Muttertier auch fremde, ihm vorgelegte, neugeborene Jung- tiere quasi „mütterlich" zu betreuen, sie zu lecken, ins Nest einzutragen und zu wärmen. Daß dies hormonal bedingt ist, wurde durch Blutüber- tragung von einem Muttertier am Tag der Geburt auf ein jungfräuli- ches Weibchen erwiesen: Auch die- ses Weibchen unternimmt dann An- stalten zur Brutpflege. Diese perina- tale, hormonbedingte Bereitschaft zur Brutpflege geht rasch — je nach Tierart innerhalb von Stunden bis Tagen — auf Null zurück, wenn einem

') Ein erster Bericht über diesen Kongreß, in dem über medizinische, ökonomische und humane Aspekte der Intensivgeburtshilfe berichtet wurde, erschien in Heft 43/1978, Seiten 2517 ff.

Das Janusgesicht

moderner Geburtshilfe (II)

Zweiter Bericht vom Gynäkologenkongreß in München*)

Es gibt kein Entweder-Oder zwischen Technik und Humanität am Wochenbett. Familienorientierte Geburtshilfe muß sich an der Sicher- heit und an den individuellen Bedürfnissen von Mutter und Kind orientieren, wurde auf der 42. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in München festgestellt.

2766 Heft 46 vom 16. November 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Neben- wirkungen: Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion kann die Einnahme von Magnesium- und Aluminium-haltigen Medikamenten wie Maaloxan Suspension eine Hypermagnesiämie und

Statt die Ab- schaffung genetischer Beratung zu fordern, plädieren wir dafür, das Selbstverständnis, die Aufgaben und Ziele der genetischen Berater zu dis- kutieren und für

Wo jenes Vertrauen in Richterrecht und Rechtsdogmatik fehlt, sieht sich der Gesetzgeber zu umfassenden und sich in Details verlierenden Rege- lungssystemen gezwungen. Auch auf

Gesetzt den Fall, es wi rd eines Tages möglich sein, den zu erwartenden Kranken erfolgreich intrauterin zu behandeln — man sollte der Wissen- schaft eine jetzt noch

Gesetzt den Fall, es wi rd eines Tages möglich sein, den zu erwartenden Kranken erfolgreich intrauterin zu behandeln — man sollte der Wissen- schaft eine jetzt noch

Zu- gleich aber wird mit dieser Freispal- te noch einmal deutlich gemacht, daß der Arzt bei seiner Auswahl nicht nur auf den Preis schauen, sondern auch ihm

ln der genetischen Beratung kann durch eine auf ärztliche Be- funde gestützte Familienana- mnese oder durch die Untersu- chung der Ratsuchenden in man- chen Fällen ein

Wenn nämlich das in der geneti- schen Beratung festgestellte Ri- siko eine Krankheit betrifft, die sich aus dem Fruchtwasser für den Feten diagnostizieren läßt, dann kann