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Archiv "Beratung und Hilfe bei unerwünschter Schwangerschaft" (21.11.1974)

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Beratung und Hilfe bei

unerwünschter Schwangerschaft

Erfahrungen in einer psychologischen Beratungsstelle

Maria Sirnon

ln den Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch seit ei- nigen Jahren weitgehend liberali- siert ist, werden mehr als drei Vier- tel der legalen Aborte aus psycho- logisch-psychiatrischer Indikation und aus sozialen Gründen vorge- nommen. Die psychologisch- psychiatrischen Indikationen kön- nen aus vorbestehenden psychia- trischen Erkrankungen oder psy- chologisch abnormen oder neuroti- schen Verhaltensweisen entstehen.

überwiegend aber haben sie sozia- le Gründe.

Wir haben nun begonnen, eine in- dividuelle medizinisch-psycholo- gisch-soziale Beratung und Hilfe für Frauen mit unerwünschter Schwangerschaft einzurichten. Die- ser Beratung werden zunächst nur Frauen zugeführt, bei denen in der poliklinischen Sprechstunde unserer Klinik die Diagnose

"Schwangerschaft" gestellt worden war.

Weiterhin wurden solche Schwan- gere beraten, die mit einem von der Gutachterstelle genehmigten Antrag auf Schwangerschaftsab- bruch in die Klinik eingewiesen waren, bei denen aber die Indika- tion nach unserer Ansicht nicht zu- traf. Die Durchführung des Abortus wäre in diesen Fällen nicht strafbar gewesen, hätte aber im Gegensatz zu den Normen des ärztlichen Han- deins gestanden. Wichtiger aber 'lOCh schien es uns, in Kontakt mit solchen Schwangeren zu kommen, welche die Beseitigung der Schwangerschaft nicht "legal"

über den Hausarzt, Antrag und Ge-

nehmigung der Gutachterstelle er- streben, sondern die illegale Ab- treibung vorbereiten.

Zu diesem Zweck richteten wir nach dem Vorbild der Tele- fonseelsorge einen Telefonan- schluß ein, der in Abständen von einigen Wochen im Anzeigenteil der regionalen Tageszeitungen be- kanntgegeben wird: "Beratung bei unerwünschter Schwangerschaft unter der Nummer: 201 650". Der Kontakt erfolgt also zunächst an- onym. Die Formulierung wurde be- wußt undeutlich gehalten, um eben jene Frauen anzusprechen, die eine Abtreibung beabsichtigen oder erwägen. Verständlicherweise hatten die Anzeigenredaktionen der Zeitungen zunächst einige Be- denken gegen die Aufnahme die- ses Textes; diese Bedenken konn- ten jedoch durch Erklärung unse- rer Absichten rasch ausgeräumt werden.

Gute Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten Nach einigen Monaten berichteten wir in einer Versammlung des Be- rufsverbandes der Gynäkologen von Würzburg und Unterfranken über die ersten Erfahrungen mit diesen anonymen Kontakten und fanden Zustimmung und aktive Zu- sammenarbeit. Von den praktizie- renden Gynäkologen werden uns seitdem immer wieder schwangere Frauen mit unerwünschter Schwan- gerschaft zugewiesen. Auch die in Würzburg bestehende kirchliche Telefonseelsorge hat Verbindung mit unserer Beratung gesucht und

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen THEMEN DER ZEIT

Wie immer die Neuregelung der strafrechtlichen Bestim- mungen über den Schwan- gerschaftsabbruch nach der Entscheidung des Bundes- verfassungsgerichtes auch aussehen mag - eins dürfte heute bereits klar sein: Der Beratung durch einen Arzt oder eine Institution wird be- sonders große Bedeutung beigemessen werden. Das geht schon aus den Ausfüh- rungen aller Parteien hervor, die im Bundestag vertreten sind. Die vom Bundestag ver- abschiedete einstweilen aber nicht in Kraft gesetzte

"Fristenregelung" sieht

eine Beratungspflicht vor.

Zusammensetzung und Ar- beitsweise derartiger Bera- tungsstellen sind bislang noch nicht klar. Um so not- wendiger dürfte es sein, sich über die Tätigkeit von Bera- tungsstellen, die bereits be- stehen, zu informieren. Die im folgenden beschriebene Stelle ist bei der Universitäts- Frauenklinik Würzburg einge- richtet. Die Verfasserin arbei- tet dort als Klinische Psycho- login.

weist ratsuchende Frauen aus ih- rem Anruferkreis unserer Beratung zu.

Bei Anruf dieses Telefonanschlus- ses meldet sich die Verfasserin dieses Beitrags; es wird den Ratsu- chenden ein persönliches Ge- spräch angeboten. Als Ort wird die Universitäts-Frauenklinik genannt.

Der Versuch, die BeraLng an ei- nen neutralen Ort in der Stadt zu verlegen, scheiterte. Die Einrich- tung an der Klinik erwies sich als wesentlich günstiger, weil die Schwangere

Jllo- sich dort geborgener fühlt. Das

Klinikmilieu ist vertrauenerwek- kend, selbst dann, wenn sie viel- leicht vermutet, daß ein illegaler

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

47

vom

21.

November

1974 3417

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Aufsätze ·Notizen

Beratung bei unerwünschter Schwangerschaft

Abort nicht vorgenommen wird. Sie wünscht aber dennoch eine Bera- tung.

..,... Weil die Klinik in den Augen der Schwangeren nicht konfessionell gebunden ist, selbst dann, wenn es sich um ein Haus einer der beiden Konfessionen handeln sollte. Eine kirchlich gebundene Beratungs- stelle wird von vielen Frauen abge- lehnt, weil sie glauben, daß man sie dort nur zum Austragen der Schwangerschaft überreden würde.

ln der Klinik glaubt die Frau "Hilfe"

in Form eines Aborts doch eher möglich und ist deshalb eher ge- neigt, den Kontakt aufzunehmen.

Manche Anfrager, meist Männer, fragen sofort konkret, ob eine Ab- treibung vermittelt werden kann und wo und wie diese stattfinden wird und welche Kosten entstehen.

Auf diese direkte Frage nach Ab-

treibung wird stets klar mitgeteilt, daß eine solche nicht vermittelt würde. Manchmal ist damit das Ge- spräch beendet.

Bisher 400 Telefonkontakte

Insgesamt haben sich bisher 400 Personen telefonisch gemeldet, et- was mehr Männer als Frauen. Etwa die Hälfte der Anrufer ( = 200) nah- men den angebotenen Kontakt auf.

Weitere Schwangere aus unserer poliklinischen Sprechstunde oder von praktizierenden Gynäkologen und praktischen Ärzten draußen (etwa 100) wurden in gleicher Wei- se beraten. Etwa drei Viertel der Frauen (

=

225), die unser Bera- tungsangebot annahmen, verzich- teten auf die geplante Abtreibung und trugen und tragen die Schwan- gerschaft aus. Rund ein Viertel ( = 75) der beratenen Frauen lehnte ein Austragen ab.

Tabelle: Verteilung der beratenen Frauen nach verschiedenen soziologischen Kriterien

Familienstand (Angaben in Prozent):

Ledig Verheiratet Verwitwet Geschieden

27 62 (!) 2 8

Alter (Angaben in Prozent):

16 18 20 25 30 35

bis bis bis bis bis bis

16 J. 18 J. 20 J. 25 J. 30 J. 35 J. 40.J 40 J.

3 9,5 9,5 18 13 23 12 11

Schwangerschaften (Angaben in Prozent):

1. Schw. 1 Kind 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder 4 Kinder

28 (!) 27 (!) 16 9 6 14

Wirtschaftliche Verhältnisse (Angaben in Prozent):

Sehr gut gut mäßig schlecht

64 33 3

3418 Heft 47 vom 21. November 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Die Frauen kommen aus allen so- zialen Schichten, allen Intelligenz- niveaus, sämtlichen Familienstän- den, Primä- und Multiparä. Bei dem Wunsch nach Abbruch der Schwangerschaft überwiegt die verheiratete Schwangere aus der Altersgruppe zwischen 20 und 35 Jahren, mit erster Schwanger- schaft oder zwei und drei Kindern, aus sehr guten bis guten wirt- schaftlichen Verhältnissen. Viertes, fünftes und jedes weitere Kind aus schlechtem sozialem Ni- veau sind weniger häufig. Weitere Angaben über die Zusammenset- zung der beratenen Frauen zeigt die Tabelle.

Ergebnis der Beratung

Meine Erfahrungen dieser zweiein- halbjährigen Beratungen darf ich in drei Thesen formulieren:

1. These

Die weitaus größte Zahl der Schwangeren ist entweder von Anfang an mit der Schwanger- schaft einverstanden oder doch nach einem oder mehreren verste- henden oder beratenden Gesprä- chen bereit, die Schwangerschaft auszutragen. Der Schwängerer hingegen, sei es Ehemann, Verlob- ter oder Freund, drängt oder zwingt gar die Schwangere aus ganz bestimmten Motiven heraus - die später noch zu erörtern sind einen Antrag auf legalen Schwangerschaftsabbruch zu stel- len oder einen illegalen Abortus zu erreichen. Bei Minderjährigen sind es die Eitern. ln einem Fall drängte der Hausarzt zu einem Ab- bruch der Schwangerschaft.

2. These

Von ganz wesentlicher Bedeutung für die Schwangere ist, daß das Gespräch dann stattfindet, wenn die Patientin endgültig weiß, ob sie ungewollt schwanger ist. Die hieraus entstehende, oft von der Umgebung induzierte Ratlosigkeit und Erschütterung kann zu Kurz- schlußhandlungen führen, die spä- ter bereut werden. Zu diesem Zeit-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Beratung bei unerwünschter Schwangerschaft

punkt sollte also die psychologi- sche Beratung und Hilfe einsetzen.

Dazu ist es nötig, daß die Schwan- gere weiß, wohin sie sich in die- sem kritischen Augenblick ver- trauensvoll wenden kann. Es wäre empfehlenswert, in der Presse, im Fernsehen, im Radio, auf Plakat- säulen, durch Faltblätter, die in Arztpraxen, in der Apotheke u. a.

aufliegen, auf den Beratungsdienst aufmerksam zu machen. Die An- noncen sollten in kontinuierlichen Zeitabständen immer wieder er- scheinen, da die Frequenz der An- rufer nach der Bekanntmachung relativ schnell wieder absinkt.

Es hat sich gezeigt, daß Frauen, die sich zum Austragen der Schwangerschaft endgültig ent- schlossen haben, bei späteren er- neuten Explorationen die anfäng- lich krisenhafte psychologische Si- tuation überwunden hatten und die Schwangerschaft einen harmo- nischen Verlauf nahm. Die anfangs negative emotionale Haltung der Schwangeren zu ihrem ungebore- nen Kind wird durch das psycholo- gische Phänomen der Mutter-Kind- Identifikation in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft er- heblich begünstigt. Die Mutter be- trachtet nämlich in dieser Zeit das Kind als einen Teil ihres Selbst, das Ungeborene wird also nicht als eigenständige, von der Mutter verschiedene Person angesehen.

Deshalb auch immer wieder die Äußerung von Schwangeren und deren Begleiter, daß die Leibes- frucht zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Kind sei, sondern ein ungeordneter Zellhaufen. Man sehe noch nichts, höre nichts, ver- spüre nichts, alles sei noch „an- onym". Kurzum, von einem Kind könne noch nicht die Rede sein.

Erst mit dem Einsetzen der Herztö- ne und deren Demonstration durch den Arzt und mit den Kindsbewe- gungen tritt das Kind als selbstän- diges Wesen in das Bewußtsein der Mutter. Sie beginnt jetzt posi- tive psychische Relationen zu ihm aufzubauen. Auch die Ehemänner finden sich relativ schnell mit der Realität ab. Spätestens zum Zeit-

punkt der Entbindung haben die allermeisten Frauen zu ihrem Kind gefunden. Keine der bisher ent- bundenen Frauen lehnte das an- fangs unerwünschte Kind nach der Entbindung ab. Andererseits hörte ich von den Frauen, die einen Ab- treibungsversuch unternommen hatten, lange Zeit danach, daß sie innerlich beunruhigt und geäng- stigt waren, daß dem Feten mögli- cherweise ein Schaden zugefügt worden sei.

Die Fristenregelung beraubt die Schwangere durch den Dreimo- natszwang der Chancen einer be- jahenden Einstellung zu ihrer Lei- besfrucht. Durch den vorzeitigen Abbruch können die positiven ent- wicklungspsychologischen Stadien einer Hinwendung zum Kinde im Laufe der Schwangerschaft, die ganz intensiv nach dem dritten Monat einsetzen, nicht mehr durchlaufen werden.

3. These

Die bisher beratenen und betreu- ten Frauen kommen, wie oben schon erwähnt, aus allen sozialen Schichten und intellektuellen Ni- veaus. Jedoch ist vor allem die psychisch differenzierte Schwan- gere häufig eher bereit, die Schwangerschaft auszutragen, als im umgekehrten Falle. Sie ist für psychologische Argumente im Ge- spräch zugänglich und zeigt mehr Einsicht und Verständnis als die seelisch weniger differenzierte Frau.

So würde nach meinen Erfahrun- gen bei einem Schwangerschafts- abbruch speziell hinsichtlich der Charakterstruktur der Frau geradezu eine positive Auslese getroffen, in- sofern die seelisch differenzierte, sensible, verantwortungsbewußte werdende Mutter nach einem oder mehreren Gesprächen wesentlich öfter eine positive Einstellung fin- det und die Schwangerschaft des- halb akzeptiert. Die Schwangere mit umgekehrter Charakterstruk- tur vernichtet mit der Abtreibung deshalb häufiger ihren Nach- wuchs.

Motive für einen

Schwangerschaftsabbruch

Betrachtet man die Motive, aus de- nen heraus die Schwangere einen Abbruch wünscht, so sind diese überwiegend psychosozialer Na- tur. Fortgeschrittenes Alter, zu jung, zu rasche Aufeinanderfolge der einzelnen Schwangerschaften, zu großer Abstand zu den schon erwachsenen Kindern, Verzöge- rung der Ausbildung, Abbruch der momentanen Berufstätigkeit, Angst vor der mitmenschlichen Umwelt, wegen der vielen Kinder (bereits beim dritten oder vierten Kind!) als asozial eingestuft zu werden, extramatrimoniell gezeug- tes Kind, massive Angst, den Part- ner wegen dieser Schwangerschaft zu verlieren, werden immer wieder angeführt. Bei vielen kommt die Sorge hinzu, das Kind nicht indi- viduell genug betreuen zu können, zu kleine Wohnung, der Ehemann trinkt, geht keiner geregelten Ar-

beit nach oder geht gar fremd.

Vielfältig sind die persönlichen Egoismen: Kein Urlaub mehr in den nächsten zwei bis drei Jahren, abends häufiger zu Hause bleiben müssen und nicht mehr ausgehen können, wie man gerne möchte, kleineres Auto, kein Farbfernse- hen, evtl. Einschränkungen in der Kleidung und sonstiger Luxusge- genstände. Die Patientin befürch- tet zum Beispiel, daß durch die Schwangerschaft ihre Figur verun- staltet würde (Schwangerschafts- streifen, Gewichtszunahme). Kurz- um: die persönliche Bequemlich- keit erleidet Einbußen.

Praktische Maßnahmen

Da die Motive zu einem Schwan- gerschaftsabbruch fast ausschließ- lich psychosozialer Natur sind, sind die Maßnahmen, die das psy- chologische Gespräch begleiten, entsprechend. Es werden Erho- lungsaufenthalte während der Schwangerschaft vermittelt, Fami- lienhilfen in dieser Zeit und nach der Entbindung, falls erwünscht, besorgt, Wohnung und Arbeits- platz für den Ehemann gesucht.

Sehr häufig werden Gespräche mit Vorgesetzten geführt, wie zum

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 21. November 1974 3419

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Aufsätze -Notizen

Beratung bei unerwünschter Schwangerschaft

Beispiel Schulleitung, Kindergar- tenseminarleitung, mit dem Lehr- meister, mit dem Chef und sonsti- gen Vorgesetzten. Eine einmalige finanzielle Zuwendung aus einem eigens von der Diözese Würzburg eingerichteten „Fond für uner- wünschte Schwangerschaft" hilft akute Not lindern.

Kontakte mit dem für die Patientin zuständigen Jugendamt sind sehr häufig, wenn es darum geht, Pfle- gestellen zu vermitteln, respektive die Adoption eines Kindes in die Wege zu leiten.

I> Dabei hat sich gezeigt, daß die Zusammenarbeit mit den entspre- chenden Ämtern nicht immer sehr harmonisch und erfreulich ist. Bei vielen Sozialarbeitern ist die Mei- nung, ein Kind solle bei seinen leiblichen Eltern aufwachsen, be- sonders dann, wenn die Schwange- re verheiratet ist, noch sehr ver- breitet. Deshalb kommt es ab und an zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Sachbearbeiter des Ju- gendamtes. Wird zum Beispiel die Schwangere in meiner Sprechstun- de auf die Alternative der Freiga- be zur Adoption aufmerksam ge- macht und bringt man sie damit vom Wunsch der Abtreibung der Leibesfrucht ab, so kann ein Ge- spräch mit einem menschlich und vor allem fachlich nicht oder nicht genügend qualifizierten Sozialar- beiter, der gegenteilig berät, sie in erhebliche neue Konflikte stürzen.

Eine koordinierte Zusammenarbeit mit allen in Frage kommenden In- stanzen (Klinikpersonal, Schwe- stern, Ärzte, amtliche Stellen) ist erforderlich und wünschenswert im Interesse der leiblichen Mutter, der Adoptiveltern und nicht zu- letzt im Interesse des Kindes.

Sehr häufig wird die Sterilisation p.p. angeboten und bereitwillig ak- zeptiert. Ein Trost für Mütter, die schon mehrere Kinder geboren ha- ben und nach dieser Schwanger- schaft nicht gerne andere Kontra- zeptiva anwenden möchten. Im Gespräch mit den Schwangeren fällt immer wieder auf, daß die un- erwünschte Schwangerschaft ganz einfach Folge einer ungenügenden

kontrazeptiven Aufklärung ist. Es wäre ratsam und wünschenswert, daß der Gynäkologe in der Sprech- stunde jede Patientin individuell nach der Methode der Antikonzep- tion befragt und berät. Die Frauen sind dankbar dafür.

Diskussion

Die Gespräche mit den Schwange- ren und ihren Begleitpersonen (Ehemann, Verlobter, Freund, El- tern) sind zeitraubend und meist sehr strapaziös. Gynäkologisch Kranke mit psychosomatischer Symptomatik und erheblichem Lei- densdruck sind gewillt, die ange- botenen psychologischen Hilfen anzunehmen. Frauen mit uner- wünschter Schwangerschaft dage- gen kommen zunächst mit der Ab- sicht, diese zu beseitigen, sehr

häufig auf Drängen ihrer Umge- bung. Unsere psychologische Be- ratung hat das entgegengesetzte Ziel, nämlich die Schwangerschaft zu erhalten. Hierfür ist es von we- sentlicher Bedeutung, daß das Ge- spräch zum frühestmöglichen Zeit- punkt stattfindet.

Beim ersten Gespräch mit den Schwangeren und deren Begleit- personen erweist es sich manch- mal als schwierig, die negative Be- trachtung ihrer Schwangerschaft zu beenden und positive Vorstel- lungen zu entwickeln, die Schwan- gere selbst und ihre Familie zu neuen Denkweisen zu bewegen.

Besonders den verheirateten Schwangeren und ihren Ehemän- nern ist der Gedanke der Freigabe des unerwünschten Kindes zur Adoption nach der Entbindung meist fremd. Die Vorstellung, ein Kind nach seiner Geburt aus dringlichen Motiven zur Adoption freizugeben, scheint „barbarisch", während eine Abtreibung als sitt- lich einwandfrei angesehen wird.

Das Ungeborene sei zum Zeitpunkt der Abtreibung ja noch nicht le- bend und verspüre den Eingriff nicht, so wird argumentiert. Es sei besser, die Schwangerschaft abzu- brechen, als das Kind einer unge- wissen Zukunft bei Adoptiveltern

auszuliefern. Für die leiblichen El- tern sei dies unverantwortlich. Un- ser Gegenargument, daß es für das Kind später nicht ausschlaggebend sei, wer es liebe, wer ihm Nest- wärme und Geborgenheit gebe, wer es in seiner Existenz akzeptie- re, ob die leiblichen Eltern oder die Adoptiveltern, wird von vielen Gesprächspartnern bewußt abge- lehnt oder auch nicht verstanden.

Ebenso kommt der Gedanke, daß ein von seinen leiblichen Eltern abgelehntes Kind für eine sterile Ehe ein echtes Wunschkind sei, bei Verheirateten, die auf Abtrei- bung drängen, nicht an. Hinzu kommt eine massive Angst vor der Umwelt. Wenn diese erfährt, daß man schwanger gewesen sei, ent- bunden wurde und das Kind zur Adoption freigegeben habe, wäre eine Existenz in eben dieser Um- welt kaum mehr denkbar. Da die Geburt des ehelichen als auch des scheinehelichen (= extramatrimo- niell geieugt) Kindes automatisch dem Standesamt am Wohnsitz des

Ehemannes gemeldet wird, um in das Familienbuch eingetragen zu werden, schrecken viele Eltern vor der Freigabe zur Adoption zurück.

Entweder sie behalten ihr Kind selber, oder — was häufiger der Fall ist — sie treiben ab. Ledige Mütter machen sich in dieser Rich- tung weniger Sorgen als verheira- tete Frauen. Sie geben deshalb viel häufiger ihr Kind nach der Geburt zur Adoption frei als Ehe- paare. Es ist an der Zeit, daß die Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigibt, erstdiskriminiert wird.

Vielen Frauen, die durch unge- wollte Schwangerschaft in seeli- sche Not und Bedrängnis gekom- men sind, vermag die hier geschil- derte individuelle psychische Be- ratung mit aktiven praktischen Maßnahmen wirksam zu helfen, ohne Opferung des ungeborenen Kindes. Schwangerschaftsabbruch ist keine Lösung der psychosozia- len Probleme, die nach dem Ab- bruch weiterbestehen bleiben. Die Wohnung ist weiterhin zu klein, der Mann trinkt weiter oder geht fremd oder arbeitet nicht, die Frau ist nach wie vor erholungsbedürf- tig und finanziell minder hpmittelt

3420 Heft 47 vom 21. November 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Die Struktur der Inneren Klinik ba- siert auf dem Konzept des Grün- dungsausschusses der Universität Ulm, wie es im „Bericht des Grün- dungsausschusses über eine Medi- zinisch-Naturwissenschaftliche Hochschule in Ulm" (Juli 1965) nie- dergelegt ist. Eines der wesentli- chen Ziele ist die Wahrung der Ein- heit der Inneren Medizin als Lehr- und Forschungsfach, bei gleichzei- tiger Schaffung von optimalen Be- handlungsmöglichkeiten für die Kranken, unter den Gesichtspunk-

THEMEN DER ZEIT

ten der modernen spezialistischen Möglichkeiten. Dies drückt sich un- ter anderem darin aus, daß alle Pa- tienten auf allgemeinen internisti- schen Krankenstationen (Kranken- stationen mit jeweils durchschnitt- lich 18 Betten; Streubreite 15 bis 23) betreut werden. Die ärztliche Verantwortung liegt bei vier Chef- ärzten, die zusammen mit Oberärz- ten und Assistenten jeweils die Stationen betreuen. Jede Station ist im allgemeinen mit einem Sta- tionsarzt und einem Zweitarzt oder Beratung bei Schwangerschaft

oder gar ungesichert und mögli- cherweise in sechs Monaten oder früher wieder schwanger. Zusätz- lich geht sie das Risiko ein, sich physisch und vor allem psychisch erheblich zu belasten und zu scha- den. Das beweisen Gespräche mit Frauen, die beraten wurden, den- noch abtreiben ließen und dann hinterher meine Hilfe erneut such- ten, weil sie den Abbruch ganz einfach nicht verkrafteten:

Eine 32jährige Frau mit zwei Kin- dern hatte einen notorischen Po- tator zum Ehemann. Er schwänger- te sie zweimal gegen ihren Willen, um sie von einer Ehescheidung ab- zubringen. Er glaubte, durch die Schwangerschaften die Ehefrau so sehr an sich zu binden, daß sie ohne ihn nicht existieren könne.

Die Patientin ließ beide Schwan- gerschaften abtreiben und sich dann scheiden. Nach zwei Jahren lernte sie einen Mann kennen, der sie liebte und den sie heiraten wollte. Doch vor ihrer Vereheli- chung ging sie zum Gynäkologen, um sich bestätigen zu lassen, daß sie trotz der Abtreibungen noch Kinder haben könne. Sie sagte wörtlich, als ich mich mit ihr über das psychische Problem des Schwangerschaftsabbruchs unter- hielt: „Ich will in jedem Falle wie- der zwei Kinder zur Welt bringen, um einen Ausgleich zu schaffen für die beiden Kinder, denen ich das Leben genommen habe. Ob das wohl so ohne weiteres möglich ist?" Die in den Gesetzesentwürfen vorgesehene „Beratung" könnte in dieser Art und Zielsetzung — zu- sammen mit Arzt und Frauenarzt und den sozialen Einrichtungen, die allerdings mehr Hilfe von staatlicher Seite erforderlich ma- chen, bis jetzt sind es fast aus- schließlich nur die Einrichtungen der beiden christlichen Kirchen, die schnell und tatkräftig zur Seite stehen — eine positive Reform des ärztlichen Verfahrens bei unge- wollter Schwangerschaft bringen.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. Maria Simon Diplom-Psychologin 87 Würzburg

Josef-Schneider-Straße 4

Organisationsprobleme der ärztlichen Krankenversorgung

Dargestellt am Beispiel einer Medizinischen Universitätsklinik

Versuch einer Arbeitsmessung ärztlicher Tätigkeit im Krankenhaus

Heinrich Erdmann, Heinz-Günther Overrath, Wolfgang Adam und Thure von Uexküll

Neben einer technisch aufwendigen Krankenversorgung hat der Arzt einer Universitätsklinik Verpflichtungen in Forschung und Lehre.

Trotz Versuchen zur Rationalisierung, insbesondere von Laborun- tersuchungen und Befunddokumentation, nehmen durch die fort- schreitende Spezialisierung und Differenzierung in Diagnostik und Therapie technische und organisatorische Aufgaben immer mehr Zeit in Anspruch. In zunehmendem Maße werden Spezialisten tätig.

Dies führt, neben organisatorischen Schwierigkeiten, auch zu Kom- munikationsproblemen. Die Tätigkeit des Stationsarztes wird zuneh- mend auch durch nicht spezifisch ärztliche Arbeiten in Anspruch genommen und die Zeit für persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient im Interesse eines reibungslosen Stationsbetriebes immer mehr reduziert. Die Ursachen dafür genauer zu erfassen und wenn möglich, zu quantifizieren, war Ziel der vorliegenden Untersuchung.

Sie wurde als hausinterne Bestandsaufnahme am Department für Innere Medizin des Zentrums für Innere Medizin und Kinderheilkun- de der Universität Ulm durchgeführt. Das Department für Innere Medizin hat 263 Betten (ohne Intensivpflegestation, Aufnahmesta- tion und Dialyse, die hier nicht berücksichtigt wurden).

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 47 vom 21. November 1974 3421

Referenzen

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