A-3425
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 50, 12. Dezember 1997 (53) des Menschen fordern viele den Nah-
rungs- und Flüssigkeitsentzug bei irre- versibel apallischen Patienten, wenn dies dem mutmaßlichen oder in gesun- den Zeiten erklärten Willen der Be- troffenen entspricht. Es muß auch in Deutschland erlaubt sein, eine solche Meinung zu äußern. Es ist nicht akzep- tabel, wenn differenzierte Stellungnah- men in dieser Richtung in die Nähe der
„Euthanasie“ des Dritten Reiches ge- rückt werden, die ja nichts anderes war als ärztlich praktizierter Massenmord.
Andererseits glaube ich nicht, daß aufgrund des Kemptener BGH-Urteils der Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug bei irreversibel apallischen Patienten in Deutschland jetzt grundsätzlich er- laubt ist. Wenn bei Vorliegen einer ent- sprechenden Patientenverfügung ein solches Vorgehen erwogen wird, sollte die Sachlage nach Einrichtung einer Betreuung und unter Einschaltung des Vormundschaftsgerichtes sehr sorgfäl- tig geprüft werden (9). Der genaue Wortlaut des BGH-Urteiles zum Kemptener Fall wird auch von juristi- scher Seite dahingehend interpretiert, daß die zahlreichen Einschränkungen die Anwendung auf andere Fälle er- schweren und damit zur äußersten Sorgfalt bei der Prüfung der individuel- len Umstände vor einer eventuellen Umsetzung zwingen (9). Damit haben die Richter die Gefahr des „Dammbru- ches“ erkannt und den möglichen Mißbrauch deutlich eingeschränkt.
Mit dem letzten Satz der Diskussi- onsbemerkung von Herrn Putz „Ge- genteilige Meinungen der Bundesärz- tekammer haben rechtlich keinerlei Bedeutung“ bin ich nicht einverstan- den. Diese polarisierende Bemerkung suggeriert, daß die noch nicht abge-
schlossene Überarbeitung der Richtli- nien zur Sterbebegleitung (2) durch die Bundesärztekammer gegenstandslos sei, da der Sachverhalt ohnehin schon juristisch determiniert sei. Dies ist je- doch ein gravierender Irrtum. Denn die Ärzteschaft muß sich frei von juri- stischer Bevormundung mit den ethi- schen Grundlagen ihres Handelns aus- einandersetzen und ihre Meinungen, die durchaus kontrovers sein können, dazu äußern. Erfahrene Ärztinnen und Ärzte werden die juristischen Vorga- ben des Kemptener BGH-Urteils al- lenfalls als eine behutsame Erweite- rung ihres Entscheidungsspielraumes verstehen (5), aber sie werden sich in ihrer Vorgehensweise keineswegs da- durch verunsichern oder gar ein- schüchtern lassen.
Ich persönlich bin gegen eine ab- solute Legalisierung des Nahrungs- und Flüssigkeitentzugs bei irreversibel apallischen Patienten, weil offensicht- lich die Gefahr besteht, daß daraus die juristische und moralische Rechtferti- gung für sehr weitgehende Formen der aktiven Sterbehilfe auch für andere Pa- tientengruppen abgeleitet werden kann. Genau diese Entwicklung zeich- net sich zur Zeit in den USA ab (7). In einer humanen und zivilisierten Gesell- schaft müssen sich auch unheilbar Kranke auf die Solidarität der An- gehörigen, der Pflegekräfte, der Ärzte und der Kostenträger verlassen kön- nen (3, 4, 6).
Die Objektivität, die Herr Prof.
Dörner in seinem Beitrag vermissen läßt, ist die wichtigste Grundlage für se- riöse Wissenschaftlichkeit allgemein, und sie ist speziell in bezug auf die Dis- kussion über das apallische Syndrom in hohem Maße geboten. Die Auslegun-
gen von Prof. Dörner sind aus dem Text meines Artikels in keiner Weise ableitbar. Es handelt sich um eine völlig unbegründete Unterstellung von An- sichten, die ich nicht im entferntesten teile. Ein Übersichtsartikel im Deut- schen Ärzteblatt ist angesichts der Schwierigkeit dieser Thematik kein Forum zur Propagierung persönlicher Sichtweisen. Es kommt vielmehr auf eine differenzierte und neutrale Dar- stellung an, in der wertfrei über die kontroversen Standpunkte informiert wird, und genau darum habe ich mich bemüht.
Literatur
1. Andrews K: Misdiagnosis of the vegetative state: Retrospective study in a rehabilitati- on. BMJ 1996; 313: 13–16.
2. Entwurf der Richtlinie der Bundesärzte- kammer zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung.
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1342–1344 [Heft 20].
3. Fuchs T, Lauter H: Euthanasie. Kein Recht auf Tötung; Dt Ärztebl 1997; 94: A-220–224 [Heft 5].
4. Hoppe J: Historisches Gefühl? Rhein Ärz- tebl 1996; 11: 3.
5. Klinkhammer G: Bundesgerichtshof-Urteil zur Sterbehilfe. Erweiterung des Entschei- dungsspielraums. Dt Ärztebl 1994; 91:
A-2556 [Heft 39].
6. Opderbecke HW, Weißhauer W: Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht in der In- tensivmedizin. Arzt und Krankenhaus 1997; 2: 34–38.
7. Orentlicher D: The legalization of physi- cian-assisted suicide. N Engl J Med 1996;
335: 663–667.
8: The Multi-Society Task Force on PVS:
Medical aspects of the persistent vegetative state. N Engl J Med 1994; 330: 1499–1508 und 1572–1579.
9. Verrel T: Rechtsprechungsinnovationen im Bereich der Sterbehilfe. Chirurg BDC 1996; 35: 133–136.
Priv.-Doz. Dr. med. W. Nacimiento Neurologische Klinik
der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30 · 52057 Aachen DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT
Unklar ist derzeit, warum nur sehr wenige Patienten, nämlich nur etwa einer von 1000 mit Helicobacter pylori Infizierten, ein Magenkarzi- nom entwickeln.
Die Autoren, die bereits eine um- fangreiche epidemiologische Studie über die Assoziation der Helicobac- ter-pylori-Infektion mit dem Magen- karzinom vorgelegt haben, analysier- ten dieses Mal in ihrer Studie die Ca-
gA-Antikörper. Die Autoren stellten fest, daß CagA-positive Personen ein 5,8fach höheres Risiko hatten, ein Magenkarzinom zu entwickeln, als Personen, die Helicobacter-pylori-ne- gativ waren.
Dies betraf sowohl das Karzinom vom intestinalen Typ als auch das Karzinom vom diffusen Typ. Bei Per- sonen, die keine CagA-Antikörper aufwiesen, war das Risiko für das Ma-
genkarzinom nur leicht erhöht und betraf nur das Karzinom vom diffusen
Typ. w
Parsonnet J, Friedman GD, Orentreich N, Vogelman H: Risk for gastric cancer in people with CagA positive or CagA ne- gative Helicobacter pylori infection. Gut 1197; 40: 297–301.
Department of Medicine and Health Re- search and Policy, Stanford University School of Medicine, Stanford, California 94305, USA.